Stellt die «Neue Mitte» tatsächlich einen «Dritten Weg» dar?

Eine Analyse des gemeinsamen Papiers der Regierungschefs von Deutschland und Grossbritannien, Gerhard Schröder und Tony Blair, anhand linker und rechter wirtschaftspolitischer Ideologie

Referat im Rahmen des Seminars «Politische Ideen und ihre Träger»

November 1999

Andreas Tschöpe

Inhaltsverzeichnis

1. Abriss über die Wirtschaftstheorie und die Wirtschaftspolitik ab 1945

2. Entstehung und Definition der Begriffe «Dritter Weg» und «Neue Mitte»

3. Rechte und linke Wirtschaftspolitik: Neoklassik und Keynesianismus

4. Inhalt und Beurteilung des Schröder-Blair-Papiers

5. Würdigung des «Dritten Weges» bzw. der «Neuen Mitte»

Einleitung

Das Konzept des «Dritten Weges» bzw. der «Neuen Mitte» steht für eine reformierte Sozialdemokratie. In der vorliegenden Arbeit geht es darum herauszufinden, inwiefern dieses Konzept wirklich eine reformierte Sozialdemokratie darstellt. Hat die Sozialdemokratie zum Jahrtausendwechsel tatsächlich einen neuen dritten Weg gefunden, der die beiden überholten wirtschaftspolitischen Positionen hinter sich im Labyrinth schlängeln lässt?

Nach einer kurzen Darstellung über die Geschichte von neoliberaler und keynesianischer Ideologie und Politik ab 1945 werden die beiden Begriffe «Dritter Weg» und «Neue Mitte» definiert, um eine Klärung des Inhaltes zu erhalten. Anschliessend werden die beiden wirtschaftspolitischen Positionen erläutert. Im letzten Teil wird der Inhalt des Schröder-Blair-Papiers analysiert. Die Aussagen werden begutachtet, inwiefern sie neoliberal, keynesianisch oder neu-modernistisch sind. Damit kann der «Dritte Weg» bzw. die «Neue Mitte» politisch eingeordnet und auf seinen Modernitätsgehalt hin beurteilt werden.

1. Abriss über die Wirtschaftstheorie und die Wirtschaftspolitik ab 1945

In der Nachkriegszeit dominierte in der Regierungspolitik die keynesianische Sichtweise: Bei Konjunkturschwankungen soll der Staat aktiv werden und mit einer Erhöhung der Staatsausgaben die Wirtschaft wieder ankurbeln. Nicht nur sozialdemokratische, sondern auch christdemokratische und konservative Regierungen betrieben in den 50er und 60er Jahren eine solche Politik.

Nach dem Auseinanderbrechen des Systems der fixen Wechselkurse 1972 und dem ersten Erdölschock 1973 befand sich der auf stetes Wirtschaftswachstum bedachte Kapitalismus in seiner ersten grossen Nachkriegskrise. In den 70er Jahren versagten die keynesianischen Rezepte: Vollbeschäftigung wurde durch eine aktive Konjunkturpolitik nicht erreicht. Stattdessen kletterten die Arbeitslosen- und die Inflationsrate gleichzeitig und unaufhörlich. Der Soziologe Rolf Dahrendorf bezeichnete dieses Versagen des Keynesianismus als «Ende des sozialdemokratischen Zeitalters». Die Stunde der Marktrevolution hatte geschlagen. Die schon Ende der 60er in den Universitäten vorbereitete monetaristische Wende wurde in die Politik hinübergetragen: Der Staat soll nicht in die Wirtschaft eingreifen und auf das Minimalste beschränkt werden. Das Zeitalter des Neoliberalismus war gekommen. Innerhalb von wenigen Jahren kamen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre Reagan, Thatcher und Kohl an die Macht und mit ihnen konservative Parteien mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. In den 80er Jahren wurde eine mehr oder weniger rigorose Politik der Deregulierung und Privatisierung betrieben.

Der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 schien die Überlegenheit des Marktfundamentalismus zu beweisen. Die neoliberalen Ideologien schienen ohne Gegner. In den 90er Jahren allerdings erlebten die kapitalistischen Industriestaaten eine erneute Wirtschaftskrise grösseren Ausmasses. Die Inflationsraten waren auf einem historischen Tiefstand, die Arbeitslosenraten in schwindelerregender Höhe. Die Einkommensungleichheiten hatten sich in den Zeiten der neoliberalen Politik vergrössert. Die Bevölkerung goutierte diese Tatsachen nicht mehr und so wurde Europa ab Mitte der 90er Jahre sozialdemokratisch. Heute stellen in den 15 Ländern der Europäischen Union die Sozialdemokraten in 11 Ländern den Regierungschefs und sind in 13 Ländern in der Regierung. Durch die grossen sozialen Probleme (Arbeitslosigkeit und wachsende Einkommensungleichheiten wurden exemplarisch erwähnt) hatte die Sozialdemokratie den zu ihr passenden Auftrag erhalten, für mehr Gerechtigkeit in Europa zu sorgen. Die Ausgangslage war hierfür hervorragend.

2. Entstehung und Definition der Begriffe «Dritter Weg» und «Neue Mitte»

2.1 Die Entstehung der Begriffe «Dritter Weg» und «Neue Mitte»

Schon bevor die Sozialdemokratie in Europa an die Macht kam, wurden Reformen an sie herangetragen. In seinem 1994 veröffentlichen Buch «Jenseits von Links und Rechts» propagierte der ehemals gemässigt marxistische Soziologe Anthony Giddens eine neue radikale Politik, unabhängig der ausgelaufenen Ideologien. Die Sozialdemokratie könne in einer veränderten Welt nicht mehr mit Sozialismus und keynesianischer Wirtschaftspolitik für soziale Gerechtigkeit sorgen. Eine neue Politik müsste dies erreichen, ohne dass die linken Werte aufgegeben werden. In einem weiteren Werk «Der dritte Weg ­ die Erneuerung der Sozialdemokratie» propagierte er einen dritten Weg, den die Sozialdemokratie zu begehen hätte. Giddens ist ein enger Berater des englischen Premiers Tony Blair, der 1996 mit seiner Labour Party an die Macht kam. Aufgrund von Giddens’ Empfehlungen reformierte Blair seine Partei und betreibt nun eine Politik des «Dritten Weges».

Die SPD in Deutschland war 1998 in die Wahlen getreten, die 16-jährige konservativ-liberale Vorherrschaft abzulösen. Ihr Kanzlerkandidat Gerhard Schröder redete von einer «Neuen Mitte», die die SPD besetze. Die SPD gewann die Wahlen überlegen. Seitdem versucht Gerhard Schröder eine Politik der «Neuen Mitte» zu beschreiten. Der als Traditionalist bezeichnete ehemalige Parteivorsitzende und Finanzminister Oskar Lafontaine trat nach einem halben Jahr Regierung von all seinen Ämtern zurück. Seine typisch sozialdemokratische Forderung, die neue Regierung müsse nun mit einer expansiven Fiskal- und Geldpolitik die Nachfrage erhöhen und damit eine keynesianische Konjunkturpolitik betreiben, fand bei Kanzler Schröder keinen Gefallen und im Kabinett keine Mehrheiten.

2.2 Die Bedeutung der Begriffe «Dritter Weg» und «Neue Mitte»

Der «Dritte Weg»

Der «Dritte Weg» wird verstanden als ein Weg zwischen den beiden bisherigen Wegen in der Wirtschaftspolitik:

·zwischen Keynesianismus und Neoliberalismus

·zwischen Sozialstaat und freier Marktwirtschaft

·vielleicht gar zwischen Sozialismus und Kapitalismus

Die Kreation eines «Dritten Weges» suggeriert, dass die beiden bisherigen Wege nicht mehr erfolgreich sind, sondern nur noch ausgetretene Trampelpfade darstellen.

Der Begriff «Dritter Weg» ist die englische Bezeichnung für die reformierte sozialdemokratische Politik.

Die «Neue Mitte»

Mitte: Die politische Mitte ist zwischen links und rechts angesiedelt. Die Politik der Mitte, die hier postuliert wird, bezieht sich auf die Wirtschaftspolitik. Dass sich eine Partei in Richtung Mitte verschiebt wegen eines Themenblocks, veranschaulicht, wie zentral die wirtschaftspolitische Ausrichtung ist.

Neu: Was ist nun neu an der Mitte-Ausrichtung? Zum einen bestand die Mitte wirtschaftsideologisch und in den Parteiensystemen Deutschlands und Grossbritanniens nicht. Zum anderen suggeriert der Begriff «neu», dass die Mitte erstens aufgefrischt werden musste und zweitens aufgefrischt wurde bzw. wird durch die neuartige sozialdemokratische Politik.

Der Begriff «Neue Mitte» ist die deutsche Bezeichnung für die reformierte sozialdemokratische Politik.

3. Rechte und linke Wirtschaftspolitik: Neoklassik und Keynesianismus

3.1 Neoklassik

In diesem Referat wird Neoklassik als Sammelbegriff für die verschiedenen Varianten und Ausprägungen wirtschaftstheoretischen Denkens gebraucht, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Gedankengut der Klassik wieder aufgreifen und sich als Gegenstück zum Keynesianismus verstehen. Hier eingeschlossen sind die allgemeine Gleichgewichtstheorie, die monetaristische Schule der 70er Jahre, die angebotsorientierten Theorien, die in den 80er Jahren angewendet wurden bzw. noch werden, und das in der Wirtschaftspolitik als Neo-liberalismus bezeichnete Konzept.

Die Neoklassik fusst auf einer liberalistischen Weltanschauung. Das Menschenbild des Liberalismus basiert auf einem wirtschaftlichen Menschen, der frei, tüchtig und selbstverantwortlich rational wirtschaftet und dessen Fortkommen auf seiner Leistung beruht.

Die Neoklassik geht davon aus, dass die Marktwirtschaft inhärent stabil ist und sich immer von alleine Gleichgewichte ergeben. Auf Grund von völlig flexiblen Preisen und Löhnen passen sich Angebot und Nachfrage wie durch eine «unsichtbare Hand» sofort an, so dass Störungen nur temporärer Natur sind. Interventionistische Eingriffe des Staates sind darum nicht nötig; der Staat soll lediglich mit einer auf Wettbewerb ausgerichteten Ordnungs-politik den marktwirtschaftlichen Rahmen aufrecht erhalten, damit sich die Marktteilnehmer ungehindert entfalten können.

Antizyklische staatliche Eingriffe und damit eine eigentliche Konjunkturpolitik werden abgelehnt, da diese nicht als Reaktion, sondern als Ursache der Konjunkturschwankungen angesehen werden. Statt einer «Stop-and-go-Politik» verlangt die Neoklassik eine verstetigende Wirtschaftspolitik, die langfristig ausgerichtet ist, das Produktionspotenzial erhöhen und zu einem nachhaltigen Wachstum führen soll. Um dies zu erreichen, soll die Wirtschaftspolitik angebotsorientiert ausgerichtet sein.

Zur Angebotspolitik zählen insbesondere Deregulierung bzw. Abbau hemmender staatlicher Regelungen, Senken der Staatsausgaben und Entlasten der Unternehmen mittels Senken der Produktionssteuern und der Lohn- und Lohnnebenkosten. Das dadurch kreierte Angebot schafft sich die Nachfrage von selbst, da die Neoklassik die Unendlichkeit der Bedürfnisse annimmt, basierend auf dem Say’schen Theorem. Als Ziel der Wirtschaftspolitik erachtet die Neoklassik die Preisniveaustabilität, da Inflation den Marktmechanismus stört. Um Preisniveaustabilität zu erreichen, wird als Instrument die Geldmengensteuerung vorgegeben. Eine unabhängige Zentralbank soll das Wachstum der Geldmenge konstant halten. Die Arbeitslosenproblematik hingegen wird nicht als zentrales Problem, sondern als fallweise Fehlentwicklung angesehen.

3.2 Keynesianismus

Der Keynesianismus wird hier im weitesten Sinne definiert, also zusammenfassend alle Bewegungen, die sich auf die Arbeiten des Ökonomen John Maynard Keynes (1883­1946) abstützen und diese mit dem Prädikat keynesianisch mit oder ohne Vorsilbe versehen interpretieren. Der Keynesianismus ist als Gegenstück zur Klassik entwickelt worden.

Der Keynesianismus wird von Politikern mit einer als Sozialökonomie oder Sozialliberalismus bezeichneten wirtschaftspolitischen Position vertreten. Diese Position geht ebenfalls von einer liberalen Ordnung aus. Das Menschenbild ist das eines freien Menschen mit gesellschaftlicher Verantwortung und Pflicht zum sozialen Ausgleich.

Zentrales Element des Keynesianismus ist, dass der private Sektor als inhärent instabil be-trachtet wird. Marktwirtschaften gelangen immer wieder in Krisen und Ungleichgewichte mit Arbeitslosigkeit, wobei die Marktkräfte nicht von alleine aus der Krise herausführen. Daran schuld sind vor allem Preis- und Lohnstarrheiten, auf Grund derer der Markt, primär in der kurzen Frist, nicht spielen kann. Als Ursache der Konjunkturschwankungen werden Veränderungen in der Nachfrage angesehen. Diese ist nicht an das Angebot gebunden, sondern bestimmt die wirtschaftliche Entwicklung. Das Produktionspotenzial gilt als gegeben, das ausgelastet werden muss. Ziel der keynesianischen Wirtschaftspolitik sind das Glätten der Konjunkturschwankungen und Vollbeschäftigung.

Auf Grund der Diagnose und den Zielen beinhaltet der Keynesianismus eine aktive staatliche Konjunkturpolitik. Das Glätten der Konjunkturschwankungen soll also mit einer Globalsteuerung der Wirtschaft und nicht mit einzelnen punktuellen Massnahmen erreicht werden. Herausgestrichen werden muss die kurzfristige Orientierung der keynesianischen Theorie, mit der Begründung «On the long run we are all dead» (Keynes). Der Staat soll eine antizyklische Konjunkturpolitik betreiben, die Nachfrage dämpfen in der Hochkonjunktur und sie ankurbeln in der Rezession.

Als Instrument dazu soll die Fiskalpolitik eingesetzt werden, also zum Beispiel ein Senken der Steuern und ein Erhöhen der Staatsausgaben in der Rezession. Das Hauptgewicht liegt auf dem Management der Staatsausgaben. In der Rezession soll sich der Staat verschulden («deficit spending») und mit den Ausgaben die Konjunktur ankurbeln. Im Boom soll er die Ausgaben kürzen und kleiner halten als die Einnahmen, damit das Staatsbudget über zwei Perioden ausgeglichen ist. Der Keynesianismus betrachtet die Geldpolitik als zweitrangig, allerdings soll sie die Fiskalpolitik unterstützend antizyklisch eingesetzt werden. Als weiteres Instrument dienen Beschäftigungsprogramme, um die Kosten der Rezession zu verringern. Der Keynesianismus betont die konjunkturelle Bedeutung des Lohnniveaus. Lohnsenkungen in Zeiten der Rezession verringern das Volkseinkommen, damit die Nachfrage und verstärken die Rezession bzw. können nicht zu Vollbeschäftigung führen. Deshalb und auf Grund der Hierarchie der Märkte (Gütermarkt über Arbeitsmarkt) soll die Nachfrage ausgelastet und eine Arbeitsmarktpolitik unterlassen werden.

3.3 Bemerkungen zu den Definitionen

Ich betone, dass es nicht darum geht, detailhafte Unterschiede innerhalb der beiden wirtschaftspolitischen Konzeptionen auszumachen, sondern ein möglichst abgerundetes Bild ihrer zu liefern, damit aus dem gemeinsamen Papier von Schröder und Blair die Elemente der einzelnen Position herausgestrichen werden kann. Weiter liegt der Schwergewicht bei der gewählten Gegenüberstellung der Positionen auf der Konjunkturpolitik, analog den Schwergewichten im Schröder-Blair-Papier.

4. Inhalt und Beurteilung des Schröder-Blair-Papiers

4.1 Der Inhalt des Schröder-Blair-Papiers

Das gemeinsame Papier von Gerhard Schröder und Tony Blair, im Folgenden Schröder-Blair-Papier genannt, trägt den Titel «Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten». Es wurde am 8. Juni 1999 der Öffentlichkeit preisgegeben. Das Papier besteht aus circa 10 Seiten. Die fünf Abschnitte tragen die Titel «Aus Erfahrung lernen», «Neue Konzepte für veränderte Realitäten», «Eine neue angebotsorientierte Agenda für die Linke», «Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke» und «Politisches Benchmarking in Europa».

Einleitung

Im einleitenden Abschnitt ohne Titel sind Schröder und Blair der Ansicht, die Sozialdemokratie habe eine neue Zukunft gefunden, weil sie glaubwürdig begonnen hätte, auf der Basis ihrer alten Werte ihre Zukunftsentwürfe zu erneuern und ihre Konzepte zu modernisieren. Die meisten Menschen würden ihre Weltsicht längst nicht mehr nach dem Dogma von Links und Rechts einteilen. Die Sozialdemokraten müssten die Sprache dieser Menschen sprechen.

Schröder und Blair sprechen linke Werte wie Fairness, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit, Solidarität und Verantwortung für andere. Unterstützt wird eine Marktwirtschaft, nicht aber eine Marktgesellschaft.

I. Aus Erfahrung lernen

In diesem Abschnitt skizzieren Schörder und Blair die neuen Herausforderungen in Gesellschaft und Ökonomie, die sowohl Treue zu den alten Werten als auch die Bereitschaft zum Wandel der alten Mittel und der traditionellen Instrumente erfordern. Die alten Fehler, aus denen gelernt werden soll, sind:

·die bisherige Nicht-Belohnung von Leistung

·die Beschränkung der Wettbewerbsfähigkeit durch die hohe Steuerlast

·die schädliche Ausweitung von Verwaltung und Bürokratie durch die Sozialdemokratie

·die Überbewertung der Rechte gegenüber den Pflichten

·das Überschätzen der Schwächen der Märkte bzw. das Unterschätzen ihrer Schwächen

II. Neue Konzepte für veränderte Realitäten

Schröder und Blair führen aus, welche Gegebenheiten sich verändert haben:

·Globalisierung und wissenschaftliche Veränderungen

·neue Technologien, die zu radikalen Veränderungen der Arbeit führen

·nicht mehr ein einziger Arbeitsplatz fürs ganze Leben

·umweltpolitische Verantwortung gegenüber künftigen Generationen

·nicht mehr akzeptable Höhe der Staatsausgaben

·Veränderungen in der Lebenserwartung, der Familienstruktur und der Rolle der Frauen

·zentrales Problem der Armut

·Kriminalität

·Politik für lebenswerte Städte

Die Aufbruchstimmung zur Bewältigung dieser Herausforderungen erfordere Initiative und Kreativität bei den Arbeitnehmern und im Sozialsystem sowie die Belohnung von unternehmerischer Selbstständigkeit und Eigeninitiative.

Erreicht werden soll die neue Politik mit einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Darin sollen auch die Gewerkschaften eine starke Rolle spielen.

III. Eine neue angebotsorientierte Agenda für die Linke

Schröder und Blair halten fest, dass die Zunahme der Beschäftigung und der Beschäftigungschancen die beste Garantie für eine in sich gefestigte Gesellschaft seien.Inakzeptal seien das neoliberale Laisser-Faire und die Rückkehr zum «deficit spending» und zu massiver staatlicher Intervention. Die vorherrschende Arbeitslosigkeit sei strukturell bedingt. Der Sozialstaat soll modernisiert, nicht abgeschafft werden.

Notwendig sei ein robuster und wettbewerbsfähiger marktwirtschaftlicher Rahmen. Darunter werden Rahmenbedingungen verstanden, unter denen ein einwandfreies Spiel der Marktkräfte möglich ist. Dies sei entscheidend für wirtschaftlichen Erfolg und die Vorbedingung für eine erfolgreichere Beschäftigungspolitik.

Weiter sollen die Steuern gesenkt werden. Zu denken sei hierbei in erster Linie an die Unternehmens- und die Körperschaftssteuersätze. Auch von einer Entlastung der Familien und Arbeitnehmer ist die Rede. Erwähnt wird eine Besteuerung des Umweltverbrauchs. Eine höhere Steuerlast gefährde die Wettbewerbsfähigkeit und führe zu Arbeitslosigkeit.

Angebots- und Nachfragepolitik würden zusammengehören und seien keine Alternativen. Moderne Sozialdemokraten würden erkennen, dass eine angebotsorientierte Politik eine zentrale und komplementäre Rolle zu spielen hätte. Gleichzeitig sollen die Nettoeinkommen der Beschäftigten erhöht und die gesetzlichen Lohnnebenkosten gesenkt werden. Flexible Märkte seien ein modernes sozialdemokratisches Ziel. Dennoch verfolge makroökonomische Politik noch immer einen wesentlichen Zweck, nämlich den Rahmen für ein stabiles Wachstum zu schaffen und externe Konjunkturschwankungen zu vermeiden. Wirtschaftspolitischer Erfolg werde erreicht durch ein Nicht-Ersticken der Unternehmen durch Regulierungen und Paragraphen sowie durch die Flexibilität von Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkten.

Unsere Volkswirtschaften befänden sich im Übergang von der industriellen Produktion zur wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft. Europa könne dadurch zu den Vereinigten Staaten aufschliessen. Flexible Märkte müssten mit einer neu definierten Rolle für einen aktiven Staat kombiniert werden. Damit die Arbeitnehmer auf die sich verändernden Anforderungen reagieren könnten, müsse die Bildung einen zentralen Stellenwert erhalten. Zugang und Nutzung zu Bildungsmöglichkeiten und lebenslanges Lernen würden die wichtigste Form der Sicherheit in der modernen Welt darstellen. Wenn Probleme beim Lesen, Schreiben und Rechnen bestehen, müssten diese behoben werden. Jeder Jugendliche solle die Chance für eine qualifizierte Berufsausbildung erhalten. Die Ausbildung stelle eine wesentliche Rolle in den aktiven Arbeitsmarktpolitiken für Arbeitslose dar.

Moderne Sozialdemokraten müssten die Anwälte des Mittelstandes sein. Der Aufbau eines prosperierenden Mittelstandes müsse eine wichtige Priorität für moderne Sozialdemokraten sein. Daher solle den Selbstständigen Spielraum gelassen werden für ihre Eigeninitiative. Die Regulierungslast solle verringert und die Lohnnebenkosten gesenkt werden.

Gesunde öffentliche Finanzen sollten zum Gegenstand des Stolzes für Sozialdemokraten werden. Öffentliche Verschuldung sei zwar nicht generell abzulehnen, die Verschuldung könne Sinn machen. Allerdings könne «deficit spending» nicht dazu genutzt werden, um strukturelle Schwächen in der Ökonomie zu beseitigen. Eine hohe öffentliche Verschuldung sei eben nicht der beste Weg für mehr Beschäftigung und Wachstum. Sozialdemokraten dürften deshalb exzessive Staatsverschuldung nicht tolerieren.

IV. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke

Der Staat müsse die Beschäftigung aktiv fördern und dürfe nicht nur passiver Versorger der Opfer wirtschaftlichen Versagens sein. Reformiert werden müsse ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit, Arbeit zu finden, behindere. Das Ziel sei weiter die Ausweitung der Chancengleichheit, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter oder Behinderung. Eine neue Politik mit dem Ziel, arbeitslosen Menschen Arbeitsplätze und Ausbildung anzubieten, sei eine sozialdemokratische Priorität.

Das System der Steuern und Sozialleistungen müsse sicherstellen, dass es im Interesse der Menschen liege, zu arbeiten. Darum müsse der grösste Teil des Einkommens in den Taschen derer verbleiben, die dafür gearbeitet haben. Neben der Reduktion der Abgaben- und Steuerlast müssten Unternehmergeist und Geschäftsgründungen als gangbarer Weg aus der Arbeitslosigkeit unterstützt werden.

Der Strukturwandel sei nicht aufzuhalten. Allerdings sollten Probleme des Übergangs abgefedert werden. Weiter brauche der Arbeitsmarkt einen Sektor mit niedrigen Löhnen, um gering Qualifizierten Arbeitsplätzen verfügbar zu machen.

V. «Politisches Benchmarking» in Europa

Schröder und Blair skizzieren, dass eine neue sozialdemokratische Politik in Europa umgesetzt werden solle. Dadurch sollten sich die Minister und ihre engsten Mitarbeiter häufiger miteinander treffen und das Konzept der «Neuen Mitte» und des «Dritten Weges» weiterentwickeln. Ziel des Papiers sei es, einen Anstoss zur Modernisierung zu geben.

4.2 Beurteilung des Schröder-Blair-Papiers gemäss den wirtschaftspolitischen Positionen

Im Folgenden soll das Schröder-Blair-Papier analysiert werden. Dabei wird beachtet, inwiefern sich die Aussagen einer ehemaligen linken oder einer rechten Wirtschaftspolitik zuteilen lassen oder ob sie neue Ansätze beinhalten.

Einleitung

Im ersten Abschnitt ohne Titel heben Schröder und Blair die alten linken Werte hervor. Damit ist die Zielsetzung sozialdemokratischer Politik weiterhin das Erreichen linker Ideale. Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft kann nur teilweise als Rücken nach Rechts verstanden werden, da die sozialdemokratischen Parteien den Marxismus schon viel früher abgelegt und sich zur Marktwirtschaft bekannt hatten, zum Beispiel die SPD 1959 mit dem Bad Godesberger Programm.

Die Aussage, dass sich die meisten Menschen nicht mehr nach dem Dogma von Links und Rechts einteilen liessen, bleibt an dieser Stelle eine Vermutung. Jedenfalls war bei den Schweizer Nationalratswahlen 1995 der «Links-Rechts-Gegensatz in den Köpfen der Wählerschaft als allgemeine politische Orientierung präsent». (Kriesi et al., Schweizer Wahlen 1995, 137) Interessant ist, dass Schröder und Blair der Ansicht sind, dass gerade die Sozialdemokraten diese allfälligen unideologischen Menschen sammeln müssten. Dies kann erklärt werden mittels Kirchheimer, der eine Entwicklung zu einer entideologisierten Volkspartei diagnostizierte.

I. Aus Erfahrung lernen

Die in diesem Abschnitt gemachten Aussagen, unter anderem zur Belohnung der Leistung und zur hohen Steuerlast, sind allesamt neoliberale Aussagen. Schröder und Blair siedeln sich in ihrer Hochschätzung der Stärken des Marktes und ihrer Verachtung des aufgeblähten Staatsapparates rechts an. Einzig modern und in diesem Sinne neu ist die Aussage, dass die soziale Gerechtigkeit sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen liesse.

II. Neue Konzepte für veränderte Realitäten

Dieser Abschnitt, in dem Schröder und Blair die Veränderungen in der Welt skizzieren, die eine Neuorientierung der Sozialdemokratie bedingen, zeigt anschaulich, dass die beiden Regierungschefs erkannt haben, dass sich die Welt verändert hat und damit die traditionellen wirtschaftspolitischen Konzepte nicht mehr greifen können. Allerdings nehmen Schröder und Blair nicht alle Einzelteile der veränderten Realitäten wahr. Nicht genug betont werden bzw. nicht erwähnt werden

·die Umweltverschmutzung, die eine neue Wirtschaftspolitik und ein neues Gesellschaftsverständnis erfordert

·die Individualisierung, die zum einen ebenfalls der staatlichen Sicherung zuwiderläuft und andererseits neue Konzepte jenseits von links und rechts bezüglich Selbstentfaltung verlangt

·das mögliche Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft, das eine Verteilung der Nicht-Erwerbsarbeit und der Erwerbsarbeit auf beide Geschlechter verlangt sowie nach anderen Sicherungssystemen ruft

Bezüglich dem Anerkennen einer veränderten Welt kann Schröder und Blair teilweise eine neue Richtung attestiert werden: Die Veränderung der Welt nehmen die beiden Sozialdemokraten auf, einige grundsätzliche Fragestellungen werden allerdings ausgeklammert.

Schröder und Blair kritisieren stark die Höhe der Staatsausgaben. Eingeführt werden müsse ein Effizienz-, Wettbewerbs- und Leistungsdenken. Mit diesem Bekenntnis zu den tragenden Antriebskräften des Liberalismus positionieren sie sich eindeutig neoliberal. Ebenfalls neoliberal ist das Berufen auf den Unternehmergeist und die Eigeninitiative, die mehrmals herausgestrichen wird.

Abschliessend werden der Korporatismus als Erfolg versprechendes Element gelobt und die die Bedeutung starker Gewerkschaften herausgestrichen. Damit wird das neoliberale Laisser-Faire abgelehnt und linke korporatistische Tradition findet weiterhin Anklang. Die nochmalige Erwähnung linker Ideale zeigt allerdings, dass diese nicht aufgegeben werden.

III. Eine neue angebotsorientiere Agenda für die Linke

Bereits der Titel kündigt an, dass für Schröder und Blair die neoliberale Angebotspolitik nicht mehr tabu ist. Einleitend wird allerdings dem neoliberalen Laisser-faire als auch der keynesianischen Wirtschaftspolitik eine Absage erteilt. Dennoch kann diese Aussage nicht als eine Mitte-Position gewertet werden, da das Laisser-Faire eine liberale Forderung aus dem 18. und dem 19. Jahrhundert und nicht mehr Bestandteil der neoliberalen Angebotspolitiker war.

Mit der Beurteilung, die Arbeitslosigkeit sei strukturell bedingt, wird der keynesianischen Wirtschaftspolitik, die von einer konjunkturellen Arbeitslosigkeit, ausgelöst durch mangelnde Nachfrage, ausgeht, die Absage erteilt. Strukturelle Arbeitslosigkeit erfordert in erster Linie Massnahmen im Angebot, also neoliberale Massnahmen.

Als Ansatz des «Dritten Weges» kann das Postulat nach einem modernisierten Sozialstaat verstanden werden, ohne jedoch den Eigennutz als einzige Kerngrösse zu verstehen. Tatsächlich liessen sich aus der Erkenntnis heraus Massnahmen entwickeln, die weder der ehemaligen linken noch der ehemaligen rechten Wirtschaftspolitik zuzurechnen wären.

Dass an erster Stelle der robuste und wettbewerbsfähige marktwirtschaftliche Rahmen und das Schaffen von Rahmenbedingungen erwähnt werden, zeigt, wie tief die neoliberale Ideologie bei Schröder und Blair verankert ist. Die erwähnten Sätze könnten genauso gut vom Chef des Arbeitgeberverbandes stammen. Die weiteren Ausführungen zur Stellung der Steuern in der Wirtschaft lassen sich genauso einordnen.

Schwieriger einzuordnen ist die Forderung nach Entlastung der Familien und Arbeitnehmer. Vom Ideal her tönt dies links; in der Praxis könnte diese Entlastung genauso gut mit neoliberalen Massnahmen erreicht werden (tiefere Lohnnebenkosten, tiefere Steuern).

Unabhängig der beiden wirtschaftspolitischen Positionen ist die Äusserung, die Steuerbelastung sollte beispielsweise zu Lasten des Umweltverbrauchs ausbalanciert werden. Allerdings ist die Absicht vage formuliert, sodass der Weg in eine neue Politik jenseits von links und rechts ohne Konturen bleibt.

Die Äusserung, dass Angebots- und Nachfragepolitik zusammengehören, symbolisiert den Willen, eine Wirtschaftspolitik der Mitte ohne den ideologischen Ballast der generellen Ablehnung einer Position zu betreiben. Moderne Sozialdemokraten erkennen eine angebotsorientierte Politik an und weichen damit von alleiniger keynesianischer Politik ab.

Die Sicht der Mitte des «Dritten Weges» wird veranschaulicht, dass gleichzeitig die Nettoeinkommen der Beschäftigten erhöht und die Lohnnebenkosten gesenkt werden sollen. Damit wird einer linken und einer rechten Forderung entsprochen.

Eine weitere Mischung der alten Positionen wird durch die gleichzeitige Notwendigkeit von flexiblen Märkten (neoliberal) und makroökonomischer Stabilitätspolitik (keynesianisch) deutlich. Im Nachhinein wird allerdings deutlich, dass die neoliberalen Positionen vorherrschen: Regulierungen müssten verringert und alle Märkte, sogar die für die Linken ehemals heiligen Arbeitsmärkte, müssten flexibel sein. Gerade die flexiblen Arbeitsmärkte sind ein Schock für Linke. Weiter wird die USA als Vorbild angesehen, was die Dienstleistungsgesellschaft anbelangt. Für die Linken in Europa sind die USA, was die Arbeitsmärkte anbelangt, gar kein Vorbild. Die USA kennen total flexible Märkte, die Kündigungsraten sind viel höher als in Europa und die grosse Beschäftigung wurde mit zahlreichen Jobs im Niedrigstlohnbereich erkauft.

Eine tatsächliche wirtschaftspolitische Innovation ist die unglaubliche Betonung der Bildung. Bildung hat allerdings keinen Wert an sich, sondern ist das Instrument, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Nur durch lebenslanges Lernen könne der Strukturwandel ohne grössere Beschäftigungskrisen und damit die Anzahl der Arbeitslosen minimiert werden.

Schröder und Blair streichen heraus, dass «deficit spending» nicht genutzt werden kann, um strukturelle Schwächen in der Ökonomie zu beseitigen. Damit sind Schröder und Blair der neoliberalen Ansicht, dass die Schwächen in der Ökonomie strukturell sind und die keynesianische Konjunkturpolitik dagegen machtlos ist.

IV. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke

Einziges linkes Postulat in diesem Abschnitt ist die Forderung, dass der Staat die Beschäftigung aktiv fördern müsse. Ansonsten dominieren die neoliberalen Forderungen. Alleine schon eine aktive Arbeitsmarktpolitik widerspricht der keynesianischen Konjunkturpolitik. Ein neoliberaler Klassiker ist die Forderung, das System der Steuern und Sozialleistungen muss sicherstellen, dass es im Interesse der Menschen liegt zu arbeiten. Diese Sicht basiert auf der Behauptung, dass es freiwillige Arbeitslosigkeit geben kann. Auch soll der grösste Teil des Einkommens in den Taschen derer verbleiben, die dafür gearbeitet haben. Dies passt zum Leistungsdenken des Kapitalismus.

Schröder und Blair erachten Geschäftsgründungen als gangbaren Weg aus der Arbeitslosigkeit. In einem keynesianischen Konzept hat dies nicht Platz, da ja die fehlende Nachfrage der Grund der Arbeitslosigkeit ist. Geschäftsgründungen erhöhen das Angebot und nicht die Nachfrage, sodass die Beschäftigung nicht erhöht werden kann.

Betont wird allerdings, dass Probleme des Übergangs im Wandel abgefedert werden müssen. Damit reden Schröder und Blair gegen eine Politik des Nichts-Tuns. Moderne Ansätze zeigen sich, indem der Strukturwandel weder bekämpft (rechts) noch seine Probleme geleugnet (links) werden.

V. «Politisches Benchmarking» in Europa

Aus dem letzten Abschnitt lassen sich keine Schlüsse betreffend der Beurteilung der «Neuen Mitte» ziehen. Schröder und Blair skizzieren lediglich, dass dieses neue Konzept der Sozialdemokratie unter den Sozialdemokraten Europas intensiv diskutiert werden sollte.

5. Würdigung des «Dritten Weges» bzw. der «Neuen Mitte»

Wie viel Innovation stellt jetzt die «Neue Mitte» dar? Ist die «Neue Mitte» lediglich eine neoliberale Sozialdemokratie oder lassen sich neue Ansätze erkennen? Ist die «Neue Mitte» modern?

Die Modernisierung der Sozialdemokratie lässt sich am stärksten herauslesen aus der Erkenntnis, dass sich die Welt verändert hat und damit die bisherigen sozialdemokratischen Massnahmen nicht mehr ausreichen, um die linken Ideale zu erreichen. Diese klassischen sozialdemokratischen Massnahmen müssten erweitert werden. Allerdings greift, wie schon erwähnt, das Erkennen der neuen Realitäten zu kurz: Es bleibt primär auf der unteren Ebene angesiedelt. Grundsatzfragen, zum Beispiel wie der Mensch angesichts der Umweltverschmutzung neu wirtschaften müsse oder wie die knapper werdende und unter den Geschlechtern ungleich verteilte Erwerbsarbeit neu aufgeteilt werden könnte, werden nicht gestellt.

Bemerkenswert ist, dass die alten linke Ideale immer noch da sind. Stets werden sie von Schröder und Blair aufgegriffen. Hinzu kommt allerdings die gleichzeitige Betonung von Leistung und Wettbewerb, also von Idealen, die auf einem liberalistischen Menschenbild fussen.

Was die Konjunkturpolitik betrifft, haben sich Schröder und Blair tatsächlich vom Keynesianismus verabschiedet. Die schmeichelhafteste Bemerkung ist noch, dass keynesianische Wirtschaftspolitik nicht per se schlecht sei. Im ganzen Papier wird nicht davon gesprochen, dass die Nachfrage der Grund für die Arbeitslosigkeit sei. Ganz im Gegensatz erfolgen die Analyse und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nach dem neoliberalen Schema: Sind alle Märkte erst einmal flexibel und die Steuern möglichst tief, wollen die Unternehmer genug Arbeitnehmer einstellen, womit die Beschäftigung steigt. Bezüglich der Konjunkturpolitik stellt die «Neue Mitte» eine grösstenteils neoliberale Politik dar, weder von Mitte noch von neu kann die Rede sein.

Als neues Instrument der Beschäftigungspolitik soll lediglich die umfassende Förderung der Bildung ins Auge gefasst werden. Diese Forderung stellt eine weitere Innovation des Konzeptes der «Neuen Mitte» dar.

Abschliessend kann gesagt werden, dass die «Neue Mitte» bzw. der «Dritte Weg» grösstenteils nicht verspricht, was er hält. Als Mitte und damit als guter Mix kann gerade noch die Verknüpfung von linken Idealen mit neoliberalen Massnahmen bezeichnet werden. Die tatsächliche Wirtschaftspolitik ist nicht jenseits von links und rechts, sondern weitgehend neoliberal. Neue moderne Ansätze fehlen grösstenteils. Dies suggeriert, dass Schröder und Blair vielleicht dem Irrtum unterliegen, neoliberale Politik sei modern. Allerdings macht die Tatsache, dass der Keynesianismus überlebt hat, noch nicht die Modernität des Neoliberalismus aus. Vielmehr scheinen Schröder und Blair neuere Ansätze jenseits der herkömmlichen Positionen nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Die Herausforderung sowohl für die Sozialdemokratie als auch für die bürgerlichen Parteien besteht allerdings darin zu erkennen, dass die traditionellen Positionen, und zwar Keynesianismus und Neoliberalismus, in einer veränderten Welt nur noch beschränkt zur Lösung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme beigezogen werden können. Neue, alternative Ansätze wurden auch nicht von Schröder und Blair entwickelt. Damit haben sie es bis jetzt verpasst, die Sozialdemokratie modernisiert ins 21. Jahrhundert zu führen.

Literaturverzeichnis

Altmann, J. (1995): Wirtschaftspolitik. Eine praxisorientierte Einführung, Stuttgart, Jena.

Blair, T. / Schröder, G. (1999): Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten, London.

Kirchheimer, Otto (1965): Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in Politische Vierteljahresschrift, 6. Jahrgang, Heft 1, 20­41.

König, J. (1998): Man trägt wieder Sozi, in SonntagsZeitung vom 4. Oktober 1998, Zürich.

Kriesi, H. / Linder, W. / Klöti, U. (Hrsg.; 1998): Schweizer Wahlen 1995

Mussel, G. / Pätzold, J. (1995): Grundfragen der Wirtschaftspolitik, München.

Strasser, Johano (1999): Gibt es den dritten Weg?, in Weltwoche vom 18. März 1999, Zürich.

Vuichard, Florence (1999): Jenseits von Links, in Der Bund vom 12. Februar 1999, Bern.