NZZ, 30.12.1997 (Manuskript) |
Professionalisierung ermöglicht aktivere Mitgestaltung
Von Andreas Lander
In der Ausgabe Nr. 270 vom 20. November 1997 äussert sich der St. Galler FDP-Nationalrat
Peter Weigelt als Mitglied der nationalrätlichen Verfassungskommission kritisch
über die im Artikel 127a des Verfassungsentwurfs 1996 offengelassene Option
für eine staatliche Finanzierung der Parteien. Insbesondere wendet sich der
Autor gegen jede Form der Unterstützung, die sich am parteienmässigen Status
quo orientiert und verhindert, dass sich das Parteiensystem dem gesellschaftlichen
Wandel anpasst. Soweit mag man Weigelt zustimmen. Es stellt sich in der Tat
die Frage, wie und in welchem Ausmass die Parteien finanziert werden sollen.
Dass aber die politischen Parteien über kurz oder lang auch in der Schweiz stärker
vom Staat unterstützt werden müssen, steht - wie im folgenden argumentiert werden
soll - ausser Zweifel.
Staatliche Parteienfinanzierung - ein Dauerbrenner
Während in den meisten europäischen Ländern der Staat in den 1960er und 1970er
Jahren dazu übergegangen ist, die politischen Parteien finanziell zu unterstützen,
kommt in der Schweiz die staatliche Parteienfinanzierung zwar regelmässig zur
Sprache, ohne dass bis anhin eine befriedigende Lösung gefunden werden konnte.
Bereits Ende der 1960er Jahre forderte die "Motion Schürmann" eine
gesetzliche Regelung und damit auch eine Finanzierung des Parteiwesens. Dieser
Vorstoss führte zwar 1972 zur Einführung der Fraktionsentschädigungen, die Verankerung
der Parteien in der Verfassung und eine allgemeine Parteienfinanzierung scheiterte
jedoch nicht zuletzt auch am Widerstand der bürgerlichen Parteien. Anfangs der
1980er Jahre griff SP-Nationalrat Helmut Hubacher mit einer Einzelinitiative
die Frage der Parteienfinanzierung wieder auf. Auch sein Vorstoss wurde abgelehnt,
hatte jedoch zur Folge, dass der Bundesrat einen Bericht zur Parteienfinanzierung
ausarbeiten liess. Die zuständige Kommission befürwortete als realisierbare
Sofortmassnahme eine Erhöhung der Fraktionsbeiträge, eine Forderung, die auch
von den Generalsekretariaten der vier Bundesratsparteien unterstützt wurde und
der keine allzu grossen Widerstände entgegengebracht wurden.
Einigkeit bestand in der nationalrätlichen Kommission auch darüber, dass der
Bund in Zukunft die Arbeit der Parteien besser finanziell unterstützen sollte.
Dabei hatte die Kommission in erster Linie einen direkten Beitrag an die Wahlkampfkosten
der Parteien im Auge. Als weitere Stützungsmassnahmen wurden gefordert: der
kostenlose Versand von Wahlprospekten durch die Kantone, die unentgeltliche
Abgabe von amtlichen Wahlzetteln an die Parteien, niedrigere Posttaxen für unadressierte
Drucksachen von Parteien und den erleichterten Zugang zu Datenbanken und Dienstleistungen
des Bundes.
Seither sind fast 10 Jahre vergangen. Einzig die Fraktionsbeiträge wurden 1993
in einem weiteren Schritt auf den immer noch relativ bescheidenen Betrag von
insgesamt etwas mehr als 3 Mio. Franken aufgestockt. Für die weiterreichenderen
Massnahmen fehlen heute nach wie vor die verfassungsrechtlichen Grundlagen.
Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass mit der Verfassungsrevision einer
zukünftigen Lösung des Problems keine Hindernisse in den Weg gelegt werden.
Argumente pro und contra
Gegen eine staatliche Parteienfinanzierung wenden sich in der Regel die Vertreter
der bürgerlichen Parteien, wobei sich in jüngeren Jahren auch in diesen Kreisen,
namentlich die ehemaligen Generalsekretäre von CVP und FDP, für eine staatliche
Finanzierung stark gemacht haben. Hauptargument ist das Schreckgespenst eines
Parteienstaates mit unzählbaren Parteifunktionären, welche sich, vor allem auf
ihren eigenen Vorteil bedacht, zusehends von ihrer Basis in der Bevölkerung
entfernen. Ultra-Liberale argumentieren, dass letztlich der politische Markt
dafür sorge, welche "Ideen" und Gruppierungen (es müssen nicht immer
Parteien sein) unterstützt werden und welche nicht.
Abgelehnt wird die staatliche Finanzierung der Parteien teilweise auch deshalb,
weil vielfach damit - als Gegenleistung - die "Offenlegung" der Parteifinanzen
und das Führen von "Spendenbüchern" verknüpft wird. Die Stimmberechtigen
sollen, so argumentieren die Befürworter einer Offenlegung - in der Lage sein,
sich über die wirtschaftliche Abhängigkeit der Parteien ein Bild zu machen.
Dieses Anliegen kommt vor allem von den Linken, die den bürgerlichen Parteien
vorwerfen, in erheblichem Masse und für die Wählerschaft nicht ersichtlich von
finanzkräftigen wirtschaftlichen Interessen unterstützt zu werden, welche einen
wesentlichen Einfluss auf die politische Linie nehmen.
Befürworter einer staatliche Parteienfinanzierung gehen davon aus, dass die
Ressourcen in der Gesellschaft ungleich verteilt sind und dass, nicht zuletzt
auch weil keine vollständige Transparenz herrscht, der politische Markt nicht
funktioniert. Sie machen geltend, dass nur mit einer staatlichen Parteienfinanzierung
ein "gerechter" politischer Wettbewerb geschaffen werden kann. Kleinere
und oppositionelle politische Gruppierungen, die über keine Beziehungen zu finanzkräftigen
Kreisen verfügen, müssen mit einer staatlichen Finanzierung besser gestellt
werden.
Ein weiteres Argument für eine staatliche Parteienfinanzierung ist zudem die
geringere Abhängigkeit der Parteien von Spenden, was sie vor Korruption schützen
soll. Zumindest dieser letzten Aussage fehlt allerdings die empirische Evidenz.
So zeigt etwa die Geschichte, dass es in Deutschland trotz ausgebauter Parteienfinanzierung
immer wieder zu Parteispendenaffären gekommen ist.
Stellung und Funktion der politischen Parteien
Die Diskussionen um eine staatliche Parteienfinanzierung sind in der Schweiz
allzu lange auf einer grundsätzlichen Ebene und mit staatsrechtlichen Argumenten
geführt worden. Darob sind die konkreten Aufgaben und Funktionen der Parteien
in Vergessenheit geraten. Im Mittelpunkt steht heute wohl kaum mehr der Grundsatzentscheid,
ob Parteien vom Staat überhaupt finanziert werden sollen oder nicht. Politische
Parteien erfüllen in Demokratien anerkanntermassen wichtige Funktionen. Diese
Leistungen haben ihren Preis und die Parteien sind nicht mehr in der Lage, vollumfänglich
selbst dafür aufzukommen. Heute stellt sich die Frage, auf welche Art und in
welchem Ausmass Parteien unterstützt werden müssen. Hierzu bietet sich eine
ganze Palette von Finanzierungsmöglichkeiten an und es bestehen vor allem auch
wichtige graduelle Unterschiede. Fraktionsbeiträge oder die Rückerstattung von
Wahlkampfkosten haben nicht dieselben Auswirkungen auf das Funktionieren der
Parteien.
Ausgangspunkt für eine fundierte Diskussion muss die Stellung der Schweizer
Parteien in Politik und Gesellschaft und die an sie gestellten Ansprüche und
Erwartungen sein. Vor allem die nationalen Parteien sind was ihre Organisationsstruktur
und ihre Ressourcen anbelangt, ausgesprochen schwach dotiert. Diese Schwäche
ist nicht konjunkturell bedingt, sondern hat strukturelle Ursachen und liegt
teilweise in der Kleinheit des Landes und vor allem in seinem föderalistischen
Aufbau begründet. Die vier Bundesratsparteien haben zusammen ein Jahresbudget
von nicht einmal 10 Mio. Franken. Das ist beispielsweise deutlich weniger als
Greenpeace jährlich an Spendengelder budgetiert. Auf den Generalsekretariaten
der vier Bundesratsparteien beschäftigen sich zwischen 3 und 8 Personen professionell
mit Politik. Bei diesen Dimensionen müsste es eigentlich erstaunen, wieviel
die Schweizer Parteien überhaupt zu leisten in der Lage sind. Der Grossteil
der politischen Arbeit wird allerdings hierzulande von den Parlamentarierinnen
und Parlamentarier gemacht, welche jedoch nicht nur ihre Parteien, sondern auch
ihren Kanton und andere Interessengruppen vertreten.
Eine direkte Folge dieses Ressourcenmangels ist, dass die Parteien als Organisationen
- von wenigen Ausnahmen abgesehen - heute kaum in der Lage sind, die Politik
aktiv mitzugestalten und in Sachfragen kompetent aufzutreten. Die Massenmedien
schneller und professioneller, sie bestimmen die politische Agenda, liefern
die Hintergrundinformationen und organisieren die Meinungsbildung. Versuche,
den Parteien auch noch die Rekrutierungsfunktion abzunehmen, bleiben bis anhin
auf das "portieren" von potentielle Kandidatinnen und Kandidaten im
Vorfeld von Bundesratswahlen beschränkt.
Es ist äusserst inkonsequent gleichzeitig die "Krise der Parteien"
zu beklagen, ihnen den Verlust an "Themenführerschaft" anzukreiden
und konstant zu verhindern, dass sie einen minimalen Grad an Professionalisierung
erreichen. Die politischen Parteien leben buchstäblich von der Hand in den Mund
und haben zu wenig Ressourcen, grundlegendere inhaltliche Auseinandersetzungen
zu führen und Themen seriös vorzubereiten. So wird die Politik bestimmt durch
zufällig beigezogene Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien und übers Internet
bezogene Kurztabellen. Dies schadet der Qualität der politischen Arbeit und
vor allem auch dem Vertrauen in die Parteien. Ohne zusätzliche Mittel ist das
Image der Parteien kaum zu verbessern.
Parteienfinanzierung ist nicht gleich Parteienfinanzierung
Bedauerlicherweise sind jedoch gerade diejenigen Formen der Parteienfinanzierung,
die in der Vergangenheit diskutiert wurden, kaum dazu geeignet, die Parteien
als solche zu stärken. Die Finanzierung der Fraktion mag zwar die Qualität der
parlamentarischen Arbeit verbessern, direkt gefördert werden die Parteien jedoch
nur bedingt. Die Fraktionen beschäftigen sich mit der Alltagspolitik, die Erarbeitung
wegweisender politische Konzepte und grundlegendere Auseinandersetzungen sind
hier zweitrangig. Auch die Erhöhung der Entschädigung an die Parlamentarier
kommt nur beschränkt den Parteien zugute. Die Rückerstattung der Wahlkampfkosten
schliesslich erhöht in erster Linie die Geldsumme, die für Werbeaktionen zur
Verfügung steht. Hiervon würde die Werbewirtschaft profitieren. Erfahrungen
aus dem Ausland zeigen, dass durchaus auch eine Plafonierung der Ausgaben sinnvoll
sein kann.
Will man das angeschlagene Image der politischen Parteien bekämpfen, will
man ihre Sachkompetenz erhöhen, so muss eine echte Parteienfinanzierung
darauf abzielen, die Qualität der Parteiarbeit zu steigern. Das heisst,
den nationalen Parteiorganisationen müssen Ressourcen eröffnet werden,
die eine kompetente Auseinandersetzung mit komplexen politischen Themen ermöglichen.
Dies könnte beispielsweise über die Finanzierung von wissenschaftlicher
Expertise und über den erleichterten Zugriff auf Informationen aus der
Verwaltung geschehen. Eine Minimalausstattung an politisch qualifiziertem Personal
auf den nationalen Parteisekretariaten gehört ebenfalls zu den Grundvoraussetzungen.
Die Angst vor einem "Herr von Parteifunktionären" ist in der
Schweiz unberechtigt, davon sind wir noch Lichtjahre entfernt.