Handelszeitung, 29.9.1999

 


 

Kostenexplosion auch in der Politik

Parteifinanzen: Anders als in der Schweiz schwimmen in Deutschland die Politiker im Geld.

Autor: Schraner, Johannes J.

PARTEIFINANZEN/Anders als in der Schweiz schwimmen in Deutschland die Politiker im Geld. Transparenz bei den Geldfluessen herzustellen ist in ganz Europa schwierig.

Das Geruecht wurde nie bestaetigt: Die Tessiner FDP-Regierungsraetin Marina Masoni sei 1995 in ihrem Wahlkampf mit 500 000 Fr. aus Wirtschaftskreisen unterstuetzt worden. Derweil liege das Budget ihrer Kantonalpartei bei nur rund der Haelfte dieses Betrages. Die Parteispende als typisch schweizerisches Tabu im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik?

In uebrigen Europa hat man ein viel unverkrampfteres Verhaeltnis zum Geld in der Politik. Anders als in der Schweiz werden in Deutschland, oesterreich, Italien, Spanien und Schweden ueber 50% der jaehrlichen Ausgaben der Parteien von der oeffentlichen Hand uebernommen. Waehrend im europaeischen Ausland die Parteien- und Wahlkampffinanzierung grossenteils gesetzlich geregelt ist, wagte es in der Schweiz bis jetzt einzig der Kanton Tessin, dieses heisse Eisen anzufassen. Bereits vor einem Jahr wurde dort festgelegt, dass der Gesamtbetrag der Spenden fuer den Wahlkampf eines Kandidaten fuer den Staats- oder Grossrat nicht groesser als 50 000 Fr. sein darf. Parteien muessen Spenden von ueber 10 000 Fr. der Staatskanzlei in Bellinzona melden. Name und Betrag sind im "Amtsblatt" zu publizieren.

Flucht in die Illegalitaet

Ob diese Regelung fuer mehr Transparenz sorgt, ist allerdings zu bezweifeln. "Die Praxis in vielen Laendern hat gezeigt, dass eine gesetzliche Festlegung unvernuenftig tiefer Spendenlimiten geradezu als Einladung fuer illegale Parteispenden wirkt", analysiert etwa Pablo Santolaya von der International Foundation for Election Systems (Ifes) in Washington. Zusammen mit dem International Institute for Democracy and Electoral Assistance (Idea) in Stockholm sowie den Vereinten Nationen (UN) in New York verfolgt und dokumentiert das Ifes die Entwicklung in Sachen Administration und Kostenaufwand von Wahlen und Referenden auf globaler Ebene. Das Fazit von Ifes-Mann Santolaya: Die Wahlkampfbudgets erreichen inzwischen vor allem aufgrund der immer groesseren Verbreitung der Massenmedien astronomische Hoehen. Die Demokraten und Republikaner beispielsweise kassierten im letzten US-Praesidentenwahlkampf insgesamt knapp 100 Mio Dollar allein an staatlicher Unterstuetzung.

Um der Kostenexplosion Herr zu werden, tendierten die Parteien in vielen Laendern inzwischen dazu, den eigentlichen Wahlkampf auf zwei Wochen Dauer zu begrenzen, erklaert Santolaya weiter. Vierzehn Tage seien allerdings das absolute Minimum, um die Waehler mit einer Botschaft ueberhaupt noch erreichen zu koennen.

Reiche Stiftungen

Die deutschen Parteien sind wohl die weltweit bestorganisierten und finanziell bestdotierten politischen Organisationen. Die im Bundestag vertretenen politischen Gruppierungen kassieren jaehrlich satte 332 Mio DM von der oeffentlichen Hand. Dazu kommen jedes Jahr 430 Mio DM, die den fuenf Parteistiftungen zufliessen. Den Loewenanteil kassieren die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD), die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) sowie die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP). Saemtliche Stiftungen unterhalten auch Vertretungen im Ausland.

Die Politik der "Berliner Republik" kann noch aus einem anderen Grund aus dem Vollen schoepfen: Berufsverbaende, Gewerkschaften sowie Einzelfirmen koennen den Parteien so viel spenden, wie sie wollen. Der Betrag darf lediglich die 10%-Marke ihrer Jahresbudgets nicht ueberschreiten. Einzelpersonen duerfen ihre Spende zudem von den Steuern abziehen. Der Hoechstbetrag hier liegt bei beachtlichen 6000 DM.

Der Vergleich der staatlichen Unterstuetzung in anderen europaeischen Laendern zeigt den hohen Grad der Professionalisierung in der deutschen Parteienlandschaft: In Frankreich liegt die staatliche Direktunterstuetzung der politischen Parteien gerade mal bei 25 Mio Fr. pro Jahr, in oesterreich bei satten 90 Mio Fr. Darin eingeschlossen sind allerdings auch die Zuschuesse fuer die Parteizeitungen. Auch in Spanien fliessen jaehrlich beachtliche 120 Mio Fr. an Steuergeldern in die Parteizentralen des Landes. Die schwedischen Steuerzahler wiederum lassen sich den Unterhalt ihrer grossen Parteien 24 Mio Fr. kosten.

Parteigelder-Skandale

Wie schwierig ein Vergleich der Parteienfinanzierung in Westeuropa ist, zeigt allerdings der aufgedeckte Parteigelder-Skandal innerhalb des frisch gewaehlten Europaeischen Parlamentes in Bruessel: Von EU-Steuergeldern, die aus dem Etat des Europaeischen Parlaments an seine insgesamt acht Fraktionen fliessen, zweigten die Parteizentralen im EU-Parlament Betraege in Millionenhoehe zuhanden ihrer europaeischen Dachparteien ab. "Die Sozialdemokratische Partei Europas (SEP) leitete Gelder sogar an die notorisch minderbemittelten Parteizentralen weiter", berichtete Dimitros Tsatsos von der sozialistischen Pasok-Partei Griechenlands.

Mindestens 40 Mio Fr. sind auf diese Weise in den letzten zehn Jahren aus Steuermitteln ohne gesetzliche Grundlage an europaeische Parteien geflossen. Eine der ueblichen "Maschen" fuehrte die SEP an ihrem Kongress in Mailand im vergangenen Fruehjahr vor: Die Versammlung waehlte Rudolf Scharping als SEP-Vorsitzenden wieder - auf Kosten des Europaeischen Parlamentes: Zwei Tage des viertaegigen Kongresses wurden fuer Fraktionssitzungen genutzt. Dolmetscherdienste, Unterkunft und Reisekosten rechnete die SEP in Bruessel ab. Weil es bis dato keinen rechtlichen Rahmen fuer ein Statut der europaeischen Parteien gibt, ist das alles rechtens. Der Europaeische Rechnungshof in Luxemburg will sich nun aber der Sache annehmen und einen Bericht ausarbeiten.

PARTEIENFOERDERUNG/Die Bundesratsparteien haben eine Studie in Auftrag gegeben. Was die Politologen darin empfehlen, wollen die Auftraggeber bis zu den Wahlen unter Verschluss halten.


Autor: Juerg Wegelin

Eine aehnliche Form der Parteienfoerderung, wie sie in Deutschland ueber verschiedene Partei-Think-Tanks praktiziert wird, schlagen Politologen auch fuer die Schweiz vor. Das Institut fuer Politikwissenschaft der Universitaet Bern hat im Rahmen einer von den Bundesratsparteien in Auftrag gegeben Studie ueber die Parteienfinanzierung diesen eine ganze Reihe von Empfehlungen abgegeben. Mit dieser gemeinsamen Initiative der vier nationalen Parteisekretariate ist die seltene Einmuetigkeit allerdings bereits am Ende. Denn die von den Politologen Andreas Ladner und Michael Braendle vorgeschlagenen staatlichen Foerderungsmassnahmen enthalten politischen Zuendstoff. Dieser wird aber erst nach den Herbstwahlen explodieren, wollen doch die Parteisekretariate die Studie bis dann unter Verschluss halten.

Die SVP lehnt ab

"Mich ueberzeugt keiner der Vorschlaege", signalisiert SVP-Praesident Ueli Maurer seine Skepsis. Er sei "eher gegen eine Parteienfoerderung". Aber auch er muss zugeben: "Es wird fuer uns immer muehsamer und schwieriger, dem Geld nachzuspringen." Denn auch fuer die von der Bauern- zur Wirtschaftspartei mutierende SVP bedeuten die zunehmenden Unternehmensfusionen eine abnehmende Zahl potenzieller Spender. Allerdings haben gerade Kantonalparteien der SVP, wie uebrigens auch jene der SP, weniger finanzielle Probleme als die Parteien der Mitte. FDP und CVP verfuegen heute real ueber kaum mehr Geld als vor einigen Jahren.

Etwas anders sieht es bei den nationalen Parteizentralen aus: Der SVP standen 1998 nur gerade 1,4 Mio Fr. zur Verfuegung, waehrend es bei der FDP 2,4 Mio, bei der CVP 2,5 Mio und bei der SP 3 Mio Fr. waren. Dies sind bescheidene Budgets, wenn man bedenkt, wie stark die Kosten auch in der Politik gestiegen sind.

Dass eine direkte finanzielle staatliche Unterstuetzung der Parteien politisch null Chancen hat, dessen sind sich natuerlich auch Ladner und Braendle bewusst. Sie schlagen deshalb indirekte Foerderungsmassnahmen vor. Denkbar waeren staatliche Beitraege an die Politikforschung und an von den Parteien in Auftrag gegebene Expertisen. Heute sind die Parteien bei der Beschaffung von Informationen weitgehend von der Verwaltung abhaengig.

Geben Blocher und Schweri bald den Ton an?

"Wenn den Parteien nicht unter die Arme gegriffen wird, werden in Zukunft finanzkraeftige Einzelpersonen wie Christoph Blocher oder Karl Schweri gewaltig an Einfluss gewinnen", gibt Ladner zu bedenken. Weit mehr als der finanzielle Mitteleinsatz duerfte aber heute der mediengerechte Auftritt ins Gewicht fallen. So hat etwa der ehemalige SP-Praesident Bodenmann ausgerechnet, dass allein die Fernsehberichterstattung ueber seinen Ruecktrittsentscheid "in Werbezeit umgerechnet den Wert eines kleinen Einfamilienhauses" erreicht habe.

Waehrend ausser in Grossbritannien und Holland die Parteien in ganz Europa vom Staat unterstuetzt werden (siehe Artikel oben), koennen bei uns nicht einmal politische Spenden bei der Bundessteuer abgezogen werden. In rund der Haelfte der Kantone besteht zwar noch eine Abzugsmoeglichkeit. Wenn das Steuerharmonisierungsgesetz Anfang 2001 in Kraft tritt, werden aber nirgends mehr Abzuege moeglich sein.

FDP-Generalsekretaer Johannes Matyassy begruendet die Notwendigkeit der staatlichen Foerderung der Parteien etwas anders als Ladner und Braendle: "Es waere eine Entschaedigung fuer die im Interesse der Demokratie der oeffentlichkeit erbrachten Dienstleistungen. In der Konkurrenz der Vermittler zwischen Volk und Regierung sind die Parteien heute das schwaechste Glied."


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