NZZ Monatsarchiv

Neue ZŸrcher Zeitung Z†RICH UND REGION Montag, 26.04.1999 Nr. 95   33

Der Freisinn in der Zentrumsfalle

Wie kann, fragen sich heute im Kanton ZŸrich viele, wie kann denn eine Partei einen Erdrutschsieg erringen, wenn gar kein Wahlkampf stattgefunden hat? Die Antwort lautet: gerade deshalb.

    Vor vier Jahren noch hatte die SVP mit dem emotionalisierenden ÇMesserstecherÈ- Inserat einen nationalen Aufschrei provoziert und dank dieser Polarisierung den rechten WŠhlerrand endgŸltig an sich gebunden. Nach dem faktischen Aufgehen von Schweizer Demokraten, Freiheitspartei und Šhnlichen Gruppierungen im Schoss der Schweizerischen Volkspartei musste Christoph Blocher, wollte er seine Parlamentsdeputation weiter ausbauen, in diesem Wahljahr seine Aufmerksamkeit dem Zentrum zuwenden. Diese Zielsetzung erforderte allerdings die Wahl sanfterer Methoden als die Stiefel von 1995. So streifte sich der Wolf den Schafpelz Ÿber und schlich sich in die freisinnigen Hochburgen am rechten ZŸrichseeufer, wo man ihn so lange nicht wahrnahm, bis es zu spŠt war: Heute ist Blochers Partei sogar in diesen FDP-Stammlanden zur stŠrksten politischen Kraft aufgestiegen.

    Bei den Freisinnigen nimmt man diese unerfreuliche Entwicklung wie schon nach den letzten Wahlniederlagen vor allem indigniert zur Kenntnis. Instinktiv neigt man dazu, sich noch weiter von der SVP und ihren Themen zu entfernen, noch trotziger dem Populismus der Blocher-Partei die gepflegte politische Fechtkunst der FDP entgegenzuhalten. Diese Form der Abgrenzung bedeutet, dass man gerade nicht die politische Auseinandersetzung um die Themen sucht, welche die SVP forciert. Vielmehr macht man einen Bogen darum herum oder begibt sich auf gršsstmšgliche Distanz zu den Lšsungen der SVP.

    Christoph Blocher kšnnte sich nichts Besseres wŸnschen. Dass ihm die gršsste Rivalin im bŸrgerlichen Lager mehr oder weniger freiwillig ganze Themenfelder und damit einen wesentlichen Teil der WŠhlerschaft ŸberlŠsst, erleichtert ihm die Aufgabe ungemein, von gesicherter Heimbasis aus den nŠchsten Vorstoss in freisinniges GelŠnde vorzubereiten. Dabei hat das scheinbar unaufhaltsame Wachstum der SVP nicht bloss zahlenmŠssige Konsequenzen fŸr die FDP. Auch in inhaltlicher Hinsicht hat sie der Kraftprotz zur Rechten in die Rolle der klassischen Zentrumspartei gedrŠngt. Sie wird im Kantonsrat in den nŠchsten vier Jahren die Rolle der ÇMehrheitsbeschafferin in der MitteÈ spielen mŸssen, mal mit der Linken, mal mit der Rechten marschieren und so Ÿber den Kurs entscheiden, den der Kanton in nŠchster Zeit einschlagen wird.

    Das ist durchaus eine respektable Position, mit einer grossen Entscheidungsmacht und einer offensichtlichen VerantwortungsfŸlle. Vor allem aber ist dies eine Falle. Denn eine Partei in dieser Rolle verfŸgt zwar im Parlament Ÿber eine betrŠchtliche Macht. Der Preis, den sie dafŸr zu bezahlen hat, ist allerdings hoch: Sie verliert rasch an Profil, vermittelt keine kohŠrente Botschaft mehr, wird schwammig - wie beispielsweise die CVP auf nationaler Ebene. - Die Exponenten des Zentrums flŸchten sich, auf dieses Manko angesprochen, jeweils in die staatsbŸrgerliche MŠrtyrerrolle. Der Staat sei, hšrte man in der Vergangenheit von der CVP und hšrt man heute auch von FDP-Vertretern, auf eine solche zentristische Gruppierung angewiesen, die an Lšsungen interessiert sei, die differenziert denke und den tragfŠhigen Kompromissen zum Durchbruch verhelfe. TatsŠchlich kann die FDP des Kantons ZŸrich mit vollem Recht auf eine ausgezeichnete legislative Leistung in den letzten vier Jahren hinweisen; wichtige Anliegen wie etwa ein neues Steuergesetz oder ein neues Personalrecht wŠren ohne Vermittlung der Freisinnigen auf der Strecke geblieben.

    Das ist ohne Zweifel verdienstvoll. Nur zeigt die Erfahrung, dass der WŠhler diese Rolle nicht zu honorieren pflegt, und zwar aus zwei GrŸnden: FŸr die StimmbŸrger ist ÇMehrheitsbeschafferinÈ kein Wert an sich. Sie wŠhlen nicht zum voraus den Kompromiss, sondern eine klare Position. Der Kompromiss ist dann das Ergebnis des politischen Prozesses. Dieser findet im Schosse der Kommissionen und des Ratsplenums statt - legiferische Filigranarbeit, von der hšchstens die direkt Betroffenen und die Spezialisten Ÿberhaupt Kenntnis nehmen. Gerade der Kantonsrat, der sich meistens mit abstrakter Gesetzgebungsarbeit beschŠftigt, ist nicht ein Gremium, das die …ffentlichkeit leidenschaftlich beschŠftigen wŸrde.

    Deshalb bleibt es auch folgenlos, wenn die SVP im Rahmen der Ratsarbeit eine bestimmte Position einnimmt, um dann auf hšheres Geheiss in der Volksabstimmung das Gegenteil zu vertreten. Denn kein StimmbŸrger wird sich beim AusfŸllen seines Wahlzettels daran erinnern, welche Partei im ZŸrcher Rathaus durch ein Nachgeben bei welchem Paragraphen welcher Lšsung zum Durchbruch verholfen hat. Seinen Entscheid fŠllt er aus viel grundsŠtzlicheren Motiven, indem er sich fragt: FŸr welche Werte steht (beispielsweise) die FDP? Weshalb lohnt es sich fŸr mich, die FDP-Liste in die Urne zu legen?

    Ja, weshalb soll es sich denn heute noch lohnen? Freisinnige Exponenten pflegen heute zur Antwort zu geben: Weil wir eine Çlšsungsorientierte PolitikÈ betreiben, weil wir uns fŸr Reformen einsetzen. Der Applaus der Medien - vom ÇTages-AnzeigerÈ bis neuerdings zum ÇBlickÈ - ist damit garantiert. FŸr den durchschnittlichen (bŸrgerlichen) StimmbŸrger allerdings sind Reformen nicht schon per se positiv. Ihn interessieren die Stossrichtung, die Mittel und die mšglichen Konsequenzen einer Reform. Deshalb bekam Bildungsdirektor Ernst Buschor, der nach Ansicht vieler ZŸrcherinnen und ZŸrcher Reformen um ihrer selbst willen zu lieben scheint, am 18. April die gelbe Karte gezeigt.

    Reform und Inhalt sind jedoch zweierlei. Eine Reform ist letztlich ein formaler Begriff, ein prozessualer Zugang zu Problemen und deshalb wertfrei. Wer jetzt mit einer verbesserten Kommunikation kŸnftiges Unheil abwenden will, erliegt einer SelbsttŠuschung. Die FDP leidet nicht etwa darunter, dass sie ihre angeblich so differenzierten Lšsungen dem WŠhler nicht mehr erklŠren kann, sondern weil dieser nicht mehr weiss, welche Werte der Liberalismus verkšrpert. - Im Nebelschleier der Zentrumsposition drohen die politischen Konturen der FDP zunehmend zu verschwimmen. Auf dem weichen Polster von Selbstmitleid (niemand versteht unsere differenzierten Lšsungen!) und guten VorsŠtzen (bessere Kommunikation!) lŠsst sich noch einige Zeit politisieren. Die Gefahr ist bloss, dass sich die FDP so lange bequem in dieser Position einrichtet, bis die Zentrumsfalle endgŸltig zugeschnappt ist.

 

fem.