FOCJ - Die Gemeinden von morgen?

Arbeit zum Seminar "Gemeindereformen" (WS 1998/99) bei Dr. A. Ladner

von Thomas Hügli

Diese Arbeit stellt das 1995 veröffentlichte Konzept der FOCJ (functional, overlapping, competing jurisdictions) und seine vier Hauptmerkmale vor und erläutert die Einsatz-möglichkeiten in der Schweiz. Dabei wird deutlich, dass es von den Kantonen und Parteien abhängt, ob die FOCJ in der Schweiz künftig eine wichtige Rolle spielen und als "Gemeinden von morgen" bezeichnet werden können.

Eine weitere interessante Frage ist jene, ob die Kirchgemeinden die an FOCJ gestellten Anforderungen erfüllen und somit bereits eine praktische Anwendung des Konzeptes besteht. Aufgrund der Analyse kann behauptet werden, dass die typische Kirchgemein-de zwar in vielem einem FOCUS ähnelt, dass jedoch nicht alle vier Merkmale erfüllt sind.
 
 

1. Einleitung

Mit der Rezession der Neunzigerjahre und den riesigen Finanzproblemen im staatlichen Bereich erhielten die Forderungen nach einem schlanken und effizienten Staat mehr denn je Zustimmung. Als Hauptinstrument zur Erreichung dieser Ziele sehen viele Ökonomen den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Sie fordern einen Markt für staatliche Leistungen und eine neue, kompetitive Art von staatlichen Körperschaften. Diese sollen sich auf die Erbringung einzelner Leistungen statt auf die Beherrschung eines bestimmten Territoriums konzentrieren.

Frey und Eichenberger (1995) haben ein Konzept entwickelt, das genau in diese Richtung geht. Sie schlagen vor, dass Bürger und Gemeinden die Freiheit erhalten sollen, sogenannte FOCJ gründen zu können.
 
 

2. Das Konzept der FOCJ

FOCJ = Functional, overlapping, competing jurisdictions

FOCJ sind Körperschaften, welche eine oder wenige Funktionen von öffentlichem Interesse auf eine effiziente Art erbringen. Sie sind von einer Grösse, welche der jeweiligen Funktion angepasst ist.

Bezüglich Mitgliedschaft sind zwei Möglichkeiten vorgesehen. Mitglieder sind:

Das Konzept der FOCJ baut auf der Modernen Politischen Ökonomie und verschie-denen Elementen der ökonomischen Föderalismustheorie auf. In der traditionellen ökonomischen Föderalismustheorie wird jedoch die Ausdehnung der Gebietskörper-schaften als gegeben betrachtet. Sie analysiert, welche Aufgaben welchen Ebenen zugeordnet werden sollten . Dabei wird vorausgesetzt, dass ein im vornherein bestimmbarer, optimaler Zentralisierungsgrad existiert. Mit dieser Vorstellung wird im FOCJ-Konzept gebrochen. Die politische Freiheit ist prozessorientiert: FOCJ bilden ein anpassungsfähiges, föderales Netz von Regierungseinheiten, das stets eng an die Bürgerpräferenzen gebunden bleibt und sich der "Geographie der Probleme" anpasst (Eichenberger 1996, 112).
 
 

3. Die Eigenschaften der FOCJ

Die Körperschaften zeichnen sich durch ihre vier grundlegenden Eigenschaften aus, die den Begriff FOCJ kennzeichnen (Eichenberger 1996, 111f.):

FOCJ sind

3.1. Funktionalität

FOCJ sind funktional. Ein FOCUS (Einzahl von FOCJ) erfüllt nur eine oder wenige Funktionen. Dabei wird stets im Auge behalten, dass der Leistungsempfänger auch der Kostenträger sein soll. Dann nämlich ist mit einer bedürfnisorientierten und effizienten Leistungserbringung zu rechnen.

Im weiteren sollen die durch zentralere Leistungserbringung resultierenden Skalen-erträge genützt werden. Die verschiedenen staatlichen Leistungen weisen allerdings ganz unterschiedliche Wirkungskreise und unterschiedliche Skalenerträge auf. Zudem variiert die Nachfrage räumlich beträchtlich, weil sie von verschiedenen Faktoren abhängt, die von Ort zu Ort stark unterschiedlich sein können. Folglich ist es effizienter, wenn nicht alle Leistungen von der gleichen Gebietskörperschaft erbracht werden, sondern von spezialisierten, auf den betreffenden Wirkungskreis zugeschnittenen FOCJ.

Die Effizienzmessung der FOCJ und somit die Bestimmung der optimalen Ausdehnung stellen ein Problem dar. Dazu fehlt nämlich die Vergleichsmöglichkeit von zwei Körperschaften, welche dieselben Leistungen anbieten, aber eine unterschiedliche Ausdehnung aufweisen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Bürger mit der Effizienz der FOCJ, denen sie angehören, zufrieden sind. Sie könnten sonst über die direkt-demokratischen Instrumente intervenieren und Änderungen durchführen.
 
 

3.2. Überlappung

FOCJ sind überlappend, da die verschiedenen Funktionen ganz unterschiedliche Aus-dehnungen der entsprechenden FOCJ erfordern. Bürger gehören folglich mehreren Jurisdiktionen an.

Neben der territorialen Überlappung gibt es auch die funktionale Überlappung (Wohl-fahrtstätter 1996). Davon spricht man, wenn mehrere FOCJ in einem ähnlichen Gebiet die selbe Funktion erfüllen. Diese Art der Überlappung erweitert die Wahlmöglichkeiten der Bürger und stärkt den Wettbewerb zwischen den Anbietern staatlicher Leistungen zusätzlich.

Bei den Schweizer Gemeinden kommen Überlappungen zwar vor, allerdings nur territorial und kaum funktional. Beispielsweise ist eine Person Angehöriger einer Einwohnergemeinde und zusätzlich einer Kirchgemeinde, die sich territorial von der Einwohnergemeinde unterscheidet, weil sie mehrere solche umfasst. Rechtlich ist es somit möglich, Bürger mehrerer Gemeinden zu sein. Funktional findet aber keine Überlappung statt, weil die zwei Gemeindeformen gänzlich verschiedene Leistungen anbieten und somit keine Konkurrenten sind.
 
 

3.3. Wettbewerb

FOCJ sind wettbewerblich und zwar auf zwei Arten: Einerseits stehen die FOCJ wegen der Austritts- und Wechselmöglichkeit im marktähnlichen Wettbewerb um Bürger und Gemeinden. Dieser sorgt auch für leistungsgerechte Preise. Zweitens herrscht innerhalb eines FOCUS politischer Wettbewerb, da Bürger und Gemeinden Stimm-, Wahl-, Initiativ- und Referendumsrecht haben. Die Regierungen eines FOCUS werden somit durch zwei Mechanismen gezwungen, auf die Nachfrage der Mitglieder einzugehen und Leistungen effizient zu erbringen.

Für den Eintritt sollte ein Preis verlangt werden können. Damit werden die Konsumen-tenrenten von Eintretenden teilweise abgeschöpft und externe Wanderungskosten internalisiert. Dies gibt der Regierung eines FOCUS Anreize, auch für Nichtmitglieder attraktive Leistungen anzubieten. In der Schweiz ist dieser Eintrittspreis bereits bei den Bürgergemeinden vorhanden, beispielsweise bezahlen Ausländer für eine Einbürgerung.

Um den Austritt zu erleichtern, sollte zusätzlich eine Steuervergütung für den Bürger erfolgen. In der Schweiz ist dies bisher nicht vorhanden.

Der Austritt aus einer Gemeinde kann auf zwei Arten erfolgen (Eichenberger 1996, 114):

In der Schweiz ist für den Bürger bisher ein Austritt fast immer mit einem Wonnorts-wechsel verbunden, da die Zwangsgewalt der Gemeinde auf der territorialen Zugehörig-keit basiert. Bei dieser Art hat der Bürger aber kaum Anreize für einen Wechsel, da er neben effektiven Umzugskosten vor allem hohe Opportunitätskosten hat (Zeitaufwand für die Suche einer Wohnung und den Umzug, evtl. Produktivitätseinbusse während der Eingewöhnungszeit etc.). Zudem werden am neuen Wohnort möglicherweise Leistun-gen von gewissen FOCJ zur grösseren Zufriedenheit des wechselnden Bürgers er-bracht, andere FOCJ sind aber weniger effizient als die vorherigen. Somit kann sich keine optimale Lösung (volkswirtschaftlich ãfirst best" genannt) einstellen, sondern nur eine "second best"-Lösung. Der erwünschte Wettbewerb kommt also nicht zustande, weil die hohen Kosten und die drohende "second best"-Lösung den beim FOCJ-Konzept erwünschten Wechsel der Zugehörigkeit stark reduzieren.

Die Austrittsdrohung ist also nur wirksam, wenn der Austritt in FOCJ nicht auf die geo-graphische Abwanderung beschränkt ist. Einzelne Bürger müssen aus einem FOCUS aus- und in einen anderen eintreten können, ohne den Ort zu wechseln. Zudem muss diese Möglichkeit auch für Gemeinden und Gemeindeteile bestehen. Die genauen Aus-trittsbedingungen können in einem Vertrag zwischen den Mitgliedern eines FOCUS, einer eigentlichen Verfassung, geregelt werden.

In der Schweiz ist die Bedingung, dass ein Austritt ohne Wohnortwechsel möglich sein muss, nicht gegeben, weil die Gemeinde stark als Gebietskörperschaft definiert ist. Angehöriger einer bestimmten Gemeinde zu sein, setzt voraus, dass ein Bürger auf dem jeweiligen Territorium wohnhaft ist. Für optimal funktionierende FOCJ müsste dagegen eher eine Organisation vorhanden sein, die sich an Personalkörperschaften orientiert. Denen gehört eine Person an, weil sie ein bestimmtes persönliches Merkmal erfüllt. Nur aufgrund dieses Merkmals (z.B. Berufsgruppe, Konfession etc.) fragt sie eine gewisse Leistung nach. Auch Kirchgemeinden können somit als Personalkörperschaften bezeichnet werden.

Solange jedoch die Individuen keine politischen Rechte besitzen, verfügen die Regie-rungen stets über einen grossen Freiraum und können von den Präferenzen der Bürger abweichen. In FOCJ wird deshalb der politische Wettbewerb durch demokratische Institutionen garantiert. Die Bürger können die FOCJ-Exekutive und -Legislative wählen. Zudem sollten sie über umfassende direkt-demokratische Instrumente wie dem Initiativ- und Referendumsrecht zur Kontrolle der Regierung verfügen. Diese Volksrechte bewirken eine vermehrte Beachtung der Präferenzen der Bürger im politischen Prozess. Solange die Bürger das Initiativrecht besitzen, muss nicht auf höherer Ebene vorge-schrieben werden, wie die demokratischen Institutionen eines FOCUS im Detail aus-zugestalten sind. Sie können von den FOCJ-Bürgern selbst gewählt und entwickelt werden (Wohlfahrtstätter 1996, Kapitel 2).

Der politische Wettbewerb wird als politische Freiheit verankert: Bürger und Gemeinden sind frei, FOCJ zu gründen. Voraussetzung ist eine vertragliche Grundlage. Den untersten politischen Einheiten, den Gemeinden, und möglichst sogar den einzelnen Bürgern muss die Freiheit garantiert werden, sich an FOCJ zu beteiligen (Eichenberger 1996, 112). Dazu erhalten die Bürger das Recht, selbst über den Beitritt ihrer Gemeinde zu FOCJ und deren Verfassungen zu entscheiden. Der Entstehungsprozess darf von existierenden politischen Institutionen nicht blockiert werden. Deshalb müssen alle Bürger und Gemeinden beim entsprechenden Gerichtshof klagen können, falls sie den Entstehungsprozess eines FOCUS behindert sehen (Eichenberger 1996, 112).

Das Konzept der FOCJ verlangt vom Bürger gegenüber dem heutigen Gemeinden-system eine eher grössere politische Partizipation. Es erscheint allerdings fraglich, wie stark der einzelne Bürger seine politischen Rechte bei allen FOCJ, denen er angehört, wahrnimmt. Besonders unbefriedigend könnte dies bezüglich Wahlen werden. Der Bürger hätte viele Legislativ- und Exekutivmitglieder für mehrere FOCJ zu wählen. Da sich die FOCJ teilweise über ein grösseres Gebiet erstrecken, sind dem Wähler die KandidatInnen möglicherweise unbekannt. Sich über sie zu informieren wiederum hat grosse Opportunitätskosten zur Folge. Es besteht also die Gefahr, dass der Bürger der Wahl fernbleibt. Genau dieses Problem kennen viele Kirchgemeinden.

Weiter ergibt sich möglicherweise das Problem des vermehrten Personalbedarfs für die Exekutiven und Legislativen der FOCJ.
 
 

3.4. Jurisdiktionen

FOCJ sind Jurisdiktionen, die sich durch eine gewisse Steuerhoheit und eine Zwangs-gewalt kennzeichnen.

Die Zwangsgewalt einer Körperschaft bedeutet die Möglichkeit, Bürger als Mitglieder zu verpflichten. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten:

In der Schweiz existiert nur der zweite Fall. Der Bürger wird Angehöriger jener Gemein-den, auf deren Gebiet er wohnhaft ist.

Die Steuerhoheit ermöglicht es den FOCJ, die von ihnen erbrachten Leistungen zu finanzieren. Weil der Leistungsempfänger auch Kostenträger ist, erhält er vermehrt Anreize, kontrollierend zu agieren, bei Fehlleistungen zu intervenieren und sein demokratisches Instrumentarium anzuwenden.

Der Steuerfuss der heutigen Gemeinden bestimmt sich grösstensteils über die Steuerkraft der Zahler. Je mehr reiche Steuerzahler eine Gemeinde besitzt, umso tiefer kann sie ihren Steuerfuss setzen, um dieselben Leistungen zu erbringen wie eine Gemeinde mit Einwohnern aus eher tieferen Einkommensschichten. Gemeinden mit tiefen Steuerfüssen sind attraktive Wohngegenden für Individuen mit hohen Einkommen. Durch eine steigende Nachfrage nach Wohnraum in dieser Gemeinde steigen die Preise, welche wiederum vor allem von hohen Einkommensklassen bezahlt werden können. Die Steuern wirken sich demzufolge auf die Einwohnerstruktur einer Gemeinde aus.

Der Standortvorteil solcher Gemeinden im heutigen Rechtssystem könnte durch die zusätzliche Komponente der freien Beitrittswahl eines Bürgers zu einem beliebigen FOCUS abgeschwächt werden. Eine Familie etwa, die ein zu kleines Einkommen hat, um sich eine teure Wohngegend zu leisten, ihre Kinder jedoch trotzdem in eine Schule mit einer qualitativ guten Leistung und dementsprechend höheren Kosten schicken möchte, hat durch die freie Wahl, wie sie in der FOCJ-Theorie vorgesehen ist, die Möglichkeit, dies zu tun. Sie kann in jedem Bereich der öffentlichen Leistungsanbieter ihre eigene Präferenz bezüglich der Qualität und Kosten berücksichtigen. Die Opportunitätskosten von "second best"-Lösungen, wie sie bei gebündelten Leistungserbringungen entstehen, können vermieden werden (Wohlfahrtstätter 1996, Kapitel 3.4.2).

Wichtig scheint in diesem Zusammenhang, dass eine gewisse Mindestversorgung mit öffentlichen Leistungen garantiert ist. Dazu können auf einer höheren politischen Ebene die Mitgliedschaft in einem entsprechenden FOCUS obligatorisch erklärt und Leistungsstandards vorgeschrieben oder entsprechende Anreize gegeben werden.
 
 

4. Gemeindeautonomie und FOCJ

Eine Gemeinde ist eine dem Staat eingegliederte Gebietskörperschaftmit Selbstver-waltung durch eigene, gewählte Organe, die im eigenen Namen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung regelt (Staatslexikon Recht Wirtschaft Gesellschaft 1959, 687).

Der Umfang der Gemeindeautonomie bestimmt sich nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nicht in allen Verwaltungsaufgaben, sprich öffentlichen Gütern, sind Gemeinden vollumfänglich selbständig bzw. autonom. Ein Teil der Aufgaben fällt in ihren eigenen Wirkungkreis, andere hingegen werden ihnen von Seiten des Staates übertragen. Sie führen diese lediglich aus.

Im autonomen Tätigkeitsbereich kann die Gemeinde weitgehend frei darüber entschei-den, wie sie die ihr übertragenen Aufgaben ihm Rahmen des Bundes- und des kanto-nalen Rechts erfüllen will (Wohlfahrtstätter 1996).

Welche Aufgaben die Gemeinden in autonomer Weise wahrnehmen, ist von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich geregelt.

Zur Autonomie der Gemeinden gehören folgende Teilbereiche:

Greift der Kanton in den Bereich ein, den er der Gemeinde zur selbständigen Regelung überlassen hat, so kann sich diese mit einer verwaltungsrechtlichen Klage zur Wehr setzen. Allerdings beschränkt sich die Klagemöglichkeit auf die Gemeinden und besteht für den einzelnen Bürger nicht. Dies widerspricht einer Voraussetzung des FOCJ-Konzeptes. Der Bürger hat jedoch die Möglichkeit, einen Verwaltungsakt der Gemeinde zu beanstanden. Er kann dabei den Kanton auf Antrag hin zur Intervention veranlassen. Der Bürger kann insofern indirekt eine Kontrolle über die Garantie der Gemeindeautonomie ausüben. (Wohlfahrtstätter 1996)

Damit FOCJ ihre Funktion optimal erfüllen können, müssen sie sich in ihrer Grösse den jeweiligen Anforderungen einer Aufgabe anpassen können. Zudem muss die Freiheit bestehen, solche Körperschaften überhaupt zu gründen.

Die Ausdehnung und der Bestand von Gemeinden können je nach kantonaler gesetzlicher Regelung verändert werden. Die Unterschiede diesbezüglich sind gross.

In einigen Kantonen wird der Gemeindebestand durch den Kanton verordnet, die Zustimmung der Betroffenen ist nicht nötig. In anderen dagegen haben die Gemeinden gar die Möglichkeit, mit der Genehmigung einer kantonalen Instanz über ihre Existenz selbst zu verfügen (Ladner 1991, 36). Dort steht der Gründung von FOCJ nichts im Wege.

Es gibt aber auch Kantone, welche in ihrer Verfassung die Gemeinden einzeln aufzählen oder ihre genaue Zahl angeben. Die Änderung des Bestandes bedingt dort also eine Verfassungsänderung und somit eine Volksabstimmung auf kantonaler Ebene (Meyer 1978, 122). Gemeindefragen wie Bestand und Ausdehnung werden somit zu kantonalen Angelegenheiten. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies für die Umsetzung des FOCJ-Konzeptes eher hinderlich ist.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es von den gesetzlichen Bestim-mungen des Kantons abhängt,

 
5. FOCJ und die Situation in der Schweiz

Anforderungen an FOCJ, die in der Schweiz erfüllt sind:

Anfoderungen an FOCJ, die in der Schweiz nicht erfüllt sind:
 
6. Die Kirchgemeinden - sind sie Bilderbuch-FOCJ?

6.1. Funktionalität

In der Schweiz existierten 1996 2543 Kirchgemeinden (Wohlfahrtstätter 1996). Die Kantone GE und NE kennen als einzige in der Schweiz die Trennung von Kirche und Staat. Deren Kirchen werden nicht vom Staate anerkannt, sind also keine öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Sie regeln ihre organisatorischen und finanziellen Belange selbständig, wobei sie dem Privatrecht unterstellt sind. Der Kanton Waadt anerkennt zwar eine Staatskirche, ernennt sie jedoch nicht zur öffentlich-rechtlich selbständigen Körperschaft. Sie steht durch die Wahl des Pfarreirates und die Anstellung des Pfarrers durch den Kanton unter der Aufsicht des Staates. In den Kantonen VS, TI und AG werden die Kirchenangelegenheiten von den politischen Gemeinden verwaltet. In allen anderen Kantonen sind gewisse Kirchen als öffentlich-rechtliche Institutionen anerkannt und bilden eigenständige Gemeinden, deren Aufgabengebiet der Kanton definiert. In der Kantonsverfassung des Kantons Solothurn beispielsweise werden sie wie folgt festgelegt:"Die Kirchgemeinden erfüllen die weltlichen Bedürfnisse ihrer Konfession und weitere Aufgabe im Rahmen der innerkirchlichen Ordnung." (Verfassung des Kantons Solothurn 1986, Art. 55, Abs. 1)

Die Kirchgemeinden haben also ein beschränktes Tätigkeitsfeld und sind somit im Sinne des FOCJ-Konzeptes funktional. Ihre Aufgabe ist es, etwas pointiert ausgedrückt, die Angehörigen ihrer Konfession mit Glaubensdienstleistungen zu versorgen. Obwohl dies mehrere unterschiedliche Einzelleistungen umfassen kann, sind sie klar von anderen öffentlichen Leistungen trennbar.
 
 

6.2. Überlappung

Die Kirchgemeinden erfüllen weitgehend das für FOCJ wichtige Kriterium des Ýberlappens. Vor allem territorial besteht eine grosse Überlappung, da Gläubige aus mehreren Einwohnergemeinden zusammen eine Kirchgemeinde bilden. Die Ausprä-gung und Zusammensetzung variiert zudem je nach Konfession. Während im Kanton Solothurn beispielsweise die römisch-katholischen Kirchgemeinden gebietsmässig jeweils eher klein sind, erstrecken sich die christkatholischen über ein viel grösseres Gebiet.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang weiter, dass die Mitgliedschaft bei einer Kirchgemeinde unabhängig vom Schweizer Bürgerrecht ist, was einer echten Beitritts-freiwilligkeit jedes Einwohners eines Territoriums gleichkommt. Eine Einschränkung diesbezüglich ist dort vorhanden, wo die ausländischen Mitglieder keine Stimm- und Wahlberechtigung haben.

Ob bei den Kirchgemeinden auch eine funktionale Überlappung vorliegt, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Es bestehen nämlich einleuchtende Argumente für und gegen diese Behauptung.

Einerseits ist die Aussage korrekt, dass auf jedem Gemeindegebiet der Schweiz zumin-dest zwischen der Angehörigkeit bei einer römisch-katholischen und einer evangelisch-reformierten Kirchgemeinde gewählt werden kann. Denn diese Konfessionen haben mit Ausnahme wiederum von Genf und Neuenburg in jedem Kanton öffentlich-rechtlichen Status. Da die Ausdehnung der Landeskirchen das gesamte Territorium des Kanton zu umfassen hat, muss also die Wahlmöglichkeit zumindest zwischen diesen beiden Anbietern von religiösen Dienstleistungen bestehen. Durch das Anbieten derselben Leistung verschiedener Körperschaften auf dem selben Gebiet überlappen sich die Kirchgemeinden funktional (Wohlfahrtstätter 1996).

Diese Aussage ist aber nur dann zutreffend, wenn die Dienstleistungen verschiedener christlicher Konfessionen identisch und somit Substitute sind. Dies trifft aber für viele Gläubige keinesfalls zu, die Angebote vermögen nur begrenzt die selben Bedürfnisse zu befriedigen. Die verschiedenen Kirchgemeinden üben also nicht die selbe Funktion aus. Ein traditionsbewusster Katholike wird, wenn ihm beispielsweise die Politik des Kirchgemeindepräsidenten widerstrebt, nicht konvertieren und fortan der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde angehören. Eine Wahlmöglichkeit innerhalb der eigenen Konfession hingegen besteht nicht. "Die Kirchgemeinde umfasst alle in ihrem Gebiet wohnenden Angehörigen einer anerkannten Religionsgemeinschaft." (Verfassung des Kantons Solothurn 1986, Art. 55, Abs. 1) Dies bedeutet, dass eine Person nur jener Kirchgemeinde ihrer Konfession angehören kann, in deren Einzugsgebiet sie fällt. Insofern kann nicht von einer echten funktionalen Überlappung gesprochen werden.

Da eine Kirchgemeinde meist aus mehreren Pfarreien besteht, kann immerhin von einer internen funktionalen Überlappung gesprochen werden. Jedem Gläubigen steht es frei, in welcher der Pfarreien er den Gottesdienst besuchen oder weitere Leistungen in Anspruch nehmen möchte. Da jede Person nach den eigenen Präferenzen auswählen kann, werden die verschiedenen Pfarreileitungen bemüht sein, durch gute Leistungen zumindest die eigenen Pfarreiangehörigen zu binden.
 
 

6.3. Wettbewerb

Um das Hauptziel jedes FOCUS, eine Leistung effizient und bedürfnisorientiert zu erbringen, erreichen zu können, muss der Wettbewerb einerseits zwischen den FOCJ und andererseits innerhalb jedes FOCUS spielen. Der marktähnliche Wettbewerb um einzelne Gläubige oder alle Gläubigen einer Einwohnergemeinde mit der selben Konfession ist wegen der nur teilweisen funktionalen Überlappung lediglich beschränkt vorhanden.

Immerhin besteht die Möglichkeit eines Ein- oder Austritts ohne Wohnortwechsel. Der Eintritt ist meist mit einem Preis verbunden, einem Aufnahmeverfahren zur jeweiligen Religion. Dies muss in den meisten Landeskirchen durch eine schriftliche Erklärung des Mitglieds, einer anschliessenden Genehmigung durch den Pfarrer und einer Taufzere-monie erfolgen. Der nicht materielle Eintrittspreis, das Aufnahmeverfahren zur Religion, dient nicht zum Abschöpfen von Konsumentenrenten. Er kann jedoch zu einer höheren Identifikation mit der Körperschaft führen. Damit würde eine gesteigerte intrinsische Motivation des Individuums entstehen, die sich auf die aktive Teilnahme am laufenden politischen Prozess der Organisation auswirken müsste. Die Präferenzen würden dadurch stärker geäussert, was zu einer höheren Qualität der Leistung der Körperschaft führte und damit verbunden zu mehr Mitgliedern. Wie stark dieser Effekt jedoch tatsäch-lich existiert, ist empirisch schwierig nachzuweisen (Wohlfahrtstätter 1996).

Der Austritt kann jederzeit durch eine schriftliche Erklärung gegeben werden. Eine Steuervergütung ist allerdings nicht vorgesehen.

Kaum eine Rolle spielt bei den Kirchgemeinden das Marktinstrument des Preises in Form der Kirchensteuer. Einzelne Austretende mögen diesen Schritt zwar damit be-gründen, dass sie die Steuer nicht mehr zu zahlen gewillt sind. Ihr Nutzen der Mitglied-schaft bei einer Kirchgemeinde ist also kleiner als die Kosten. Ein Wechsel zwischen den Konfessionen aufgrund von Preismotiven scheint dagegen eher unwahrscheinlich. Ein Preiswettbewerb kommt also nicht zustande, zumal ein Preisvergleich wegen der unterschiedlichen Leistungen nicht möglich ist.

Der politische Wettbewerb innerhalb der einzelnen Kirchgemeinden ist durch das umfassende direkt-demokratische Instrumentarium gegeben. Durch den Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft sind die Kirchgemeinden demokratisch organisiert. Die Mitglieder bilden das oberste Organ, die Gemeindeversammlung. Die Stimm- und Wahlbeteiligung von ausländischen Mitgliedern ist dabei unterschiedlich geregelt (Schweizer Lexikon 1992, Band 3, 838). Die Wahl der Geistlichen und der Kirchenpflege (die Exekutive wird je nach Kirche anders genannt) sowie die Genehmigung der Rech-nung, des Steuerfusses und des Budgets erfolgen über die Gemeindeversammlung oder teilweise an der Urne (je nach Statuten).
 
 

6.4. Jurisdiktionen

Die Kirchgemeinden sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben befugt, Steuern und Abgaben zu erheben, was meist bereits in den Kantonsverfassungen festgehalten wird. Im Kanton Solothurn beispielsweise sind die öffentlich-rechtlichen Kirchgemeinden diesbezüglich den Einwohnergemeinden gleichgestellt (Verfassung des Kantons Solothurn 1986, Art. 131).

Kirchgemeinden besitzen also eine Steuerhoheit, jedoch nur eine beschränkte Zwangs-gewalt, da der Beitritt zu einer Körperschaft freiwillig ist. Tritt ein Individuum jedoch einer Religionsgemeinschaft bei, so ist es verpflichtet, in derjenigen Kirchgemeinde seiner Konfession Mitglied zu werden, die auf seinem Wohngebiet liegt. Es kann also von einer Zwangsgewalt in abgeschwächter Form auf territorialer Grundlage bei einem Beitritt gesprochen werden.

Weil der Beitritt freiwillig ist und ohne diesen keine Zwangsgewalt vorliegt, kommt es zu Marktversagen in Form des Trittbrettfahrerproblems. Viele Leistungen (Gottesdienste, Segnungen, kulturelle Veranstaltungen) können kostenlos in Anspruch genommen werden, ohne dass der Empfänger Angehöriger einer Kirchgemeinde zu sein braucht. Im Extremfall lockt eine Pfarrei durch ein vielfältiges und hochstehendes Angebot viele Trittbrettfahrer an. Ökonomisch betrachtet muss dies als unhaltbarer Zustand gewertet werden, weil die Kosten der Gemeinde nicht abgegolten werden. In der Praxis wird dies allerdings seltener der Fall sein, weil die meisten Nichtmitglieder von Kirchgemeinden höchstens am Empfang von Sakramenten (Eheschliessung, Krankensalbung, Beerdigung etc.) interessiert sind. Diese erhalten sie aber nicht kostenlos, das Trittbrettfahrerproblem kommt dort nicht vor.

Dennoch können Kirchgemeinden wegen der unvollständigen Zwangsgewalt also nur beschränkt als Jurisdiktionen bezeichnet werden.
 
 

6.5. Synoden

Synoden sind ein freiwilliger Zusammenschluss von Kirchgemeinden. Man könnte sie als Kirchgemeindeverbände bezeichnen. Sie sorgen für die allgemeinen Anliegen ihrer Religionsgemeinschaften und ordnen gemeinsame Belange der Kirchgemeinden (Verfassung des Kantons Solothurn 1986, Art. 56). Synoden entsprechen auf den ersten Blick dem Idealtyp eines FOCUS besser als Kirchgemeinden. Sie besitzen die Möglichkeit, ihre Ausdehnung unabhängig vom Territorium an die Erfordernisse einer Leistungserbringung frei anzupassen und schliessen sich so zusammen, dass eine effiziente Zusammenarbeit möglich wird. Scheint dies nicht mehr der Fall zu sein, so kann eine Umformung vorgenommen werden, was die aktuellen Verhandlungen im Raum Bern-Solothurn-Oberaargau zeigen. Die Eintritts- und Austrittsoption ohne Wohnortswechsel ist also formal gegeben. Praktisch werden allerdings höchstens ganze Gebiete gemeinsam ihre Zugehörigkeit wechseln. Zudem besitzen die Synoden innerkonfessionell weder eine territoriale noch eine funktionale Öberlappung und der einzelne Gläubige ist stets in jene Synode eingebettet, der seine Kirchgemeinde angehört. Weiter besitzen die Synoden auch keine Steuerhoheit, sondern werden durch die Kirchgemeinden finanziert. Somit sind sie keine Jurisdiktionen.

Ebenso wie der marktmässige Wettbewerb durch die fehlende fuktionale Überlappung nur teilweise gegeben ist, kann durch die nur indirekt-demokratische Organisation der Synoden nicht von einem politischen Wettbewerb gesprochen werden, wie ihn das FOCJ-Konzept verlangt.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Synoden zwar den funktionalen Anforderungen eines FOCUS vollumfänglich entsprechen. Die anderen drei Hauptmerkmale erfüllen sie aber nicht.

 

7. Beurteilung

Damit das Konzept der FOCJ richtig funktioniert, sind gemäss den vorgängigen Erläuterungen folgende Voraussetzungen nötig:

Kirchgemeinden erfüllen mehrere Voraussetzungen von FOCJ. Sie sind funktional, indem sie sich auf eine Aufgabe bzw. auf ein Aufgabengebiet konzentrieren, und weisen eine starke territoriale Überlappung auf.

Während der politische Wettbewerb innerhalb jedes FOCUS gewährleistet ist, kann von marktähnlichem Wettbewerb zwischen den FOCJ nur teilweise gesprochen werden, da die funktionale Überlappung fehlt.

Kirchgemeinden besitzen eine Steuerhoheit, aber nur eine beschränkte Zwangsgewalt und sind damit keine Jurisdiktionen.

Ob das Konzept der FOCJ sich in der Schweiz durchsetzen kann und rasche Verbrei-tung findet, wird in erster Linie davon abhängen, ob die Kantone die entsprechenden Gesetzesgrundlagen schaffen. Damit sie dies tun und die nötigen Verfassungsänderung vom Stimmvolk angenommen werden, muss das Konzept von der Bevölkerung in grossem Masse unterstützt werden. Dass dies zu erreichen in der Schweiz kurzfristig eher schwierig sein dürfte, dafür gibt es verschiedene Gründe. Unter anderem können die starke Verwurzelung der Schweizer Bevölkerung mit den Gemeinden der "alten" Form und die weitverbreitete Angst vor einer Übermacht der Verwaltenden und asymmetrischer Information genannt werden. Der Trend von Spezialgemeinden hin zu Einheitsgemeinden und das Verschwinden von FOCJ-ähnlichen Sonderformen wie etwa den Munizipalgemeinden im Kanton Thurgau deuten ebenfalls darauf hin, dass eine baldige Umsetzung des FOCJ-Konzeptes eher unwahrscheinlich ist.

Allerdings besteht durchaus die Möglichkeit, dass gerade Parteien der Mitte, welche sich als neue Reformparteien profilieren wollen, Konzepte wie das der FOCJ aufnehmen und sich für die Umsetzung stark machen. Gelingt es ihnen, das marktwirtschaftliche Instru-mentarium und die Effizienzvorteile der FOCJ dem Volk so schmackhaft zu machen, dass die rationalen Argumente gegen rein intuitive Ängste obsiegen, dann können sich FOCJ zu den Gemeinden von morgen entwickeln - und nur dann!
 
 

Literaturverzeichnis:

Eichenberger, Reiner (1996). Eine fünfte Freiheit für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch 'FOCJ'. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 1, S. 110-130.

Frey, Bruno and Reiner Eichenberger (1995). Competition among Jurisdictions: The Idea of FOCJ. In: Lüder Gerken (Hrsg.), Competition among Institutions, London, S. 209-229.

Ladner, Andreas (1991). Politische Gemeinden, kommunale Parteien und lokale Politik. Eine empirische Untersuchung in den Gemeinden der Schweiz. Zürich: Seismo.

Meyer, Hannes (1978). Wandlungen im Bestande der Gemeinden. Dissertation, Universität Zürich.

Schweizer Lexikon 91 (1992). Band 1-6. Verlag Schweizer Lexikon.

Staatslexikon Recht Wirtschaft Gesellschaft der Görres-Gesellschaft (1959). Freiburg: Herder.

Verfassung des Kantons Solothurn (1986)

Wohlfahrtstätter, Claudia (1996). FOCJ - eine Alternative zur bestehenden schweizerischen Gemeindegliederung. Diplomarbeit, Universität Zürich.