TA, 6.3.1999
Grosse Freude herrschte in den Reihen der CVP, als die Bundesräte Koller und Cotti zurücktraten. Der "Stich-Effekt" mal zwei, gleich Rettung für die angeschlagene Partei. Und der zweite SVP-Sitz in der Landesregierung scheint erst noch auf längere Zeit verhindert. Das Medienecho war positiv, CVP-Parteipräsident Durrer wurde mit Lob überschüttet. Doch für die CVP wird die Rechnung kaum aufgehen. Und wie weit sich die SVP-Gegner freuen können, bleibt zumindest offen.
Für zwei Sitze braucht es zwangsläufig mehr Kandidatinnen und Kandidaten. Künftige Bundesrätinnen und Bundesräte lassen sich jedoch nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. So war manche und mancher erstaunt, wie viele Papabili auf einmal ins Spiel gebracht wurden, und noch erstaunlicher war, dass viele von ihnen bis anhin nahezu unbekannt waren. Auch wenn schweizweit schon bald der Eindruck entstand, dass die acht von den Kantonalparteien für die fraktionsinterne Ausmarchung nominierten Personen alle bestens qualifiziert und geeignet gewesen wären, Koller oder Cotti zu ersetzen, so blieb doch der Eindruck einer Jekami-Veranstaltung. Nach den unzähligen CVP-Artikeln und den pausenlosen Interviews der letzten Wochen wird sich zudem schon bald ein CVP-Überdruss breit machen. Die Öffentlichkeit wird sich im Herbst anderen Parteien zuwenden, die Rücktritte kamen zu früh und werden sich nicht in Wählerstimmen ummünzen lassen.
Gefahr drohte aber auch an einer anderen Stelle. Je mehr Sitze zur Verfügung stehen, desto besser können ex- und implizite Quoten berücksichtigt werden, das kam der CVP entgegen, und es kam so, wie es kommen musste: zur klassischen CVP-Lösung. Allen parteiinternen Ansprüchen und öffentlichen Forderungen wurde Genüge getan und eine Rekordzahl von Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl gestellt. Das ist weder Strategie noch Taktik, das ist die CVP, wie sie leibt und lebt: als Mittelwert des vorgeschlagenen Fünfertickets plus Hess. Entsprechend folgte auch die Quittung in den Medien: Die CVP lässt alles offen, und sie stiehlt sich aus der Führungsverantwortung.
Die CVP war nie eine homogene Partei und wird nie eine homogene Partei sein. Keine andere Partei ist so gut in den verschiedensten Berufsgruppen verankert, keine andere Partei deckt ein so breites politisches Spektrum ab, welches von rechts-konservativ bis christlich-sozial reicht. Das ist an und für sich nichts Schlechtes. Die Zeiten, in denen die Konfessionszugehörigkeit über diese Unterschiede hinwegsehen liess, gehören jedoch längst der Vergangenheit an, und diejenigen, die sich über die Muttermilch vermittelt nie eine andere politische Heimat als die CVP vorstellen konnten, werden immer weniger. Dies erklärt den Krebsgang der Partei. Viel schmerzlicher ist aber, dass auch die Interessenausgleichs- und Integrationsfunktion der politischen Parteien heute immer weniger gefragt ist. Parteiinterne Konflikte und Auseinandersetzungen werden nicht als ein verdienstvolles Aushandeln unterschiedlicher Positionen und Standpunkte verstanden, sondern als Zeichen der Schwäche ausgelegt und medial gebührend ausgeschlachtet. Das trifft die auf Harmonie bedachte CVP besonders hart.
Die CVP kann nicht über ihren eigenen Schatten springen und klar Stellung beziehen. Schreitet sie nach rechts, verliert sie auf der Linken, schreitet sie nach links, verliert sie auf der Rechten, und schreitet sie nach Europa, reibt sich Blocher die Hände. Die Wahlen am 11. März werden spannend werden, der Ausgang ist ungewiss. Sicher scheint nur zu sein, dass zwei neue CVP-Bundesräte gewählt werden, und die bleiben uns mit allergrösster Wahrscheinlichkeit für die nächsten zehn Jahre erhalten. Die CVP wird sich nicht ändern können. Wer mit der parteiinternen Homogenität der CVP Schwierigkeiten hat und ihre internen Integrationsleistungen nicht anzuerkennen vermag, der dürfte sich eigentlich darüber nicht freuen. Die neu zementierte Zauberformel wird zudem bei fortschreitenden Wählerstimmenverlusten der CVP und gleichzeitigen Gewinnen der SVP die Kräfteverhältnisse nicht mehr gebührend wiedergeben, die Konkordanz wird wackelig, das bewährte System gerät in Gefahr. Eine Alternative dazu hiesse eine Mitte-Links-Regierung ohne SVP. Ob die bürgerlichen Kräfte im Parlament dazu Hand bieten würden, ist jedoch zu bezweifeln.