TA, 3.1.2001

 


 

Das Zentrum von links her politisch besetzen

Die SP Schweiz müsse Lösungen für die Zukunft finden statt immer wieder ideologische Diskussionen führen, fordert ein prominenter SP-Politiker.

Autor: Von Rudolf Strahm

Personell hat sich die Sozialdemokratische Partei vorläufig konsolidiert, doch die Diskussion über den politischen Kurs und Stil steht erst noch bevor. Wären jetzt Wahlen, würde die SP massiv einbrechen. Wenn wir den jetzigen politischen Kurs und diesen Stil weiterführen, wird die Sozialdemokratie 2003 in eine Niederlage hineinlaufen. Dabei hatten wir noch im Jahr 1995 markant Wählerprozente gewonnen. Im Jahr 1999 haben wir wenigstens in der Deutschschweiz noch leicht gewonnen, in der Romandie dagegen bereits verloren.

Drei Gründe für den Umschwung

1. Im Jahr 1995 war der Höhepunkt der Rezession und der Arbeitslosigkeit. Heute haben wir wieder gute Konjunktur, und die damals verängstigten Wechselwähler kippen nicht mehr unbedingt zur Sozialdemokratie.

2. Im Wahljahr 1995 präsentierten wir uns machtmässig als Gegenmacht und Garant gegen Blocher. In der Wirtschaftspolitik hatten wir die Themenführerschaft. Heute bringt die SP-Führung nicht das geringste Gegengewicht gegen den Milliardär Blocher und die Wirtschaftsmacht der Bahnhofstrasse auf die Waage. Dafür führen wir eine ideologische Schwallwörterei, die man nicht versteht.

3. Der gravierendste Faktor: Wir enttäuschen die Mittelschichten. Vor den Wahlen 1995 fuhr die SP - trotz radikaler Rabulistik - einen linken Modernisierungskurs, der die Mittelschichten mit sozialer Verantwortung, die technische Intelligenz und die unideologischen neuen Wählerschichten in der deutschen Schweiz ansprach. Heute verprellen wir diese Mittelschichten.

Die grosse Chance

Nie zuvor war die Chance der Sozialdemokratie so gross, bei diesen neuen Mittelschichten Wählerinnen und Wähler abzuholen. Alle Erfahrungen haben gezeigt: Wo sich die Linke in antiksozialistischer Rhetorik verirrt, verbaut sie sich die Themenführerschaft und gerät in Ohnmacht. Wo sich die Linke jedoch im Zentrum mit einer sozialen und ökologischen Programmatik festsetzt, verdrängt sie die Neoliberalen und Konservativen.

Derzeit politisiert die SPS unter der Fuchtel der antiken und etatistischen Programmatik aus der lateinischen Schweiz. Diese stürzt uns ständig ins Dilemma, spaltet uns und treibt unsere Wählerschaft in der Deutschschweiz in die Verständnislosigkeit (etwa die SVP-Raus-Wunschstrategie, das Bundespersonalgesetz-Referendum usw.).

Was die SP zu sagen hätte

Zur Erlangung der Themenführerschaft sind - zusätzlich zu bisherigen Bereichen wie Europafrage, Umweltschutz, humanitärer Rechtsstaat etc. - vier Felder neu und anders zu besetzen:

Die Themenführerschaft ist allem voran in der Wirtschaftspolitik wiederzugewinnen. Die Sozialdemokratie in Deutschland, England, Frankreich konnte erst die Regierungsmacht erringen, als sie das Themenfeld der Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungsfrage und der Finanzen kompetent besetzte. Das hiesse für uns heute im Zeichen des Aufschwungs, den Strukturwandel, von dem in diesem Jahrzehnt ebenso viele Erwerbstätige betroffen sein werden wie im letzten Jahrzehnt von der Arbeitslosigkeit, mit mehr Berufsbildung, Weiterbildung und Technologiepolitik zu bewältigen - statt mit einer konservierenden Antimodernisierungsstrategie. Das hiesse die Befürwortung statt Diabolisierung des Wettbewerbs - dafür ein Kampf für eine klare Marktordnung mit sozialen und ökologischen Leitplanken. Das hiesse eine stärkere Priorität der SP-Leitung für die Finanzpolitik und den Widerstand gegen den rechtsbürgerlichen Steuersenkungswettbewerb zu Gunsten der Reichen.

Wir müssen wieder die Glaubwürdigkeit bei der Finanzierung des Sozialstaats erlangen. Unsere Wählerschaft glaubt nicht mehr, dass die AHV und der Sozialstaat für ihre Lebenszukunft gesichert sind. Diese Glaubwürdigkeitslücke haben wir zum Teil selbst verschuldet: Unter dem starken gewerkschaftlichen Einfluss sind wir in einer sozialpolitischen Forderungsmechanik ohne Finanzierungslösungen festgefahren. Wir müssen die Finanzierungsfrage des Sozialstaats - vor allem auch den zusätzlichen Finanzbedarf für die Alterung der Bevölkerung - offensiv und durch kompetente Leute angehen, statt sie zu verdrängen.

Die öffentliche Infrastruktur ist für die Menschen absolut zentral, aber im Sinne des "service au public" und nicht eines "service aux fonctionnaires publics". Die Verteidigung der konsumentennahen Dienstleistungswirtschaft, der "économie de la proximité", darf nicht zu einer Besitzstandwahrungsstrategie für Beamte werden. Sie muss durchaus Wettbewerb zulassen im Rahmen einer klaren, konsumentenfreundlichen, sozialen und ökologischen Marktordnung, wie wir sie z. B. im Elektrizitätsmarktgesetz erstritten haben.

Wenn wir ernst genommen werden wollen, braucht es mehr Realitätsbezug und realistische Lösungen. Wir sind ein bisschen ein "selbstreferenzielles System" geworden, das sich selbst genügt, sich selbst bestätigt und sich durch antike Glaubenssätze von der Realität abschirmt und fast verliebt ist in die Niederlage in ideologischer Reinheit.

Die falsche Taktik gegen Blocher

Zum Schluss noch eine Frage der Taktik. Das SPS-Präsidium will die Wählerschaft der SVP zurückgewinnen. Ich finde diese Einschätzung falsch. Doch wie auch immer: Blocher würde ich nicht mit ideologischer Schwallwörterei, mit Entschuldigungsforderungen (wegen des absurden Nazi-Vorwurfs gegen die SP) oder SVP-Rauswurf-Wunschvorstellungen entgegentreten.

Ich würde den Menschen im Lande aufzeigen, wie der Milliardär Blocher sie zertrampelt, ihre sozialen Sicherheitsbedürfnisse verhöhnt, den Sozialstaat kriminalisiert und wie er shareholderpolitisch eine kalte ökonomische Umverteilung zu Gunsten der Reichsten organisiert.

Um wieder zu einer gestaltenden Kraft zu werden, müssen wir die taktische Klugheit erst noch wieder entdecken.


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