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Die Parteien an den Leistungsgrenzen?
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Aufgaben, Strukturen und Mängel
im Überblick |
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Von Andreas Ladner und Michael Brändle* |
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Die Kritik an den politischen Parteien
hat sich auch hierzulande zu einer Gewohnheit entwickelt. Eine Erhebung
im Rahmen eines Forschungsprojekts streicht demgegenüber - auch in Zahlen
- heraus, dass das politische System der Schweiz hohe Anforderungen
an seine Miliz-Parteien stellt und diese mit bescheidenen Ressourcen
wichtige Aufgaben für die Demokratie wahrnehmen. Nach Ansicht
der Autoren werden die Parteien allerdings nicht darum herumkommen, ihre Strukturen
grundlegend zu überdenken, und der Staat wird sich stärker für
sie engagieren müssen.
Kaum leichter lässt sich heute
Beifall holen als mit abschätzigen Äusserungen über die politischen
Parteien. Vorgeworfen wird ihnen, sie seien sachlich inkompetent und unfähig,
die anstehenden politischen Probleme zu lösen, sie seien vor allem an
Macht und Privilegien interessiert, überaltert und von ihrer Basis entfremdet.
Tatsächlich weht den Parteien ein kälterer Wind entgegen. Die an
sie gestellten Anforderungen sind kontinuierlich gestiegen: Komplexe Fragen
und vernetzte Problemlagen verlangen nach Lösungen, und die beschleunigte,
stark mediatisierte Alltagspolitik macht es notwendig, dass sie sich schnell
und kompetent zu aktuellen Sachfragen äussern.
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Zahlreiche Parteien, grosses Engagement |
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Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern
mit einer sehr grossen Zahl an organisatorisch gefestigten Parteien. Bei den
letzten Nationalratswahlen wurden Vertreterinnen und Vertreter aus nicht weniger
als 16 Parteien gewählt. Noch komplexer wird es, wenn wir uns auf die
Ebene der Kantone und Gemeinden begeben. Insgesamt gibt es mehr als 180
Kantonalparteien und etwa 5000 Ortsparteien. Diese Feingliederung
entspricht der Struktur des politischen Systems, bringt aber einen enormen
Personal- und Koordinationsaufwand mit sich. Gesamthaft gesehen dürften
mehrere zehntausend Personen ein Parteiamt ausüben. Die nationalen Parteizentralen
der Bundesratsparteien haben mehr als zwanzig unterschiedliche und relativ
autonome Kantonalparteien zu koordinieren, und in grösseren Kantonen
verlieren die Kantonalparteien mit teilweise weit über hundert Lokalsektionen
schnell einmal den Überblick.
Zu den wichtigsten Funktionen der Parteien
gehören die Rekrutierung von Kandidaten für öffentliche Ämter,
die Bündelung von Interessen und die Orientierungshilfe in der Politik.
Die Rekrutierung von Kandidatinnen und Kandidaten für die unzähligen
politischen Ämter, die es im föderalistischen System der Schweiz
gibt, stellt die Parteien vor grosse Herausforderungen. Allein für die
Besetzung aller Regierungs- und Parlamentssitze auf Bundesebene, in Kantonen
und Gemeinden haben die Parteien rund 35 000 Personen zu rekrutieren.
Hinzu kommen in den Gemeinden Zehntausende von Kommissionssitzen. Zwar ist
es für die prestigeträchtigen Ämter auf höherer Ebene
einfach, Interessierte zu finden, die Parteien müssen jedoch sicherstellen,
dass auch geeignete Leute vorgeschlagen werden. Bei der Besetzung der zahlreichen,
teilweise wenig attraktiven Mandate auf lokaler Ebene bekunden die Ortsparteien
zunehmend Mühe, überhaupt jemanden zu finden.
Besonders gefordert sind die Schweizer Parteien
auch bei der Meinungsbildung in Sachfragen. Sie haben sich - anders
als Interessenverbände - nolens volens mit allen Vorlagen zu befassen,
auch mit wenig spektakulären oder unpopulären. Die grosse Zahl von
Abstimmungsvorlagen auf allen drei Ebenen verlangt von den Parteien eine andauernde
Meinungsbildung und Mobilisierung. In den letzten zwei Jahrzehnten gelangten
auf nationaler Ebene über 140, auf kantonaler Ebene weit über 2000
Vorlagen zur Abstimmung. Urnengänge in den grösseren Gemeinden fordern
die Parteien zusätzlich. Von den Parteien wird erwartet, dass sie über
die Vorlagen diskutieren, Parolen fassen, Kampagnen durchführen und den
Stimmberechtigten die Standpunkte vermitteln. Zudem sollen sie sich Gedanken
über den gesellschaftlichen Wandel machen und eine politische Orientierung
anbieten, die über die Alltagsgeschäfte hinausgeht.
Und schliesslich bündeln die Parteien
die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und bringen sie in einer angemessenen
Form in das System von politischen Entscheiden ein. Diese Aggregations- und
innerparteiliche Vermittlungsfunktion ist angesichts der regionalen und sprachlich-kulturellen
Heterogenität unseres Landes besonders bedeutungsvoll. Sie schafft eine
Optik, die über Partikularinteressen hinausgeht, und wirkt in einem hohen
Masse integrativ. Bis anhin waren die Schweizer Parteien im Ausgleich
divergierender Interessen erfolgreich. Die Gefahr einer Spaltung des gesamten
Parteiensystems entlang den Sprachgrenzen, wie in Belgien geschehen, bestand
bisher kaum. Allerdings stehen heute in der öffentlichen Diskussion nicht
die wenig spektakulären, aber sehr aufwendigen Vermittlungs- und Integrationsleistungen
im Vordergrund, sondern vor allem die parteiinternen Differenzen.
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Mangel an Mitgliedern, Geld und Profis |
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Wie in den anderen Ländern Westeuropas
sinkt auch in der Schweiz die Bereitschaft, sich parteipolitisch zu engagieren.
Praktisch alle Parteien sind mit einer rückläufigen oder stagnierenden
Anhängerschaft und Mitgliederzahl konfrontiert. Ebenso nimmt die ideelle
und finanzielle Unterstützung der Parteien ab. Gleichzeitig haben sich
die Parteien in der Öffentlichkeit einer zunehmenden Konkurrenz gegenüber
zu behaupten. Immer häufiger dominieren solvente Einzelpersonen und
Interessengruppen mit aufwendigen und kostspieligen Kampagnen den politischen
Ideenmarkt. Bei wirtschaftlich wichtigen Abstimmungsvorlagen fliessen von
den betroffenen Interessenkreisen und aus Verbandskassen Millionenbeträge
in die Abstimmungskampagnen. Bei staatspolitischen Vorlagen hingegen sind
die Parteien oft sich selbst überlassen und haben mit wenigen tausend
Franken nationale «Abstimmungskampagnen» zu bestreiten.
Der Finanzbedarf der Parteien ist gestiegen,
die freien Betriebsmittel stagnieren oder gehen zurück. Bei der Spendenpraxis
zeichnet sich zudem eine klare Entwicklung ab: Konnten einzelne Parteien bisher
mit der regelmässigen Unterstützung gewisser Wirtschaftskreise rechnen,
werden heute Unterstützungsleistungen immer häufiger an konkrete
politische Projekte gebunden. Damit verschärft sich die Abhängigkeit
der Parteien von den Spenden Dritter, und eine mittelfristige Finanzplanung
wird verunmöglicht. Die meisten Parteien stehen diesen Entwicklungen
hilflos gegenüber. Die spärlichen Eigenmittel erlauben kaum je bezahlte
Medienaktionen, vielmehr sehen sie sich veranlasst, ihre Präsenz in den
Medien durch «Events» zu sichern. Dabei entsteht die Gefahr, dass
die Inhalte zu kurz kommen.
Wenig auszurichten haben die Parteien auch
bei der professionellen Bearbeitung politischer Themen; die inhaltliche politische
Arbeit leisten grösstenteils Milizpolitiker. In den schweizerischen Parteizentralen
befassen sich durchschnittlich nur rund drei Personen beruflich mit der
inhaltlichen Arbeit, bei den grossen Parteien sind es fünf bis sieben.
Rund ein Viertel dieser personellen Ressourcen wird jeweils für die parlamentarische
Fraktion eingesetzt. Von parteieigenen Forschungsgruppen oder Think Tanks,
die komplexe Sachthemen fundiert bearbeiten, sind die Schweizer Parteien weit
entfernt. Ein deutliches Signal setzte in dieser Hinsicht die CVP Schweiz,
die sich im November 1997 offiziell aus dem Vernehmlassungsverfahren verabschiedete,
um sich laut eigenen Angaben finanziellen und personellen «Raum»
zu schaffen. Macht dieses Beispiel Schule, wird der wichtige vorparlamentarische
Entscheidungsprozess nur noch den Vertretern von Partikulärinteressen
überlassen.
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Strukturreformen und Parteienförderung |
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Es ist kaum davon auszugehen, dass sich
die Lage der politischen Parteien kurz- bis mittelfristig markant verbessern
wird. Die Parteien werden nicht darum herumkommen, ihre Strukturen zu überdenken;
neue, kreative Lösungen sind gefragt. Wichtige Anregungen lassen sich
bei den aktuellen Reformen des Staatswesens finden. Es stellt sich auch für
das Schweizer Parteiensystem die Frage, ob sich eine Organisation mit so vielen
verschiedenen und bis in die kleinsten Gemeinden organisierten Parteien noch
aufrechterhalten lässt. Wie bei den Gemeinden und Kantonen wird die Lösung
irgendwo im Bereich zwischen stärkerer Zusammenarbeit und Fusion
liegen. Vielleicht gibt es bei den Bundesratsparteien schon bald Sektionen,
welche bewusst mehrere Gemeinden oder Kantone abdecken, oder es werden überparteiliche
Sachkommissionen gebildet. Dabei könnten beispielsweise Vertreter von
SP und CVP im Rahmen einer Arbeitsgruppe eine gemeinsame Sozialpolitik erarbeiten
oder FDP und SVP zusammen ihre Vorstellungen einer künftigen Finanz-
und Steuerpolitik präsentieren.
Das Modell des New Public Management
lehrt, dass es sinnvoll sein kann, gewisse Aufgaben von Agenturen erbringen
zu lassen. So könnten die Kantonalparteien parteiinterne Dienstleistungen
(Mitgliederverwaltung, Versand, Organisation von Veranstaltungen) zusammenlegen
und gemeinsam im Auftragsverhältnis an private Firmen vergeben. Eine
effizientere Organisation der administrativen Tätigkeit würde möglich,
ohne die kantonsspezifische politisch-inhaltliche Arbeit zu tangieren und
einen übermächtigen nationalen Parteiapparat entstehen zu lassen.
Insgesamt werden aber Reformen nicht ausreichen,
die Parteien wieder flottzumachen. Über kurz oder lang wird die Schweiz
nicht darum herumkommen, ihre politischen Parteien mit staatlichen Mitteln
zu fördern. Wichtig ist dabei, dass den Parteien gezielt unter die
Arme gegriffen wird. Nicht Wahlkämpfe und Abstimmungskampagnen müssen
staatlich gefördert werden, sondern die fundierte politische Arbeit zur
Lösung aktueller und zukünftiger Probleme.
Die
Bundesratsparteien in Zahlen |
|
Mitglieder |
87
000 |
73
000 |
59
000 |
38
000 |
257
000 |
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|
Anzahl
Lokalparteien |
ca.
1 300 |
ca.
1 020 |
1
010 |
1
120 |
ca.
4 450 |
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|
Anzahl
Kantonalparteien |
26 |
31 |
23 |
25 |
105 |
|
|
der Kantonalparteien |
28 |
17 |
8 |
22 |
75 |
|
|
der nationalen Parteien |
12,1 |
12,6 |
8,3 |
11,9 |
44,9 |
|
|
davon
für politisch-inhaltliche |
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Arbeit (national) |
7,25 |
7,0 |
5,3 |
6,9 |
26,45 |
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Budget
nationale Partei 1999 |
|
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(in Mio. Fr.) |
2,6 |
2,3 |
1,4 |
3,5 |
9,8 |
|
|
Anteil
Spenden (in Prozent) |
61 |
51 |
42 |
12 |
- |
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* Die Autoren arbeiten am Institut für
Politikwissenschaft der Universität Bern und untersuchten im Rahmen eines
Nationalfondsprojekts den Wandel der Schweizer Parteiorganisationen im letzten
Drittel des 20. Jahrhunderts.