Berner Zeitung, 26.10.1999
Zauberformel
«Blocher
weiss, dass er seinen zweiten Bundesrat noch nicht erhalten wird»
Nach den historischen Gewinnen der SVP wird die Diskussion um die Zauberformel nicht mehr abbrechen. Doch passieren wird vorderhand nichts, sagt der Politologe Andreas Ladner.
Interview: Denis von Burg
Herr
Ladner, sind die Tage der Zauberformel gezählt?
Andreas
Ladner: Klar ist, dass sich die Bundesratsparteien FDP, SPund FDP nicht mehr
so leicht gegen einen zweiten Bundesratssitz für die SVP wehren können.
Das Wahlresultat ist deutlich, und die Ausschlussargumente sind weg. Die SVP
ist stimmenmässig ungefähr gleich stark wie Freisinn und Sozialdemokraten,
aber deutlich stärker als die CVP. Und sitzmässig ist sie in der
Bundesversammlung, in National- und Ständerat zusammen, auch knapp stärker
als die CVP. Die SVP muss den Anspruch anmelden....
...aber?
Aber man muss auch berücksichtigen, wie eine Änderung
in der Zauberformel zustande kommen kann. Und da gibt es doch manches, das
darauf schliessen lässt, dass dem politischen Druck zum Trotz vorderhand
zumindest noch gar nichts geschehen wird.
Weil die andern Parteien ihre Pfründen nicht abtreten
wollen?
Vielleicht, vor allem aber weil es keine Vakanz gibt. Eine Änderung
der Zauberformel würde die Abwahl eines der beiden CVP-Regierungsmitglieder
bedeuten. Ein Unterfangen, womit das Schweizer Parlament noch keine Erfahrung
hat. Die Abwahl eines Bundesrates, insbesondere eines eben erst Gewählten,
wäre ein absolutes Novum. Man mag politisch zu Ruth Metzler oder Joseph
Deiss stehen, wie man will, es gibt aber keine wirklichen Sachargumente, sie
abzuwählen. Schon von daher ist es eher unwahrscheinlich, dass bei den
Erneuerungswahlen des Bundesrates etwas geschieht.
Es fehlt derzeit schlicht der freie Sitz.
Ja. Die Zeit für einen Bruch mit der Zauberformel ist damit
auf längere Dauer ungünstig. Das weiss natürlich Christoph
Blocher. Deshalb fordert er den zweiten SVP-Bundesrat auch mit einem Lachen
auf den Stockzähnen. Er muss den zweiten Bundesrat fordern, aber er weiss,
dass er ihn nicht erhalten wird.
Und Blocher wird in der nächsten ein weiteres Thema
haben, mit dem sich trefflich Politik machen lässt.
Das hat er tatsächlich. Doch dafür kann die SVP nun
einmal nichts. Die «Schuld» liegt hier bei der CVP. Mit dem Doppelrücktritt
ihrer Bundesräte Flavio Cotti und Arnold Koller im letzten Winter hat
sie vermutlich ihre beiden Sitze und damit die Zauberformel auf einige Zeit
zementiert.
Und das, obwohl nicht erst seit gestern über Mitte-Links-
oder Mitte-Rechts-Regierungen spekuliert wird?
Wahlbehörde ist ja immer noch das Parlament. Und man muss
sich mal fragen, wo und wie sich eine Mehrheit für ein solches Unterfangen
findet. SVP und FDP haben zusammen nicht genügend Stimmen in der Bundesversammlung,
um CVPoder gar SPganz oder teilweise aus dem Bundesrat zu werfen.
Die Frage ist auch, ob man überhaupt eindeutige Koalitionen
will.
Klar, die FDP hat den Schlüssel in der Hand. Sie müsste
eine Koalition nach links oder rechts schmieden. Ich bin mir aber gar nicht
so sicher, ob die FDP inhaltlich überhaupt eine starke Koalition mit
der SVP und damit eine reine Mitte-Rechts-Regierung wünscht. In der Europafrage,
in gesellschaftspolitischen Themen - Drogen Schwangerschaftsabbruch und anderes
mehr - gibt es doch erhebliche Unterschiede. Und zur SP gibt es genau so grosse
Unterschiede. In der Sozial- und Finanzpolitik ist man meilenweit auseinander.
Zudem hat mit den Verlusten der SP eine Mitte-Links-Koalition erheblich an
Attraktivität verloren.
Eine Mitte-Links-Koalition hiesse, die SVP ganz in die Opposition
zu schicken. Davon kann die Partei nur profitieren.
Das sagt die SVP selbst, und kurzfristig gesehen hat sie damit
sicher Recht. Doch langfristig wird es ihr schaden. Auf die Dauer wird es
schwierig als Oppositionspartei kontinuierlich Wähler und Sympathisanten
zu mobilisieren. Als Regierungspartei ist man dagegen an den Schalthebeln
der Macht, und man ist im Gespräch.
Also Bilanz: Die SVP-Gewinne bringen die Zauberformel nicht
zu Fall.
Nicht sofort. Man wird aber in den nächsten Jahren nicht
mehr um das Thema herum kommen. Das ist auch klar. Ich vermute im Rahmen der
Regierungsreform, bei einer Verkleinerung oder Vergrösserung des Bundesrates,
oder wenn Fachminister eingeführt werden sollten. Das gibt Luft, um den
veränderten Kräfteverhältnissen Rechnung zu tragen.
Und angenommen, die SVP erhielte doch einen zweiten Sitz
in der Regierung, was dann?
Ein zweiter SVP-Bundesrat wäre nicht das Ende der Konkordanz.
Es entsteht mit der gestärkten SVP - mit oder ohne zweiten Bundesrat
- Druck auf eine bürgerlichere Regierungspolitik. Die EU-Frage, um nur
ein Beispiel zu nennen, wird wohl hinausgezögert werden. Das ist klar.
Doch eine grundsätzliche Änderung der Bundesratspolitik wird deshalb
nicht stattfinden. Ein zweiter SVP-Bundesrat würde aber auch nicht die
SVP aus ihrer Oppositionsrolle herausholen, da muss man sich nicht etwa Illusionen
machen. Auch die SP ist schliesslich mit zwei Vertretern im Bundesrat und
erlaubt sich immer wieder mit Referenden und Initiativen Opposition zu spielen.