NLZ, 22.3.2000
SVP-Querelen: Die Gedankenspiele über eine Spaltung der Partei hätten im realen politischen Alltag grosse Hürden zu nehmen
«Ein Blocher im Berner Flügel gesucht»
Von Karl Fischer
Die SVP kommt nicht zur Ruhe. Prominente Exponenten des gemässigten Berner Flügels haben gestern neues Öl ins Feuer gegossen. Sowohl der amtierende Ständerat Samuel Schmid als auch sein Vorgänger Ulrich Zimmerli schlossen in Interviews in Berner Zeitungen eine Trennung von der vom Zürcher Flügel dominierten SVP nicht aus. Gegenüber der «Berner Zeitung» erklärte Samuel Schmid: «Eine Abspaltung ist nicht ausgeschlossen, diese Frage ist nicht definitiv entschieden.» Ulrich Zimmerli, von 1987 bis 1999 Berner Ständerat, doppelte im «Bund» nach, als letzte Option käme allenfalls «eine Fusion der Berner SVP mit einer anderen Partei» in Frage.
«Erst ein Abtasten»
Wie realistisch aber sind solche Äusserungen?
Der Politologe Andreas Ladner, Lehrbeauftragter an der Universität Bern,
bleibt skeptisch. «Es ist vorerst wohl bloss ein Abtasten einer solchen
Möglichkeit», urteilt er. Denn die Spaltung einer Partei sei gewissermassen
die «letzte Konsequenz» unüberbrückbarer Meinungsdifferenzen.
Umgekehrt sei klar, so Ladner, dass mit solchen Gedankenspielen der Erwartungsdruck,
nun würden die Unzufriedenen nicht mehr länger nur lamentieren, sondern
handeln, geschürt werde.
Ob diese Hoffnung auf eine breit abgestützte
und damit grössere Absetzbewegung berechtigt ist, ist für Ladner heute
eine offene Frage: «Ich zweifle daran, ob dazu die Bereitschaft prominenter
Mandatsträger derzeit wirklich vorhanden ist.» In der Tat versucht
etwa der Berner SVP-Kantonalpräsident Hermann Weyeneth in seinem «Hirtenbrief»
an alle 26 000 Berner SVP-Mitglieder die Wogen zu glätten, in dem er die
zum Teil aufgebrachte Basis vor «Überreaktionen» warnt, die
Distanz zum Zürcher Flügel doch sehr in Watte verpackt und fast beschwörend
festhält: «Protestaustritte, mögen sie noch so spektakulär
angekündigt werden, helfen uns nicht weiter.» So irritiert es auch
nicht, dass Christoph Blocher gestern Weyeneths Brief «ausgezeichnet»
fand und sich sogar zur Aussage hinriss: «Keinen Satz könnte ich
nicht unterschreiben.»
Anderer Blocher gesucht
Solange sich aber prominente Kritiker innerhalb
der eigenen Reihen, heissen sie nun Samuel Schmid, Ulrich Zimmerli (beide Bern),
Ulrich Siegrist (Aargau), Lisbeth Fehr (Zürich) oder Brigitta Gadient (Graubünden)
nicht konkret vor den Karren der Abtrünnungswilligen spannen lassen und
weiterhin Durchhalteparolen predigen oder eine Rückkehr zur Sachpolitik
fordern, wie dies gestern Willy Nägeli, Präsident der SVP Thurgau,
tat, solange bleiben Szenarien von einer Abspaltung Luftschlösser.
Denn solche Ideen stehen und fallen mit den
Personen, die für solche Visionen einstehen und diese auch glaubhaft in
der Öffentlichkeit umsetzen. «Gesucht ist ein Blocher im Berner Flügel»,
bringt der Politologe Andreas Ladner die Sache auf den Punkt. Doch ein solcher
Anti-Blocher ist derzeit nicht in Sicht.
Neue liberale Mitte?
Dennoch: Zimmerlis im «Bund» geäusserte
Idee einer Konzentration der Kräfte in der liberalen Mitte erachtet Ladner,
unabhängig von den aktuellen SVP-Querelen, als interessant. Zumal das Frustrationspotenzial
bei der SVP für eine auf nationaler Ebene agierende neue politische Kraft
doch als zu schmal einzustufen ist. Denn allein mit einer Neuauflage der früheren
Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) vom Berner Staatsrechtsprofessor
Ulrich Zimmerli scherzhaft zu «Bern gegen Blocher» umbenannt
würden die Blocher-Antipoden wohl auf verlorenem Boden kämpfen. Um
auf dem bundespolitischen Parkett wirklich mit gewichtiger Stimme mitreden zu
können, wären Sympathisanten und damit Wechselwillige aus den beiden
anderen bürgerlichen Parteien nötig, glaubt Ladner.
Die bürgerliche Mitte dürfte so rasch nicht zur Ruhe kommen. CVP und FDP stünden nach wie vor unter «enormem Druck», betont Ladner, auch wenn die beiden Parteien durch die Auseinandersetzungen zwischen SP und SVP etwas aus dem Scheinwerferlicht geraten seien. Sobald sich aber die Diskussion von den parteipolitischen Anfechtungen wieder vermehrt zu den sachpolitischen Auseinandersetzungen verlagere, werde sich das wieder schlagartig ändern, mutmasst der Berner Politologe.
Blocher kein Spaltpilz
Der Mann, um den sich die ganze Auseinandersetzung
dreht, gab sich gestern gelassen. Er habe von einer «besonderen Entwicklung
in der Partei nichts gemerkt», sagte Blocher und meinte, falls er nicht
Zeitungen lesen würde, hätte er den Eindruck, in der SVP laufe alles
wie normal. Er sehe sich keineswegs als Spaltpilz in der Partei, konterte der
Zürcher SVP-Politiker die Vorwürfe an seine Adresse. Er verstehe sich
im Gegenteil mit dem Berner und Bündner Flügel der Partei sehr gut.
Blocher wies auch die Vorwürfe zurück,
der Politstil des Zürcher Flügels sei von zunehmender Ausgrenzung
Andersdenkender und von totalitärem Führungsstil geprägt. Gegenüber
der Nachrichtenagentur SDA kritisierte Blocher in diesem Zusammenhang die Zürcher
SVP-Nationalrätin Lisbeth Fehr, die im Winterthurer «Landboten»
Blocher und dessen Führungsriege undemokratisches Verhalten vorhielt: «Ich
weiss nicht, was sie damit meint.» In der Partei habe Fehr nie so etwas
gesagt. In der SVP würden Meinungsdifferenzen offen ausgetragen, und er
erinnere sich nicht, dass Fehr in Grundsatzfragen je andere Meinungen geäussert
hätte.
Den Bogen überspannt
Die innerparteilichen Zwistigkeiten der SVP
rühren laut dem Politologen Andreas Ladner nicht zuletzt daher, dass die
Partei nach den Wahlerfolgen im letzten Herbst «übermütig»
geworden ist und in den vergangenen Wochen im Rausch der Siegesstimmung «den
Bogen offensichtlich überspannt» hat. So wurde laut Ladner nicht
nur die AHV-Debatte «alles andere als geschickt» lanciert, auch
der Schlagabtausch mit der SP wäre besser unterlassen worden.
Allerdings, so gibt Ladner zu bedenken, seien
in der AHV-Diskussion «längst noch nicht alle Pfeile abgeschossen».
Falls die SVP den Unmut in der Bevölkerung geschickt aufzufangen wisse,
könne sie in der anstehenden Debatte über die künftige Sozialpolitik
trotz des Patzers wieder punkten. Das AHV-Thema sei die SVP im Übrigen
nach bewährtem Muster angegangen: «Erst wird provoziert, dann werden
die Wogen wieder geglättet. Und dann kommt die nächste Welle.»
Blocher, darin sind sich viele einig, beherrscht
die Provokation meisterhaft. Daher ist es trotz des SVP-Flügelstreits für
Ladner keine Frage: «Blocher wird weiterhin eine wesentliche Rolle spielen.»