TA, 22.4.2000
Eine politische Partei besteht aus Politik, Parteiorganisation und Personen. Sie verkörpert in erster Linie eine Ideologie mit politischen Zielen und Forderungen, es braucht aber auch leistungsfähige Strukturen mit zeitgemässen parteiinternen Entscheidungsprozessen, und es braucht vor allem geeignete Personen, die die unterschiedlichen Rollen als Präsidenten, Fraktionsvorsteher, Generalsekretäre, Mandatsträger usw. besetzen. Erfolgreich ist eine Partei dann, wenn es in allen drei Bereichen optimal läuft. In bestimmten Fällen wirken sich Defizite weniger dramatisch aus. Ein gutes Produkt lässt sich auch mit einer schlechten Organisation verkaufen, und wenn die Personen miteinander harmonieren, sind die Strukturen sogar zweitrangig. Alarmierend wird es, wenn auf allen drei Ebenen Probleme bestehen, und das ist im Augenblick bei der SP Schweiz eindeutig der Fall.
Der Rücktritt von Ursula Koch ist letztlich die Folge von unüberbrückbaren Animositäten zwischen Clans und Einzelkämpfern innerhalb der nationalen Partei. Grosse inhaltliche Differenzen in zentralen politischen Themen sind bis heute keine zu Tage getreten, es sei denn, man bezeichne den Machtkampf zwischen Fraktion und Parteiführung oder die Frage des politischen Stils als Auseinandersetzungen um politische Inhalte. Dass es in einer Partei zu personellen Differenzen kommt, ist an sich nicht erstaunlich, erstaunlich ist jedoch, dass innerhalb einer grossen Partei wie der SP solche Differenzen ein derartiges Gewicht bekommen und die Partei völlig zu lähmen beginnen. Hauptexponenten dieses Konfliktes sind ein kleiner Kreis von Akteuren, die die SP über eine lange Zeit geprägt und sich teilweise auch bei der Besetzung der verschiedensten Ämter bekämpft haben. Viele von ihnen sind in einer Zeit politisiert worden, als die SP vor allem Oppositionspartei war. Damals waren die Fronten klar. Die bürgerliche Ächtung schweisste die Parteimitglieder zusammen. Heute ist die SP Regierungspartei und in breiten Kreisen der Gesellschaft akzeptiert. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und damit die parteiinterne Loyalität hat abgenommen, die SP muss lernen, dass sich nicht alle Genossinnen und Genossen gleichermassen wohlgesinnt sein können.
Ganz offensichtlich hat die Partei aber auch organisatorische Schwachstellen. Das Hauptproblem liegt im Verhältnis zwischen der Fraktion und der Partei. Die Fraktion kümmert sich um die Tagespolitik, die Partei um die Basis und die längerfristigen Perspektiven. Zurzeit ist innerhalb der SP die Fraktion zu stark, und die Basis kommt zu kurz. Beide Teile können nicht unabhängig voneinander operieren, aber die unterschiedlichen Zuständigkeiten müssen deutlich und nachvollziehbar sein, auch auf der Ebene der Unterstützung durch das Sekretariat. Was die Rolle der Parteipräsidentin betrifft, so wird man sich über kurz oder lang zwischen einem Integrations- und einem Führungsmodell entscheiden müssen. Darf die Präsidentin politisches Profil zeigen, oder soll sie es allen recht machen? Soll die Partei durch die Präsidentin nicht nur repräsentiert, sondern geführt werden, dann braucht sie ein ihr unterstelltes Sekretariat inklusive Generalsekretär, und es sollte eine vollamtliche Anstellung sein. Und schliesslich muss sich die SP überlegen, wie weit es ihr wirklich gelingt, ihre Basis in die Politikformulierung einzubeziehen und deren Bedürfnisse und Ängste aufzunehmen. Zumindest bezüglich der Parolenfassung scheint die Parteiführung in jüngster Zeit nicht immer die glücklichste Hand gehabt zu haben.
Letztlich muss sich eine Partei aber vor allem politisch positionieren. Nicht, ob sie es richtig macht, ist hier die Frage, sondern: Macht sie das Richtige? Die SP Schweiz gehört im europäischen Vergleich zu den am stärksten links stehenden sozialdemokratischen Parteien. Linke Positionen machen vor allem dann einen Sinn, wenn es damit gelingt, in der Schweizer Verhandlungsdemokratie die besseren Kompromisse zu erzielen. Auf der Ebene der Wählerinnen und Wähler sind sie letztlich aber hinderlich. Ohne eine Öffnung zur Mitte wird die SP nie über einen Wähleranteil von 25 Prozent hinauskommen. Es ist bedenklich, dass sich in vielen sozialdemokratischen Parteien eine "Neue Mitte" abzeichnet, während die SP Schweiz noch nicht einmal im Ansatz darüber diskutiert. Eine moderne Partei hat Platz für unterschiedliche Tendenzen in ihren Reihen, parteiinterne Konflikte, sind sie inhaltlich begründet, können auch konstruktiv sein.
Die Wahl einer neuen Präsidentin (es darf auch ein Präsident sein) wird wohl kaum genügen, um die SP wieder flott zu machen. Auch eine Strukturrevision ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Massnahme. Erst wenn die SP sich über ihren zukünftigen politischen Kurs im Klaren ist, kann die Suche nach einer Nachfolgerin beginnen.
* Andreas Ladner ist Politologe und Lehrbeauftragter an der Universität
Bern