BZ, 28.2.2000
Der Politologe Andreas Ladner zur Beschleunigungsinitiative
«Wenn wir Tempo
machen wollen, braucht es ein Verfassungsgericht»
Mehr Tempo bei der Behandlung von Initiativen könne nicht schaden, sagt Andres Ladner, Politologe an der Uni Bern. Aber die Beschleunigungsinitiative wolle alle Kontrollen aushebeln.
Interview: Denis von Burg
BZ:Die Beschleunigungsinitiative
will Tempo bei der Behandlung von Initiativen. Und die «Classe politique»,
wie sie von den Promotoren der Initiative genannt wird, sieht die Grundfesten
des Staates in Gefahr. Was ist so schlimm an einer rascheren Gangart?
Andreas Ladner:
Man sollte die Forderung nach mehr Tempo nicht voreilig ablehnen, nur weil einem
die Absender der Beschleunigungsinitiative nicht passen. Denn an sich gibt es
an der Forderung wenig auszusetzen. Auch die jüngst verkürzten Fristen
sind immer noch sehr lange und der Verschleppungsverdacht damit nicht ausgeräumt.
Die Initiative greift dieses Problem auf:In den letzten Jahren hat eine Neubeurteilung
der Funktion von Initiativen stattgefunden. Man spricht immer mehr von der indirekten
Wirkung von Initiativen. Wichtig sei der Prozess, der durch eine Initiative
ausgelöst werde und nicht so sehr das konkrete Ziel einer Initiative. Das
halte ich nicht für sehr sinnvoll.
Warum, genau das ist doch wichtig in einem Staat, in dem Konsens und Kompromiss
schon fast Staatsziel sind?
Sicher, aber es stellen sich einige Probleme, stellt man zu sehr auf die indirekten
Wirkungen ab.
Nämlich?
Erstens werden als Resultat einer Initiative neue Regelungen eingeführt,
welche die Leute, die eine bestimmte Initiative unterstützen, so gar nicht
wollten. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit der Politik. Und zweitens
spekulieren Initianten mit der indirekten Wirkung: Sie erheben sehr radikale
Forderungen, von denen sie selbst wissen, dass sie nicht umsetzbar sind. In
der gleichen Weise spielen heute auch die Abstimmenden mit diesem Mechanismus.
Wir stimmen immer häufiger taktisch, indem wir auch Initiativen zustimmen,
mit deren Grundtendenzen wir zwar sympathisieren, deren konkreten Inhalte wir
aber ablehnen. Beispiel: Sie sind für Frauenförderung, aber Frauenquoten
können Sie sich nicht vorstellen. Sie werden vielleicht Ja stimmen, weil
Sie auf die indirekte Wirkung hoffen und wollen, dass das Thema aktuell bleibt.
Das ist eine fragwürdige Entwicklung. Wir sollen über Forderungen
abstimmen, zu denen wir auch stehen können. So wie es jetzt läuft,
wird der Polarisierung Vorschub geleistet, statt eine sachliche Auseinandersetzung
gefördert.
Einverstanden, aber Hauruck-Initiativen müssen mit Mega-Kampagnen durchgeboxt
werden. Das drängt die finanziell schwachen Parteien, die eigentlichen
Träger der Politik, aus dem Spiel und gibt finanzstarken Organisationen
oder Personen freies Feld.
Man muss umgekehrt auch fragen, ob es sinnvoll ist, dass Initiativen in mehreren
aufwändigen Etappen behandelt werden. Sammeln, Parlamentsberatungen, Abstimmung.
Das stellt hohe Ansprüche, auch was personelle Ressourcen und Geld angeht.
Vielleicht wäre ein rascher Durchgang sogar effizienter.
Trotzdem, auch die Initianten fordern ja mehr Führung vom Bundesrat.
Mit Subito-Initiativen nähme man der Regierung die Möglichkeit, die
politische Agenda mitzubestimmen.
Sicher, man könnte im Detail darüber diskutieren, ob ein Jahr, wie
es die Initiative verlangt, nicht doch sehr kurz ist. Aber das Agenda Setting
ist nur das eine. Das andere ist die Art und Weise, wie der Bundesrat zu Initiativen
Stellung nimmt und in den Meinungsbildungsprozess eingreift. Wenn die Regierung
führen, eine Linie zeigen will, kann sie das. In der Art und Weise, wie
das heute geschieht, sehe ich allerdings noch grosse Defizite. Kommt die Beschleunigung,
wird die Regierung hier auch ein neues Instrumentarium entwickeln müssen.
Wenn wir besser wissen, was die Regierung oder die Bundesräte zu den gestellten
Forderungen denken, ist das ja auch nicht schlecht.
Also keine Bedenken gegen die verteufelte Beschleunigungsinitiative. Und
Sie werden frohgemut ein Ja einlegen?
Nein, das werde ich nicht. So wie die Initiative daherkommt, stellen sich zu
viele Probleme. Eine radikale Verkürzung der Initiativfristen bevorzugt
tatsächlich finanzstarke Organisationen. Nur die können es sich leisten,
immer wieder neue Unterschriftensammlungen und kurze, aber sehr intensive Kampagnen
zu führen. Hier braucht es Vorkehrungen, die Finanzierung von Initiativen
und Abstimmungskampagnen muss transparent sein, und es muss verstärkt versucht
werden, gleich lange Spiesse zu schaffen. Bürgerinnen und Bürger müssen
wissen, wer Kampagnen unterstützt und was das den entsprechenden Interessengruppierungen
wert ist. Denkbar wäre sogar eine Beschränkung der finanziellen Aufwendungen.
Möglich wäre auch, dass den Pro- und Kontra-Komitees gewisse Plattformen,
etwa in den Medien, zur Verfügung gestellt werden. Die Beschleunigungsinitiative
klammert aber diese Probleme völlig aus. Und es ist kein Zufall, dass die
Initiative von Denner und Kreisen aus Blochers SVP lanciert wurde und unterstützt
wird. Dort fehlt das Geld nicht.
Und dann könnte man einer Beschleunigung zustimmen?
Die Beschleunigungsinitiative übergeht auch die Gefahr von hoch emotionalen
Entscheiden, die den Grundwerten der Gesellschaft völlig zuwiderlaufen.
Beispiel: Auf Grund eines besonders grausamen Verbrechens wird die Einführung
der Todestrafe gefordert. Diese Gefahr müsste man auffangen, indem gleichzeitig
definiert wird, was Gegenstand von Initiativen sein kann und was nicht. Wenn
man den Entscheidprozess derart beschleunigen und dynamisieren will, kann der
Gegenstandsbereich von Initiativen nicht absolut sein. Man müsste einen
Katalog von Menschenrechten, Grundrechten und völkerrechtlichen Übereinkünften
definieren, die nicht Gegenstand von Initiativen sein können.
Zum Beispiel?
Es gibt in der Verfassung zum Beispiel die Forderung der Gleichberechtigung
oder das Verbot von Rassendiskriminierung. Das fällt unter den Bereich
der Menschenrechte. In die- sen Bereichen gilt die absolute Souveränität
des Volkes nicht mehr, und sie dürfen auch nicht Gegenstand von Initiativen
sein. Und dann braucht es eine Instanz, die kontrolliert und im Streitfall entscheidet.
Konkret: Bevor Initiativfristen massiv verkürzt werden, braucht es eine
Verfassungsgerichtsbarkeit. Heute entscheidet das Parlament, ein politisches
Gremium, über die Zulässigkeit von Initiativen. Das darf nicht sein.
Eine unabhängige Instanz muss darüber wachen, ob Initiativen mit unseren
Grundsätzen unserem Normenkonsens konform sind. Übrigens auch zum
Schutz von Initianten. Angenommen, die Mehrheitsverhältnisse im Land wären
sehr viel einseitiger, bestände die Gefahr, dass Anliegen von Minderheiten
konsequent für ungültig erklärt werden. Ohne Verfassungsgericht
geht es nicht.
Das allerdings wollen gerade die Kreise, die sich für die Beschleunigungsinitiative
stark machen, partout nicht.
Richtig, und da liegt auch das Grundproblem der Initiative. Die Initianten gehen
von einer absoluten Souveränität des Volkes aus. Sie sagen: Das Volk
bestimmt über alles und muss sich eigentlich an nichts halten, während
man heute doch davon ausgeht, dass man sich in einer Gesellschaft, in der Staatengemeinschaft
sich an bestimmte Normen, bestimmte unverückbare Grundrechte halten muss.
Dass man die direkte Demokratie flexibler macht, wenn genügend Sicherungen
eingebaut sind, damit habe ich keine Probleme. Das wäre sogar wünschenswert.
Aber die Initiative bietet kein Sicherheitsnetz.