NZZ, 7.12.1998



 

Nur geschlossen sind wir stark

Die Devise der Parteien für die Nationalratswahlen 1999

 


Von Andreas Ladner und Michael Brändle*

     Mit Blick auf die Nationalratswahlen 1999 versuchen die Schweizer Parteien ihre internen Konflikte zu überwinden und sich ihren Wählerinnen und Wählern einig und geschlossen zu präsentieren. Der Blick auf die Kantonalparteien der grossen Parteien zeigt jedoch, dass nach wie vor beachtliche Unterschiede bestehen. Die in diesem Text vorgestellten Daten stammen aus einem Nationalfondsprojekt über den Wandel der Schweizer Parteien. Analysiert werden Angaben aus den kantonalen Parteipräsidien zur politischen Orientierung ihrer Partei.
 
 

     Alle Bundesratsparteien haben in den vergangenen Wochen Anstrengungen unternommen, ihre parteiinternen Differenzen im Hinblick auf die Nationalratswahlen 1999 zu bereinigen. Die SP versuchte am Parteitag in Montreux, einenSchlussstrich unter die Auseinandersetzungen zwischen dem pragmatischen und dem stärker basisorientierten Lager zu ziehen. In der SVP liess Christoph Blocher persönlich verlauten, dass interne Auseinandersetzungen über den Kurs der Partei nicht an die Öffentlichkeit gehören. CVP- Präsident Durrer forderte im Gefolge seines Parteitages eine grössere Geschlossenheit, und FDP-Präsident Franz Steinegger präsentierte das Konzept der «Neuen Mitte», welches sämtliche möglichen Differenzen zu integrieren versucht. Nur geschlossen sind wir stark, scheint die Devise zu lauten. Wie homogen sind aber die Parteien wirklich? Und wie geschlossen müssen sie sein?
 
 
 
Links-Rechts-Achse

    Der Links-Rechts-Gegensatz spielt bei der Positionierung von Parteien im ideologischen Raum eine wichtige Rolle. Weder die Grünen mit ihrem ursprünglichen Anspruch, nicht links oder rechts, sondern für die Umwelt zu sein, noch der Zusammenbruch der Berliner Mauer haben dieses politische Koordinatensystem grundsätzlich erschüttert. Auch die Präsidenten der Kantonalparteien scheinen keine Mühe zu haben, ihre Parteiauf der Links-Rechts-Achse zu positionieren: Links liegen die SP und die Grünen, Richtung rechts kommt zuerst die CVP, gefolgt von FDP und SVP. Für die CVP zeigt sich, dass ihre Basisin den Kantonen eher zu einer Mitte-Rechts-Partei tendiert.

    Die Parteien sind allerdings ideologisch keineswegs homogen. Die Orientierungen ihrer Kantonalparteien decken ein breiteres Spektrum ab. So schätzen sich die Bündner und Glarner SVP-Sektionen selber als Mitte-Parteien ein, und die Berner SP positioniert sich weniger deutlich links als andere SP-Kantonalparteien. Zwischen den verschiedenen Parteien sind auch Überschneidungen möglich, ausgeprägt etwa bei CVP und FDP: Während sich in der Mehrheit der Kantone die CVP links von der FDP positioniert, deuten unsere Forschungsergebnisse darauf hin, dass in den Kantonen Wallis und Nidwalden das Umgekehrte der Fall ist.

    Über den ideologischen Wandel ihrer Parteien befragt, lassen die Antworten aus den Parteipräsidien an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auf nationaler wie auf kantonaler Ebene zeigt sich bei der SP ein Linksrutsch und bei der SVP ein Rechtsrutsch. Bei der CVP liegt hingegen eine Diskrepanz zwischen den beiden Ebenen vor. Der Linkstrend der nationalen Partei ins politische «Zentrum» scheint in den Kantonalparteien nicht nur Nachahmer zu finden. Bei der FDP istkeine klare Entwicklung auszumachen.
 
 
 
Einstellungen zu politischen Sachfragen

    In letzter Zeit wurden immer häufiger Stimmen laut, die das Ende der Konkordanz und eine Neuorganisation des bestehenden Parteiensystems prognostizieren. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien in konkreten politischen Fragen zeigen die Grenzen einer Neugruppierung der Kräfte auf. In der Kantonalparteien-Befragung konnten die Präsidentinnen und Präsidenten angeben, welcher Anteil ihrer Mitglieder ausgewählten politischen Forderungen zustimmen würde (vgl. Tabelle).

    In der Europafrage sind die SP-Kantonalparteien geschlossen mit durchschnittlich mehr als 80 Prozent der Mitglieder für einen EU-Beitritt und die SVP-Kantonalparteien ebenso geschlossen dagegen. CVP und FDP haben zwar ein leichtesPlus bei den Befürwortern, es finden sich jedoch in beiden Parteien eine beachtliche Zahl an ablehnenden und unentschiedenen Kantonalparteien.

    Bei der Verringerung der Sozialausgaben kommt bei der SP ein klares Nein zum Ausdruck.SVP und FDP sind mit einem durchschnittlichen Prozentwert von rund 65 etwa gleichermassen dafür, während die CVP mit nahezu 70 Prozent dagegen ist. In diesem klassischen Themenbereich wird sowohl die Nähe zwischen SVP und FDP wie auch die Mitte-Position der CVP deutlich.Allerdings zeigt sich für die CVP auch, dass sich rund ein Drittel der Kantonalparteien nicht mit gleicher Vehemenz gegen eine Verringerung der Sozialausgaben stellt. Dasselbe Bild ergibt sich bei der Frage der Mutterschaftsversicherung. Beide Beispiele verdeutlichen, welche Schwierigkeiten eine allfällige neue Mitte - bestehend aus CVP, FDP und liberalen Kreisen der SVP - erwarten könnte.

    Wenig Übereinstimmung zwischen SP und CVP findet sich bei Fragen wie etwa der Fristenlösung. Hier steht die FDP auf der Seite der SP. Allerdings verläuft auch bei den Freisinnigen diese Zustimmung nicht ohne Misstöne. In rundeinem Drittel der FDP-Kantonalparteien ist sie alles andere als einstimmig. Bei der kontrollierten Heroinabgabe gesellt sich zu SP und FDP auch die CVP, während die SVP klar dagegen ist. Dies ergibt eine ähnliche Konstellation wie bei der EU- Frage. Aber auch hier gibt es FDP- und CVP- Kantonalparteien, die von der offiziellen Parteilinie abweichen.

    Je nach Themenbereich finden sich also andere politische Partner. Zusätzlich kompliziert wird die Bildung von Koalitionen durch die Heterogenität der Parteien auf kantonaler Ebene. Diese Ausgangslage dürfte eine Neustrukturierung des Parteiensystems auf der Basis von Fusionen verunmöglichen. Zu erwarten sind vielmehr zeitlich begrenzte Absprachen in ausgewählten Themenbereichen. Die Analysen zeigen aber auch, dass die «extremen» Parteien stärker geeint sind als die Parteien der Mitte. SP- und SVP-Kantonalparteien haben in ihren eigenen Reihen mit weniger Widerständen zu kämpfen als FDP und CVP.
 
Geschlossen zum Erfolg?

    Nicht unumstritten ist die Frage, ob sich die parteiinterne Heterogenität im Wahlkampf wirklich negativ auswirkt. Betrachtet man den elektoralen Palmarès der Bundesratsparteien, so scheint dies in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen zu sein. FDP und CVP waren früher kaum homogener als heute. Nationalratswahlen sind kantonale Wahlen. Ausschlaggebend für den Wahlentscheid ist die politische Orientierung der Kantonalpartei. Die parteiinternen Differenzen bietenzusätzliche Identifikationsmöglichkeiten. Je nach Sachfrage kann man sich mit der konservativen Kantonalpartei oder mit der fortschrittlichen nationalen Partei identifizieren.

    Für ein geschlossenes Auftreten spricht demgegenüber, dass eine Nationalisierung des Wahlkampfes stattgefunden hat. Die Führerschaft bei wichtigen Themen und geschicktes «event marketing» werden wichtiger und kennen keine Kantonsgrenzen. Die Parteien brauchen das Image der Erfolgreichen. Interne Geschlossenheit scheint erstes Gebot zu sein, Differenzen werdenin den Medien genüsslich ausgeschlachtet und als Zeichen der Schwäche (miss-)interpretiert. Ob der Zwist zwischen dem Berner und dem Zürcher Flügel der SVP wirklich geschadet hat, ist unklar.Die Erfolgsgeschichte dieser Partei in den letzten Jahren lässt das Gegenteil vermuten.

    Wichtig ist vor allem, wie mit ideologischen Differenzen umgegangen wird. Der interne Interessenausgleich ist eine zentrale Aufgabe der Parteien. Festgelegte Verfahren, sofern von der Basis akzeptiert, sorgen bei umstrittenen Fragen füreinen tragfähigen Entscheid. Dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt, gehört zur (parteiinternen) Demokratie. Den Bürgerinnen und Bürgern ist schon lange klar, dass auch in einer Partei auf Dauer nicht alle gleicher Meinung sein können.

    * Die Autoren sind am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern tätig. Sie untersuchen im Rahmen eines Nationalfondsprojekts den Wandel der Schweizer Parteiorganisationen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts.
 
 
 
Positionen der Kantonalparteien zu Sachfragen

Zustimmung Anteil Kantonalparteien 

im Durchschnitt  dagegen  unentschieden  dafür

Pro EU-Beitritt

FDP  58 22 39 39

CVP  53 41 18 41

SVP  14 94 6 0

SP  82 0 4 96

GPS  60 15 39 46

Pro Abbau Sozialabgaben

FDP  66 13 35 52

CVP  32 68 27 5

SVP  65 19 19 63

SP  3 100 0 0

GPS  6 100 0 0

Pro Mutterschaftsversicherung

FDP  30 73 18 9

CVP  61 27 27 46

SVP  21 94 0 6

SP  89 0 8 92

GPS  91 0 8 92

Pro kontrollierte Heroinabgabe

FDP  57 17 44 39

CVP  55 27 18 55

SVP  18 83 17 0

SP  80 4 9 86

GPS  87 0 8 92

Pro Fristenlösung

FDP  69 5 29 67

CVP  36 67 14 19

SVP  31 67 33 0

SP  84 0 0 100

GPS  89 0 0 100

Die erste Kolonne bezeichnet den durchschnittlichen Anteil an Mitgliedern in den Kantonalparteien, die gemäss Einschätzung der Parteipräsidien einer Forderung zustimmen.

Kolonnen 2 bis 4: Beträgt der Anteil weniger als 40 Prozent, so ist die Kantonalpartei dagegen, liegt er zwischen 40 und 60 Prozent, so ist sie unentschieden, und bei mehr als 60 Prozent ist siedafür.

Die Angaben basieren auf den Antworten von rund 90 Prozent aller Kantonalparteien.