NLZ, 20.11.1998


 

SP Schweiz:Ex-Parteipräsident Peter Bodenmann sorgt mit seinem Strategiepapier für einige Aufregung. Einschätzungen des Politologen Andreas Ladner.

«Mehr als nur ein PR-Papier in eigener Sache»

In einem gestern veröffentlichten ausführlichen Thesenpapier hält der Walliser SP-Staatsrat Peter Bodenmann nicht mit Kritik an seiner Partei zurück; er fordert einen klaren Linkskurs. Andreas Ladner, Politikwissenschafter an der Universität Bern, sieht in dem für Bodenmann typischen lautstarken Auftritt mehr als nur PR in eigener Sache.

INTERVIEW GREGOR POLETTI

Wenn der ehemalige CVP-Präsident Anton Cottier ebenfalls ein achtseitiges Positionspapier über seine Partei geschrieben und veröffentlicht hätte: Was glauben Sie, wäre ihm wohl das gleiche Medienecho zuteil geworden?

Andreas Ladner: Vermutlich nicht. Es ist allerdings wichtig, wo und wie ein solches Positionspapier veröffentlicht wird. Zudem wurden diese Reformvorschläge vor dem Erscheinen in der «WochenZeitung» klug gestreut.

Wieso gelingt es gerade Bodenmann immer wieder, soviel Aufmerksamkeit in den Medien zu erreichen?

Ladner: Er weiss natürlich ganz genau, wie man mit dem Mediensystem umgeht, und wählt den Zeitpunkt, an die Öffentlichkeit zu gehen, sehr sorgfältig aus. Im vorliegenden Fall hat er davon profitiert, dass der SP-Parteitag trotz der vorausgegangenen Auseinandersetzungen in Minne geendet und er geschwiegen hat. Das hat bei der Bevölkerung und den Medien eine Erwartungshaltung provoziert.Es ist nicht abzustreiten, dass Bodenmann sich mit diesem Papier im Gespräch hält. Aber ihm nur diesen Beweggrund zu unterschieben, wäre falsch.

Steckt hinter dem Strategiepapier mehr als nur Wahlkampftaktik und Schlagzeilenarbeit?

Ladner: Diese Beweggründe schwingen immer mit. Aber bei Bodenmanns vorliegenden Überlegungen zur Lage seiner Partei handelt es sich immerhin um ein achtseitiges Papier. Es macht den Eindruck, dass Bodenmann sich sehr sorgfältig mit der Positionierung der SP Schweiz auseinandergesetzt hat.

Wie stark hat Bodenmann damit auf seine eigene Mühle gearbeitet?

Ladner: Es ist sicher nicht abzustreiten, dass er sich damit im Gespräch hält. Aber ihm nur diesen Beweggrund zu unterschieben, wäre wirklich falsch. Das vorgelegte Reformprogramm ist kein PR-Papier in eigener Sache. Einen PR-Auftritt hätte er billiger haben können.

Kommt es für Sie überraschend, dass sich Bodenmann für eine klare und eindeutig linke Positionierung stark macht?

Ladner: Überhaupt nicht. Die in den letzten Monaten behauptete Trennung in ein linksorientiertes «Koch-Lager» und ein gegen die Mitte orientiertes «Bodenmann-Lager» war grundsätzlich falsch. Bodenmann ist schon immer einen linken Kurs gefahren. Seine Vorbilder sind nicht Tony Blair oder Gerhard Schröder, deren Kurs eher liberal zu nennen ist. Schon eher sieht er in der Politik von Oskar Lafontaine Nachahmenswertes. Es ist eine Tatsache, dass die SP Schweiz im Vergleich zu den anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa am weitesten links politisiert. Nur ist es in unserem Konkordanzsystem äusserst schwierig, differenzierte Sachpolitik ohne Kompromissbereitschaft zu betreiben. Dieses Engagement ist der SP in der jüngeren Vergangenheit jedoch als Gang zur Mitte hin oder gar als Rechtsrutsch ausgelegt worden.

Geht mit dem angestrebten, deutlich linken Reformkurs nicht die Gefahr einher, Wählerstimmen zu verlieren?

Ladner: Es ist nicht abzustreiten, dass mit einer Bewegung gegen die Mitte hin ein grösseres Wählerpotential vorhanden wäre. Mit anderen Worten: Wenn die SP einen Stimmenanteil von 50 Prozent anstreben würde, dann müsste sie diesen Schritt vornehmen. Bei einer Zielvorgabe von 25 Prozent ist eine Abkehr von der linken Position jedoch nicht notwendig.

Bodenmann beschwört in seinem Papier auch die Gefahr, dass die SVP die dominierende politische Kraft der Schweiz werden will. Teilen Sie diese Ansicht?

Ladner: Bodenmann baut dieses Feindbild bewusst auf, um sich abzugrenzen und seiner Partei zu sagen, dass sie sich jetzt doppelt anstrengen muss, damit dieses Szenario nicht eintrifft. Deshalb auch das Gedankenspiel, dass die SP bei 50 Prozent mehr Wählerstimmen als die SVP Anspruch hätte auf einen dritten Sitz im Bundesrat, bevor die SVP auf einen zweiten Sitz pocht. Wobei anzumerken ist, dass ein zweiter Sitz für die SVP eher unwahrscheinlich ist: Die Allianz gegen die SVP in der Vereinigten Bundesversammlung ist dafür wohl zu gross.

Deutet dieses Rechenbeispiel darauf hin, dass Bodenmann selbst einen Sitz im Bundesrat anstrebt?

Ladner: Auch wenn es bei zwei SP-Sitzen in der Landesregierung bleibt, könnte Bodenmann mit seinen Fähigkeiten ­ immer vorausgesetzt, er will das ­ bestimmt in der Exekutive unseres Landes Einsitz nehmen.