Stimmen wir halt ein bisschen ab
Neue Formen des Abstimmens machen die Politik nicht
lustiger
Der Vote-in-Party in Zürich steht die Kritik
entgegen, den staatsbürgerlichen Akt des Wählens und Abstimmens
seiner Ernsthaftigkeit entkleidet zu haben. Richtig, meint der
Politologe Andreas Ladner. Ein Bedeutungswandel ist aber schon
längst im Gang.
rel. Politik kann cool und sexy sein, glaubt der Journalist und
Inszenator politischer Pop-Events Thomas Haemmerli. Den Beweis
wollte er mit der ersten Schweizer Abstimmungsparty, dem Vote-in,
erbringen. Zumindest das zum kollektiven Stimmcouvert-Einwerfen
unter Blitzgewitter zahlreich erschiene Partypeople wird Haemmerli
recht geben. Das Vote-in bot mit Abstand die ausgelassenste
Gelegenheit zum Abstimmen, welche die Schweiz je erlebt hat. Mit
Politik aber hatte der Anlass nur wenig zu tun, zumindest nicht,
wenn man es nach klassischen Kriterien beurteilt. Keine Reden
wurden geschwungen, keine Plakate wurden geschwenkt, nicht einmal
eine Nelken-Gaben oder eine Bratwurst gab es an der Party. Wie die
Stimmcouverts als Eintrittskarte musste man seine Meinung
mitbringen. Wer sie am Abend machen wollte, wurde mit dem falschen
Input bedient.
War also das Stelldichein nur deswegen cool, weil politische
Themen ausgeklammert wurden? «Ganz so einfach ist es nicht», sagt
der Politologe Andreas Ladner, «die Partybesucher waren sich
bewusst, einen politischen Anlass zu besuchen.» Tatsächlich ist
kaum anzunehmen, dass unsere Informationsgesellschaft politische
Totalignoranz überhaupt zulässt. Jeder Besucher muss sich
zumindest Gedanken über den Inhalt des Couverts gemacht haben, das
ihm die Party-Halle der Tony Molkerei im Zürcher Westend
eröffnete.
Abstimmungssonntage haben ausgedient
Angenommen, das Vote-in hatte tatsächlich den Stellenwert eines
politischen, oder eher eines staatsbürgerlichen Anlasses - ging es
doch in erster Linie um das Zelebrieren der Stimmabgabe -, kann es
als krasses Phänomen einer Tendenz gesehen werden, welche sich für
Ladner schon seit langem abzeichnet: dem Bedeutungswandel des
Wählens. Ist man früher sonntags mit ernster Miene und im
Bewusstsein der demokratischen Pflichterfüllung zur Urne
geschritten, wird das Abstimmen spätestens seit der Einführung der
brieflichen Stimmabgabe als Handlung ohne besondere Aura
wahrgenommen. «Man stimmt noch rasch ab, bevor man in die Ferien
fährt», beschreibt Ladner den entmystifizierten Akt, dessen
Alltäglichkeit durch das Internet noch gesteigert werden könnte.
Die briefliche Stimmabgabe wird von Ladner nämlich keineswegs
als Endpunkt der Entwicklung der Profanierung staatsbürgerlicher
Handlungen gesehen. Mit dem E-Voting - und deren Einführung sei
nur eine Frage Zeit, meint Ladner - wird das Abstimmen noch einmal
freier, vielleicht auch unterhaltsamer, wenn man sich der
Möglichkeiten des Internets als Wahl- und Abstimmungshelfer
vergegenwärtigt.
Im Vorfeld seiner Vote-in-Party hat Thomas Haemmerli öffentlich
darüber nachgedacht, warum Wahl-Urnen nicht auch in
Einkaufszentren stehen könnten oder an anderen sozialen
Brennpunkten. Damit käme die Urne zum Bürger, bräuchte der Bürger
nicht mehr zur Urne zu wandern. Näher als über den Bildschirm zu
Hause kann einem aber das Abstimmen und Wählen kaum gebracht
werden. Wird die Wahlurne aber aus dem quasi neutralen Umfeld
eines Schulhauskorridors oder einer Turnhalle herausgelöst, wird
das ehrwürdige Sammelgefäss in ein Einkaufszentrum oder eben auf
das Internet verschoben, gerät der Akt des Abstimmens auch in
Gefahr der kommerziellen Vereinnahmung.
Kandidatenwahl per Suchmaschine
Andreas Ladner hält es für durchaus möglich, dass mit der
Einführung des E-Voting Auswahl-Seiten auftauchen, welche eine
Vorselektion von Kandidaten anbieten oder Suchmaschinen, mit deren
Hilfe man einen Kandidaten finden kann, der den persönlichen
Vorlieben am ehesten entspricht. Damit ein Kandidat auf solchen
Auswahllisten erscheint oder von der Suchmaschine gefunden zu
wird, müsste er einen Platz erkaufen. Je besser die Seite gemanagt
wäre, das heisst, je mehr Page Impressions die Seite ausweisen
könnte, desto teurer wäre selbstverständlich der Platz.
Aufgrund der schwindenden Bedeutung der Parteien, sowie einer
zunehmend von Sachfragen und nicht mehr von ideologischen
Grabenkämpfen bestimmten Politik, werden Wähler solche
Wahl-Websites eher bei Interessenverbänden oder ad hoc
auftretenden Gruppen suchen. Und selbstverständlich werden auf
parteiungebundenen Websites auch Kandidaten unterschiedlicher
Couleur vertreten sein. Anders gesagt, die Parteizugehörigkeit
wird zu einem Kriterium unter vielen herabgemindert; könnte
gleichwertig neben der Frage stehen, ob der Kandidat autofährt,
für einen EU-Beitritt ist oder einen Hund besitzt.
Die Qualität der Stimme
Letztlich geht es jedoch immer um die Qualität der einzelnen
Stimme. Neue Formen der Informationsaufbereitung und -vermittlung
brauchen diese aber nicht nur zu gefährden, wie Ladner glaubt. Die
Möglichkeit etwa, die Geschichte des eigenen Abstimmungs- und
Wahlverhaltens abzurufen, oder das Stimmverhalten der Kandidaten
zu einzelnen Themen mittels einfacher Abfrage zu eruieren, würden
eher zu einer Vertiefung der Auseinandersetzung mit Politik und
Kandidaten führen. Doch könnten auf Wahl-Websites auch Verlosungen
und Wettbewerbe stattfinden, um möglichst viele User auf die eine
oder andere Seite zu ziehen.
Das eine kann so viel Spass bereiten wie das andere -
entsprechend des jeweiligen User-Temperaments. Der Spass aber
ergibt sich aus Spiel-Möglichkeiten, die nicht das Wählen oder
Abstimmen ersetzen, sondern es allenfalls garnieren. Nicht die
Politik wird cooler, nur der Umgang mit ihr. Womit aber im Sinne
Haemmerlis schon viel erreicht wäre.