Institut für Politikwissenschaft - 22. Juni 2000
Proseminar Politische Parteien
Dr. Andreas Ladner
Vortragsunterlagen zu
Cadre, Catch-All or Cartel?
A
Comment on the Notion of the Cartel Party
von
Ruud Koole
(1996)
Francesco
Zanetti
Humboldtstrasse
19
3013 Bern
98-118-185
Einleitung
Biographie
Die Kartellpartei nach Katz und Mair
Die Kritikpunkte
Staat und Gesellschaft
Eine Kartell der Parteien?
Die einzelne Kartellpartei
Weg zu einem strukturierten Pluralismus der zeigenössischen Parteitypen
Schluss
Literatur
Einleitung
In
seiner Kritik am Parteityp der Kartellpartei von Katz und Mair beschäftigt
sich Ruud Koole sowohl mit der konzeptuellen Klarheit als auch mit der empirischen
Berechtigung des neuen Typs. Die Themen der Kritik sind die Beziehungen zwischen
Staat, Partei und Gesellschaft und die individuellen Merkmale einer Kartellpartei
und deren Wirkung. Am Schluss des Aufsatzes versucht der Autor dem Schema des
einzig zeitgemässen Parteityps auszubrechen und zu einem breiteren Verständnis
der Parteitypen zu kommen.
Ruud
Koole ist Dozent am Institut für Politikwissenschaften an der Universität
Leiden ich den Niederlanden. Seine Hauptbetätigungsfelder sind die Untersuchung
der niederländischen Politik und die vergleichende Politikforschung auf
dem Feld der Parteien. Er lehrt übrigens am selben Institut an dem auch
Mair tätig ist, den er in diesem Aufsatz so grundsätzlich kritisiert.
Die
Kartellpartei zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass die Parteien als ein
Teil des Staatsapperates angesehen werden können. Sie bilden mit gleichartigen
Parteien ein Kartell, um den Zutritt von anderen Kräften zu erschweren
und ihre Position und ihre Finanzquellen zu erhalten. Die Parteien sind weitgehend
von staatlicher Finanzierung abhängig, abhängig also mehr vom Staat
als von ihren Mitgliedern. Sie besitzen eine besondere Organsationsstruktur,
da ihre Verbindung zur Basis nur als Legitimationsgrund herhalten soll, und
nicht zur Ressourcenbeschaffung oder als ideologische Inputfunktion. Die Anstrengungen
im Parteienwettbewerb sind professionalisiert und weitgehend kapital- und nicht
arbeitsaufwendig. Die Mitgliedschaft ist atomisiert und ohne Macht, diese Mitglieder
stellen damit bei der formal gehaltenen Basisdemokratie auch nicht die Gefahr
dar, mit Widerworten die Politik der Parteiführung zu kritisieren. Es herrscht
Autonomie zwischen der nationalen und den lokalen Parteien. Politik wird verstanden
als Management und nicht zur Erreichung von sozialen Zielen, ihr einziges Ziel
ist es, an der Macht zu bleiben. Die Partei soll nicht ein Mittel der Gesellschaft
sein, um die Politik zu kontrollieren, sondern eine vom Staat der Gesellschaft
zur Verfügung gestellte Möglichkeit zur Meinungsauswahl, die jedoch
nur aus einem beschränkten Spektrum.
Die Kritik an der Konzeption der Kartellpartei begründet Koole folgendermassen:
Es fehlt eine klare Definition, Charakteristiken und empirische Belege werden vermischt. Die Definition der Kartellpartei erlaubt keine klare Abgrenzung, im Sinne eines klaren Unterscheidungsmerkmals wie zum Beispiel „die Partei ist zu mehr als 50% staatsfinanziert“. Viele der genannten Charakteristiken, wie etwa „Politik als Beruf, und nicht Berufung“, sind nicht auf den Typ der Kartellpartei beschränkt, damit können sie auch nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen.
Ausserdem werden Systemeigenschaften mit der Charakterisierung einzelner Parteien vermischt, Parteien müssen als solche betrachtet werden, die Bezüge zum Parteisystem sollten klar dargestellt werden. Nur weil einige Parteien ein Kartell bilden, wie dies empirisch gezeigt werden kann, muss dies noch lange nicht heissen, dass die einzelnen Parteien die dieses Kartell bilden, dem Typ der Kartellpartei entsprechen. Um ein Kartell genannt zu werden, müssen alle grossen Parteien, ähnlich dem Prinzip der Marktmacht betrachtet werden, und nicht nur jene, die an der Macht sind.
Abgesehen
von diesen zwei definitorischen Unklarheiten gliedert der Autor seine Kritik
in drei Bereiche: die Beziehung zwischen dem Staat, der Gesellschaft und den
Parteien, die Kartellpartei auf der Ebene des Parteisystems und die Eigenschaften
einer einzelnen Kartellpartei. Im letzten Abschnitt sucht er anstatt der evolutionären
Entwicklung der Kartellpartei durch eine breitere Betrachtung der Parteitypen
neue Erklärungsansätze.
Katz und Mair postulieren, dass Parteien sich von der Gesellschaft immer mehr in Richtung des Staates bewegen, um schlussendlich selbst ein Teil dieses Staates zu werden. Koole kritisiert hier, dass die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft immer mehr verschwommen sei durch die vermehrten Staatsinterventionen und dass die Zentralisierung der Macht abnimmt, wodurch ebenfalls die Identifikation des Staats und dessen Entscheide schwieriger wird.
Vor den neokorporatistischen Strömungen war man von einer klaren Aufgabenteilung der Parteien als zwischen dem Staat und den Interessengruppen vermittlend ausgegangen. Vermehrte Staatsintervention, Ausweitung der Staatskontrolle, auch trotzt neuster Dereglierungstendenzen machen aber diese Vermittlungsposition zu einem gewissen Teil obsolet.
Mit der Ausweitung des Wahlrechtes und vermehrte Staatsintervention wurde die Gesellschaft mehr und mehr vom Staat durchdrungen, so wurden zum Beispiel solidarisch organisierten Bereichen wie Krankenhäusern oder Schulen vom Staat übernommen, finanziert oder in Regie geführt. Diese vermehrten Staatsinterventionen rächten sich, mit den ökonomischen Krisen der 70er Jahre wurde der omnipräsente Staat für diese Schwierigkeiten verantwortlich gemacht, die Politik schien versagt zu haben. Da viele Leute inzwischen vom Staat abhängig waren, sei es als Beamte oder durch Erlaubnisverfahren für ihre Tätigkeiten, setzten neue Parteien die Hoffnung auf eine Beschränkung des Staates. Das Ziel dieser Parteien war es also nicht mehr, die Staatsmacht zu erreichen, sondern die Politik als solches zu auseinandernehmen.
Nicht nur die etablierten Parteien waren davon betroffen, auch Interessenorganisationen. Als legal anerkannt, wurden diese Institutionen oft von Staat finanziert, Funktionen des Staates wurden an sie delegiert.
Im Gegensatz zu Katz und Mair zeichnet Koole das Bild der Beziehung von Staat und Gesellschaft etwas anders nach. Er sieht die Parteien in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht als Brücke zwischen der Gesellschaft und dem Staat, sondern als Bündelungsmechanismus der aggregierten Interessen. Schon zu dieser Zeit hat sich der Staat mit Gesetzen zur sozialen Sicherung in eine erste Ausweitungsphase begeben, womit sich der Staat mit der Gesellschaft zu überlappen beginnt. Während diese Tendenz sich weiter fortsetzte, hatten die Parteien mit dem Problem des Mitgliederschwundes zu kämpfen. Der neue Wohlfahrtsstaat ermöglichte den Menschen unabhängig von ihren schichtspezifischen Solidaritätseinrichtungen ein gesichertes Leben, ihre Beziehungen zu den integratien Parteien und damit die finanzielle und personelle Ausstattung der Parteien schwand. Der individualisierte Bürger konnte seine Interessen nun auch durch Interessengruppen in die Politik einbringen, die Bedeutung der Partei als einziges Mittel zur Durchsetzung der Interessen verlor an Bedeutung. Im Unterschied zu Katz und Mair sieht Koole die heutige Situation dadurch ausgezeichnet, dass nicht nur sich der Staat und die Gesellschaft zu einem hohen Grade überlappen, sondern dass auch die Parteien weniger Raum einnehmen als früher, einzig ihre Funktion der Rekrutierung des Politikpersonals hat sie aber weiterhin aufrechterhalten können.
Die
Ausweitung der Staatstätigkeit hat zur Folge, dass nur noch schwerlich
von einem Zentrum der Machtausübung beim Staat gesprochen werden kann.
Vielerelei Körperschaften nehmen heutzutage staatliche oder halbstaatliche
Regulierungsaufgaben wahr, oft so unabhängig, dass ihre Kontrolle durch
den Staat schwierig wird. Wenn das Ziel einer Partei aber die Besetzung des
Machtzentrums ist, welche Bedeutung kommt der Partei zu, wenn es kein solches
Zentrum mehr gibt? Wenn sich Staat und Gesellschaft weitgehend überlappen
und wenn es kein eindeutig eruierbares Machtzentrum gibt, welchen Sinn macht
dann noch eine Überlegung, wie dass die Parteien immer mehr vom Staat vereinnahmt
würden? Dem Staat zuzuschreiben als eine monolithische Macht zu agieren,
kann unter diese Umständen nicht gesagt werden. Die unwichtiger werdenden
Parteien bewegen sich also auf einen dezentralisierten Staatsapperat zu, eine
Aussage die wenig Sinn macht, die Parteien erreichen in der Währung Macht
gerechnet immer weniger.
Die Kartellpartei besitzt grosse Ähnlichkeiten zur Konsensdemokratie oder der entpolitisierten Demokratie. Nicht die Zusammenarbeit der Parteien wird bei Katz und Mair herausgestrichen, sondern die Ressourcenausstattung durch den Staat. Zusammenarbeit zwischen Parteien zum Auschluss von Aussenseitern hat es schon früher gegeben. Auch die Finanzierung von Parteien existiert auch in nicht Kartell- oder Konsenssystemen. Die einzig neue Idee ist also die grosse Abhängigkeit der Parteien vom Staat, den sie ja selbst kontrollieren und sich so aus der Staatskasse bedienen können, damit nicht mehr von ihrer Parteibasis abhängig sind.
Wenn es denn diesen neuen Parteityp geben sollte, sollte man fragen, wie erfolgreich er denn ist? Hat die Funktion des Ausschlusses neuer Parteien funktioniert? Nein, neue Parteien sind immer wieder zu Wichtigkeit aufgestiegen, so zum Beispiel die Grünen in Deutschland. Durch die gesteigerte Volatilität haben mehr denn je neue Parteien Chancen ins Parlament zu kommen. Zudem sind Hürden wie die Fünf-Prozent-Schranke für den Einzug ins Parlament nicht erst seit den Zeiten vorhanden, zu denen Katz und Mair das Aufkommen der Kartellpartei postulieren. Auch ist keine Abschwächung der Heftigkeit der Kampagnen der Parteien bemerkbar, im Gegenteil setzen die Parteien immer mehr Ressourcen ein, um ihre Wählerbasis auszuweiten, der Wettbewerb wird härter, ein weiteres Argument gegen ein effektiv funktionierendes Kartell.
Abschliessend
lässt sich sagen, falls tatsächlich Kartelle existieren, sind sie
nicht besonders erfolgreich, damit ist ihre Existenz aber kaum ein neues Phänomen.
Drei Eigenschaften, die Katz und Mair dem Typ der Kartellpartei zuschreiben, kritisiert Koole:
1. Wenn die Parteien durch die staatliche Finanzierung ihre Position erhalten können, muss dies nicht heissen, dass das Partiensystem in dieser Form erstarrt. Die Parteifinanzierung ist in verschiedenen Ländern untscheidlich geregelt: Einige Länder bevorzugen die stärkere Betonung der starken Parteien, während andere explizit kleine Parteien unterstützen, oft auch ohne dass die je bei einer Wahl erfolgreich wären.
2. Die postulierte Unabhängigkeit der nationalen Partieebene von der lokalen Parteiebene. Die oberste Parteiebene versucht mehr und mehr, sich durch Mitgliederbefragungen Legitimität zu verleihen. Mit diesem Vorgehen werden die mittleren und unteren Ebenen der Parteiführung übergangen. Die lokale Parteiführung sollte dies akzeptieren, da sie autonom über lokale Begebenheiten entscheiden kann. Dies wirft zwei Fragen auf: Gerade weil lokale Wahlen oft durch das momentan national geltende Image der Partei bestimmt werden, kann es den lokalen Parteiführern nicht egal sein, was die nationale Partei so treibt. Sie wird deswegen versuchen, Einfluss auszuüben. Die andere Frage wäre: Anstatt einem Modell der Hierarchie wäre ein Modell des Föderalismus angebrachter, um die Beziehungen zwischen den lokalen und nationalen Parteiführungen zu beschreiben. Zwar hat die obere Schicht keinen Einfluss auf die lokale Politik, die untere Schicht kann aber geeint die obere Schicht beeinflussen, zudem ist die oberste Ebene zu einem guten Teil aus Delegierten der lokalen Parteien zusammengesetzt.
3.
Der Zugang zu den Medien sei den grossen Parteien vorbehalten. Aber, viele Länder
kennen Regelungen, wonach jede Partei, ob sie im Parlement ist oder nicht, gleichviel
Zeit im Fernsehen kriegt. Zudem wurden die unabhängigen Medien nicht betrachtet.
Wenn die zunehmende Durchdringung von Staat und Partei akzeptiert wird, muss
die Rolle der unabhängigen Medien betrachtete werden. Zugang zu Staatsressourcen
gibt keine Möglichkeit zum Zugang zu den Massenmedien. Massenmedien besitzen
immer mehr politische Macht, ohne dass sie kontrolliert würden. Die Ansicht
der Kartellpartei ist im staatszentrierten Blick gefangen, in Realität
ist die Macht inzwischen stark denzentralisiert und nicht mehr im Staatsapparat
konzentriert.
Hier setzt die Kritik an der evolutonären These an, dass die Kartellpartei die vierte Form der Partei sei, entstanden im zeitgeschichtlichen Verlauf. Die Idee war, dass gewisse Parteitypen zu gewissen Zeiten bessere Chancen im Wettbewerb hätten, alle anderen Parteien würden daneben als Abarten davon angesehen. Dagegen versucht Koole die These zu vertreten, zur weitere Erforschung der Parteien verschiedene Typen zuzulassen. Anstatt die Existenz eines Idealtypus der Partei der Zeit zu postulieren, sollte erforscht werden, warum ein gewisser Parteityp zu gewissen Zeiten eben diese Veränderungen durchgemacht hat und zu einem anderen wird. Eine engere Verknüpfung zum Beispiel der Partei und des Staates kann unterschiedliche Auswirkungen haben, abhängig vom Wahlsystem, dem Mediensystem und der Geschichte des Landes. So könnten zum Beispiel europäische Staaten mit totalitären Regimes in diesem Jahrhundert andere Formen entwickeln als Staaten, die keine solche Geschichte haben. Das Ziel wäre es, die Verwandlungen der Parteien von einem Typ zu einem andere zu erklären, in Anbetracht der spezifischen Situation des Landes und dessen Geschichte.
Koole
meint, Katz und Mair hätten ihr Konzept besser damit erklärt, dass
sie die Kräfte erläutert hätten, die Kartellparteien erzeugen,
warum diese in gewissen Ländern entstehen und in gewissen nicht, oder warum
gewisse Parteien dieses Etikett tragen während andere nicht. Eine solche
Übersicht über Parteitypen würde somit enthalten: verschiedene
Parteitypen und daraus ableitbar Theorien, warum sich der eine Parteityp zu
einem anderen wandelt. Die Existenz eines idealen Parteityps einer bestimmten
Zeitspanne sollte zu Gunsten einer breiteren Sicht auf Parteitypen aufgegeben
werden.
An
verschiedenen Stellen kritisiert Koole die Arbeit von Katz und Mair aus einem
Blickpunkt des genauer Hinschauens, er bemerkt dass allgemein zugeschriebene
Eigenschaften des Kartellparteityps je nach den spezifischen Gegebenheiten in
den Ländern betrachtet werden sollten. Diese Kritik ist sicherlich berechtigt,
Katz und Mair sprechen oft nur einzelne passende Beispiele zur Stützung
ihrer Theorie an, merken aber an anderer Stelle an, dass die neue Idee noch
nicht zur Genüge geprüft sei. Auch die Idee, dass die Parteiforschung
von verschiedenen Grundtypen ausgehen sollte, ist kurz von Katz und Mair angetönt
worden. Der Beitrag scheint zwar kein gutes Haar am Konzept der Kartellpartei
zu lassen, sie ist auch in ihrere Neuartigkeit auch zweifelhaft, die grundsätzliche
Ausrichtung der Parteiforschungsbemühungen ist aber in beiden Arbeiten
ähnlich.
Katz/Mair 1995: Party Organization, Party Democracy, and the Emergence
of the Cartel Party
Ruud Koole: http://www.fsw.leidenuniv.nl/www/w3_pol/Medewerk/Medewrks/Koole/Koole.htm