Weltwoche, 3.2.2000 |
Auch die Selbstfinanzierung der Sozialdemokraten schafft Abhängigkeiten
Von Urs Paul Engeler
Ganz auszuschliessen ist es nicht, dass einzelne Sozialdemokraten noch an Jean-NoÔl
Rey und ein segensreiches Weiterwirken des selbstherrlichen Genossen Post-General
glaubten, als die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) im MŠrz 1998
über eine "faktenfreie Hetzkampagne" wetterte und ihren Mann
an der Spitze des Regie-betriebs mit allen mšglichen Mitteln zu stützen
versuchte. Zumindest den Rechnern in der Partei war aber klar, dass der Abgang
Reys von seinem Exklusiv-Job ihnen weniger ein politisches denn ein finanzielles
Problem schafft: Seit Mitte 1998, dem Ende Reys, nimmt die SPS jedes Jahr 12000
Franken weniger ein als budgetiert. Immerhin.
Zwar kennen auch andere Parteien Mandatssteuern š die CVP etwa hat ein geheim
gehaltenes Abgabe-Reglement, mit dem sie ihre WürdentrŠger nach erfolgter
Kür konfrontiert š, doch die SPS hat diese Form der Finanzierung am konsequentesten
und flŠchendeckend organisiert. So müssen die beiden SP-BundesrŠte fünf
Prozent ihres Netto-Einkommens an die Parteizentrale überweisen, SBB-Generaldirektor
Benedikt Weibel, Vizekanzlerin Hanna Muralt und alle Bundesrichter schulden
vier, die Chefbeamten im Bundeshaus drei Lohnprozente. Mit den insgesamt 230
000 Franken, so im Voranschlag 2000, bauen die 39 hšchsten FunktionŠre mit dem
roten Parteibuch der notleidenden Kasse ein gewisses Fundament. Und wenn Christoph
Lanz, wie dies die Genossen intensiv wünschen, zum GeneralsekretŠr der
Bundesversammlung aufsteigen sollte, kŠmen noch ein paar Tausender dazu. Immerhin.
In der schweizerischen Buchhaltung machen diese offiziell "Soli-daritŠtsbeitrŠge
MandatŠre/-innen" genannten Pflichtabführungen rund acht Prozent der
SP-Einnahmen aus. In einzelnen Kantonen sind sie gar die am üppigsten sprudelnde
Quelle: Im Kanton Glarus betragen sie zwei Drittel, im Baselbiet knapp die HŠlfte,
in den meisten SP-Kassen bilden die Abgaben einen soliden Sockel von einem Viertel
bis einem Drittel der Budgets.
Protest gegen "Nštigung"
Eingefordert werden diese Taxen mit detaillierten Reglementen und mit Methoden,
die auch schon als "Nštigung" betitelt worden waren š und die gemŠss
neuster Lesart in Deutschland gar gegen das Grundgesetz verstossen. Im Kanton
Bern hŠtten 1996 vor ihrer Nomination für Richterposten sŠmtliche SP-Kandidaten
eine eigentliche "Schuldanerkennung" unterzeichnen müssen, was
die Staatsanwaltschaft wegen "versuchter Nštigung" gegen die GeschŠftsleitung
der SP ermitteln liess. Zwar stellte der Untersuchungsrichter nach einem Teilrückzieher
der Einforderer keine strafbaren Handlungen fest, doch Regierungsstatthalter
Sebastian Bentz etwa kehrte der Partei den Rücken, mit dem Protest: "An
der Schuldanerkennung klebt der berechtigte Vorwurf, Ämter liessen sich
erkaufen."
Selbst der damalige Berner SP-PrŠsident musste zugeben, dass diese Art der
Mittelbeschaffung "zwar všllig transparent, aber nicht unproblematisch"
sei. Partei und ihre Vertreter in šffentlich besoldeten Chargen werden gegenseitig
unfrei; sie müssen sich jenseits von politischen oder fachlichen Gründen
stützen š aus finanziellen ZwŠngen. Als die Sektion Bulle mit dem Antrag
antrabte, SBB-Chef Weibel aus der Partei auszuschliessen, warnte SPS-Chef Bodenmann
sehr pekuniŠr: "Das wŠre ein ganz schlechtes GeschŠft." Je prekŠrer
die Finanzlage, umso enger die Umarmung. In der Kasse der SPS, die mit einem
Umsatz von 3,25 Millionen Franken die umfangreichste aller Parteien ist, klafft
derzeit ein tiefes Loch von einer knappen Million. Schuld an der Misere sind
kantonale Sektionen, die ihrerseits beim Betrachten ihrer Bücher vor allem
Zahlen in ihrer Parteifarbe vorfinden. SŠumig sind insbesondere Bern (AusstŠnde
in der Hšhe von 450000 Franken) und Zürich (220000 Franken).
Neben diesen mittelfristig allenfalls eintreibbaren Forderungen blickt SPS-GeneralsekretŠr
Jean-François Steiert bereits auf eine neue Lücke von 300000 Franken.
Auf diese Hšhe belaufen sich die SchŠden, die zwei Komitees zur Lancierung der
Um-verteilungsinitiative und der Initiative "Konstruktives Referendum"
angerichtet haben. Steiert rechnet damit, diesen Betrag demnŠchst in den Kamin
schreiben zu müssen. Vor solch roten Aussichten hat der Parteivorstand
kürzlich per Ûnderung des Finanzreglements beschlossen, die 38000 Mitglieder
und 20000 in einer Sympathisanten-Kartei ("SP-info" genannt und als
Verein geführt) gespeicherten Gšnner künftig zweimal jŠhrlich um milde
Gaben anzugehen. Erwartet wird eine Verdoppelung der Spenden auf 600000 Franken.
Auch die Methoden der Konkurrenz bleiben nicht lŠnger tabu: Verena Flück,
bei Greenpeace und Amnesty International geschulte Fundraiserin, entwickelt
ein Konzept, damit auch die SPS schlanker an potente Spon-soren herankommen
kann. Um das "grosse Potenzial" (Steiert) bald ausschšpfen zu kšnnen,
investiert die Partei 27000 Franken. Eine Haar-nadelkurve kündigt sich
an. Denn die BerührungsŠngste zu Geldgebern ausserhalb des erweiterten
linken Zirkels waren bislang nŠmlich gross bis unüberwindbar.
Als 1993 der Oerlikon-Bührle-Sanierer Hans Widmer, per Zufall Bruder der
damaligen SP-Fraktionschefin Ursula Mauch, allen vier Bundesratsparteien 15000
Franken überwies, also auch den Sozialdemokraten, leiteten die Chefgenossen
Peter Bodenmann und AndrŽ Daguet das unerwartete Geschenk sofort und sinnigerweise
an die AWR weiter, ein Komitee gegen Waffenausfuhr und für Rüstungskontrolle.
Steiert bekrŠftigt diese Politik des Nehmens und spektakulŠren Weiterschenkens:
"Grossspenden der Banken oder Chemie würden wir Šhnlich umleiten."
Doch auch Sponsoring in eigenen Kreisen "ist enorm heikel", weiss
alt SPS-PrŠsident Helmut Hubacher, der selbst den unkomplizierten Umgang pflegte
mit Denner-Boss Karl Schweri und mit ihm "projektbezogen für gewisse
Abstimmungen, nicht aber für die Parteikasse", auch finanziell ins
GeschŠft gekommen war.
Auf Anraten des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt sprach Hubacher beim
Direktor des Basler Ablegers der Bank für Gemeinwirtschaft vor, die ganz
in den HŠnden von Genossen und Gewerkschaftern war. Geld nahm er nicht, zum
Glück, wie er sagt: Kurz darauf rutschte das Finanzinstitut ins Zentrum
des Skandals um die "Neue Heimat", der die ganze linke Landschaft
Deutschlands erschütterte.
Zumindest dürfte das neue Sponsoring mit der Forderung nach glŠsernen
Bilanzen in Konflikt geraten. Bereits jetzt wird dieser von der SP propagierten
Ansicht in unterschiedlichem Mass nachgelebt. Werden die Kantonalsektionen um
Nennung der Namen von Spendern ersucht, so taucht auf einzelnen Rückmeldungen
allein der Grossverteiler Coop mit vierstelligen BetrŠgen auf.
Nur ganz im Osten und im Westen üben die Linken neue Klarheit. So vermeldet
die SP St. Gallen als gršsste Privatspende eine Überweisung von 4000 Franken
aus der Kasse von Walter und Hannelore Fuchs, Rorschach. Viel Brisanz liegt
da nicht drin, sondern ein Beleg für die Selbstfinanzierung: Hannelore
Fuchs ist Juristin und Büro-Partnerin von SP-Nationalrat und Gewerkschaftsboss
Paul Rechsteiner, ihr Mann Seminarlehrer. Noch weiter geht die Sektion Jura
(PSJ) und legt der Antwort auf den "Weltwoche"-Fragebogen gar eine
vollstŠndige Liste der MandatŠre und deren Ablieferungen bei, von stolzen 12
000 Franken (Staatsrat Claude Hche) bis zur Petitesse von zwanzig Franken für
den Einsitz in einer Kommission. Sonst allerdings herrscht viel "Datenschutz",
wie Steiert das SP-Schweigen nobel kaschiert. So lüftet die SP Unterwallis
die IdentitŠt der 70 Mitglieder des Club de la rose, die mit gegen 40 000 Franken
das Sekretariat finanzieren, ebenso wenig wie die Oberwalliser die 58 Spender
in ihrem 200er-Club.
Andere geben jedoch gar nichts preis. Standardbegründung eins: "Angesichts
der geringen BetrŠge nicht von šffentlichem Interesse." Standardantwort
zwei: "Wir sind nicht ermŠchtigt." Die Forderung nach Kontrolle der
Geldflüsse hat wenig mit dem Willen zu tun, die eigenen Bücher zu
šffnen, mehr mit dem Wunsch, in denen der andern zu stšbern.
"Lockere Sprüche"
Erfrischend transparent gegen Transparenz darum Koni Lšpfe, PrŠsident der Stadtzürcher SP, der in der parteieigenen Postille "PS" vor einem vorschnellen Ruf nach všlliger Offenlegung der Finanzen, "insbesondere der Spenden", warnt: Zu viele Gšnner pochten aus verschiedenen Motiven auf AnonymitŠt. Lockere Sprüche wie "man muss doch zu seinen Auffassungen stehen" reichen mir jedenfalls nicht aus, um auf 30000 Franken für eine Abstimmung zu verzichten. Es geht auch links nicht um Moral, sondern zuerst um Geld.