SZ, 24.10.1999


«Viel zu spät gestartet»

Politologe Andreas Ladner zu Tücken des Wahlkampfs

Bern - Der Politologe Andreas Ladner lehrt an der Universität Bern. In seiner letzten Studie untersuchte er, wie zeitgemäss die Organisationsstrukturen der politischen Parteien heute noch sind.

Andreas Ladner, was erstaunt Sie an den Argus-Zahlen am meisten?

Ladner: Der Grossteil der Kandidaten hat sehr spät in den Print-Wahlkampf investiert. Bis zum 1. Oktober waren es nur 4,4 Millionen Franken, nach den neusten Zahlen sind es immerhin 11 Millionen. Dieses Vorgehen widerspricht den heute gültigen Erkenntnissen beim Polit-Marketing. Ein Kandidat muss langfristig aufgebaut werden, reines Eventmarketing bringt nichts mehr.

Wo liegen die Gründe für den späten Wahlkampf-Start?

Ladner: Die Budgets sind zu klein oder die Insertions-Preise zu hoch. Der späte Wahlkampf ist übrigens problematisch: Heute kann jeder drei Wochen vor dem entscheidenden Sonntag wählen, in vielen Kantonen ist zudem noch Ferienzeit. Dadurch erreichen viele Kandidaten nur einen Bruchteil ihrer Zielwähler.

Von den ausgegebenen 11 Millionen Franken für Printwerbung entfällt mehr als ein Drittel auf den Kanton Zürich. Weshalb?

Ladner: Der Wahlkampf ist immer dort am teuersten, wo es viele Parteien gibt, wo viele Sitze zu gewinnen sind und die Ausgangslage offen ist.

Unter den zehn Nationalratskandidaten, die am meisten Geld für Print-Werbung ausgegeben haben, sind fünf FDP-Mitglieder aus Zürich. Was heisst das?

Ladner: Der parteiinterne Konkurrenzkampf ist dort sehr hart und wirkt kostentreibend.

Bürgerliche Kandidaten geben am meisten Geld für Printwerbung aus. Steht das in einem Zusammenhang mit ihren Postulaten nach grösserer Eigenverantwortung?

Ladner: Ja. Die bürgerlichen Parteien überlassen den Wahlkampf stärker ihren Kandidaten. Die SP pflegt eher die Kultur des gemeinsamen Auftritts.

In der Vergangenheit sorgte die finanzielle Potenz einzelner Kandidaten für Unruhe. Reagiert die Bevölkerung darauf noch immer sensibel?

Ladner: Die Vorstellung, dass jemand dank sehr viel Geld einen Sitz «kaufen» kann, wird von vielen Leuten nach wie vor als äusserst störend empfunden.

Pascal Scherre