Einleitung
Das
Wahlergebnis
Die
Parteistärken
Die
Wahlbeteiligung
WählerInnengewinne
und -verluste
Vergleich
der nationalen Trends mit den Verschiebungen in den kantonalen Parlamentswahlen
Analyse
der neuen Parteienlandschaft
Die
Links/Rechts-Orientierung
Die
Wählerwanderungen 1995-1999
Die
Entscheidungskriterien
Das
soziologische Profil der Parteien heute
Erste
Bilanz zur parteipolitischen Neustrukturierung der Schweiz
Die
quantitative Neustrukturierung
Die
qualitative Neustrukturierung
Das
Regierungslager
Die
Nicht-Regierungsparteien
Die
neue Charakteristik der SVP
Die
neue Charakteristik der FDP und CVP
Die
neue Charakteristik der SPS
Fazit
Als Fortsetzung des "Wahlbarometer 99" realisierte das GfS-Forschungsinstitut
für die SRG SSR idée suisse Medien eine Nachbefragung zu den
Nationalratswahlen, um das Verhalten und die damit verbundenen Denkweisen
vom 24. Oktober 1999 auf der Ebene der WählerInnen analysieren zu
können. Die Nachanalyse setzt die Befragungsreihe fort, welche die
SRG bei den Nationalratswahlen 1991 initiiert hatte. Befragt wurden 1999
ausschliesslich Personen, die an den Nationalratswahlen 1999 teilgenommen
haben. Damit ist die Datenbasis der jüngsten Nachanalyse gleich umfangreich
wie jeweils bei den Vorbefragungen, soweit sich die damaligen Aussagen
auf die voraussichtlich Wählenden bezogen.
Minimaler Beschrieb bei der Weiterverwendung: "SRG-SSR-Wahlnachbefragung 99", erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut, eine Repräsentativ-Befragung von 1049 wahlberechtigten Personen in der deutsch-, französisch-, und italienischsprachigen Schweiz mittels telefonischer, computergestützter Interviews, realisiert in den ersten 24 Stunden nach Schliessung der Wahllokale; statistischer Stichprobenfehler +/-2.3 Prozentpunkte. |
Bei den Wahlen in den Nationalrat 1999 bis 2003 wurde die Schweizerische
Volkspartei (SVP), die neu 22,6 Prozent der Stimmen für sich beanspruchen
kann, wählerInnenstärkste Partei, gefolgt von der Sozialdemokratischen
Partei der Schweiz (SPS) mit 22,5 Prozent, der Freisinnig-demokratischen
Partei (FDP) mit 19,9 Prozent und der Christlich-demokratischen Volkspartei
(CVP) mit 15,8 Prozent. Die grösste Partei ausserhalb des Regierungslagers
sind die Grünen mit 5 Prozent Stimmenanteil.
Tabelle 1:
Stärkeverhältnisse der Parteien im neuen Nationalrat |
||
Partei |
Parteistärke |
Sitze |
SVP | 22,6 % | 44 |
SPS | 22,5 % | 51 |
FDP | 19,9 % | 43 |
CVP | 15,8 % | 35 |
Grüne | 5,0 % | 9 |
LPS | 2,3 % | 9 |
SD | 1,8 % | 1 |
EVP | 1,8 % | 3 |
EDU | 1,3 % | 1 |
PdA | 1,0 % | 2 |
Lega | 0,9 % | 2 |
LdU | 0,8 % | 1 |
SolidaritéS | 0,5 % | 1 |
CSP | 0,5 % | 1 |
Diverse | 3,3 % | 0 |
Quelle: BfS, vorläufig amtliche Endergebnisse vom 26. Oktober 1999 |
Bezogen auf Sitze in der Volksvertretung führt die SPS mit 51 der 200 Mandate vor der SVP mit 44 Sitzen, der FDP mit 43 und der CVP mit 35 VertreterInnen. Total umfasst das Regierungslager damit 173 Mandate, was 86,5 Prozent der ersten Kammer des Parlamentes entspricht. Ausserhalb des Regierungslagers können noch zwei Parteien aus eigener Kraft eine Fraktion bilden: die Grünen mit 9 Mandaten und die Liberalen mit 5. Demgegenüber müssen die ebenfalls im Nationalrat vertretenen Parteien wie die EVP (3 Mandate), die PdA (2), die Lega (2), die SD (1), die EDU (1), die CSP (1) und die Solidarité (1) in den nächsten 4 Jahren entweder fraktionslos politisieren oder aber sich einer anderen parlamentarischen Gruppierung anschliessen.
Die Wahlbeteiligung betrug 43,3 Prozent, 1,1 Prozent mehr als bei den
letzten Nationalratswahlen. Die damalige Beteiligung bedeutete den bisherigen
Negativrekord für nationalen Parlamentswahlen. Ob der seit 1971 anhaltende,
fallende Trend 1999 gebrochen ist, kann aber bezweifelt werden. Seit 1983
hat sich der Rückgang verlangsamt und schwankt er im Bereich von 40
bis 45 Prozent. Diverse Wahlanalysen zeigen, dass rund 35 Prozent regelmässig
an Wahlen teilnehmen und sich etwas weitere 20 Prozent situativ entscheiden.
Die stärksten Zuwächse gegenüber 1995 gab es in der Ost-
und Zentralschweiz, vor allem in den Kantonen Appenzell, Zug, Graubünden
und Glarus. Teilweise fanden dort spannende Wahlgänge um die Nachfolge
für einem frei werdenden Parlamentssitz statt, was im Fall von Appenzell
Innerrhoden die Beteiligung rasant ansteigen liess. Ähnliches kann
auch dort beobachtet werden, wo bisherige Sitze wie im Kanton Graubünden
stark umstritten waren und dies zu einer besonderen Mobilisierung führte.
Umgekehrt sank die Wahlbeteiligung in Innerschweizer Kantonen, wo die
Wahlen entweder mangels Auswahl nicht stattfanden (OW) oder aber im Voraus
klar erschienen.
Tabelle 2:
Markante Änderungen der Wahlbeteiligung 1995-99 nach Kantonen |
|||
Steigende Beteiligung |
Sinkende Beteiligung |
||
AI | +34,1 % | OW | -31,9 % |
ZG | +9,1 % | NW | -12,7 % |
GR | +4,1 % | UR | -3,4 % |
GL | +3,5 % | ||
Quelle: BfS, vorläufig amtliche Endergebnisse vom 26. Oktober 1999 |
Am meisten Gewinne im Nationalrat kann die SVP für sich beanspruchen. Sie steigerte ihre WählerInnen-Stärke von 14,9 auf 22,6 Prozent, was einem Zuwachs von 7,7 Prozent entspricht. Sie erhöhte ihre Sitzzahl von bisher 29 auf 44 Mandate. Gehalten haben sich die SPS und die CVP. Erstere legte bei den WählerInnen-Stimmen zwar um 0,7 Prozent zu, muss aber mit 3 VolksvertreterInnen weniger als in der letzten Legislaturperiode politisieren. Umgekehrtes zeigte sich bei der CVP, die neu 1 Prozent weniger WählerInnen vertritt, aber ein zusätzliches Mandat erhält. Die widersprüchlichen Verschiebungen ergeben sich im Wesentlichen durch die Eigenheiten des schweizerischen Wahlsystems. Leichte Verluste ergeben sich für die FDP, die beim WählerInnen-Anteil 3 Promille verlor und 2 Nationalratsitze einbüsste.
Im Zeitvergleich können sich die Grünen, die EVP, die EDU
und die CSP halten. Leichte Gewinne verzeichnen dagegen die Lega (1 zusätzlicher
Sitz), die äussere Linke (3 Promille mehr, mit der PdA und der Solidarité
aber auf zwei getrennte Parteien verteilt), während die SD und der
LdU Verluste beklagen müssen. Eigentliche Verliererin bei den Nicht-Regierungsparteien
ist aber die Freiheitspartei, die den Einzug ins Parlament nicht mehr schaffte
und 3,1 Prozent WählerInnen-Anteile rückwärts machte. Ohne
direkte Vertretung im Parlament verbleiben insgesamt 3,3 Prozent der abgegebenen
Stimmen.
Tabelle 3:
Übersicht über die grössten Veränderungen in den Wählerstärken 1995-99 nach Parteien und Kantonen |
||
Partei |
Kanton |
Veränderung NRW 95-99 |
SVP | AI
SG AR SZ BS AG SO ZG VS LU ZH GE BL JU TG SH |
+25,7%
+19,2 % +15,5 % +13,7 % +13,6 % +12,0 % +11,9 % +9,2 % +8,9 % +8,6 % +8,0 % +7,5 % +7,5 % +7,2 % +6,2 % +5,6 % |
SPS | AR
GR GE
|
+7,8 %
+5,0 % -10,0%
|
FDP | NW
SH NE
|
+42,3 %
+8,5 % -5,0 %
|
CVP | AI
NW SG |
-39,1 %
-32,1 % -5,0 % |
Grüne | NE | + 7,4 % |
FPS | NW
AG SO SG TG |
-19,8 %
-10,0 % -9,3 % -9,2 % -5,3 % |
Quelle: SRG-Hochrechnung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Die grössten kantonalen Verschiebungen ergeben sich bei der SVP.
Sie legte in 16 Wahlkreisen mehr als 5 Prozentpunkte zu. Die stärksten
Gewinne ergeben sich dabei in der Ostschweiz, insbesondere in St. Gallen.
Aber auch in einzelnen Innerschweizer Kantonen wie Schwyz, Zug und Luzern
legte sie über dem Mittel zu. In den Kantonen Aargau und Solothurn,
wo sich ebenfalls beträchtliche Verschiebungen ergeben, dürften
diese vorwiegend durch den Transfer der bisherigen FPS-Nationalräte
zur SVP entstanden sein. Auf Anhieb einen beachtlichen Erfolg erzielte
die SVP in den Kantonen Basel-Stadt, Wallis, Genf und Jura geworden, trat
sie doch 1995 hier gar nicht an, erreichte jetzt aber auf Anhieb überall
mindestens 7 Prozent. In Basel-Stadt avancierte sie auf Anhieb zur zweitstärksten
Partei überhaupt und überholte damit auch alle traditionellen
bürgerlichen Parteien.
Gewichtet man die Gewinne nach Kantonsgrösse, sind Extrapolationen
auf die Auswirkungen möglich, die sich für die nationalen Parteistärken
ergaben. Die grössten Verschiebungen ergeben sich allesamt bei der
SVP. Jene im Kanton Zürich bewirkt gesamtschweizerisch einen WählerInnen-Zuwachs
von 1,3 Prozentpunkten, und das Erstarken der St. Galler-SVP bringt der
nationalen Partei +1,2 Prozentpunkte. Nur als Vergleich: Die beiden Veränderungen
zusammen bedeuten mehr WählerInnen-Stärke als alle jede Nicht-Regierungspartei
ausser den Grünen gesamtschweizerisch überhaupt hat.
Tabelle 4:
Gewinne einer Partei in einem Kanton mit den grössten Auswirkungen auf die nationale Parteistärke |
|||
Partei |
Kanton |
Veränderung im Kanton |
Auswirkung auf die nationale Parteistärke |
SVP | ZH | +8,0 % | +1,3 % |
SG | +19,2 % | +1,2 % | |
AG | +12,0 % | +0,9 % | |
LU | +8,6 % | +0,5 % | |
SO | +11,9% | +0,5 % | |
VS | +8,9 % | +0,4 % | |
BS | +13,6 % | +0,4 % | |
Quelle: SRG-Hochrechnung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Für die SPS setzte es in zwei Kantonen klare WählerInnengewinne ab, nämlich in Appenzell-Ausserrhoden und Graubünden. Nennenswerte Verluste verzeichnete die Partei dagegen in Zug und Genf. Die FDP legte in Nidwalden und Schaffhausen klar zu, verlor aber insbesondere in den französischsprachigen Kantonen Jura, Neuenburg und Wallis. Die CVP verlor namentlich in Kantonen, in denen sie bisher stark war, vor allem in St. Gallen.
Unter den kleinen Parteien ist es insbesondere die Freiheitspartei, die erhebliche Verluste hinnehmen musste und zwar fast in allen Kantonen, in denen sie bisher präsent war. Besondere Gewinne gab es für die Grünen in Neuenburg.
Betrachtet man die grössten Verluste einer Partei auf kantonaler
Ebene und die Auswirkungen für die gesamte Schweiz, sei vor allem
auf die Verluste der Freiheitspartei in den Kantonen, Aargau und Solothurn
resp. St. Gallen verwiesen, aber auch auf den starken Rückgang der
Genfer Sozialdemokratie.
Tabelle 5:
Verluste einer Partei in einem Kanton mit den grössten Auswirkungen auf die nationale Parteistärke |
|||
Partei |
Kanton |
Veränderung im Kanton |
Auswirkung auf die nationale Parteistärke |
FPS | AG | -10,0 % | -0,8 % |
SG | -9,2 % | -0,6 % | |
SO | -9,3 % | -0,4 % | |
SPS | GE | -10,0 % | -0,4 % |
Quelle: SRG-Hochrechnung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Vergleicht man die Trends mit den Verschiebungen bei den kantonalen
Parlamentswahlen (sofern diese auch nach dem Proporzverfahren stattfanden),
überwiegen die Gemeinsamkeiten. Die Übereinstimmung ist meist
mit einer maximale Differenz von 0,5 Prozent gegeben. Mit anderen Worten:
Die gesamtschweizerischen Verschiebungen folgten weitgehend dem, was von
den kantonalen Wahlen bekannt war und abgeleitet werden konnte.
Tabelle 6:
Veränderungen der Wählerstärken 1995-99 bei Nationalratswahlen und kantonalen Parlamentswahlen |
||
Partei |
Verschiebung NRW |
Verschiebungen kantonale Parlamentswahlen |
SVP | +7,7 % | +2,7 % |
SPS | +0,7 % | +0,7 % |
EDU | +/-0,0 % | +0,2 % |
EVP | +/-0,0 % | +/-0,0 % |
Grüne | +/-0,0 % | -0,3 % |
Lega | +/-0,0 % | +0,1 % |
PdA/SolidaritéS | -0,2 % | +0,5 % |
FDP | -0,3 % | -1,2 % |
LPS | -0,4 % | -0,9 % |
LdU | -1,1 % | -0,8 % |
CVP | -1,1 % | -1,2 % |
FPS | -3,1 % | -1,3 % |
Quelle: GfS, Parteienbarometer, BfS, vorläufig amtliche Endergebnisse |
In drei Fällen zeigten sich allerdings klare Trendverstärkungen oder -abschwächungen. Die prominenteste Ausnahme betrifft selbstredend die SVP, die statt 2,7 Prozent wie bei den kantonalen Wahlen seit 1995 7,7 Prozent zulegte, während die Freiheitspartei bei der Nationalratswahlen 1,8 Prozent mehr verlor als bei allen kantonalen. Schliesslich konnte die FDP ihren Rückgang um 0,9 Prozent verringern.
Naheliegend ist es, die Verschiebungen als Folge der nationalen Wahlkampagnen resp. des Umfeldes, in dem die Nationalratswahlen 1999 stattfanden, zu interpretieren. Am effektivsten wäre damit die nationale Kampagne der SVP gewesen, am schlechtesten jene der Freiheitspartei. Der FDP ist es bei den Nationalratswahlen 1999 gelungen, den Negativtrend der letzten vier Jahre zu verlangsamen. Speziell deutlich wurde dies in Zürich, wo die FDP im Frühling 1999 noch stark von der SVP bedrängt worden war und 3 WählerInnen-Prozent einbüsste. Davon war im Kanton, der für das politische Gewicht der FDP von besonderem Belang ist, bei den nationalen Wahlen nichts mehr zu merken.
In der Wahlnachbefragung ordnen sich 34 Prozent der Wählenden in
der Mitte ein, 29 Prozent rechts davon und 25 Prozent links des Zentrums.
Keine Bedeutung hat diese Einteilung für 12 Prozent der Wählenden.
Betrachtet man nur jene, die eine Position auf der Links/Rechts-Achse beziehen,
stufen sich 33 Prozent der Wählenden rechts ein, 39 in der Mitte und
28 links davon. Damit kannte die Schweiz 1999 ein Elektorat, das sich selber
leicht rechts der Mitte sieht, aber durch eine relativ starke Mitte gekennzeichnet
ist.
Tabelle 7:
Links/Rechts-Orientierung der Wählerschaften von 1995 und 1999 |
|||
Wahljahr |
Links |
Mitte |
Rechts |
1999 | 28 % | 39 % | 33 % |
1995 | 33 % | 29 % | 37 % |
Quelle: SRG-SSR-Nachbefragung Wahlen 1999 bzw. 1995, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Im Vergleich zu 1995 ergibt sich im Bewusstsein der Wählenden kein nennenswerter Rechtsrutsch. Es bleibt der Eindruck erhalten, dass die Polarisierung der Wählerschaft 1995 stärker war als in diesem Wahljahr. Die Wählenden von 1999 sehen sich zu vier Prozent weniger als 1995 auf diesem Pol und zu 5 Prozent weniger auf der linken Seite. Insgesamt waren 1999 mehr WählerInnen der Mitte mobilisiert als vier Jahre zuvor.
Dieser, auf den ersten Blick überraschende Befund, wirft die Frage auf, was sich im Vier-Jahres-Vergleich bei den Parteien verändert hat. Aufschluss darüber geben die nachfolgenden 3 Tabellen.
Gegenüber 1999 deutlich gewandelt hat sich die Verteilung der Parteien
in den Bereichen Rechts und Mitte. Am besten sichtbar wird dies anhand
der Verschiebungen der SVP-Wählerschaft. Innerhalb des rechts-orientierten
Elektorates verbesserte sich die SVP innert 4 Jahren von 30 auf 49 Prozent,
während sie in der Mitte wie auch links weitgehend stabil blieb. Ihr
ganzer Gewinn geht demnach darauf zurück, die rechte Wählerschaft
in der Schweiz neu formiert zu haben.
Tabelle 8:
Verschiebungen der WählerInnen-Anteile der SVP 1995-1999 nach politischen Lagern |
|||
Wahljahr |
Links |
Mitte |
Rechts |
1999 | 2 % | 14 % | 49 % |
1995 | 2 % | 12 % | 30 % |
Veränderung | +/-0 % | +2 % | +19 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachanalysen, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut 1995 und 1999 |
Demgegenüber ergeben sich für die FDP und CVP gerade in diesem
Rechtslager grössere Verluste. Ihr WählerInnen-Anteil verringerte
sich hier um 7 resp. 4 Prozentpunkte, während er in der Mitte etwas
stärker wurde und sich links hielt.
Tabelle 9:
Verschiebungen der WählerInnen-Anteile der FDP 1995-1999 nach politischen Lagern |
|||
Wahljahr |
Links |
Mitte |
Rechts |
1999 | 7 % | 31 % | 24 % |
1995 | 5 % | 27 % | 31 % |
Veränderung | +2 % | +4 % | -7 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachanalysen, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut 1995 und 1999 |
Mit anderen Worten: Die Wählerschaften der CVP und der FDP sind
bei den Wahlen 1999 nicht nur etwas kleiner geworden, sie sind als Ganzes
auch in die politische Mitte gewandert. Sie grenzen sich wie bisher gegen
links ab, unterscheiden sich neuerdings aber auch deutlicher von der SVP.
Tabelle 10:
Verschiebungen der WählerInnen-Anteile der CVP 1995-1999 nach politischen Lagern |
|||
Wahljahr |
Links |
Mitte |
Rechts |
1999 | 6 % | 25 % | 13 % |
1995 | 5 % | 23 % | 17 % |
Veränderung | +1 % | +2 % | -4 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachanalysen, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut 1995 und 1999 |
Das Etikett der "Mitte"-Partei trifft heute auf die CVP fast in idealer
Art und Weise zu, ihr rechter Flügel ist 1999 deutlich schwächer
geworden. Es ist zwar noch etwa doppelt so stark wie der linke, aber nur
noch halb so umfangreich wie die Mitte. Bei der FDP scheint die Ambivalenz
noch etwas grösser zu sein, sodass hier auch das Etikett "mitte-rechts"
angezeigt ist, und die SPS als linke, die SVP aufgrund des Selbstverständnisses
ihrer neuen Wählerschaft als rechte Partei charakterisiert werden
kann.
Die hier angesprochene Umgruppierung zeichnete sich schon in den Vorbefragungen
ab. So sammelte die SVP vor allem in der Phase vom März bis Juli 1999
viel stärker als sonst Stimmen im rechten Lager. Sie steigerte ihren
Anteil bei den rechten WählerInnen im genannten Zeitraum von 26 auf
39 Prozent. In dieser Zeit legte auch in der Mitte und links zu, bis maximal
21 resp. 12 Prozent. Danach setzte indessen ausser im rechten Lager eine
Trendumkehr ein.
Tabelle 11:
Entwicklung der WählerInnen-Anteile der SVP nach Links/Rechts-Lagern 1999 |
|||||
Lager |
März 99 |
Juni 99 |
Juli 99 |
Aug. 99 |
Wahl 99 |
Rechts | 26 % | 37 % | 39 % | 41 % | 49 % |
Mitte | 14 % | 18 % | 21 % | 17 % | 14 % |
Links | 9 % | 9 % | 12 % | 7 % | 2 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Die Nachanalyse des Wahlverhaltens 1999 erlaubt es, die Wanderungsbewegungen auf der individuellen Ebene genauer nachzuvollziehen. Dabei müssen zwei Aspekte unterschieden werden:
Die Wahlnachbefragung zeigt zunächst auf, dass 13 Prozent der Wählenden von 1999 NeuwählerInnen sind. Bei einer Gesamtbeteiligung von 43 Prozent bedeutet dies, dass 6 Prozentpunkte der Teilnahmequote auf die NeuwählerInnen zurückgeführt werden können, während die konstant Teilnehmenden 37 Prozent ausmachen.
Von den NeuwählerInnen 1999 haben die CVP und die Grünen am
meisten profitiert. In besagtem Segment erreicht die CVP eine Stärke
von 18 Prozent, und die Grünen liegen bei 13 von Hundert. Oder anders
gesagt: Vor allem bei Personen, die sich 1995 der Stimme enthielten, diesmal
aber die von ihnen bevorzugte Partei bei Wahlen auch individuell unterstützten,
verbesserten sich die CVP und die Grünen.
Tabelle 12:
WählerInnen-Anteile der Parteien 1995 nach bisherigem Teilnahme-Verhalten |
|||
Partei |
NeuwählerInnen |
Konstant Teilnehmende |
Differenz |
SVP | 18 % | 24 % | -6 % |
SPS | 16 % | 23 % | -7 % |
FDP | 14 % | 20 % | -6 % |
CVP | 18 % | 15 % | +3 % |
Grüne | 13 % | 4 % | +9 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Da sich die beiden Hauptphänomene der Neumobilisierung in den Vorbefragungen
nicht abzeichneten, stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung.
In der Tat zeigt sich, dass jeweils eine Mehrheit der Neuwählenden,
die zur SVP, SPS oder FDP neigten, sich schon vor den letzten drei Wochen
entschieden. Demgegenüber entschlossen sich 57 Prozent der Neuwählenden
für die Grünen erst in den letzten drei Wochen, wie sie wählen
wollen, und bei der CVP sind es immerhin 53 Prozent. Oder anders gesagt:
Die Schlussmobilisierung vor allem bei Personen, die nicht gesichert an
Wahlen teilnehmen, brachte der CVP und den Grünen ein verbessertes
Wahlergebnis.
Tabelle 13:
Entscheidungszeitpunkt Neuwählenden nach Parteien |
|||
Partei |
Letzte Woche entschieden |
2./3. Woche vor den Wahlen entschieden |
Vorher entschieden |
SVP | 26 % | 21 % | 53 % |
SPS | 17 % | 9 % | 74 % |
FDP | 20 % | 13 % | 67 % |
CVP | 32 % | 21 % | 47 % |
Grüne | 36 % | 21 % | 43 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Bezüglich der Wechsler-Attraktivität schneidet die SVP eindeutig
am besten ab. 3 von 10 WählerInnen, die 1995 und 1999 gewählt
und 1999 die SVP unterstützt haben, kommen von anderen Parteien. Am
meisten auf sich vereinigt hat die SVP ehemalige FDP-WählerInnen,
am zweitmeisten solche, welche die CVP verlassen haben und am drittmeisten
ehemalige WählerInnen von Nicht-Regierungsparteien, namentlich der
Freiheitspartei. Die Mehrheit ihrer Neuzuzüge stammt aber aus dem
bürgerlichen Regierungslager.
Tabelle 14:
Herkunft der aktuellen Wählerschaften aufgrund des Wahlverhaltens 1995 |
||||||||
Partei 99 |
Partei 95 gleich |
SVP |
FDP |
CVP |
SPS |
andere |
Keine |
Keine Angabe |
SVP | 70 % | 2 % | 11 % | 8 % | 0 % | 6 % | 2 % | 1 % |
FDP | 85 % | 2 % | 4 % | 2 % | 5 % | 1 % | 0 % | 1 % |
CVP | 83 % | 0 % | 5 % | 0 % | 6 % | 4 % | 0 % | 2 % |
SPS | 91 % | 0 % | 0 % | 0 % | 4 % | 1 % | 4 % | 0 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch
das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99
Bemerkungen: Die Anteile unter "gleich" bezeichnen jene WählerInnen-Anteile, die effektiv zweimal gleich gewählt haben. Jene unter der gleichen Partei haben die Liste geändert, ohne dabei die Hauptpartei zu wechseln (als andere Landesteilliste oder Geschlechter- resp. Altersgruppenliste). |
Die CVP und die FDP kannten 1999 eine mittlere Wechsler-Attraktivität.
Die CVP zog am ehesten ehemalige SPS- resp. FDP-WählerInnen an, in
geringerem Masse auch solche aus dem Nicht-Regierungslager. Die FDP war
diesmal insbesondere für einen Teil der SPS-WählerInnen eine
gewisse Alternative, in geringerem Masse auch für Wechsler, die von
der CVP, der SVP oder von anderen Parteien kamen. Die SPS schliesslich
kannte 1999 die geringste Wechsler-Attraktivität. Sie hat im Wesentliche
Personen neu ansprechen können, die 1995 ohne bestimmte Präferenz
oder aber eine Nicht-Regierungspartei aus dem rot-grünen Lager gewählt
hatten. Für ehemalige bürgerliche WählerInnen war sie 1999
dagegen kaum eine wählbare Alternative.
Tabelle 15:
Übersicht über die Herkunft der heutigen WählerInnen aufgrund des Neu- und WechselwählerInnenverhaltens 1999 |
|||||
Partei |
Neu- wählerInnen |
Stamm- wählerInnen |
Wechsel- wählerInnen |
Positive Wechsel- bilenzen |
Negative Wechsel- bilenzen |
SVP | 9 % | 66 % | 25 % | FDP, CVP, andere | --- |
SPS | 12 % | 84 % | 4 % | Partei-
ungebundene |
CVP, FDP |
FDP | 9 % | 81 % | 10 % | SPS | SVP, CVP |
CVP | 14 % | 72 % | 14 % | SPS, FDP | SVP |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Fasst man alle Ergebnisse zu den Wählerbewegungen auf der individuellen Ebene zusammen, so resultiert die folgende Übersicht:
Was hat die Wählenden schliesslich bewogen, die bevorzugte Partei
zu wählen? Bei den 99er Wahlen waren die Personenangebote der Parteien
das entscheidende Kriterium. 37 Prozent der ParteiwählerInnen haben
sich in erster Linie deshalb für eine Liste festgelegt. Am zweithäufigsten
entschieden sich die WählerInnen aufgrund der Antworten, die sie zu
aktuellen Fragen gefunden hatten; massgeblich war dies für 26 Prozent
der BürgerInnen. An dritter Stelle folgt die Weltanschauung (17%)
vor dem Stil (10%) und den repräsentierten Gruppen (5%).
Der Zeitvergleich mit den Entscheidungskriterien 1995 macht deutlich,
dass beide damals hauptsächlichen Entscheidungskriterien 1999 an Bedeutung
gewonnen haben. Zudem hat die Themenorientierung die Bedeutung weltanschaulicher
Elemente überholt. Diese wie auch stil- und gruppenmässige Bezüge
haben an Relevanz für die Wahlentscheidung auch absolut verloren.
Tabelle 16:
Entscheidungskriterien bei der Parteienwahl 1995 und 1999 im Vergleich |
|||
Entscheidungskriterium |
1995 |
1999 |
Veränderung |
Person | 30 % | 37 % | +7 % |
Aktuelle Antworten | 19 % | 26 % | +7 % |
Weltanschauung | 23 % | 17 % | -6 % |
Stil | 12 % | 10 % | -2 % |
Herkunft, vertretene Gruppen | 9 % | 5 % | -4 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Es ergeben sich allerdings erhebliche Unterschiede nach Parteien. Bei
der SVP steht die Themenorientierung ihrer neuen Wählschaft klar im
Vordergrund, und zwar noch vor dem Personenbezug. Die oben dargelegt Umgruppierung
im rechten Lager ist demnach eine Folge der thematischen Neupositionierung
und -profilierung der Partei in entsprechenden Fragen, die im Wahljahr
interessierten oder interessant gemacht werden konnten.
Noch deutlicher wird dies, wenn die spezifischen Werte der Entscheidungskriterien
für 1995 und 1999 verglichen werden. Der allgemeine ideologische Bezug,
der die SVP-Bindung noch 1995 prägte, hat sich stark in Richtung einer
Issue-Orientierung abgeschwächt. Über die Ausrichtung an signifikanten
Themen wie der Neutralität in der Aussenpolitik, der restriktiven
Asylpolitik im Sicherheitsbereich und der Steuersenkung in der Finanzpolitik
definiert sich das neue Weltbild der SVP-Wählerschaft. Verstärkt
hat sich dabei auch die Personen-Orientierung, während das Argument,
aufgrund ihres politischen Stils die SVP zu wählen, eher unbedeutend
ist.
Tabelle 17:
Identifikationsansätze der SVP-Wählerschaften von 1995 und 1999 |
|||
Identifikationsansatz |
1995 |
1999 |
Veränderung |
Person | 27 % | 32 % | +5 % |
Aktuelle Antworten | 21 % | 37 % | +16 % |
Weltanschauung | 36 % | 11 % | -25 % |
Stil | 9 % | 12 % | +3 % |
Herkunft, vertretene Gruppen | 5 % | 3 % | -2 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Die Themenorientierung war bisher die Stärke der SPS. Betrachtet
man die hauptsächlich genannten Identifikationsansätze bei den
Wahlen 1999, ergibt sich eine Relativierung dieser Aussage. Die bekundete
Relevanz ist gegenüber 1995 leicht rückläufig. Sie erreicht
auch nicht das Mass, wie es aktuell für die SVP gilt.
Zum wichtigsten Entscheidungskriterium für die Abgabe der Stimme
an die SPS ist 1999 die Personen-Ausrichtung geworden. Die wachsende Bedeutung
dieses Aspektes drängte sowohl das weltanschauliche Argument wie auch
die Stil-Orientierung zurück. Auf tiefem Niveau leicht angestiegen
ist einzig die Identifikation via die von der Partei vertretene Gruppen
oder Milieus.
Tabelle 18:
Identifikationsansätze der SPS-Wählerschaften von 1995 und 1999 |
|||
Identifikationsansatz |
1995 |
1999 |
Veränderung |
Person | 20 % | 33 % | +13 % |
Aktuelle Antworten | 24 % | 22 % | -2 % |
Weltanschauung | 26 % | 19 % | -7 % |
Stil | 13 % | 11 % | -2 % |
Herkunft, vertretene Gruppen | 9 % | 11 % | +2 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Ganz in der allgemeinen Entwicklung verändert haben sich die Identifikationsansätze
für die FDP-Wählerschaft. Wichtigstes und wichtiger gewordenes
Elemente ist die Personen-Ausrichtung. Etwas ausschlaggebender für
die Wahl der FDP ist zudem die Themen-Orientierung geworden.
Leicht rückläufig sind dafür die Weltanschauung, der
Stil und die Herkunft als Gründe, heute die FDP zu wählen.
Tabelle 19:
Identifikationsansätze der FDP-Wählerschaften von 1995 und 1999 |
|||
Identifikationsansatz |
1995 |
1999 |
Veränderung |
Person | 35 % | 43 % | +8 % |
Aktuelle Antworten | 18 % | 23 % | +5 % |
Weltanschauung | 18 % | 15 % | -3 % |
Stil | 13 % | 12 % | -1 % |
Herkunft, vertretene Gruppen | 10 % | 4 % | -6 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Ähnliches wie bei der FDP lässt sich auch für die CVP-Wahl
sagen. Dominant ist und bleibt der Personenbezug. Er hat 1999 im allgemeinen
Trend zugenommen. Gewachsen ist auch die Bedeutung, sich aufgrund aktueller
Positionsbezüge für die CVP zu entscheiden.
Bei der CVP zeigt sich insofern eine Eigenheit, als das weltanschauliche
Element im Gegensatz zum allgemeinen Trend nicht rückläufig ist.
Verringert hat sich aber auch hier die Bedeutung des Milieus als Wahlgrund.
Tabelle 20:
Identifikationsansätze der CVP-Wählerschaften von 1995 und 1999 |
|||
Identifikationsansatz |
1995 |
1999 |
Veränderung |
Person | 43 % | 49 % | +6 % |
Aktuelle Antworten | 13 % | 23 % | +10 % |
Weltanschauung | 14 % | 14 % | +/-0 % |
Stil | 12 % | 3 % | -9 % |
Herkunft, vertretene Gruppen | 12 % | 5 % | -7 % |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut |
Wen vertreten die vier grössten Parteien heute? Welches ist ihre
neue soziologische Charakteristik? Die Serie der Wahlnachbefragungen lässt
sowohl aktuelle Aussagen wie auch Zeitvergleich zu, die helfen, das neue
Gesicht der Parteien zu skizzieren.
Die SVP ist 1999 in der deutschsprachigen Schweiz (29 %) und in den Landregionen die deutlich grösste Partei der Schweiz (30%). Bei ProtestantInnen (32 %), selbstständig Erwerbenden (29%), Personen mit einem Berufsschulabschluss (28%) gilt das Gleiche. Die SVP ist aber neu bei Männern, den 18-39-Jährigen und bei BezügerInnen geringster Einkommen die stärkste aller Parteien. Letzteres Ergebnis kommt vor allem durch die starke Präsenz von RentnerInnen in dieser Gruppe zustande.
Relativ schwach und weiterhin die kleinste der Regierungsparteien ist die SVP in der lateinischen Schweiz (7%), bei den KatholikInnen und Personen mit universitärem Abschluss (14%).
Im Vergleich zu 1995 hat die SVP fast überall zugelegt, wenn auch
sehr unterschiedlich stark. Am stärksten zugelegt hat sie in den Landgemeinden
und der grossen Agglomerationen, namentlich in der deutschsprachigen Schweiz,
wo sie deutlich stärker wuchs als in der lateinischsprachigen. Kräftig
zugelegt hat sie aber auch bei den BezügerInnen tiefster und höchster
Einkommen, namentlich bei Personen, die sich über den Berufsschulweg
qualifiziert haben. Schliesslich ist ihr Wachstum bei den Männern
überproportional. Spektakulär hat sie sich insbesondere bei den
unter 40-Jährigen an die Spitze der Parteien gesetzt.
Tabelle 21:
Grösste Veränderungen in der SVP-Wählerschaft nach Merkmalsgruppen |
||
Merkmalsgruppen |
Starke Gewinne |
Starke Verluste |
Landgemeinden | +15 % | |
Deutschsprachige Schweiz | +14 % | |
Einkommen über Fr. 7000.- mtl. | +14 % | |
Einkommen unter Fr. 3000.- mtl. | +14 % | |
18-19jährige | +12 % | |
Mittlerer Schulabschluss | +12 % | |
Männer | +12 % | |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Die SPS ist 1999 die wählerstärkste Partei bei den öffentlich
Angestellten (42%), Personen mit einem leicht überdurchschnittlichen
(31%) oder mittleren Einkommen (26%), WählerInnen der Romandie, in
den grossen Agglomerationen (29%), Personen mit einer universitären
Ausbildung (29%), 40-65-Jährigen (24%) bzw. Frauen (24 %).
An vierter Stelle rangiert sie dagegen bei LohnempfängerInnen mit tiefen Einkommen (13 %), AbsolventInnen einer obligatorischen Schule (14%) und selbstständig Erwerbenden (15%). Sie hat sich damit weit entfernt von der klassischen Arbeiterpartei und kann heute überwiegend als Vertreter der neuen Mittelschicht gelten.
Ganz grosse Veränderungen blieben in der Struktur der SPS-Wählerschaft
aus. Sie legte bei WählerInnen mit hohem Schulabschluss etwas zu,
bei RentnerInnen und bei Frauen. Dafür reduzierte sich ihr Anteil
bei den BezügerInnen tiefster Einkommen.
Tabelle 22:
Grösste Veränderungen in der SPS-Wählerschaft nach Merkmalsgruppen |
||
Merkmalsgruppen |
Starke Gewinne |
Starke Verluste |
Hoher Schulabschluss | +7 % | |
über 65jährige | +5 % | |
Frauen | +4 % | |
Einkommen unter Fr. 3000.- mtl. | -6 % | |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Top geblieben ist die FDP in der italienischsprachigen Schweiz (28%),
bei den RentnerInnen (25%) und in den kleinen und mittleren Agglomerationen
(24%). Schwach repräsentiert und nur an vierter Stelle rangiert sie
dagegen bei den öffentlich Angestellten.
Auch bei der FDP bleiben grössere Verschiebungen seit 1995 aus.
Am ehesten noch kann gelten, dass sie sich bei den höheren Einkommensklassen
verloren hat, während sie in der unteren Mittelschicht eher etwas
zugelegt hat. Rückläufig ist ihre Entwicklung auch in der Romandie.
Tabelle 23:
Grösste Veränderungen in der FDP-Wählerschaft nach Merkmalsgruppen |
||
Merkmalsgruppen |
Starke Gewinne |
Starke Verluste |
Einkommen unter Fr. 5000.- mtl. | +4 % | |
Französischsprachige Schweiz | -4 % | |
Einkommen über Fr. 7000.- mtl. | -7 % | |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Die CVP schliesslich ist bei den WählerInnen katholischer Herkunft
(30%) und bei Personen mit tiefem Schulabschluss die Nummer 1 geblieben.
An zweiter Stelle steht sie noch in den kleinen und mittleren Zentren,
während sie sonst fast überall zur viertstärksten Kraft
geworden ist.
Spezifische Veränderungen in der CVP-Wählerschaft ergeben
sich in Landgemeinden, bei tieferen Einkommensklassen bzw. bei RentnerInnen.
Rückläufig ist auch die Bindung von Männern an die CVP.
Tabelle 24:
Grösste Veränderungen in der CVP-Wählerschaft nach Merkmalsgruppen |
||
Merkmalsgruppen |
Starke Gewinne |
Starke Verluste |
Männer | -4 % | |
RentnerInnen | -5 % | |
Einkommen unter Fr. 5000.- mtl. | -5 % | |
Landgemeinden | -5 % | |
Quelle: SRG-SSR-Wahlnachbefragung, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut resp. Wahlbarometer 99 |
Qualifiziert man die Bewegungen in der Wählerschaft fällt
zunächst die Stärkung der Anteils der SVP auf. Diese ist so stark
ausgefallen wie noch keine WählerInnen-Verschiebungen seit Bestehen
der jetzigen Regierungszusammensetzung. Die Rekordwerte für WählerInnen-Verschiebungen
lagen bis jetzt bei rund dreieindrittel Prozentpunkte, erreicht von der
SPS 1987 in negativer Hinsicht resp. 1995 in die positive Richtung.
Tabelle 25:
Übersicht über die Stärken und Schwächen der Parteien im Nationalrat seit Beginn der jetzigen Regierungszusammensetzung 1959 |
||||
Partei |
SPS |
CVP |
FDP |
SVP |
Max. WählerInnenstärke | 26.6%
(1963) |
23.4%
(1963) |
24.0%
(1979) |
14.9%
(1995) |
Min. WählerInnenstärke | 18.4%
(1987) |
16.8%
(1995) |
20.2%
(1995) |
9.9%
(1975) |
Max. Gewinn | +3.3%
(1991-95) |
+0.2%
(1975-79) |
+1.8%
(1975-79) |
+3.0%
(1991-95) |
Max. Verlust | -3.4%
(1983-87) |
-1.7%
(1967-71) |
-1.9%
(1987-91) |
-1.2%
(1971-75) |
Bemerkung: Aufgeführt sind nur Trendveränderungen
oder -verstärkungen von mehr als 1 Prozentpunkt.
Quelle: "SRG-SSR-Wahlbarometer 99, erstellt durch das GfS-Forschungsinstitut", Stand anfangs Oktober 1999 |
Auch die 15 Sitze, welche die SVP bei diesen Wahlen zulegt, können durchaus als ungewöhnlich bezeichnet werden. Zwar gab es schon bei früheren Wahlen sprunghafte Entwicklungen. Doch betrafen sie vorwiegend kleinere Oppositionsparteien. Das Neue an den Veränderungen der 90er Jahre kann darin gesehen werden, dass sich eine Regierungspartei sprunghaft steigern konnte. Den diesbezüglichen Rekord stellte die SPS 1992 mit 12 aufs Mal gewonnen Sitzen auf. Diesmal übertraf die SVP dies mit 15 zusätzlichen Sitzen. Immerhin sei beigefügt, dass 2 der gegenüber 1995 gewonnen Sitze nur auf dem Papier eine Stärkung der SVP darstellen, handelt es sich doch um zwei Abtrünnige aus der Freiheitspartei, die schon im Verlaufe der Legislaturperiode zur SVP gewechselt hatten und jetzt erstmals für diese Partei gewählt wurden.
Neben dieser quantitativen Verschiebung in der WählerInnen-Landschaft
hat sich aber auch eine qualitative Veränderung der Parteienlandschaft
ergeben. Statt der Zweiteilung in ein bürgerliches und ein linkes
Lager hat sich ein polarisiertes Parteiensystem ergeben mit der SVP und
der SPS als hauptsächliche Antipode bzw. wählerInnen-stärkste
Parteien. Einzig diesen beiden Parteien gelang es in den 90er Jahren, sich
trotz der Regierungsbeteiligung soweit zu erneuern, dass sie neue WählerInnen
anziehen und an politischem Gewicht zulegen konnten. Demgegenüber
blieb eine solche Wende bei der FDP und CVP seit den 80er Jahren weitgehend
aus, weshalb sie 1999 bei der WählerInnen-Stärke historische
Tiefststände zu verzeichnen haben. Für die FDP bedeutet die Stärkung
der SVP, dass sie bei den WählerInnen nicht mehr die stärkste
bürgerliche Partei ist, ein Novum, seit es den Bundesstaat gibt.
Verändert hat sich inbesondere die Reihenfolge der Parteien. An erster Stelle in Bezug auf die WählerInnen-Stärke steht erstmals die SVP, an zweiter die SPS. Die FDP rutscht erstmals auf den dritten Rang ab, während die CVP sich auf dem für sie ungewohnten vierten Platz wiederfindet. Gemäss Sitzen liegt im Nationalrat die SPS heute vor der SVP, der FDP und der CVP. Diese sieht sich auch hier erstmals auf Platz vier.
Innerhalb des Regierungslagers haben sich durch die Gewinne bei der SVP die Akzente etwas nach rechts verschoben. 72,2 Prozent der Stimmen für eine Regierungspartei werden durch das bürgerliche Lager repräsentiert, 70,5 Prozent der Nationalratssitze für eine Regierungspartei gehen auf ihr Konto. In der letzten Legislaturperiode lauteten die entsprechenden Kennwerte 70,5 Prozent für die Stimmen bzw. 66,7 Prozent für die Sitze im Nationalrat. Dennoch bleiben die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung voraussichtlich recht variabel: Geschlossen auftretende Bürgerliche können das Land gegen die Linke regieren, aber auch Reformkoalitionen aus FDP/CVP und links-grünen ParlamentarierInnen reichen für Mehrheiten gegen die SVP aus. Eine solche Situation relativiert die Bedeutung der erstarkten Flügelparteien, können doch Entscheidungen auch ohne oder sogar gegen sie fallen. Massgeblicher sind dafür Parteien, die mit ihrem Gewicht im Parlament vermitteln können.
Ausserhalb des Regierungslagers ist bemerkenswert, dass es diesmal wie auch 1995 keine Kleinpartei gelang, namhaft zuzulegen. Auf tiefem Niveau an WählerInnen-Stimmen etabliert haben sich traditionelle Milieuparteien mit Nischencharakter wie die EVP, die EDU, die PdA. Einzig die Liberalen sahen sich namentlich in Basel ernsthaften WählerInnen-Verlusten gegenüber. Parteien, die indessen stärker mit Bewegungen verbunden sind, kennen unterschiedliche Entwicklungen. Die Grünen konnten sich halten, während der LdU, der in den 30er Jahren entstand und an der Schwelle der 60er zu den 70er Jahren erstarkte, fast ganz von der politischen Bühne verschwand und kurz nach den Wahlen seine eigene Auflösung beantragte. Radikaler fiel der WählerInnen-Wille noch bei der Freiheitspartei aus, die Ende der 80er Jahre als rechtspopulistische Bewegung entstand und sich gegen die Grünen profilieren konnte, 1999 aber gänzlich in die Bedeutungslosigkeit verschwand und im neuen Parlament nicht mehr vertreten ist.
Die Wahlerfolge sind, wie sowohl das Wahlbarometer 99 als auch die Nachbefragung
nahelegen, die Folge einer erheblichen Umgruppierungen im rechten poli-tischen
Lager. Hauptsächliche Wählerströme lassen sich bei der SVP
von der FDP, der CVP und ehemaligen WählerInnen kleiner Rechtsparteien
nachweisen. Entscheidend ist dabei, dass es der SVP gelang, die für
volatile WählerInnen-Schichten entscheidenden politischen Themen anzusprechen
resp. zu setzen und so zur inhaltlich ausgerichteten Partei für das
rechte politische Lager zu avancieren. Gewachsen ist sie fast in allen
Bevölkerungsschichten, vor allem auf dem Land, aber auch in den grossen
Agglomerationen. Die exemplarische Verschiebung in Zürich, aber auch
der überraschende Erfolg in Basel und Genf, wo sie bisher kaum präsent
waren, spricht dafür. Dominant dürfte die Sammlung nationalkonservativer
BürgerInnen sein, die sich namentlich von der CVP wegen ihrer Europa-
und Aussenpolitik abgewandt haben, aber auch von eher neoliberal denkenden
BürgerInnen aus den beruflich ausstiegsorientierten Schichten, für
die der Sozialstaat an seine Grenzen gestossen ist. Nicht zuletzt die Zuwächse
der Partei in der begüterte Berufsschichten sind ein Zeichen hierfür.
Kaum Hinweise finden sich aber, dass es sich dabei um ein Wechsler-Verhalten
von linken WählerInnen handelte.
Trotz Verbesserungen in vielen Kantonen dürfte es der SVP aber nicht gelungen sein, sich als gesamtschweizerisch vertretene Partei zu etablieren. Zwar legte sie auch in der lateinischen Schweiz leicht zu, doch die erdrutschartigen Verschiebungen in der deutschsprachigen Schweiz haben die Vorherrschaft dieses Landesteils innerhalb der SVP eher noch gestärkt. Eine Schwierigkeit für die Ausbreitung in der lateinischen Schweiz dürfte das polarisierende Image von Nationalrat Christoph Blocher bleiben.
Immerhin haben sich 1999 die Gewichte innerhalb der Partei vom "liberalen" Flügel hin zur neuen Ausrichtung der Partei. Dies dürfte nicht zuletzt die innerparteilichen Spannungen aufrecht erhalten, vor allem weil sich die neuen Mehrheit der stärksten gesamtschweizerischen Partei in der Landesregierung nicht unmittelbar vertreten sieht und deshalb mit den Wahlen 99 die Forderung nach einer Doppelvertretung der SVP im Bundesrat gestellt hat.
Die FDP und die CVP haben in erster Linie einen Teil des rechten Flügel an die SVP verloren und diesen Verlust nicht mit Hilfe enttäuschter SVP-WählerInnen wettmachen können. Beide haben aber ehemalige SPS-WählerInnen in der Mitte ansprechen können. Die CVP hat sich auch durch eine exemplarische Schlussmobilisierung wählerInnenmässig weitgehend halten können. Der FDP ist es im Verlauf der Wahlherbstes gelungen, den Negativ-Trend, der sich namentlich am Wahlwochende vom 18 April 1999 auf kantonaler Ebene abzeichnete, zu brechen. Das Problem der FDP ist heute die Romandie, wo sie Stimmen abgeben musste. Für die CVP problematisch bleibt, dass sie in verschiedenen Kantonen, die zu ihren Stammlanden zählten, weiterhin WählerInnen verliert, ja in St. Gallen und Schwyz nicht mehr die stärkste politische Kraft ist. Eigentlich gehalten hat nur der Kanton Wallis, wo die CVP nach wie vor in einem Kanton mit Proporzwahlen Mehrheitspartei geblieben ist. Demgegenüber ist noch kein klarer Trend ersichtlich, dass sie systematische Zugewinne erzielt, sind doch die Kantone, in denen sie zulegte eher durch Kampagnen rund um profilierte PolitikerInnen geprägt gewesen.
Vielleicht drückt sich dadurch aber auch schon etwas Kommendes aus: Generell gewachsen ist allerdings in beiden Parteien die Personen-Orientierung als Kriterium des Wahlentscheides. Damit liegen sie in einem der allgemeinen Trends. Deutlich weniger gewachsen als bei der SVP ist dagegen die thematische Bindung, die sich nicht über weltanschauliche Elemente, sondern über aktuelle Streitfragen ergibt. Bei der FDP besteht dabei die Tendenz, dass sie eher überdurchschnittliche Einkommensklassen verloren hat, während die CVP eher im Umfeld traditioneller WählerInnen auf dem Land rückläufig ist. Insgesamt sind beide Parteien damit in die Mitte gerückt, ohne dass inhaltlich programmatisch klar ist, was dies themenmässig bedeutet. Dies dürfte aber in neuralgischen Fragen, die in er kommenden Legislatur anstehen, von höchster Bedeutung sein, soll die Polarisierung zwischen SPS und SVP nicht mehr das Geschehen bestimmen.
Wenig geändert hat sich durch die Wahlen 1999 an der wichtigsten Trennlinie in der schweizersichen Politik, jener zwischen Links und der Mitte. Die SP hat durch ihre Links-Positionierung die bürgerlichen Parteien kaum konkurrenziert. Sie hat sich vor allem dank NeuwählerInnen halten können, teilweise auch durch ungebundene Personen im linken Spektrum. Ihre Stärke war diesmal die Personen-Orientierung, während sie vor allem in thematischer Hinsicht weniger Identifikation bewirken konnte als 1995. Sie war denn auch kaum eine Konkurrenz für die Grünen und die Linksaussen-Parteien. Demgegenüber ist aber der Versuch, linksalternative politische Gruppierung in den urbanen Zentren so zu bündeln, dass sie eine parlamentarische Stimme bekommen, praktisch durchs Band gescheitert. Einzig in der Romandie gewann die Solidaritätsbewegung mit einem bestehenden Parlamentarier der äusseren Linken einen Sitz im Nationalrat.
Die wesentliche Veränderung im Parteiensystem 1999 betrifft aber die Differenzierung der bürgerlichen Parteien. Vor allem von der Positionierung auf der Links/Rechts-Achse einerseits und der in der Themenorientierung ergeben sich verstärkt Unterschiede. Abnehmend ist die ihre Bedeutung als regionale Integrationsparteien, zunehmend dafür die Relevanz als themen- und personenorientierte Richtungsparteien. Am deutlichsten sichtbar geworden ist dies 1999 bei der SVP, die als eigentliches Kennzeichen der 99er Wahl, das rechte politische Lager der Schweiz umgruppiert hat.