WoZ, 31.8.2000


 

Wie viel Staat braucht die Swisscom?

 

Simonetta Somaruga

 

Die Linke und der Service public (9): Gegen eine naive Vogel-Strauss-Politik. FŸr seinen Vorschlag, die Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom aufzugeben, wurde Bundesrat Moritz Leuenberger von seiner Partei kritisiert. Damit lŠute er das ÇEnde des Service publicÈ ein, hiess es. Ein absurder Vorwurf, sagt Simonetta
Sommaruga.

Dienstleistungen im Service public sind fŸr alle zugŠnglich und werden flŠchendeckend, in guter QualitŠt und zu mšglichst gŸnstigen Preisen angeboten. Service public hat also primŠr weder mit Staatsbetrieben noch mit Dienstleistungen etwas zu tun, die vom Staat erbracht werden. Oder ist die ambulante Medizin etwa kein Service public, nur weil sie nicht von staatlichen €rztInnen erbracht wird?
Zum Service public gehšren aber auch die folgenden Anforderungen:
ð Gleichbehandlung: Dienstleistungen des Service public garantieren die Gleichbehandlung. DistanzunabhŠngige Posttarife verhindern die Benachteiligung von Randregionen; das Krankenversicherungsgesetz verbietet die Diskriminierung von kranken oder Šlteren Menschen in der Grundversicherung.
ð KontinuitŠt und ZuverlŠssigkeit: Die KontinuitŠt spielt beim Service public eine zentrale Rolle. Medizinische Leistungen und Notrufdienste mŸssen zwingend rund um die Uhr vorhanden sein. Auch im šffentlichen Verkehr oder bei der Post gehšren KontinuitŠt und ZuverlŠssigkeit zu den wichtigsten Voraussetzungen, damit das Angebot Sinn macht.
ð QualitŠt und QualitŠtskontrolle: Gute QualitŠt und deren Kontrolle von unabhŠngiger Seite sind wesentlicher Bestandteil des Service public. Diesem Punkt haben wir bisher zu wenig Beachtung geschenkt; mit dem Resultat, dass wir zum Beispiel im Gesundheitsbereich in eine absurde Rationierungsdiskussion hineinschlittern, anstatt QualitŠtskriterien aufzustellen und diese durchzusetzen. QualitŠt hŠngt aber auch ganz direkt mit den Produktionsbedingungen zusammen. Deshalb gehšren zum Service public stets auch gute Arbeitsbedingungen; diese Anforderung gilt allerdings nicht nur fŸr staatliche Betriebe, sondern fŸr sŠmtliche Anbieter.
ð Transparenz: Damit im Service public ein echter und fairer Wettbewerb mšglich ist, brauchen wir Transparenz: bei der Preisbildung, den Arbeitsbedingungen und dem Leistungsangebot. Es ist in unserem Interesse, dass die NutzerInnen von Service-public-Dienstleistungen gut informierte und bewusste Entscheidungen treffen.
ð Demokratische Mitsprache: Die demokratische Mitsprache bei der Gestaltung der Angebotspalette ist eine Grundvoraussetzung fŸr den Service public. Einige verwechseln aber das Angebot mit dem Anbieter und meinen deshalb, der Service public kšnne nur durch Staatsbetriebe erbracht werden. Sie wollen die demokratische Mitsprache im Betrieb selber verwirklichen. Was dabei herauskommt, hat uns Peter Bodenmann kŸrzlich vorgemacht. Er fand, der Bundesrat solle die Swisscom dazu verpflichten, die ADSL-Technologie flŠchendeckend einzufŸhren (siehe WoZ Nr. 17/00). Damit wollte er die Swisscom stŠrken. Nun kann man mit der ADSL-Technologie zwei- bis dreimal schneller internetten ö was durchaus erfreulich ist. Die Swisscom hat den Markt aber schon lŠngst abgeklŠrt und festgestellt, dass im Moment kaum jemand bereit ist, fŸr dieses schnelle Surfen jŠhrlich hunderte von Franken auszugeben. SelbstverstŠndlich wird die Swisscom ö auch ohne politischen Druck ö die geeignete Technologie sofort einfŸhren, wenn die Nachfrage vorhanden ist. Die Vorstellung, dass die Politik ein staatliches Unternehmen zwingt, in eine von ihr bestimmte Technologie zu investieren ö selbst wenn die Nachfrage fehlt ö, ist absurd und zerstšrerisch.

Die Rolle des Staates im Service public
Ich habe die Grundanforderungen an den Service public ausfŸhrlich formuliert, weil sie die umstrittene Frage nach der Rolle von Staat und Politik im Service public beantworten sollen. Die Politik muss im Service public weiterhin das Angebot, den Umfang, die QualitŠt, die Arbeitsbedingungen und die Transparenz demokratisch festlegen. Dazu brauchen wir in der Telekommunikation aber nicht unbedingt eine staatliche Swisscom. Bei den natŸrlichen Monopolen hingegen ö wie zum Beispiel bei der Infrastruktur im šffentlichen Verkehr, der Briefpost oder den Medien ö sind starke staatliche Unternehmen auch in Zukunft notwendig.
KŸrzlich hat der Bundesrat mit zwei VorschlŠgen in die ohnehin schon heiss gefŸhrte Diskussion Ÿber den Service public zusŠtzlich …l ins Feuer gegossen. Auf die Stichworte ÇPostbankÈ und ÇSwisscom-VerkaufÈ hat die SP sehr schnell und ö was den mšglichen Swisscom-Verkauf betrifft ö ablehnend reagiert. Nach einem ausfŸhrlichen Hearing, das die SP-Fraktion organisiert hat, scheint mir eine differenziertere Stellungnahme angebracht.

Die Post als Kreditvermittlerin
Die Post muss gemŠss Postgesetz eine breite Palette von Dienstleistungen erbringen. Um diese zu finanzieren, hat sie zwei Mšglichkeiten: Erstens verfŸgt die Post bei adressierten Briefen und Paketen bis zwei Kilo Ÿber das Monopol. Zweitens bietet sie weitere Dienstleistungen an und verwendet den Gewinn daraus ebenfalls fŸr die Finanzierung der Pflichtleistungen.
Nun stehen Post und Politik vor der Herausforderung, dass die umliegenden LŠnder ihre Monopolgrenze fŸr die Brief- und Paketpost dauernd senken. Da die Schweizer Post im Ausland von den tieferen Monopolgrenzen profitiert, ihren auslŠndischen Partnern aber kein Gegenrecht gewŠhren kann, muss sie in Zukunft mit massiven Nachteilen rechnen. Anstatt vor dieser ö zugegeben unerfreulichen Entwicklung ö die Augen zu verschliessen, sollten wir uns damit beschŠftigen, wie die Post zusŠtzliche Mittel fŸr die Grundversorgung und fŸr die Erhaltung des Poststellennetzes generieren kann.
Der Einstieg ins KreditgeschŠft, wie ihn der Bundesrat vorsieht, ist eine mšgliche Option. Sie ist auch deshalb interessant, weil die Post ihren KundInnen endlich eine vollstŠndige Palette an Finanzdienstleistungen anbieten kann.
Allerdings sŠhe ich die Post im KreditgeschŠft lieber in der Vermittlerrolle, also in Partnerschaft mit den bestehenden lokalen und regionalen Banken, als mit einer eigenen Postbank. Die Rolle als Kreditvermittlerin bringt der Post zwar weniger Geld ö aber auch weniger Risiken. Schliesslich mšchte ich aber auch nicht dazu beitragen, dass eine eigenstŠndige Postbank die regionalen Bankenstrukturen bedroht oder gar zerstšrt und damit die Monopolisierung der Grossbanken zusŠtzlich vorantreibt.
Weit hitziger als bei der Post verlŠuft die Diskussion Ÿber die Frage, ob der Bundesrat die Kompetenz erhalten soll, die Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom aufzugeben. Bundesrat Moritz Leuenberger musste fŸr diesen Vorschlag harsche Kritik einstecken. Man warf ihm vor, er wŸrde ÇVolksvermšgen verscherbelnÈ und das ÇEnde des Service publicÈ einlŠuten.

Service public auch ohne Staat
Diese VorwŸrfe sind absurd. Erstens kann der Verkauf der Swisscom unter bestimmten UmstŠnden die einzige Rettung fŸr dieses Volksvermšgen bedeuten. Auch das gehšrt zu unserer politischen Verantwortung. Zweitens ist der Service public nicht mit dem Unternehmen Swisscom zu verwechseln. Der Service public ist im Fernmeldegesetz geregelt, und zwar viel detaillierter als zum Beispiel bei der Post. Das Gesetz macht nicht nur Vorgaben bezŸglich Angebot, Umfang, QualitŠt und Transparenz, sondern es verlangt von sŠmtlichen Unternehmen, die eine Grundversorgungskonzession erwerben wollen, dass sie Çdie arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Arbeitsbedingungen der Branche einhaltenÈ. Gegen einen Verkauf der Swisscom spricht also nicht die Sicherung des Service public, sondern wenn schon die Bedeutung dieses Unternehmens fŸr den Industriestandort Schweiz. Immerhin handelt es sich bei der Telekommunikation um eine SchlŸsseltechnologie mit einer hohen Wertschšpfung.
Es gibt allerdings Situationen, in denen ein Verkauf der Aktienmehrheit der Swisscom kein Verlust, sondern die einzige †berlebenschance fŸr das Unternehmen Swisscom ist. Vor dieser Situation die Augen zu verschliessen und den Kopf in den Sand zu stecken, finde ich nicht nur naiv, sondern geradezu verantwortungslos. Damit die Swisscom ihre umfassenden Dienstleistungen im In- und Ausland anbieten kann, ist sie nŠmlich auf die Zusammenarbeit mit auslŠndischen NetzbetreiberInnen ö und zwar fŸr das Festnetz ebenso wie fŸr den Mobilfunk ö angewiesen. Immerhin gehen schon heute Ÿber 30 Prozent des Umsatzes der Swisscom auf die Benutzung von auslŠndischen NetzbetreiberInnen zurŸck; Tendenz steigend!
AuslŠndische Firmen verfŸgen aber in der Schweiz zunehmend Ÿber eigene Netze und Infrastrukturen. Sie sind deshalb auf die Zusammenarbeit mit der Swisscom immer weniger angewiesen. Sollte eines Tages mit auslŠndischen NetzbetreiberInnen keine Zusammenarbeit mehr zustande kommen ö oder nur zu všllig Ÿberhšhten Preisen ö, muss die Swisscom respektive der Inhaber der Aktienmehrheit handeln kšnnen, und zwar schnell. Immerhin stehen mit der Swisscom Ÿber 30 Milliarden Volksvermšgen auf dem Spiel! Damit dem Bundesrat genau in dieser Situation nicht die HŠnde gebunden sind, braucht er die Kompetenz fŸr den Verkauf.

Die Spreu vom Weizen trennen
Gleichzeitig geht es darum zu verhindern, dass der Bundesrat die Aktienmehrheit aus purer Privatisierungseuphorie verhškert. Deshalb mŸssen wir die VerŠusserung der Aktienmehrheit an klare Bedingungen knŸpfen und diese im Gesetz festhalten. Danach darf der Bundesrat die Aktienmehrheit nur abgeben, wenn der KŠufer bereit ist, einen AktionŠrsbindungsvertrag zu unterzeichnen.
Darin muss sichergestellt sein, dass die Wertschšpfung und die ArbeitsplŠtze der Swisscom, aber auch die Forschung und Entwicklung in der Schweiz bleiben. Solche industriepolitischen Strategien verfolgen Ÿbrigens auch andere LŠnder, wenn sie staatliche Betriebe verkaufen. VertrŠge zwischen AktionŠren sind nichts Neues. Oder glaubt im Ernst jemand, dass bei der †bernahme der Sabena durch die Swissair der belgische Staat nicht klare Auflagen zugunsten des eigenen Standortes gemacht hat?
Die Diskussion im Parlament Ÿber die Bedingungen, an die ein Swisscom-Verkauf zu knŸpfen sind, ist Ÿbrigens weit spannender als der ideologische Schlagabtausch pro und kontra Privatisierung. Hier nŠmlich wird sich die Spreu vom Weizen trennen. BŸrgerliche Hardliner mŸssen Farbe bekennen: Sind sie tatsŠchlich an einem starken Telekommunikationsstandort Schweiz interessiert? Oder geht es ihnen letztlich nur um ein mšglichst schnelles Abstossen der Swisscom ö und damit um ein Milliardengeschenk des Staates an die Privatwirtschaft?
Ist Letzteres der Fall, bin ich beim Referendum gerne ö und mit guten GrŸnden ö dabei.