BZ, 1.11.2000
Politologe Andreas Ladner
zur Zauberformel
«Problem bleibt ungelöst»
Die SVP will nicht, FDP und CVP wollen keinen Bruch mit der Zauberformel riskieren, sagt der Politologe Andreas Ladner. Die Frage der SVP-Vertretung im Bundesrat sei damit aber nur vertagt.
*Interview: Denis von Burg
BZ: Wenn Ogi geht, so hiess es, stehe der SVP-Bundesratssitz und
damit die Zauberformel zur Debatte. Jetzt will sich aber niemand mehr recht
daran erinnern. Alles Gerede?
Andreas Ladner:
Ich war eigentlich nie der Meinung, dass Bundesrat Adolf Ogis Rücktritt zum
Testfall wird. Weder die SVP noch die anderen bürgerlichen Parteien wollen oder
müssen jetzt etwas verändern. Die SVPhat kaum ein Interesse, mit einem
wirklichen Hardliner ihren Rauswurf zu provozieren. Sie kann aber im Moment auch
mit einem Bundesrat aus ihren Reihen leben, der ihr von den anderen Parteien
aufgebrummt wird. Der würde ihr sogar noch erleichtern, ihre Oppositionspolitik
zu rechtfertigen.
Die anderen Bundesratsparteien beklagen sich aber schon lange über das
Doppelspiel der SVP, die als Regierungspartei, laufend Opposition macht.
Ja, man versucht, die SVP an ihrem Doppelspiel aufzuhängen. Aber man übersieht
dabei, dass es zu unserem politischen System gehört, dass Parteien nicht immer
die Meinung ihrer Bundesräte vertreten. Natürlich reizt die SVP ihre
Oppositionsrolle aus. Und ich habe das Gefühl, dass die Drohungen der anderen bürgerlichen
Parteien mit dem Ende der Zauberformel vor allem der Versuch sind, die SVP zu
disziplinieren. Das hat auch wahlstrategische Gründe: Die SVP hat wählermässig
ganz offensichtlich von ihrem Doppelspiel profitiert. Allerdings können die
Parteien nicht immer nur drohen. Sie müssten auch bereit sein, Konsequenzen zu
ziehen.
Die scheinen sie aber auch diesmal nicht ziehen zu wollen. Warum trauen sich
CVP und FDP nicht, die SVP rauszuwerfen, obwohl es Parteien, die nicht in der
Regierung sind, schwieriger haben.
Tatsächlich ist es für eine Partei, die nicht im Bundesrat vertreten ist,
nicht so einfach, über längere Zeit zu wachsen. Bundesräte sind immer auch
Zugpferde für eine Partei. Adolf Ogi war das in sehr grossem Ausmass für die
Berner SVP. Die bürgerlichen Parteien, insbesondere die FDP, hätten aber ein
grosses Problem, ihren bürgerlichen Wählern zu erklären, warum sie die SVP
zum Bundesrates hinaus wirft und so das Mitte-Links-Lager stärkt.
Die FDP könnte ja immerhin mit einem dritten Bundesrat rechnen. So gehen
jedenfalls die Planspiele, die von SPlern aufgebracht werden.
Das halte ich für eine ganz ungeschickte Strategie. Für eine solche
Variante wären kaum Mehrheiten zu finden. Warum solle ausgerechnet der
Freisinn, der ja alles andere als wächst, im Bundesrat gestärkt werden.
Was wäre dann erfolgreicher?
Ich würde versuchen, einen Liberalen aufzubauen. Unter den drei
verbliebenen Bundesratsparteien FDP, CVP und SP gäbe es keine Gewinner und
Verlierer, und die FDP könnte das ihrer Klientel gegenüber erklären. Ein
Liberaler wäre wirtschaftspolitisch unbedenklich. Diese Person müsste aber
auch gewisse soziale und ökologische Anliegen vertreten, damit sie auch für
Linke und Grüne wählbar wäre.
Also der Basler Nationalrat, Neu-Regierungsrat Christoph Eymann?
Den Namen haben Sie genannt. Aber ein Kandidat mit einem solchen Profil könnte
eine Mehrheit hinweg finden.
Man muss sich ja auch mal fragen, ob das Konkordanzsystem noch effizient ist.
Ich glaube nicht, dass das System einen schlechten Leistungsausweis hat.
Auch ein SVP-Hardliner oder zwei SVPler im Bundesrat können überstimmt werden.
Und auch in Bereichen, wo die SVP bremst, ist die Schweiz relativ weit. Sie hat
eine relativ ökologische Verkehrspolitik, eine fortschrittliche Drogenpolitik.
Die Schweizer Sozialwerke haben eher weniger Probleme als jene in anderen Ländern.
Und man kann feststellen, dass auch andere Länder in Ansätzen konkordanzähnliche
Instrumente einbauen, um grössere Probleme zu lösen. Stichworte: runder Tisch
oder Cohabitation. Man kommt eher weg von der Idee, dass reine Konkurrenzmodelle
erfolgreicher sind.
Vieles gelang aber ja wohl trotz der SVP und nicht wegen ihren Bundesräten.
Schon, aber es ist durch die direktdemokratischen Elemente dann auch
hochgradig legitimiert.
Von echter Konkordanz könnte man ja aber erst wieder sprechen, wenn ein
SVP-Hardliner in den Bundesrat gewählt würde.
Im Moment geht es auch der SVP nicht darum, unbedingt einen Vertreter ihres
Zürcher Flügels in den Bundesrat zu bringen. Sie will jetzt einfach mal Ogi
ersetzen. Aber die SVP hat den Anspruch auf zwei Sitze, und die Frage eines
SVP-Bundesrates, der eher die Zürcher Linie vertritt, wird sich, wenn dieses
Mal kein «Zürcher» oder keine «Zürcherin» gewählt wird, spätestens bei
den nächsten Wahlen stellen. Insofern sind wir in einer Übergangsphase.
Besteht also im Moment für die anderen Parteien überhaupt kein
Handlungsbedarf?
So würde ich das nicht sehen. Die Bundesratswahlen werden wohl problemlos
über die Bühne gehen. Und nichts wird sich ändern. Aber die Probleme sind
damit nicht gelöst: Die Zauberformel entspricht nicht mehr den wahren Kräfteverhältnissen.
Die stärkste Partei ist nicht integriert und mit ihrer Haltung in vielen Fragen
nicht integrierbar. Obwohl die Konkordanz für die Schweiz ein sehr sinnvolles
System ist, das sich auch bewährt hat, heisst das nicht, dass Parteien, die
einen klaren Oppositionskurs fahren wollen, um jeden Preis gehalten werden müssen.
Der Bruch mit der Konkordanz wäre aber vermutlich nur eine Übergangsphase. Die
könnte aber dazu führen, dass die Parteien sich auf die Bedeutung der
Konkordanz besinnen.*