Myriam Thalmann
WS
99/0020.01.00
Cartel parties in der Schweiz?
Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Das Modell der cartel party
3. Die Fälle Schweiz und Österreich
3.1 Politisches Ziel:
Professionalisierung
3.2 Quellen der Parteiressourcen
3.3 Charakter der
Mitgliedschaft
3.4 Parteiinterne
Machtverhältnisse
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Richard
S. Katz und Peter Mair haben den Begriff 'cartel party' als neues Parteimodell
eingeführt. Sie beschreiben, dass dieses Phänomen seit den 70er
Jahren in den meisten westeuropäischen Ländern zu beobachten ist.
In diesem Paper soll nun untersucht werden, ob und in welchem Grad die Schweiz
von dieser Entwicklung betroffen ist: Sind in der Schweiz cartel parties
anzutreffen? Um diesen Sachverhalt zu analysieren werde ich den Zustand
der Schweiz auf die von Katz und Mair beschriebenen wichtigsten Kriterien
einer cartel party hin untersuchen. Dabei stütze ich mich zum grössten
Teil auf das Fact-Sheets zum Wandel der Schweizer Parteien von A. Ladner und
M. Brändle. Österreich, dass nach Katz und Mair in der Entwicklung
der cartel party bereits weiter fortgeschritten ist, soll als weiteres anschauliches
Beispiel dienen.
Bevor
jedoch auf diesen Vergleich eingegangen wird, hier noch ein kurzer Überblick
über die wichtigsten Merkmale einer cartel party.
2. Das Modell der cartel party
Nach
Katz und Mair besteht seit 1970 in den meisten westeuropäischen Ländern
ein Trend Richtung cartel parties. Dieser neue Parteityp zeichnet sich vor
allem durch die starke Symbiose zwischen Staat und Partei aus (Mair,1997:94).
Galt die mass party, deren Hauptmerkmal die straff organisierte Mitgliedschaft
ist, noch als wichtiges Verbindungsglied zwischen der bürgerlichen Bevölkerung
und dem Staat, ist im Modell der cartel party die Partei ganz vom Staat absorbiert
worden. Jegliche politische Verbindung zum Volk ist dabei durchbrochen. Verschiedene
Merkmale, die hier nur kurz erläutert werden sollen, weisen auf das Bestehen
von cartel parties hin. Von den von Katz und Mair aufgeführten Merkmalen
sollen hier die vier zentralsten herausgegriffen werde.
Politische Ziele: Bestanden im 19. Jahrhundert
die Ziele einer Partei noch in der Verteilung der Privilegien und im Zeitalter
der mass party in der sozialen Reformation, dient die Politik der cartel party
als Selbstzweck der Partei: Politik als Beruf (Mair,1997:109f). Diese Tatsache
ist an der zunehmenden Professionalisierung der Parteien und Politik zu messen.
Als untrügliches Indiz hierfür, kann in vielen westeuropäischen
Ländern eine Zunahme der Belegschaft einer Partei festgestellt werden.
Ebenso bekommt der Beruf des Politikers den Charakter eines Facharbeiters
(Mair,1997:112).
Quellen der Parteiressourcen: Das cartel party Modell zeichnet
sich durch eine hohe staatliche Parteifinanzierung aus (Mair,1994:9f). Die
Haupteinnahmequelle einer Partei sind nicht die Mitgliederbeiträge sondern
die staatlichen Subventionen. Dieses zentrale Merkmal ist die wichtigste Vorraussetzung
für die Entstehung und Entwicklung von cartel parties.
Charakter der Mitgliedschaft: Zwei weitere wichtige Merkmale
der cartel parties sind die Struktur einer Partei und die Organisation der
Mitgliedschaft. Durch die zunehmende Atomisierung der Mitgliedschaft in einer
cartel party-Landschaft, wird der Ruf nach einer zentralen Parteiverwaltung
laut. Auf regionale Parteien wird nur noch zurückgegriffen, wenn zum
Beispiel Kandidaten oder Kandidatinnen aufgestellt werden müssen (Mair,1997:114).
Festzustellen
ist weiter eine deutliche Abnahme der Mitgliederbestände einhergehend
mit deren abnehmenden Bedeutung für das Überleben einer Partei.
Dabei wird die Grenze zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern zunehmend
verwischt (Mair,1997:113). Trotz dieser finanziellen Unabhängigkeit der
Partei von Mitgliedern, sind diese nicht wegzudenken (Mair,1994:14f): In einigen
europäischen Ländern übernehmen die Parteimitglieder weiterhin
eine wichtige Rolle in der Parteifinanzierung. Weiter können Mitglieder
wichtige interne und externe Positionen in Ämtern und Kommissionen einnehmen.
Dort dienen sie einerseits als Repräsentanten der Partei gegen aussen
und können andererseits gleichzeitig Informationen aus dem Volk in die
Partei aufnehmen. Ein letzter wichtiger Grund für die Beibehaltung des
Mitgliederprinzips liegt in der Aufrechterhaltung des Images einer mass party:
Mitglieder als Legitimation einer Partei.
Parteiinterne Machtverhältnisse: Das Machtverhältnis
zwischen den Regionalparteien und der Nationalpartei bzw. zwischen der Basis
und der Parteiführung zeichnet sich durch gegenseitige Autonomie aus.
Die cartel party ist nicht wie im Sinne der mass party, von der Basis zur
Führung oder der catch-all party, von der Führung zur Basis, hierarchisch
organisiert (Mair,1997:110). Im Model der cartel party ist es der Parteimitgliedschaft
zwar ermöglicht die Parteiführung selbst zu wählen (Mair,1994:15),
geht es aber um konkrete Entscheide und Aktionen auf nationaler Ebene, hat
die Basis das Nachsehen. Ihr Zuständigkeitsbereich liegt auf regionaler
Ebene.
Nach
Katz und Mair sind es die Staaten Österreich, Dänemark, Deutschland,
Finnland, Norwegen und Schweden welche den Prozess der Cartelisierung der
Parteien, der zwar immer noch in den Kinderschuhen steckt, bereits am weitesten
vollzogen haben.
3. Die Fälle Schweiz und Österreich
Im
folgenden soll nun dargelegt werden wie es sich im Falle der Schweiz und Österreich
mit der Entwicklung der cartel parties verhält. Diese beiden Länder
werden anhand der oben aufgezeigten Hauptmerkmale auf ihre Parteientwicklung
hin überprüft. Dabei stütze ich mich im Falle der Schweiz wie
einleitend erwähnt, auf das Fact-Sheets von Ladner und Brändle,
dass alle für die Fragestellung relevanten Daten bereits zusammengefasst
hat. Als zweite Fallstudie dient Österreich, deren Entwicklungsstand
bezüglich cartel parties von Katz und Mair als fortgeschritten bezeichnet
worden ist.
3.1 Politisches Ziel: Professionalisierung
Schweiz
In
der Schweiz kann während den Jahren 1960 bis 1997 ein deutlicher Anstieg
in der Professionalisierung der Kantonsparteien festgestellt werden. Waren
es 1960 gerade mal 28 Kantonsparteien die rund 25 Vollzeitstellen zur Bewältigung
ihrer administrativen Arbeit benötigten, werden heute (1997) von den
89 professionalisierten Kantonsparteien ganze 91 Stellen angeboten. Allein
die vier Bundesratsparteien FDP, CVP, SVP und SPS, welche zusammen in 68 Kantonsparteien
professionalisiert sind, kommen auf 74 Stellen mit 133 Angestellten. Davon
ist die FDP in 22 Kantonen mit 28 Vollzeitstellen am stärksten und die
SVP in 8 Kantonen mit nur 8 Vollzeitstellen deutlich am wenigsten professionalisiert
(Daten aus Ladner,Brändle:15).
Die
Professionalisierung der schweizerischen Parteien vollzog sich hauptsächlich
durch die zunehmende Schaffung von kantonalen Sekretariatsstellen, welche
den Administrativaufwand einer Partei zu bewältigen haben. Politische
Tätigkeit und zum Teil auch administrative Arbeit wird aber, vor allem
in kleineren Parteien, immer noch oft auf ehrenamtlicher Basis geleistet (Ladner,
Brändle:14).
Bewertet
man den Grad der Professionalisierung einer Partei aufgrund der von ihnen
angebotenen Stellenzahl, hat in der Schweiz seit 1960 sehr wohl eine politische
Professionalisierung stattgefunden.
Katz
und Mair jedoch beschränken die Professionalisierung der Politik nicht
nur auf die Anzahl Stellen die eine Partei zur Verfügung stellt. Im Modell
der cartel party soll auch der politische Inhalt zum Beruf werden: Politik
als sich selbst-genügender Beruf mit Ausbildung. Ein solcher Trend aber
kann in der Schweiz nicht festgestellt werden: Die Professionalisierung der
Parteien beschränkt sich lediglich auf die administrative jedoch nicht
politische Arbeit einer Partei.
Österreich
In
Österreich zeigt sich die Professionalisierung der Parteien in ausgeprägter
Weise. Zum Beispiel konnten 1990 in den Länderparteien allein in der
ÖVP 750 MitarbeiterInnen gezählt werden. Dazu kommen noch weiter
Angestellte die der Partei von Interessengruppen oder Firmen 'ausgeliehen'
wurden. Alles in allem kommt die ÖVP 1990 auf eine Belegschaft von 1500
Personen (Müller:73).
Die
Gründe für dieses enorme Wachstum liegen in der zunehmenden Professionalisierung
des Politikerberufs. Die Parteispitze muss in zunehmendem Masse für die
Medien zur Verfügung stehen und muss dazu die nötigen Kompetenzen
mit sich bringen. Um diese zu erlernen und auch um die von den Politikern
liegengebliebene Arbeit zu erledigen, muss mehr Personal aufgeboten werden
(Müller:73). Politik betreiben selbst wird zum eigenständigen Beruf.
Verschiedene
administrative und politische Tätigkeiten, wie zum Beispiel Propaganda
oder Public Relation, die einst von ein und derselben Person ausgeführt
werden konnten, müssen heute ganz nach arbeitsteiligem Vorgehen von verschiedenen
Personen durchgeführt werden. Die Parteientätigkeit wird somit zur
spezialisierten Arbeit. Gleichermassen gewinnt eine österreichische Partei
zunehemend den Charakter eines Unternehmens, was ganz im Sinne des Modells
der cartel pary entspricht. So werden zum Beispiel Meinungsumfragen oder Propagandaarbeit
immer mehr an externe Agenturen weitergeleitet (Müller:73).
3.2 Quellen der Parteiressourcen
Schweiz
Schweizerische
Parteien finanzieren sich grundsätzlich selbst und erhalten keine staatlichen
Subventionen, wie es viele andere westeuropäische Parteien kennen. Betrachtet
man die Einnahmestruktur 1997 der vier grössten Kantonsparteien FDP,
CVP, SVP und SPS, stellt man fest, dass sie sich zu 80% aus direkten obligatorischen
und fakultativen Mitgliederbeiträgen, Abgaben der Ortsparteien und Mandatsbeiträgen
finanzieren (Ladner,Brändle:21). Zum Beispiel bildet die grösste
Einnahmequelle der SPS die Mitgliederbeiträge: Mit einem Anteil von 44%
ist sie die Partei mit der höchsten Mitgliederfinanzierung, wovon 32%
obligatorische Beiträge sind. Die anderen Bundesratsparteien liegen bei
Mitgliederanteilen von 24% FDP, 22% CVP und 38% für die SVP (Ladner,Brändle:21).
Einige Parteien weisen überhaupt kein Mitgliederprinzip auf. Sie sind
also zu einem grossen Teil auf Spenden aus der Wirtschaft und der Bevölkerung
angewiesen. Ein weiterer Nachteil unseres Parteiensystems ist, dass die nationalen
Parteien weit mehr mühe haben zu genügend finanziellen Ressourcen
zu gelangen, da sie nur bedingt von den Einnahmen der Kantonsparteien profitieren
(Ladner,Brändle:18). Die Kantonsparteien stützen sich weiter auf
ungenügend geregelte Finanzausgleiche mit der nationalen Parteiebene
und beharren auf ihrer finanziellen Autonomie.
Aus
diesen Zahlen und Fakten wird ersichtlich, dass die schweizer Kantonsparteien
auf hohe Mitgliederzahlen und grosse Spendefreudigkeit der BürgerInnen
angewiesen sind um überhaupt weiter bestehen zu können. Viel Parteiarbeit
besteht deshalb darin, um Mitglieder und Spender zu werben. Dieser Sachverhalt
zeigt auf, dass die schweizerische Parteienlandschaft noch weit entfernt von
professionellen arbeitsteiligen Organisationen, im Sinne von cartel parties
liegt.
Österreich
Österreich,
dass über ein Parteigesetz verfügt, kennt 1975 das System der staatlichen
Parteifinanzierung. Dabei erhalten alle Parteien, die mehr als ein Prozent
der Wählerstimmen auf sich vereinigen können, im darauffolgenden
Wahljahr staatliche Subventionen. Parteien die im Nationalrat vertreten sind
erhalten diese staatlichen Beiträge permanent (Müller:54).
1992
zum Beispiel betrugen die gesamten staatlichen Finanzzuschüsse rund 2.7
Miliarden österreichische Schillinge, wobei die Subventionen etwa zu
2/3 an die Länderparteien und zu 1/3 an die nationale Parteiorganisation
gehen. Ein Dilemma für die nationale Partei nach Schweizer Art, ist somit
von vornherein ausgeschlossen.
In
Österreich sind die staatlichen Subventionen für viele Parteien
die Haupteinnahmequelle ihrer finanziellen Ressourcen. Zwischen 1986-1989
machten die Staatssubventionen der ÖVP ganze 55% der Gesamteinnahmen
aus. Nur gerade 23% der Einnahmen stammen noch von Parteimitgliedern und 22%
von Spendengeldern. Die FPÖ ist noch stärker als 'Staatspartei'
zu bezeichnen: Ganze 87% der Parteieinnahmen stammen aus direkten und indirekten
Staatsbeiträgen. Weitere 11% werden aus Spenden gewonnen und lediglich
2% der Gesamteinnahmen stammen noch aus den Mitgliederbeiträgen. Während
für diese beiden Parteien der Staat die Haupteinnahmequelle ausmacht,
finanziert sich die linke SPÖ je zu einem Drittel aus Mitgliederbeiträgen,
Spenden und Staatsbeiträgen (Müller:66). Die Mitglieder dieser Partei
nehmen also auch weiterhin traditionell eine sehr wichtige Rolle in der Parteifinanzierung
ein, was mit dem Bild der schweizerischen Schwesterpartei SPS korrespondiert.
Auch
bezüglich der Parteifinanzierung liegt Österreich im Trend des Modells
der cartel party. Zwei von den drei grössten Parteien finanzieren sich
mit mehr als der Hälfte aus Staatsbeiträgen. Nur noch ein marginaler
Anteil kommt aus den Mitgliederbeiträgen.
3.3 Parteistruktur und Charakter der Mitgliedschaft
Schweiz
Die
Cartel party - Bedingung einer zentralen Parteiverwaltung kann in der Schweiz
nicht bestätigt werden. Weiterhin bleibt die Struktur des Parteiensystems
föderalistisch aufgebaut. Dabei nehmen die Kantonsparteien einen stärkeren
Stellenwert ein als die nationale Parteienorganisation (Ladner,Brändle:8).
Dieser Sachverhalt wiederspiegelt sich auch in er oben erörterten Finanzausgleichspolitik
der kantonalen und nationalen Parteien.
Die
Gliederung einer Partei ist bis in die unterste föderalistische Ebene
ausgearbeitet. Die Kantonsparteien lassen sich weiter in Stadtkreis-/Quartierparteien,
Ortsparteien, Bezirks-/Kreisparteien und regionale Parteien unterteilen. Insgesamt
können mehr als 5000 Lokalparteien gezählt werden (Ladner,Brändle:9).
Unterschieden
kann weiter zwischen grossen, traditionellen und neuen, kleineren Parteien.
Erstere sind bis weit in die unterste Ebene der Parteienstruktur organisiert
und somit auch mehr in Form von Lokalparteien vertreten (Ladner,Brändle:8).
Einige
der schweizerischen Lokal- und Kantonsparteien kennen das Mitgliederprinzip
kaum bis gar nicht, d.h. sie besitzen keine aktualisierte Mitgliederkartei,
in welcher alle Mitglieder festgehalten sind (Ladner,Brändle:10). Diese
Tatsache bestätigt das Modell der cartel party, bei welchem sich die
Grenzen zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern immer mehr verwischen. Es
sind nicht mehr Ideologien oder Parteiprogramme die Sympathien für eine
gewisse Partei hervorrufen. Vielmehr wechseln die WählerInnen die Präferenzen
für eine Partei je nach aktuellem Thema. Entsprechend ist der Trend der
Mitgliederzahl rückläufig (Ladner,Brändle:13), ebenfalls ein
Sachverhalt wie ihn die cartel party - Theorie beschreibt.
Österreich
Auch
die österreichischen Parteien besitzen eine komplex föderalistisch
organisierte Struktur. Eine Partei differenziert sich in Lokal-, Bezirks-,
Land- und nationale Partei (Müller:59). Die wichtigste Parteiebene bildet
dabei die Stufe der Bezirks- und Landparteien.
Österreichs
Parteien besitzen die grösste Parteimitgliedschaft in ganz Westeuropa,
sowohl im Verhältnis zur Grösse des Landes, als auch absolut betrachtet
(Müller:51). Vor allem die SPÖ und die ÖVP haben mehr Mitglieder
als ihre übrigen europäischen Schwesterparteien, wobei auch Österreich
das Problem der mangelnden Parteimitgliederangaben kennt (Müller:61).
Zu den betrachtlichen Mitgliederbeständen kann folgendes festgehalten
werde:
Bis
anfangs der 80er Jahre konnten alle Parteien ihre Mitgliederzahl stetig steigern.
Nach erreichen dieses Höhepunktes aber hatten auch österreichs Parteien
bis heute noch mit abnehmenden Mitgliederbeständen zu kämfpen. Die
SPÖ, als die am straffsten organisierte Mitgliederpartei mit der höchsten
Mitgliederzahl, blieb zwischen 1960 und 1980 auf einer konstanten Höhe
von rund 700'000 Mitgliedern. Ab den 80er Jahren jedoch verzeichnete auch
sie eine kontinuierliche Abnahme der Mitgliederbestände (Müller:63).
Die FPÖ hingegen war nie eine eigentliche 'Mitgliederpartei'. Ihre Mitgliederzahl
liegt im Vergleich mit den anderen Parteien im bescheidenen Rahmen bei rund
50'000 Personen (1990). Trotz dieser tiefen Zahl stieg ihr Wähleranteil
zwischen 1986 und 1990 um ganze 66% an (Müller:63). Die FPÖ zeigt
deshalb wohl auch bezüglich Mitgliederentwicklung die am stärksten
zutreffenden Charakterzüge eine cartel party: Tiefe Mitgliederzahlen
und doch hohe Wähleranteile.
Trotz
der abnehmenden Mitgliederzahl, bleibt die Mitgliedschaft für österreichs
Parteien aus drei Gründen relevant (Müller:64f):
1.
Parteimitglieder gelten als sichere WählerInnen. Eine grobe Parteiformel
besagt, dass jedes Mitglied zwei weitere WählerInnen mit sich zieht.
2.
Wie wir gesehen haben übernehmen die Mitglieder vor allem der SPÖ
und der ÖVP einen wichtigen Anteil an der Parteifinanzierung.
3.
Parteimitglieder sind ein potentielles Reservoir für zukünftige
Kandidaten und Kandidatinnen.
Zusammengefasst
kann festgehalten werden, dass österreichs Parteienlandschaft bis in
die lokale Ebene stark strukturiert ist. Von einer zentralen Parteiverwaltung
wie sie das Modell der cartel party vorsieht kann nicht gesprochen werden.
Hingegen kämpfen auch österreichs Parteien mit abnehmenden Mitgliederzahlen,
was aber nicht die Wichtigkeit der Parteimitgliedschaft mindert.
3.4 Parteiinterne Machtverhältnisse
Schweiz
Cartel
parties zeichnen sich durch zunehmende Autonomie der verschiedenen parteilichen
Ebenen aus. Sowohl die Parteibasis als auch die Parteiführung handeln
in vielen Belangen autonom, ohne Notwendigkeit der Zustimmung der höheren
und tieferen Ebene. So können zum Beispiel MandatsträgerInnen über
Vorstösse und Aktionen entscheiden, ohne dass sie in der breiten Parteiöffentlichkeit
diskutiert werden.
Ladner
und Brändle haben kantonale Parteipräsidenten und Präsidentinnen
nach den parteilichen Prioritäten befragt: Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht
der Parteibasis oder operative Freiheit der Führungseben. Dabei haben
61% der Befragten angegeben, dass sie der operativen Freiheit der Führungsebene
einen grösseren Stellenwert beimessen als dem Mitspracherecht der Basis
(Ladner,Brändle:26). In der heutigen schnelllebigen Zeit ist es erforderlich,
dass die Parteien prompt auf die aktuellen politischen Tagesthemen eingehen
können. Betrachtet man die vier Bundesratsparteien etwas genauer sind
es vor allem die CVP und die SPS die der Führungsautonomie einen grossen
Stellenwert zuschreiben. Ein beachtenswertes Resultat erzielte auch die LPS,
die mit einem 100% Antwortenanteil gar keinen Wert mehr auf das Mitspracherecht
der Parteibasis legt. Hingegen legen die Grünen mit 58% den grösseren
Wert auf das Mitspracherecht der Basis als auf die Freiheit der Führungseben.
Ganze 38% der befragten Kantonsparteien geben zudem an, dass innerhalb der
letzten 10 Jahren eine Verschiebung zur operativen Freiheit der Führung
stattgefunden hat. Nur 23% gaben eine Verschiebung der Prioritäten in
Richtung des Mitspracherechts der Mitgliederbasis an und 40% stellten gar
keine Veränderung fest (Daten aus Ladner,Brändle:26).
Zusammenfassend
kann festgehalten werden, dass in der Schweiz zwar eine klare Verschiebung
der Prioritäten in Richtung der operativen Freiheit der Führung
stattgefunden hat. Die Wichtigkeit der Parteibasis aber bleibt doch noch in
vielen Parteien bestehen. In der Schweiz kann deshalb der Trend in Richtung
der cartel parties bezüglich des parteiinternen Machtgefüges nicht
bestätigt werde. Auch in jenen Parteien welche einen höheren Wert
auf eine autonome Parteiführung legen, wird der Parteibasis ein relativ
hohes Mitspracherecht eingeräumt.
Österreich
Die
Autonomie der Parteiführung gegenüber der Parteibasis hat sich auch
in Österreich während der Nachkriegszeit in zunehmendem Masse erhöht
(Müller:69). Diese Tatsache kann nach Müller aus drei Beobachtungen
gefolgert werden: Erstens haben sich die Zeitintervalle zwischen den Parteikongressen
bei den drei grössten Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ verlängert.
Die Parteiführung nimmt somit viel weniger Kontakt mit der Basis auf.
Zweitens wurde die Länge eines Parteikongresses selbst reduziert und
drittens hat sich der Charakter eines solchen Kongresses grundlegend verändert:
Von einem parteiinternem Forum für Meinungsäusserung, zu einem spektakulären
Medienereignis und die bestmögliche Propaganda.
Worin
sind nun die Gründe für diese zunehmende Autonomie der Parteiführung
zu suchen. Einerseits hat die wechselseitige Feindschaft zwischen den politischen
Subkulturen zu abnehmender interpolitischen Kritik an den Vertretern und den
Vertreterinnen zum Beispiel in der Regierung oder im Parlament geführt.
Im Schussfeld von anderen Parteien zu stehen führt somit zu parteiinterner
Geschlossenheit und zu einer breiten Akzeptanz der Entscheide der Parteiführung
(Müller:70). Andererseits hat sich die Motivation einer Partei beizutreten
verändert. Waren es früher ideologische Motive, sind es heute mehr
die Prominenz der Parteiführung und der wichtige soziale Kontakt, welche
die Menschen zu einer Mitgliedschaft animieren. Diese Tatsache erlaubt der
Parteiführung erstens mehr nach ihrem gutdünken zu entscheiden und
zweitens nicht mehr eine klare Ideologie zu verfolgen (Müller:70).
Das
Mass der Parteikongressintervalle und -dauer zur Messung der Führungsautonomie
zu verwenden finde ich problematisch. Aus diesem Grund wird auch nicht klar
ersichtlich wie weit österreichs Parteiführung von ihrer Mitgliederbasis
autonom ist und wie weit die Basis tatsächlich ein Mitspracherecht besitzt.
Ein Hinweis, dass sich österreichs Parteien in Richtung cartel parties
bewegen, könnte darin liegen, dass sich der Charakter der Parteikongresse
zu Gunsten der Medientauglichkeit entwickelt hat und die interparteiliche
Diskussion somit zunehmend an Bedeutung verloren hat.
4. Zusammenfassung
Bevor
wir zur Schlussfolgerung schreiten ist hier noch einmal anzumerken, dass sich
dieses Paper lediglich auf vier Kriterien einer cartel party stütz. Katz
und Mair haben in ihrer Modellerklärung weit mehr grundlegende Charakteristiken
beschrieben.
Schweiz
Aufgrund
der oben aufgeführten Untersuchungen kann in der Schweiz nicht von cartel
parties gesprochen werde. Zwar macht sich auch hierzulande eine starke Professionalisierung
der Parteien bemerkbar, diese bezieht sich jedoch lediglich auf die administrative
und nicht politische Tätigkeit einer Partei. Ein wichtiges und auch sehr
aktuelles Merkmal einer cartel party ist die staatliche Parteiensubventionierung.
Die Schweiz kennt noch keine solche Parteienfianzierung, die Parteien bleiben
weiterhin finanziell von ihren Mitgliedern und Spendern abhängig. Betrachtet
man das Kriterium der Mitgliederschaft so ist eine eindeutige Abnahme dieser
zu erkennen. Die Bedeutung der Mitglieder ist für die schweizerischen
Parteien jedoch nicht gleichwertig wie jene für cartel parties, das heisst
die schweizerische Mitgliedschaft übernimmt nicht die selbe Alibifunktion
wie jene Mitglieder dies für cartel parties als Legitimation tun, vielmehr
übernimmt die Parteimitgliedschaft eine wichtige Funktion bezüglich
der Parteifinanzierung. Betrachtet man noch das letzte Kriterium, die parteiinternen
Machtverhältnisse, so kann zwar in der Schweiz eindeutig eine Zunahme
der operativen Freiheit der Führung festgestellt werden. Jedoch nimmt
das Mitspracherecht der Parteibasis weiterhin einen hohen Stellenwert ein.
Zusammengefasst
kann somit gesagt werde, dass die schweizerischen Parteien sich nicht zu professionalisierten
Organisationen ohne Verbindung zur Bevölkerung entwickelt haben. Ein
solcher Trend ist auch noch nicht festzumachen.
Österreich
Anderst
zeigt sich die Situation in unserem Nachbarland Österreich. Einige Parteien
erfüllen die Bedingungen einer cartel party weniger als andere. Es kann
also nicht eindeutig von einer generellen Cartelisierung österreichs
Parteien gesprochen werde.
Bezüglich
der Professionalisierung der Parteien, sind österreichs Parteien weit
fortgeschritten. Die Parteien weisen eine hohe Belegschaft zur Erledigung
der administrativen und auch der politischen Arbeit auf. Weiter finanzieren
sich die Parteien zu einem grossen Teil aus staatlichen Subventionen. Vor
allem die FPÖ und die Grünen verhalten sich wie typische cartel
parties, die Mitgliederbeiträge machen einen verschwindend kleinen Anteil
an den Gesamteinnahmen aus. Die Mitgliederbestände, welche sich auf abnehmendem
Kurs befinden, nehmen aber für die Parteien weiterhin eine wichtige Funktion
ein. Betrachtet man zum Schluss noch das parteiinterne Machtgefüge kann
festgestellt werde, dass die Parteiführung autonom reagieren und entscheiden
kann.
Allgemein
betrachtet liegen österreichs Parteien auf der Schwelle von catch-all
parties zu cartel parties. Aber eindeutig abgewendet haben sie sich wohl von
mass parties. Einzig die SPÖ zeigt noch einige Merkmale einer mass party.
5. Literaturverzeichnis
Ladner,
Andreas; Brändle, Michael (1999). Fact-Sheet zum Wandel der Schweizer
Parteien. Bern Institut für Politikwissenschaft. (Im Seminar-Lesebuch)
Mair, Peter: Party System Change: Approaches and
interpretations. Oxford Clarendon Press, 1997
Mair, Peter: Party Organizations: From Civil Society
to the State. In: Richard S. Katz/Peter Mair (Hrsg.): How Parties organize;
SAGE Publications, 1994
Müller Wolfgang C.: The Development of Austrian
Party Organizations in the Post-war Periode. In: Richard S. Katz/Peter Mair
(Hrsg.): How Parties organize; SAGE Publications, 1994