St. Galler Tagblatt, 1.11.1999
Herr Ladner, sogar die Linke scheint sich laut Sonntagspresse mit dem Gedanken an einen Bundesrat Christoph Blocher anzufreunden. Was hat dazu geführt?
Andreas Ladner: Der Glaube an die Kraft des Konkordanz-Prinzips. Man ist sich einig: dem Wahlergebnis soll Nachachtung verschafft werden. Eine Möglichkeit ist, den politischen Gegner, den «Blocher-Flügel» der SVP, in die Regierungsverantwortung einzubinden. Dies in der Hoffnung, dem Oppositionskurs der SVP den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Könnte diese Taktik nicht scheitern?
Ladner: Das ist schwer zu sagen. Es kommt darauf an, wie Christoph Blocher als Bundesrat agieren würde. Ich meine, grundsätzlich sicher nicht «zahmer» als bisher. Das ist im Übrigen bei der SP auch nicht der Fall. Sie versucht ebenfalls, aus ihrer Doppelrolle als Regierungs- und Oppositionspartei das Optimum herauszuschlagen. Da kommt es auch nicht darauf an, ob eine Partei einen oder zwei Bundesräte stellt. Insofern könnte diese Einbindungs-Strategie tatsächlich scheitern.
Also käme der «Volkswille» in einer Regierung mit Blocher gar nicht stärker zum Tragen?
Ladner: Nicht unbedingt. Die SVP würde bei Bedarf weiterhin zu Referendum und Initiative greifen, um ihre Anliegen durchzubringen. Mit der Auns stehen ihr zudem schlagkräftige Verbündete zu Verfügung, wenn die Partei - mit Blick auf die Regierungsverantwortung - einmal weniger weit gehen will. Im Bundesrat müsste sich Blocher natürlich dem Kollegialprinzip beugen; vielleicht würde er da und dort seine Meinung deutlicher zum Ausdruck bringen, als dies heute üblich ist.
Misstrauen gegenüber Blocher zum einen - Einbindungsgelüste der Gegner zum anderen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Ladner: Was immer man von ihm halten mag: Blocher akzeptiert das Konkordanzsystem. Er bejaht auch eine Zauberformel - nicht die bestehende, doch eine den neuen Kräfteverhältnissen angepasste. Den Ruf nach einer «Mitte-rechts»-Regierung kann ich nicht so ernst nehmen. Denn das System stürzen will auch Christoph Blocher nicht.
Wie beurteilen Sie die Zauberformel?
Ladner: Lange Zeit haben in der Schweiz die Intellektuellen die Konkordanz kritisiert und aus Gründen der Kontrolle mit wechselnden Regierungen und Oppositionen geliebäugelt. Gerade die SP ist jedoch abgerückt von ihrer früheren Fundamentalopposition. Linkswähler haben heute ein höheres Staatsvertrauen als die SVP-Wähler. Da hat eindeutig eine Umkehr der Verhältnisse stattgefunden. Die Effizienz der Konkordanz überzeugt übrigens auch in anderen Ländern zunehmend, etwa in Belgien, einem mit der Schweiz vergleichbaren kleinen und heterogenen Land.
Wie realistisch ist die Zauberformel in ihrer bestehenden Form heute noch?
Ladner: Ich denke, eine seit vier Jahrzehnten funktionierende Formel kann auch einmal ihren «Zauber» verlieren. In den Kantonen haben wir auch so etwas wie «Zauberformeln» bei den Regierungszusammensetzungen. - Mit dem Unterschied, dass diese bei Wahlen hin und wieder modifiziert werden. Und das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, sondern ein Abbild des gesellschaftlichen Wandels.
Glauben Sie, dass die nächsten Bundesratswahlen zu einem Wechsel in der Regierungszusammensetzung führen?
Ladner: Die Ausgangslage spricht dagegen. Schon bei der Wahl von Frau Metzler und Herrn Deiss störte mich das rein taktische Verhalten der CVP, sich mit einem Doppelrücktritt auf lange Sicht hin beide Bundesratssitze zu sichern. Man verbaute sich damit die Möglichkeit, auf unspektakuläre Weise die Zusammensetzung der Regierung neuen Kräfteverhältnissen anzupassen. Jetzt wird es ziemlich sicher zu ähnlich kurzsichtigen Manövern kommen, um die Zauberformel zu erhalten.
Eine GfS-Nachwahlbefragung ergab, dass die SVP die unter 40-Jährigen am meisten anzog. - Ihr Kommentar dazu?
Das zeigt, dass die SVP tatsächlich neue Schichten ansprechen konnte und nicht nur das Erbe der Rechtsaussenparteien angetreten hat. Zudem band sie auch vermehrt qualifizierte Kandidaten an sich, die ihr Know-how in den Dienst der Partei stellen. Und sie hat sich Regionen erschlossen, wo sie vorher keinen Zugang hatte, zum Beispiel die Westschweiz.
Was würde die Option «Blocher für Ogi» für die Ausrichtung der SVP bedeuten?
Ladner: Nichts Gutes. Adolf Ogi repräsentiert nach wie vor einen Teil SVP, wenn dieser liberalere Teil zurzeit auch unter Druck ist. Zudem könnte sich ein solcher Schritt insofern als falsch erweisen, als Ogi im Volk hohes Ansehen geniesst. Der Imageschaden für die SVP wäre riesig. Das ist auch Christoph Blocher klar.
Interview: Norbert Staub