SZ, 9.1.2000

 


 

Parteien im Modernisierungsdruck

Sie müssen professioneller werden, um zu überleben

 

Bern - Dinosaurier Parteien: Sie sind als vielleicht letzte Gebilde vom Strukturwandel, den die Schweiz durchgemacht hat, noch kaum erfasst worden. Wollen sie überleben, müssen allerdings auch sie sich professionalisieren.
"Die Politik hat sich beschleunigt, ist komplexer und teurer geworden", sagt Politologe Andreas Ladner. Nicht mit dieser Entwicklung mitgehalten hätten aber die Parteien. Sie lebten von der Hand in den Mund, bewegten sich wie Tanker. "Das Parteiensystem der Schweiz", so Ladner, "ist mit seinen Verästelungen bis hinab in die Gemeinden sehr schwerfällig."
Ob sich die Parteien dieses feingliedrige System überhaupt noch leisten könnten, sagt Ladner, müssten sie sich gut überlegen. Dass bei den bürgerlichen Parteien jede Lokalsektion ihre Mitglieder noch selbst bewirtschafte, sei nicht mehr zeitgemäss.

Parteien sollen Unternehmen zweckorientiert ansprechen

Gefragt sind neue Ideen. Ladner denkt an ein "Dienstleistungszentrum CVP" oder eine "Dienstleistungsgesellschaft FDP". "Sie könnten im Leistungsauftrag und in Form einer Holding nach aussen vergeben werden", sagt Ladner.
Professioneller arbeiten müssen die Parteien auch bei der Beschaffung ihrer Finanzen. "Dilettieren ist hier nicht mehr gefragt", sagt Matthias Kummer, Direktor der Wirtschaftsförderung. Die Parteien sollten überprüfen, ob sie die Unternehmen noch richtig ansprächen, denkt Kummer. Unternehmen müssten einerseits vermehrt projektorientiert und als "Zweckbündnis für eine gewisse Zeit" angefragt werden. In diesem Bereich habe selbst die SP Chancen, glaubt Kummer, Wirtschaftsgelder zu erhalten. Andererseits müssten die Parteien mit präziseren und auf mindestens zwölf Jahre angelegten Programmen vorsprechen. Kummer: "Damit würden die Parteien viel gewinnen."
Die Firmen empfinden es als zunehmend "störend, von Parteien auf allen Ebenen" um Geld angegangen zu werden, wie Politologe Ladner feststellt. Zuerst die Stadt-, dann die Kantonalpartei - und zuletzt die nationale Partei: Dieses Ritual des Vorsprechens verstehen Wirtschaftsleute nicht mehr. Kummer empfiehlt Clearingstellen.
Einiges lernen könnten die Parteien aber auch von WWF oder Greenpeace, sagt er. Selbst die Wirtschaftsförderung hat sich bei Greenpeace über Fundraising orientieren lassen. "Greenpeace schafft Events, die Sympathien hervorrufen - und nutzt diese gleich für ihr Fundraising", so Kummer.
Wie locker gerade die FDP auf einen Schlag die Hälfte ihres gesamten Budgets aufbringen könnte, zeigt Politologe Ladner auf. "Mit einem Mitgliederbeitrag von lediglich 20 Franken würde der Freisinn bei 90 000 Mitgliedern 1,8 Millionen Franken erwirtschaften." Heute erhält die FDP von ihren Kantonalparteien 20 000 Franken - "ein lachhafter Betrag", so Ladner.
Dafür müssten die Freisinnigen allerdings ihre Bedenken gegen eine zentralisiertere Partei ablegen. Selbst der Versuch, pro Mitglied fünf Franken Beitrag zu erheben, blieb nämlich chancenlos. "Vielleicht braucht es den Konkurs einer Partei", sagt FDP-Generalsekretär Johannes Matyassy, "bis diese enormen Widerstände verschwinden." Othmar von Matt .


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