Radio Fribourg, 22.4.1999


Rechtsrutsch in der Schweiz?

Wochenkommentar vom 22.4.1999

Die SVP hat am letzten Wochenende in den Kantonen Zürich und Luzern einen grossen Sieg davongetragen. Dieser Sieg kam nicht ganz unerwartet. Überrascht hat sein Ausmass. Die Schweizer Politik ist in Bewegung geraten, das Parteiensystem wird von einer bis anhin unbekannten Dynamik erfasst, die sprichwörtliche Stabilität der politischen Verhältnisse ist bedroht.

Wie keiner anderen Partei ist es der SVP in den letzten Jahren gelungen, ihr Einflussgebiet kontinuierlich auszubauen. Sie gewinnt an Bedeutung in den Städten und dringt langsam aber sicher in die katholischen Stammlande der CVP vor. Einzig das Welschland hat sich bis jetzt ihren Machtgelüsten erfolgreich widersetzt.

Was sind die Ursachen für die Stimmengewinne der SVP? Der Erfolg einer Partei geht Hand in Hand mit dem Misserfolg ihrer Konkurrentinnen. Der SVP ist es auf dem Weg zu ihrer heutigen Stärke gelungen, quer durch die Parteienlandschaft hindurch neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen:

Lange Zeit wurde der Fehler gemacht, den Erfolg der SVP einer einzigen Person zuzuschreiben und ihre Anliegen als populistisch abzutun. Dabei wurde übersehen, dass die Partei in den letzten Jahren eine knallharte Parteiaufbauarbeit geleistet hat. Die Mitgliederrekrutierung wurde verstärkt, Lokalsektionen wurden neu gegründet und kantonale Parteisekretariate mit bezahlten Stellen ausgestattet. Praktisch wöchentlich sucht die Zürcher SVP den Kontakt zu ihren Wählerinnen und Wählern und erfährt so von ihren Problemen und Anliegen.

Die SVP brüstet sich nicht zu Unrecht damit, dass sie keine Tabuthemen kennt, und auch heisse politische Eisen aufgreift. Sie scheut sich nicht, in Opposition zur Regierung zu gehen und selbst ihren eigenen Bundesrat im Regen stehen zu lassen. Damit geht sie hart an die Grenzen unseres Systems der Konkordanz und der direkten Demokratie. Oppositionspolitik ist jedoch immer einfacher, kommt immer verständlicher daher, als wenn es darum geht, mühsam ausgehandelte, aber letztlich tragfähige Kompromisse dem Volk zu vermitteln. Opposition ist aber noch kein Regierungsprogramm.

Den Gegnern der SVP bleibt zu hoffen, dass die Partei am letzten Wochenende in erster Linie wegen ihrer kritischen Haltung der offiziellen Politik gegenüber gewählt wurde, und nicht wegen den von ihr vorgeschlagenen Lösungen. Untoleranz gegenüber Ausländern und Minderheiten, Abschottung gegen aussen und Verherrlichung einer Schweiz der Vergangenheit würden in der Tat auf einen Rechtsrutsch in der Gesellschaft hindeuten. Vielleicht war es aber viel mehr ein Fingerzeig an die anderen Parteien, sich ehrlich und offen mit der Lösung anstehender Probleme zu befassen und die ideologischen Scheuklappen endgültig abzulegen.

Unserer System der direkten Demokratie mindert die Bedeutung von Wahlen. Mit den Parteistimmen wird die grobe Richtung vorgegeben, wird Mut und Themenführerschaft honoriert, Entscheidungen in Sachfragen fallen in Volksabstimmungen.