BZ, 18.4.2000


Politologe Andreas Ladner zur SVP

Das Bild der bösen Sozis zieht nicht. Mit den Faschismusvorwürfen an die Adresse der SP versuche Christoph Blocher einen Keil zwischen die SP und die anderen Parteien zu treiben, sagt der Berner Politologe Andreas Ladner.

 

Interview: Denis von Burg

 

BZ: Christoph Blocher kapriziert sich auf einen unhaltbaren Faschismusvorwurf an die SP. Sind dem Mann die Themen ausgegangen?


Andreas Ladner: Das Thema ist für Christoph Blocher nicht neu, er hat den Gedanken schon mehrmals geäussert. Jetzt wurde daraus ein politischer Issue. Blocher will die SP provozieren. Die inhaltliche Substanz dieser Provokation ist eher dürftig. Die SP hätte diesen Vorwurf auch als lächerlich deklassieren können. Aber mit der Forderung nach einer Entschuldigung wurde er zu einem Politikum. Und Blocher macht daraus die Frage Freiheit oder Totalitarismus.


Was erhofft er sich davon?


Es passt nahtlos in die Strategie der SVP. Es geht ihr darum, die SP zu diskreditieren, und zwar als politische Gegnerin und vor allem auch als Partnerin der anderen bürgerlichen Parteien. Die SVP spannt den Bogen sehr weit und sagt: Alle, die mit der SP zusammenarbeiten, stehen dem Sozialismus nahe. So hat Blocher schon während den Bundesratswahlen argumentiert und angekündigt, CVP und FDP würden erklären müssen, warum sie den zweiten SVPler im Bundesrat verhindert haben, um stattdessen weiter mit der SP zu regieren. Jetzt erleben wir die Fortsetzung. Die SVP will die anderen bürgerlichen Parteien unter Druck setzen und verhindern, dass sie mit der Linken Koalitionen eingehen. Zu diesem Zweck versucht man die SP ins Reich des Bösen zu verweisen.


Blocher geht noch weiter. Wer den Staat als ordnende Macht versteht, setzt sich dem Verdacht aus, totalitär zu sein.


Das ist natürlich Unsinn. Nicht alles, was der Staat macht, ist schlecht. Dieser steht zudem unter politischer Kontrolle der verschiedensten Kräfte. Aber es passt in die SVP-Politik, die in jüngster Zeit einen betont neoliberalen Kurs fährt. Und es passt in das Feld, das in den letzten Jahren vorbereitet wurde, und dies nicht nur von der SVP: Man hat die Leute so weit gebracht, dass alle das Gefühl haben, wir bezahlten zu viel Steuern und die Staatsquote müsse unbedingt herunter. Alles geschah pauschal nach dem Muster: Der Staat ist a priori schlecht und gefährlich. Die Diskussion, welche Leistungen denn der Staat erbringen soll, wurde nie geführt. Und es wurde vergessen, dass die öffentliche Hand einen hohen Beitrag zur Lebensqualität leistet.


Der grobschlächtige Faschismus-Vergleich kann doch keine ideologische Brücke sein, um Wähler für sich und andere bürgerliche Parteien als Partnerinnen zu gewinnen?


Die Situation ist sehr schwierig einzuschätzen. Die SVP hat sich auch mit ihrer Sozialpolitik und ihren AHV-Plänen sehr weit zum Fenster hinausgelehnt. Die Diskussion um eine stärkere Gewichtung der privaten Altersvorsorge findet aber sicher im besser verdienenden Teil der FDP Anklang. Dort ist die SVP in jüngster Zeit eingedrungen und will ihre Stellung konsolidieren. Sie versucht immer ein bisschen neoliberaler zu sein als die FDP. Das kann für sie auch finanziell interessant werden. Die Wirtschaft finanziert heute vor allem politische Projekte, von denen sie sich auch etwas verspricht. Hier mag nun die SVP als die attraktivere Partnerin erscheinen. Dagegen bin ich nicht sicher, ob diese Kreise bereit sind, den Faschismusvorwurf an die SP zu unterschreiben. Die SP ist eine demokratische Partei, und das Bild der bösen Sozis zieht nicht mehr, der Kalte Krieg gehört der Vergangenheit an.


Und parteiintern? Droht nicht eine Zerreissprobe? In Bern fürchtet man eine Welle von Parteiaustritten.


Beide Aktionen sind nicht sehr glücklich. Die Nationalsozialismus-Vorwürfe sind zwar nicht zentral, sie könnten aber in den Beziehungen zwischen den Bundesratsparteien als letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen. Parteiintern entscheidend ist, ob es der SVP gelingt, die AHV-Geschichte wieder zurechtzubiegen. Es wurden ja erst Ideen präsentiert und keine Entscheide gefällt, der Bruch kann noch verhindert werden.


Die internen Spannungen sind schon lange nicht mehr so deutlich geworden wie jetzt .


Die SVP lebt seit Jahren mit diesen Spannungen. Schon in der EWR-Diskussion glaubte man, die SVP stände kurz vor dem Bruch. Die beiden Flügel brauchen sich nach wie vor. Und es ist eigentlich eine Stärke der SVP, den Bogen so weit zu spannen und damit ein sehr breites Wählerfeld abzudecken. Gäbe es den so genannten Berner Flügel nicht, gäbe es wieder mehr Platz für die FDP. Umgekehrt lebt man auch in der Berner SVP vom harten Blocher-Kurs.


Die SVP kann also ihre internen Konflikte weiter öffentlich zelebrieren und daraus erst noch Kapital schlagen?


Nein, aber das wirkliche Problem in der SVP besteht im Umgang des Zürcher Flügels mit seiner Macht. Sein Gebahren kann als Arroganz angesehen werden. In dem heiklen Bereich AHV haben sich ihre Vertreter mit einem schlecht vorbereiteten Parteitag ein Problem eingehandelt. Und sie versuchen aus nicht fundierten Anwürfen an die Adresse der SP politisches Kapital zu schlagen. Offensichtlich glaubt man in der SVP - getäuscht von der Sieges-Euphorie - dass man alles machen kann.


Umgekehrt glaubt auch die SP von Blochers Faschismus-Vorwürfen profitieren zu können.


Natürlich sieht man in der SP auch, dass Blocher Koalitionen zu verhindern versucht. Entsprechend will sie den Spiess umdrehen und die SVP isolieren, indem sie die Bundesratsparteiengespräche platzen lässt und der SVP die Schuld zuschiebt. Ich glaube aber nicht, dass Blochers Faschismus-Vorwurf genügend Gehalt hat, um die Mitteparteien zu einem Grundsatzentscheid zwischen Blocher und der SP zu zwingen. Wenn die SP eine Mitte-Links-Koalition herbeiführen will, kann das nur mit einer gemeinsamen Regierungspolitik gelingen.


Das würde allerdings bedingen, dass sie politisch in die Mitte rückt.


Genau, aber die SP lässt sich unter Druck der SVP immer weiter nach links abdrängen. Reflexartig geht man auf Opposition zu Regierungskompromissen. Eine Öffnung zur Mitte ist nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Die SP vergibt sich damit erstens die Chance, eine grosse Partei zu werden, und zweitens Koalitionen gegen die SVP zu bilden. Das ist ihr grosser strategischer Fehler. Die SVP macht es den Sozialdemokraten ja vor, wie es geht. Sie deckt ein Spektrum von Rechtsaussen bis Mitte-Rechts ab und kann sich so als Partner der anderen bürgerlichen Parteien anbieten.