Die Gemeinden an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit?

 

Dr. Andreas Ladner, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern

Schriftliche Fassung des Vortrags für die 47. Generalversammlung des Schweizerischen Gemeindeverbands vom 16. Juni 2000 im Schützen- und Gesellschaftshaus in Glarus.

 

1. Leistungsgrenzen und Leistungsfähigkeit

Die Gemeinden waren ursprünglich vor allem für die Nutzung der gemeinsamen Güter und für die Armenfürsorge verantwortlich. Die Einnahmen bezogen sie in Form von naturalen Gütern und Frondiensten. Im Laufe der Zeit sind ihnen immer mehr Aufgaben zugefallen. Neben den Gemeinschaftsdiensten, wie der Aufrechterhaltung der lokalen öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Einwohnerkontrolle, der Durchführung von Wahlen und Abstimmungen sowie Volkszählungen, sind dies eine ganze Reihe von wichtigen Ver- und Entsorgungsdiensten (Wasser, Elektrizität, Gas, Kehricht und Abwasser) sowie der ausgedehnte Bereich der sozialen Wohlfahrt, der Bau und Unterhalt von Strassen und vereinzelt der Unterhalt eines öffentlichen Verkehrsnetzes, die Gesundheitsdienste, Bildung, Kultur und Freizeit.

Der starke Ausbau öffentlicher Einrichtungen und Institutionen (Schulen, Wasserversorgungen, Abwasserreinigungen) während der Hochkonjunktur in den späten 1950er- und 1960er-Jahren hat zu einer zunehmenden Bedeutung von Verwaltungs- und Managementtätigkeiten geführt. Komplexe und immer kostspieligere öffentliche Projekte und zunehmende Auflagen (Raumplanung, Umweltschutz) führten zu einem gesteigerten Bedarf an Expertenwissen. 

Aber nicht nur die fachlichen, sondern auch die politischen Anforderungen an die Gemeinden haben in den letzten Jahren zugenommen. Im Gegensatz zu den Entscheidungsproblemen in der Auf- und Ausbauphase der Gemeinden stehen in den 1980er- und 1990er-Jahren Fragen zur Diskussion, die weniger auf einer rein technischen oder sachlichen Ebene als viel mehr auf der Basis von gesellschaftlichen Wertvorstellungen entschieden werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es leicht nachvollziehbar, dass die Schweizer Gemeinden heute an ihre Leistungsgrenzen zu stossen. 

Dank der Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds konnten - das erste Mal am Soziologischen Institut der Universität Zürich, das zweite Mal am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern - die Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber sämtlicher Schweizer Gemeinden in den Jahren 1994 und 1998 schriftlich zu ihrer Belastung durch die verschiedenen Aufgabenbereiche befragt werden. 

Gemäss ihren Aussagen machen (oder machten) den Gemeinden vor allem die Bereiche Neue Armut/Fürsorge“ und Arbeitslosigkeit“ zu schaffen (vgl. Tabelle 1). In diesen Bereichen gibt jede dritte Gemeinde an, die Leistungsgrenzen erreicht zu haben. Beide Bereiche sind allerdings verhältnismässig stark mit der wirtschaftlichen Konjunkturlage verknüpft und es ist davon auszugehen, dass der wirtschaftlicher Aufschwung zumindest teilweise für Entspannung sorgt. Auffallend ist, dass bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit im Vergleich zu 1994 kein weiterer Anstieg des Anteils an Gemeinden mit Leistungsgrenzen stattgefunden hat, während sich die Situation bei den Fürsorgefällen noch etwas verschärft hat. Dies kann darauf hinweisen, dass die Einführung der regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zur Entlastung der Gemeinden beigetragen hat. Zudem begann sich während der Erhebungsphase auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit bemerkbar zu machen. 

Auffallend ist weiter, dass sich die Probleme, die vor allem zu Beginn der 1990er-Jahre akut waren, zumindest teilweise stabilisiert haben: Keine Zunahme oder gar eine gewisse Entlastung hat in den Bereichen Abfall/Entsorgung, Umweltschutz, Raum- und Zonenplanung und Bewilligung von Baugesuchen stattgefunden, welche noch vor vier Jahren zu den wichtigsten Problemen der Gemeinden zählten. 

Allerdings sind neue Probleme dazugekommen. Verstärkt stossen die Gemeinden vor allem bei der Integration von Ausländern und bei der Betreuung von Asylsuchenden, beim Zivilschutz sowie beim Sport und den Sportanlagen an Leistungsgrenzen.Auffallend sind schliesslich auch die Leistungsgrenzen, was die Gemeindeexekutive anbelangt, wobei die diesbezüglichen Schwierigkeiten sowohl das Auffinden von genügend qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten als auch die Fähigkeit zur politischen Steuerung betreffen.

Tabelle1:Leistungsgrenzen bei der Erfüllung kommunaler Aufgaben erreicht oder überschritten, Gemeinden, die 1994 und 1998 an der Befragung teilgenommen haben
 

Aufgabenbereich
Leistungs-grenzen erreicht und überschritten 1994 (in %)
Leistungs-grenzen erreicht und überschritten 1998(in %)
Veränderung
N**
Neue Armut/Fürsorgefälle/Vormundschaftsfälle 
24,5
32,4
7,9
1677
Unterstützung und Betreuung von Arbeitslosen
31,0
31,0
0,0
1670
Gemeindeexekutive
*
27,3
1835
Betreuung von Asylsuchenden
15,4
26,6
11,2
1628
Zivilschutz
13,6
24,0
10,4
1673
Abfall/Entsorgung
25,7
23,5
-2,2
1701
öffentlicher Verkehr
12,7
21,8
9,1
1650
Raum- und Zonenplanung
23,2
21,1
-2,1
1692
Gemeindepolizeiliche Aufgaben
*
20,9
1835
Gemeindeverwaltung Informatik
*
20,9
1835
Abwasser/Kanalisation
17,4
20,8
3,4
1689
Schulfragen
15,3
20,6
5,3
1661
öffentliche Bauten
15,3
20,6
5,3
1680
Feuerwehr
*
20,5
1835
Landschafts- und Ortsbildschutz
17,4
20,2
2,8
1686
Sport/Sportanlagen
10,0
20,0
10,0
1647
Gemeindeverwaltung: Kanzlei
*
19,7
1835
privater Verkehr
11,9
19,3
7,4
1668
Bewilligung von Baugesuchen
21,4
19,2
-2,2
1699
Unterstützung und Betreuung älterer Personen
10,7
18,7
8,0
1687
Umweltschutz
19,4
18,7
-0,7
1686
Wasserversorgung
13,4
18,4
5,0
1668
Betreuung von Drogenabhängigen 
14,5
18,2
3,7
1652
Gemeindeverwaltung: Rechnungswesen
*
18,2
1835
Gemeindeverwaltung: Personalmanagement
*
17,7
1835
Integration von Ausländern
7,0
17,6
10,6
1660
Gemeindeverwaltung: Einwohnerkontrolle
*
17,4
1835
medizinische Versorgung
10,0
16,4
6,4
1649
Jugendfragen
5,9
15,6
9,7
1667
Wirtschaftsförderung
9,1
14,7
5,6
1626
Energieversorgung
*
13,5
1835
kulturelle Veranstaltungen/Kulturfragen
6,2
11,7
5,5
1659

* Item wurde nicht abgefragt

** Anzahl Gemeinden, die diese Frage 1994 und 1998 beantwortet haben

Von Interesse ist, welche Gemeinden an Leistungsgrenzen stossen. In der Regel wird davon ausgegangen, dass vor allem die kleinen Gemeinden nicht mehr in der Lage sind, die ihnen zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Entsprechend wäre zu erwarten, dass vor allem die Gemeindeschreiber aus den Kleinstgemeinden angeben, die Leistungsgrenzen erreicht zu haben. Bekannt ist zudem, dass in den letzten Jahren auch die Städte, von finanziellen Sorgen geplagt, vermehrt Schwierigkeiten haben, die wachsende Problemlast (A-Probleme) zu bewältigen. Der Zusammenhang zwischen dem Ausmass der Leistungsgrenzen und der Gemeindegrösse müsste sich in Form einer U-Kurve manifestieren: Leistungsgrenzen in kleinen Gemeinden und in Städten, weniger Probleme in den mittelgrossen Gemeinden. 

Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, ist - zumindest bezogen auf die durchschnittliche Einschätzung der Leistungsgrenzen über alle Aufgabenbereiche hinweg (Leistungsgrenzenindex) - von einem U-förmigen Verlauf wenig zu sehen. Allerdings trifft es zu, dass die grossen Gemeinden etwas häufiger an Leistungsgrenzen stossen.

Abbildung1:Leistungsgrenzenindex, nach Gemeindegrösse

 

Finanzen

Eine wichtige Rolle spielen die Finanzen. Die finanzielle Lage der öffentlichen Hand hat sich in den 1990er-Jahren stark verschlechtert. In besonderem Mass davon betroffen waren der Bund und die Kantone. Die konsolidierten Finanzhaushalte aller drei politischen Ebenen verzeichneten beispielsweise 1999 gemäss Voranschlag einen Ausgabenüberschuss von 7,4 Mrd. Franken. Bei den Gemeinden belief sich dabei das Defizit lediglich auf 0,5 Mrd. Franken (vgl. EFV 2000a: Internet). Die Schulden der Schweizer Gemeinden beliefen sich 1999 nach Schätzung der Eidgenössischen Finanzverwaltung auf 38,8 Mia. Franken bei Gesamtschulden des Staates von 212,1 Mia. Franken (vgl. EFV 2000b: Internet). Dieser verhältnismässig geringe Anteil der Gemeinden an der Gesamtschuld darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den Gemeinden grosse Unterschiede bestehen. Stark verschuldet sind vor allem die Städte, während die umliegenden Gemeinden häufig bei einem deutlich tieferen Steuersatz keine wesentliche Schuldenlast ausweisen. Insgesamt präsentieren rund zwei Drittel der Gemeinden im Durchschnitt der letzten drei Jahre ausgeglichene Rechnungsabschlüsse oder solche mit einem Ertragsüberschuss.

Die wirtschaftlich harten 1990er Jahre haben aber trotz allem auch bei den Gemeinden zu Problemen geführt, wie die Veränderung des realen Ertrags aus Einkommens- und Vermögenssteuern zeigt. Während 1994 noch eine Mehrheit (gegen 90 Prozent) der Gemeinden angab, dass der reale Ertrag zugenommen hat, waren es 1998 nur noch etwas weniger als die Hälfte (vgl. Tabelle 2).

Tabelle2:Veränderung des realen Ertrags aus der Einkommens- und Vermögenssteuer in den letzten 3 Jahren, Befragungen von 1994 und 1998 im Vergleich
 

Realer Ertrag aus der Einkommens- und Vermögenssteuer

(nur Gemeinden, die an beiden Befragungen teilgenommen haben)

Anzahl 1998
In Prozent 1998
Anzahl 1994
In Prozent 1994
stark zuge­nommen
30
1,8
250
14,9
zuge­nommen
756
45,1
1211
72,3
gleichge­blieben
360
21,5
126
7,5
abge­nommen
434
25,9
77
4,6
stark abge­nommen
96
5,7
12
0,7
Alle Gemeinden
1676
100,0
1676
100,0

Für die Mehrheit der Gemeinden kann kaum davon ausgegangen werden, dass die mehr oder weniger befriedigende finanzielle Lage auf kontinuierliche Steuererhöhungen zurückzuführen ist. In jüngster Zeit haben sich die kommunalen Steuerfüsse stabilisiert. 1994 verteilten sich die Gemeinden, in welchen der Steuerfuss gestiegen, gleichgeblieben oder gesunken ist, relativ gleichmässig auf drei Gruppen. Vier Jahre später geben fast zwei Drittel der Gemeinden an, dass der Steuerfuss seit 1994 gleichgeblieben ist (vgl. Tabelle 3).

Tabelle3:Veränderung des Steuerfusses, 1994 und 1998 im Vergleich
 

Steuerfuss im Vergleich früher 

(nur Gemeinden, die an beiden Befragungen teilgenommen haben)

Anzahl 1998
In Prozent 1998
Anzahl 1994
In Prozent 1994
Gestiegen
337
19,1
572
32,4
Gleichgeblieben
1114
63,2
652
37,0
Gesunken
312
17,7
539
30,6
Alle Gemeinden
1763
100,0
1763
100,0

Personalrekrutierung

Durch die Vielzahl an Gemeinden ist in der Schweiz der Bedarf an Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern ausgesprochen gross. In den knapp 3000 Gemeinden finden sich rund 17500 Mitglieder einer kommunalen Exekutive und rund 17500 kommunale Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dazu kommt ein Vielfaches an Personen, die in die verschiedensten Kommissionen Einsitz nehmen, so dass in kleineren Gemeinden nicht selten ein Fünftel der Stimmberechtigten ein politisches Amt inne hat. Insgesamt kann gemäss den Angaben der Gemeindeschreiber davon ausgegangen werden, dass rund 150000 Personen in den Gemeinden ein politisches Amt ausüben.

Wie aus Tabelle 4 hervorgeht, steigt die durchschnittliche Anzahl Personen, die in einer Gemeinde ein politische Amt wahrnehmen, von etwas mehr als 15 mit zunehmender Gemeindegrösse auf rund 120 Personen an und geht erst ab 20000 Einwohner wieder leicht zurück. Der durchschnittliche Anteil der Amtsträger an der Einwohnerschaft geht demgegenüber kontinuierlich zurück. In den kleinsten Gemeinden liegt er bei über 10 Prozent, in den grössten Gemeinden beträgt er nicht einmal mehr ein halbes Prozent.

Tabelle4: Anzahl Amtsinhaber und Anteil Amtsinhaber, nach Gemeindegrösse
 

Gemeindegrösse
durchschnittliche Anzahl Personen mit einem 

politischen Amt

durchschnittlicher Prozentanteil Amtsinhaber an der 

Einwohnerschaft

antwortende Gemeinden (N)
-249
16
12,5
186
250-499
25
6,8
196
500-999
34
4,8
269
1000-1999
44
3,2
308
2000-4999
69
2,3
296
5000-9999
97
1,5
106
10000-19999
119
0,9
56
20000-
105
0,3
15
Alle Gemeinden
48
4,7
1432

Gesamtschweizerisch geben rund zwei Drittel der Gemeinden an, dass es in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, für vakante Ämter der Gemeindeexekutive genügend qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten zu finden (vgl. Tabelle 5). Der Vergleich mit den Angaben von 1994 zeigt, dass die Personalsituation schon seit längerem angespannt ist und dass die Rekrutierung nicht erst in den letzten zwei, drei Jahren zum Problem geworden ist. Aus der Tabelle geht weiter hervor, dass die mittleren Gemeindegrössenkategorien noch etwas grössere Rekrutierungsprobleme haben als die kleinen Gemeinden und die Städte. Dies mag damit zusammenhängen, dass gerade hier die Arbeitlast besonders gross ist. Mit zunehmender Gemeindegrösse steigt zudem die Anonymität, und es fällt den Leuten vermutlich einfacher, sich einem politischen Engagement zu entziehen. In den sehr grossen Gemeinden und in den Städten werden die Ämter wieder attraktiver. Prestige, Macht und mit dem Amt verbundene finanzielle Anreize dürften dafür verantwortlich sein, dass dort deutlich weniger Rekrutierungsprobleme bestehen. In diesen Gemeinden hat sich 1998 im Vergleich zu 1994 die Situation sogar deutlich entspannt.

Tabelle 5: Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Kandidatinnen und Kandidaten für die Gemeindeexekutive (nur Gemeinden, die 1994 und 1998 an beiden Befragungen teilgenommen haben), nach Gemeindegrösse
 

Gemeindegrösse

1998 in Prozent
1994 in Prozent
N
-249
60,3
61,3
300
250-499
63,9
61,1
288
500-999
69,7
68,2
337
1000-1999
67,6
67,3
324
2000-4999
68,1
75,9
320
5000-9999
69,1
68,2
110
10000-19999
62,9
58,1
62
20000-
30,0
55,0
20
Alle Gemeinden
65,8
66,6
1761

Die Themenbereiche Leistungsgrenzen, Finanzen und Personalangebot zeigen die aktuellen Probleme in den Gemeinden auf. Die Frage ist allerdings, wie dramatisch sich die Situation in den Gemeinden wirklich gestaltet. Die Wissenschaft hat die Aufgabe kritisch zu sein, auch mit ihren eigenen Ergebnissen. Haben die Gemeinden nicht ein Interesse daran, ihre Lage etwas zu übertreiben, um sich beispielsweise vor weiteren Übergriffen des Kantons zu schützen? Fragen wir nach umgekehrt nach der Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbsstärke der Gemeinden, so wird das Bild deutlich positiver.

Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsstärke

Mehr als 80 Prozent der Gemeinden schätzen beispielsweise die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsstärke ihrer Gemeinde hinsichtlich der Kundenfreundlichkeit als hoch oder gar als sehr hoch ein, und rund 70 Prozent tun dies hinsichtlich der Qualität der Leistungen (vgl. Abbildung 2). Auch wenn die Gemeindeschreiber bei der Beantwortung dieser Fragen nicht ganz unbefangen sein mögen, so können diese Anteile doch als hoch gewertet werden. In eine ganz ähnliche Richtung deuten übrigens auch Umfragen bei den Bürgerinnen und Bürgern. So hat beispielsweise eine, allerdings bereits 1993 durchgeführte, Univox-Erhebung ergeben, dass die Schweizerinnen und Schweizer im Umgang mit der Gemeindeverwaltung bessere Erfahrungen machen als mit anderen staatlichen Stellen.

Probleme orten die Gemeindeschreiber vor allem bei der finanziellen Situation der Gemeinde: Bei rund 30 Prozent der Gemeinden wird die Leistungsfähigkeit in finanzieller Hinsicht als tief bezeichnet. Allerdings beurteilen auch hier fast 30 Prozent die diesbezügliche Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsstärke ihrer Gemeinde als hoch oder gar sehr hoch.

Abbildung2: Leistungsfähigkeit der eigenen Gemeinde, gemäss Gemeindeschreiber/in

N: 2230 bis 2396

2. Gemeinden und Reformen

Wie reagieren die Gemeinden auf die steigenden Anforderungen? In den 1990er Jahren hat in den Schweizer Gemeinden eine eigentliche Reformbewegung eingesetzt. Neben vielen zahlreichen kleineren Reformen, die sich vor allem mit dem politischen System der Gemeinde befassen (Wahlverfahren, Exekutivgrösse, Kompetenzordnung usw.) stehen vier Themenbereiche im Vordergrund: 

- Aufgabenteilung Kanton - Gemeinden

- Neugestaltung und Intensivierung der interkommunalen Zusammenarbeit

- Gemeindefusionen 

- New Public Management.

Auf die Aufgabenteilung, das vermutlich zentralste und folgenreichste Unterfangen, werde ich hier nur am Rande eingehen, weil die Kantone ja nicht vertreten sind. Betrachten wir zuerst die "kleineren" Reformbestrebungen (vgl. Abbildung 3).

Den Gemeindeschreibern wurde in unserer Befragung eine Liste mit 24 Reformen der politischen und administrativen Organisation der Gemeinde vorgegeben. Gefragt wurde, welche dieser Reformen in den letzten 10 Jahren erfolgreich durchgeführt respektive ohne Erfolg unternommen wurden.

Abbildung 3: Geplante und durchgeführte Reformen in den letzten 10 Jahren

Eine überwiegende Mehrheit der Gemeinden hat mindestens einen der 24 Reformschritte eingeleitet, lediglich rund 13 Prozent der Gemeinden (ca. 300 Gemeinden) gaben an, keine dieser Reformen unternommen zu haben. Im Durchschnitt haben die Gemeinden gegen 3 der aufgeführten Reformschritte in den letzten 10 Jahren erfolgreich durchgeführt. Auffallend ist, dass Versuche ohne Erfolg sehr viel seltener sind als erfolgreiche Reformversuche.

Am häufigsten (in mehr als 60 Prozent der Gemeinden) wurde die Entschädigung für die Exekutivmitglieder erhöht. Diese Massnahme ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Anforderungen an die Exekutivmitglieder sowie den steigenden Schwierigkeiten, für diese Ämter geeignete Kandidaten zu finden, durchaus nachvollziehbar. Weitere Reformschritte, die verhältnismässig häufig unternommen wurden, sind: die Erweiterung der Kompetenzen für die Exekutive, die Erweiterung der Kompetenzen für Kommissionen, der Ausbau der Verwaltung, die Übertragung von Kompetenzen an die Verwaltung und die Übertragung von Aufgaben an Dritte.

Umstritten scheint die Zahl der Kommissionen zu sein: Gegen 30 Prozent der Gemeinden geben an, zusätzliche Kommissionen und Spezialbehörden geschaffen zu haben, gegen 20 Prozent geben an, die Zahl reduziert zu haben. Tatsächlich ist auch die Rolle der Kommissionen heute alles andere als unumstritten. Der "schlanke Staat" verzichtet auf ein schwerfälliges und personalintensives Kommissionswesen, während das NPM-Modell neu Kontrollkommissionen einführen will.

Generell kann gesagt werden, dass die Gemeinden mit einer Vereinfachung der Entscheidungsverfahren auf die steigende Aufgabenlast reagiert haben. Als weitere Möglichkeit der Leistungssteigerung erbot sich zudem der Ausbau der Verwaltung und die Übertragung von Aufgaben an Dritte. Reformen des politischen Systems wie beispielsweise die Veränderung des Wahlverfahrens für die Exekutive (Majorz vs. Proporz), die Veränderung der Zahl der Exekutivmitglieder oder die Einführung eines Gemeindeparlamentes machen den kleineren Teil der Reformen aus.

New Public Management

In den 1970er und 1980er Jahren dominierten in den öffentlichen Verwaltungen vor allem punktuelle Reformvorhaben. Mit dem New Public Management respektive der wirkungsorientierten Verwaltungsführung zu Beginn der 1990er Jahre wurde erstmals ein Reformpaket vorgeschlagen, welches das gesamte politisch-administrative System betrifft und nicht isoliert von kosten- oder führungstheoretischen Ansätzen ausgeht

Im Zentrum des NPM-Modells steht der Prozess der Leistungsvereinbarung. Leistungsempfänger ist die Bürgerschaft, welche die Leistungen, sei dies über Gebühren, sei dies über Steuern, selbst finanziert. Eingekauft werden die Leistungen, gemäss Auftrag der normativen Ebene (Bürgerschaft/Legislative), durch die Exekutive. Die Exekutive geht mit den einzelnen Direktionen und Fachkommissionen Leistungsvereinbarungen ein. Diese schliessen dann mit den Leistungserbringern einen Kontrakt. Leistungserbringer können sein: die Verwaltung, andere öffentlich-rechtliche Körperschaften oder private Anbieter. Wichtig ist zudem, dass unter den Leistungserbringern Marktkräfte wirksam werden. 

Die Steuerung verläuft in diesem Modell nicht mehr über den Input, sondern über den Output. Es werden nicht mehr lediglich Ressourcen zur Verfügung gestellt, sondern Leistungen eingekauft. Man muss sich entscheiden, welche Leistungen man benötigt und den entsprechenden Preis dafür bezahlen. Es wird nicht gefragt, wie viel ist uns das Sozialamt wert? Sondern: Für wie viele Kinder wollen wir bei welchen Betreuungsverhältnissen und zu welchem Kostendeckungsgrad Krippenplätze anbieten? 

Leistungen werden über Produkte definiert und gemessen. Produkte können auch Dienstleistungen sein. Für Produkte lässt sich ein Preis berechnen (Vollkostenrechnung). Wichtig wird dabei, dass die Leistungskäufer und die Leistungsfinanzierer kontinuierlich darüber informiert sind, ob die eingegangenen "Vereinbarungen" eingehalten werden. Mit dem Controlling erhält das NPM-Modell ein Instrument zur Kontrolle der Leistungserbringung. Möglichst häufig sollen Informationen in die Entscheidungsgremien zurückfliessen, welche darüber Aufschluss geben, ob die ausgehandelten Bedingungen eingehalten werden. Damit auch Marktmechanismen aktiv werden, baut das NPM-Konzept zudem auf Benchmarking, dem Vergleich mit anderen, vergleichbaren Anbietern dieser Leistungen.

Ein weiteres wichtiges Element von NPM ist das Globalbudget, über welches die einzelnen Ämter verfügen und welches sie auch selbst verwalten können. Allfällige Überschüsse oder Gewinne werden dabei verteilt und stehen dem Amt weiter zur Verfügung, so dass bei den einzelnen Stellen kein Bedarf aufkommt, das ganze Budget jedes Jahr voll auszuschöpfen.

NPM wird in der politischen Diskussion oft als Deregulierungsoffensive dargestellt, wobei auf die betriebswirtschaftliche Herkunft und auf die Betonung des Wettbewerbs verwiesen wird. NPM ist aber auch ein Modell, mit dem versucht wird, die Steuerungs- und Kontrollprobleme des Staates besser in den Griff zu bekommen. Dort, wo die Aufgaben nicht dem Markt überlassen werden können/sollen, wird versucht, über die Produkte (output) die Staatstätigkeit zu steuern. Jedes Produkt hat eine bestimmte Qualität und einen bestimmten Preis. Ob und in welcher Form es angeboten wird, ist ein politischer Entscheid. NPM impliziert, dass die Zuständigkeit des Staates überdacht wird und tangiert die politische Entscheidungsfindung. Ungeklärt ist allerdings noch die folgende Frage: Führen Vollkostenrechungen und Produktebudgets zu einer Verwesentlichung der politischen Entscheidungsfindung oder verlagern Globalbudgets und Finanz- und Entwicklungspläne die Macht hin zu Verwaltung und Exekutive?

Wie stark hat sich NPM in den Schweizer Gemeinden durchgesetzt? Unsere Befragung im Jahr 1998 ergibt, dass sich fast 35 Prozent der Gemeinden schon mit NPM auseinandergesetzt haben, rund ein Viertel plant NPM-Reformen an die Hand zu nehmen. Rund ein Viertel der Schweizer Gemeinden gibt schliesslich an, bereits erste Gehversuche mit NPM unternommen zu haben, wobei dies in besonderem Masse Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern betrifft (vgl.Tabelle 6). Fragt man die Gemeinden jedoch danach, welche NPM-Elemente sie verwirklicht haben, so sind die Ergebnisse weniger spektakulär. Produktedefinitionen, eine Grundvoraussetzung für NPM, haben nur etwa 5 Prozent der Gemeinden vorgenommen, wobei es sich dabei vor allem um die ganz grossen Gemeinden handelt. Ganz ähnlich sieht es auch bei den Leistungsvereinbarungen und bei der Einführung von Globalbudgets aus. Entsprechend ist davon auszugehen, dass bei vielen kleinen Gemeinden bereits bei der Einführung von mit NPM verbundenen Reformen (wie etwa Verbesserung der Kundenfreundlichkeit, Kompetenzdelegation an die Verwaltung und Abschaffung des Beamtenstatus, Einführung einer leistungsabhängigen Entlöhnung, Übertragung von Aufgaben an Dritte und Förderung des Wettbewerbs zwischen externen Anbietern) davon ausgegangen wird, dass NPM betrieben wird. Gerade diese letzten Reformschritte, welche insgesamt deutlich häufiger unternommen wurden, lassen darauf schliessen, dass bis anhin verstärkt Elemente der Deregulierung zur Anwendung gekommen sind, während die im Modell vorhandenen Möglichkeiten zu einer besseren demokratischen Steuerung noch wenig eingesetzt wurden.

Tabelle 6: NPM und Gemeindegrösse
 

erste Gehver­suche (NPM) unter­nommen?
Einführung: Produktede­finition
Einführung: Leistungsver­einbarungen/­Leistungs­aufträge
Einführung: Globalbudgets
N=
BIS 100
2.0 
0.0 
0.0 
0.7 
143
101-250
4.1 
0.3 
0.3 
0.9 
323
251-500
12.5 
0.0 
2.6 
2.9 
420
501-1000
18.5 
2.2 
7.1 
5.5 
452
1001-2000
26.9 
4.1 
9.1 
7.5 
386
2001-5000
43.5 
6.3 
16.2 
11.5 
365
5001-10000
57.4 
16.0 
27.5 
15.3 
131
10001-25000
59.5 
31.3 
47.5 
31.3 
80
25000-
95.0 
50.0 
65.0 
65.0 
20
Total
24.0 
4.6 
9.7 
7.3 
2320

Interkommunale Zusammenarbeit

Der zweite grosse Reformbereich umfasst die Kooperation zwischen den Gemeinden, die interkommunale Zusammenarbeit (IKZ). Sie hat in der Schweiz eine lange Tradition. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden wird nicht nur von den Kantonen (vgl. z.B. BE, LU) als wichtige und vor allem auch als die politisch weniger problematische Reform betrachtet, sondern auch in den Gemeinden selber kommt der IKZ eine wachsende Bedeutung zu. Praktisch zwei Drittel der be­fragten Gemeinden geben an, die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden habe innerhalb der letzten fünf Jahre zugenommen. Für rund ein Drittel der Gemeinden (36,1 %) ist das Ausmass der Zusammenarbeit gleich geblie­ben. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Gemeinden (0,6 %) vermeldet eine Ab­nahme der Zusammenarbeit.

Die klassische Form der interkommunalen Zusammenarbeit ist der Gemeindeverband (Zweckverband). Der Gemeindeverband ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. In jüngerer Zeit werden jedoch verstärkt auch privatrechtliche Formen der Zusammenarbeit erprobt. Beispiele interkommunaler Zusammenarbeit finden sich in praktisch allen Sachberei­chen. Besonders verbreitet ist sie in den folgenden Bereichen: Schule, medizinische Versorgung, Abwasser/Kanalisation, Abfall/Entsorgung, Zivilschutz, Unterstützung und Betreuung älterer Personen und Wasserversorgung (vgl. Abbildung 4). Hier arbeitet mindestens jede zweite Gemeinde mit einer anderen Gemeinde zusammen.

Bei einigen Aufgabenbereichen wurde die Zusammenarbeit vor allem in jüngster Zeit intensiviert: Bei der Betreuung von Arbeitslosen ist es bei knapp einem Drittel der Gemeinden erst in den letzten fünf Jahren zu einer Zusammenarbeit gekommen. Etwas mehr als 20 Prozent der Gemeinden arbeiten seit jüngerer Zeit im Bereich "Zivilschutz" zusammen und rund 15 Prozent bei der Feuerwehr und im Bereich der medizinischen Versorgung.

Abbildung4: Interkommunale Zusammenarbeit nach Aufgabenbereich

In zahlreichen Aufgabenbereichen besteht ein noch unausgeschöpftes Potential zur Intensivierung der Zusammenarbeit: Weniger als 20 Prozent der Gemeinden arbeiten zusammen in den Bereichen Gemeindeverwaltung (Informatik, Rechnungswesen, Einwohnerkontrolle, Kanzlei, Personalmanagement),gemeindepolizeiliche Aufgaben, Betreuung von Asylsuchenden, Raum- und Zonenplanung, Bewilligung von Baugesuchen, öffentliche Bauten, Landschafts- und Ortsbildschutz, Gemeindebehörde, Umweltschutz, privater Verkehr und Integration von Ausländern.

Bei der IKZ wie übrigens auch bei der Fusion handelt es sich in erster Linie um Probleme der Zuständigkeit. In welchem Perimeter können Aufgaben am besten erbracht werden? In zweiter Linie können daraus allerdings weitere Steuerungs- und Entscheidungsprobleme erwachsen. Das Hauptproblem der IKZ liegt nicht in der Leistungserbringung, hier kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass ein Rationalisierungspotential besteht und Skaleneffekte genutzt werden können. Das Hauptproblem liegt im Bereich der Steuerung und der Kontrolle und vor allem der demokratischen Entscheidungsfindung und somit auf der Legitimationsseite. Wie können in einem Verbund von Gemeinden verbindliche Entscheidungen gefällt werden, wenn beispielsweise das demokratische Prinzip "one person, one vote" die kleinen Gemeinden stark benachteiligt, wie können die Gemeinden über ihre Vertreter Einfluss nehmen und wie, im Falle der privatrechtlichen Formen der Zusammenarbeit, müssen solche Verträge abgefasst und die Besitzverhältnisse geregelt werden?

Die Zusammenlegung von Gemeinden

In der Schweiz hat die Zusammenlegung von Gemeinden keine grosse Tradition. Die grossen Gebietsreformen in den nordeuropäischen Ländern in den 1970er Jahren haben keine Spuren hinterlassen. Erst etwa Mitte der 1990er Jahre ist die Fusion von Gemeinden auch hierzulande ein Thema geworden. Eine führende Rolle spielen dabei:

Vor dem Hintergrund der starren Gemeindestrukturen mag es erstaunen, dass fast ein Fünftel der Gemeinden angibt, schon konkret über den Zusammenschluss mit einer oder mehreren Nachbargemeinden diskutiert zu haben und dass in rund 8 Prozent der Gemeinden konkrete Fusionspläne bestehen. Nicht unerwartet wird vor allem in den vier erwähnten "Pionierkantonen" besonders häufig die Fusion der Gemeinde zu Thema gemacht.

Bei den zur Zeit aktuellen Fusionsdiskussionen geht es in erster Linie um ein Zusammenlegen der unzähligen Kleinstgemeinden. Von Ansätzen einer umfassende Gebietsreform ist kaum etwas zu spüren. Es ist allerdings generell fraglich, wie zukunftstauglich das Konzept der Einwohnergemeinden im herkömmlichen Sinne ist, oder ob sich in Zukunft nicht verstärkt aufgabenspezifische Einheiten mit unterschiedlicher territorialer Ausdehnung herausbilden werden.

Was die verschiedenen grossen Reformbestrebungen (Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, Gemeindezusammenlegungen, New Public Management, Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden) betrifft, so zeigen die Erfahrungen in einzelnen Projekten (vgl. z. B. die Projekte in den Kantonen Bern und Luzern), dass mit punktuellen Vorhaben die Probleme der lokalen Ebene kaum gelöst werden können, respektive dass die verschiedenen Reformbereiche eng miteinander verknüpft sind. Bevor die Aufgaben möglichst effektiv erbracht werden können, muss geklärt werden, wer für die Ausgaben überhaupt zuständig ist und wer davon profitieren soll.

3. Wie sieht die zukünftige Gemeindeorganisation der Schweiz aus?

Vieles erweckt den Eindruck, dass in der Schweiz - mit einer gewissen Verspätung - dieselben Reformbestrebungen angelaufen sind wie in anderen Ländern. Die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Staatsebenen und Gebietsreformen und Gemeindezusammenlegungen standen in zahlreichen, vor allem nördlicheren Ländern schon in den 1970er- und 1980er-Jahren zur Diskussion und führten auch zu neuen Lösungen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich die Ansprüche an die kommunale Ebene in den letzten Jahren gewandelt haben. Ging es früher in erster Linie darum, die lokale Ebene den Bedürfnissen eines zusehends interventionistischeren (Zentral-)Staates anzupassen, was in der Folge vor allem von den Verfechtern der freien Marktwirtschaft kritisiert wurde, so finden die Reformen heute unter veränderten Bedingungen statt und werden wohl auch zu anderen Resultaten führen. 

Bei der Aufgabenteilungsdiskussion steht in den 1990er-Jahren zwar nach wie vor der Anspruch einer optimalen und eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit garantierenden Steuerung im Vordergrund, man ist sich jedoch sowohl der Gefahr der Übersteuerung als auch der Vor- und Nachteile von Marktmechanismen bewusster geworden. 

Bei der Diskussion über Gemeindefusionen ist beispielsweise zu bezweifeln, dass es zu Territorialreformen im grossen Stil kommen wird. Wahrscheinlich liegt die Zukunft in der verstärkten Zusammenarbeit auf der Basis einer variableren Geometrie des Staates. Das heisst nicht, dass einzelne Gemeindefusionen nicht sehr sinnvoll sein können. 

Die Herausforderungen an die traditionelle Staatsorganisation werfen eine Reihe von zentralen Fragen auf: In welchem Raum soll Politik betrieben werden und welche Akteure sind daran beteiligt? Wer übernimmt die politische Verantwortung und wie können verbindliche Entscheide getroffen werden? Zur Zeit beschäftigen sich die Reformer vor allem mit Zuständigkeitsproblemen respektive mit der Frage der Steuerung und der Kontrolle. Die für eine demokratische Legitimation wichtigen Entscheidungs- und Verteilungsprobleme gestalten sich ungleich kontroverser und bleiben weit gehend ausgeklammert. 

In international vergleichender Perspektive stellt sich die Frage, wie weit die Schweiz einen Sonderfall darstellt. Während die gesellschaftlichen Ursachen für den Reformbedarf wohl ähnlich sind wie in anderen Staaten, gibt es auch distinktiv andere Voraussetzungen: Konsensdemokratie, Direkte Demokratie, Föderalismus, Gemeindeautonomie, Milizsystem usw. führen dazu, dass hierzulande die Diskussionen auf einem anderen Niveau stattfinden und teilweise auch in eine andere Richtung führen. 

Während es beispielsweise in Deutschland darum geht, auf lokaler Ebene neue Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, sind in der Schweiz die Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger relativ gut ausgebaut, so dass eher eine Verwesentlichung der Partizipation in den Vordergrund rückt. Die teilweise Abschaffung des fakultativen Referendums weist etwa in diese Richtung. Auch bei den auf Interessenausgleich ausgerichteten Verhandlungssystemen (Runde Tische, partizipative Planung, korporatistische Systeme usw.) steht in der Schweiz nicht deren prinzipielle Einführung zur Diskussion, sondern es stellt sich vielmehr die Frage, wie mit diesen Instrumenten umgegangen werden muss, damit die damit verbundenen Nachteile wie Schwerfälligkeit und tendenzielle Innovationsfeindlichkeit minimiert werden können.

Besonders deutlich wird die Bedeutung der Ausgangslage bei der Frage der Dezentralisierung. Während die Reformen in einem zentralisierten Staat wie Frankreich in Richtung Dezentralisierung laufen, finden in der Schweiz die Auseinandersetzungen auf einer anderen Ebene statt. Die Revisionen vieler kantonaler Gemeindegesetzgebungen in den letzten Jahren zeigen, dass die Stärkung der Gemeindeautonomie zwar nach wie vor ein wichtiges Thema ist. Bei der Neuordnung der Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden läuft die Tendenz demgegenüber eher in die entgegengesetzte Richtung. In zahlreichen wichtigen Aufgabenbereichen (Fürsorge, Schule, Spitalversorgung) wird die Rolle des Kantons gestärkt. Die Schweizer Gemeinden erhalten zwar mehr Organisationsautonomie (operative Freiheiten), die materielle und aufgabenspezifische Autonomie geht aber zurück. Der Kanton konzentriert sich auf das Festlegen der strategischen Rahmenbedingungen, das Motto heisst: Zentral steuern und finanzieren, lokal handeln. 

Dies verdeutlicht schliesslich, dass die Grundgedanken von NPM auch bei der Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden und der interkommunalen Zusammenarbeit ihre Bedeutung haben. Auch hier stehen sich auf der einen Seite das Primat der Politik und die Frage nach einer möglichst effektiven politischen Steuerung und auf der anderen Seite die effiziente Leistungserbringung gegenüber.

In Moment stellen wir in der Schweiz ein Vielzahl von Reformversuchen fest und es lassen sich noch kaum klare Linien erkennen. Dies muss nicht unbedingt schlecht sein. Eine Stärke der kommunalen Ebene ist die grosse Flexibilität im Umgang mit unterschiedlichen Voraussetzungen und beim Erproben von unterschiedlichen Lösungen. Nur so kommt man zu erfolgversprechenden Reform der kommunalen Ebene. Technokratische Lösungen sind nicht nur politisch nicht durchsetzbar, sondern bergen auch die Gefahr, dass sich alle Gemeinden in die falsche Richtung bewegen. Reformfreudige Gemeinden sind zu unterstützen. Von ihren Erfahrungen - den guten und den schlechten - profitieren letztlich alle Gemeinden.