nzz-online vom 25.2.2002

Stimmen wir halt ein bisschen ab

Neue Formen des Abstimmens machen die Politik nicht lustiger

Der Vote-in-Party in Zürich steht die Kritik entgegen, den staatsbürgerlichen Akt des Wählens und Abstimmens seiner Ernsthaftigkeit entkleidet zu haben. Richtig, meint der Politologe Andreas Ladner. Ein Bedeutungswandel ist aber schon längst im Gang.

rel. Politik kann cool und sexy sein, glaubt der Journalist und Inszenator politischer Pop-Events Thomas Haemmerli. Den Beweis wollte er mit der ersten Schweizer Abstimmungsparty, dem Vote-in, erbringen. Zumindest das zum kollektiven Stimmcouvert-Einwerfen unter Blitzgewitter zahlreich erschiene Partypeople wird Haemmerli recht geben. Das Vote-in bot mit Abstand die ausgelassenste Gelegenheit zum Abstimmen, welche die Schweiz je erlebt hat. Mit Politik aber hatte der Anlass nur wenig zu tun, zumindest nicht, wenn man es nach klassischen Kriterien beurteilt. Keine Reden wurden geschwungen, keine Plakate wurden geschwenkt, nicht einmal eine Nelken-Gaben oder eine Bratwurst gab es an der Party. Wie die Stimmcouverts als Eintrittskarte musste man seine Meinung mitbringen. Wer sie am Abend machen wollte, wurde mit dem falschen Input bedient.

War also das Stelldichein nur deswegen cool, weil politische Themen ausgeklammert wurden? «Ganz so einfach ist es nicht», sagt der Politologe Andreas Ladner, «die Partybesucher waren sich bewusst, einen politischen Anlass zu besuchen.» Tatsächlich ist kaum anzunehmen, dass unsere Informationsgesellschaft politische Totalignoranz überhaupt zulässt. Jeder Besucher muss sich zumindest Gedanken über den Inhalt des Couverts gemacht haben, das ihm die Party-Halle der Tony Molkerei im Zürcher Westend eröffnete.

Abstimmungssonntage haben ausgedient

Angenommen, das Vote-in hatte tatsächlich den Stellenwert eines politischen, oder eher eines staatsbürgerlichen Anlasses - ging es doch in erster Linie um das Zelebrieren der Stimmabgabe -, kann es als krasses Phänomen einer Tendenz gesehen werden, welche sich für Ladner schon seit langem abzeichnet: dem Bedeutungswandel des Wählens. Ist man früher sonntags mit ernster Miene und im Bewusstsein der demokratischen Pflichterfüllung zur Urne geschritten, wird das Abstimmen spätestens seit der Einführung der brieflichen Stimmabgabe als Handlung ohne besondere Aura wahrgenommen. «Man stimmt noch rasch ab, bevor man in die Ferien fährt», beschreibt Ladner den entmystifizierten Akt, dessen Alltäglichkeit durch das Internet noch gesteigert werden könnte.

Die briefliche Stimmabgabe wird von Ladner nämlich keineswegs als Endpunkt der Entwicklung der Profanierung staatsbürgerlicher Handlungen gesehen. Mit dem E-Voting - und deren Einführung sei nur eine Frage Zeit, meint Ladner - wird das Abstimmen noch einmal freier, vielleicht auch unterhaltsamer, wenn man sich der Möglichkeiten des Internets als Wahl- und Abstimmungshelfer vergegenwärtigt.

Im Vorfeld seiner Vote-in-Party hat Thomas Haemmerli öffentlich darüber nachgedacht, warum Wahl-Urnen nicht auch in Einkaufszentren stehen könnten oder an anderen sozialen Brennpunkten. Damit käme die Urne zum Bürger, bräuchte der Bürger nicht mehr zur Urne zu wandern. Näher als über den Bildschirm zu Hause kann einem aber das Abstimmen und Wählen kaum gebracht werden. Wird die Wahlurne aber aus dem quasi neutralen Umfeld eines Schulhauskorridors oder einer Turnhalle herausgelöst, wird das ehrwürdige Sammelgefäss in ein Einkaufszentrum oder eben auf das Internet verschoben, gerät der Akt des Abstimmens auch in Gefahr der kommerziellen Vereinnahmung.

Kandidatenwahl per Suchmaschine

Andreas Ladner hält es für durchaus möglich, dass mit der Einführung des E-Voting Auswahl-Seiten auftauchen, welche eine Vorselektion von Kandidaten anbieten oder Suchmaschinen, mit deren Hilfe man einen Kandidaten finden kann, der den persönlichen Vorlieben am ehesten entspricht. Damit ein Kandidat auf solchen Auswahllisten erscheint oder von der Suchmaschine gefunden zu wird, müsste er einen Platz erkaufen. Je besser die Seite gemanagt wäre, das heisst, je mehr Page Impressions die Seite ausweisen könnte, desto teurer wäre selbstverständlich der Platz.

Aufgrund der schwindenden Bedeutung der Parteien, sowie einer zunehmend von Sachfragen und nicht mehr von ideologischen Grabenkämpfen bestimmten Politik, werden Wähler solche Wahl-Websites eher bei Interessenverbänden oder ad hoc auftretenden Gruppen suchen. Und selbstverständlich werden auf parteiungebundenen Websites auch Kandidaten unterschiedlicher Couleur vertreten sein. Anders gesagt, die Parteizugehörigkeit wird zu einem Kriterium unter vielen herabgemindert; könnte gleichwertig neben der Frage stehen, ob der Kandidat autofährt, für einen EU-Beitritt ist oder einen Hund besitzt.

Die Qualität der Stimme

Letztlich geht es jedoch immer um die Qualität der einzelnen Stimme. Neue Formen der Informationsaufbereitung und -vermittlung brauchen diese aber nicht nur zu gefährden, wie Ladner glaubt. Die Möglichkeit etwa, die Geschichte des eigenen Abstimmungs- und Wahlverhaltens abzurufen, oder das Stimmverhalten der Kandidaten zu einzelnen Themen mittels einfacher Abfrage zu eruieren, würden eher zu einer Vertiefung der Auseinandersetzung mit Politik und Kandidaten führen. Doch könnten auf Wahl-Websites auch Verlosungen und Wettbewerbe stattfinden, um möglichst viele User auf die eine oder andere Seite zu ziehen.

Das eine kann so viel Spass bereiten wie das andere - entsprechend des jeweiligen User-Temperaments. Der Spass aber ergibt sich aus Spiel-Möglichkeiten, die nicht das Wählen oder Abstimmen ersetzen, sondern es allenfalls garnieren. Nicht die Politik wird cooler, nur der Umgang mit ihr. Womit aber im Sinne Haemmerlis schon viel erreicht wäre.

 

 

 

 


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