AZ, 26.10.1999


Was ändert jetzt in der Schweizer Politik?

Interview Der Politik-Wissenschaftler Andreas Ladner zum Wahlergebnis und seinen Folgen
Trotz des Wahlsieges der SVP glaubt der Politologe Andreas Ladner noch nicht an das Ende der Zauberformel.
 
Markus Häfliger

Bei welchem Wahlresultat haben Sie am Sonntag Ihren Ohren nicht getraut?

Andreas Ladner: Aufgeschreckt bin ich, als das Ergebnis des Kantons Genf kam. Dass dort die Linke verliert und die SVP gewinnt, war völlig unerwartet. Die zweite Überraschung war Basel-Stadt mit dem 20-Prozent-Gewinn der SVP. Ab diesem Moment wusste man, dass unerwartete Sachen passieren.

Hat die SVP ihr Wählerpotenzial jetzt ausgeschöpft oder könnte sie in vier Jahren nochmals zulegen?

Ladner: Die SVP hat ihr Potential noch nicht in allen Kantonen ausgeschöpft. In Genf oder Basel-Stadt trat sie erstmals an. Im Jura und im Wallis ist sie noch ganz klein. In solchen Kantonen könnte sie noch zulegen. Die grosse Herausforderung für die SVP ist jetzt die Westschweiz. In anderen Kantonen hingegen hat sie ein Niveau erreicht, das schwierig zu halten sein wird.

Der CVP haben fast alle einen Einbruch vorausgesagt - auch Sie. Jetzt hat sie sogar einen Sitz gewonnen. Wieso sind die Prognosen nicht eingetroffen?

Ladner: Die CVP hat zwar einen Sitz gewonnen, aber 1,5 Prozent Wähleranteil verloren. Damit darf sie nicht zufrieden sein. Ihr Problem ist, dass sich die SVP in den CVP-Hochburgen festsetzt, was für die CVP weitere Auswirkungen haben wird. Dieses Wahlresultat ist für die CVP keine Trendumkehr.

Die SP hat Sitze verloren.

Ladner: Ihr Abschneiden ist enttäuschend. Ein Grund ist sicher ihr Wahlkampf und ihr Auftreten. Der zweite Grund könnte sein, dass die SP nicht über linke Politik streitet. SP-intern scheint klar zu sein, welche Linie man fahren will: Alle feiern Oskar Lafontaine. Die Schweizer SP scheint nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass in anderen sozialdemokratischen Parteien eine Auseinandersetzung darüber stattfindet, wie sich eine SP anders orientieren könnte. Weil sich die SP Schweiz so klar links positioniert, hat sie keine Chance, an die Wähler in der Mitte heranzukommen. Parteiinterne Auseinandersetzungen wären für die SP nicht nur schlecht: Eine Partei mit verschiedenen Flügeln spricht mehr Wähler an.

Was ändert nach dem 24. Oktober in der Schweizer Politik?

Ladner: Es ändert sich in der Schweiz natürlich weniger als in einem Regierungs-Oppositions-System. Klar ist: Die SVP hat mehr Gewicht erhalten. Die Entscheide in der Schweiz sind ja fast immer Kompromisse: In Zukunft wird es wahrscheinlich Kompromisse geben, die den Wahlverlierern etwas mehr weh tun und der SVP etwas mehr gefallen.

Wie wird am 15. Dezember die Bundesratswahl ausgehen?

Ladner: Die SVP wird einen zweiten Sitz fordern. Dies würde bedeuten, dass einer der bisherigen Bundesräte abgewählt werden müsste: Gemäss Wahlresultat müsste es ein CVP-Vertreter sein. Die Frage ist: Wird das Parlament Ruth Metzler oder Joseph Deiss wirklich abwählen? Um jemanden von der CVP hinauszuwerfen, braucht die SVP zudem einen Partner, der dazu Hand bietet, die FDP. Ich glaube aber nicht, dass gewisse Kräfte innerhalb der FDP - die Welschen oder Frau Beerli etwa - anstelle der CVP jemanden vom Blocher-Lager wählen. Wenn die Zauberformel am 15. Dezember gesprengt würde, würde mich das sehr überraschen.

Apropos FDP: Wie soll sie sich gegen-über der SVP verhalten, ihrem früheren Juniorpartner, der jetzt grösser ist?

Ladner: FDP und SVP werden wahrscheinlich von Fall zu Fall zusammenspannen - wie bisher. Daran wird sich nicht viel ändern. Hingegen wird die FDP intern gefordert sein: Punkto Stimmenanteil hat sie die Vormachtsstellung im bürgerlichen Lager verloren. Für sie stellt sich nun die Frage, ob sie ihren Reformkurs fortsetzen kann. Sie muss sich fragen, ob sie wirklich die neue Mitte sein will oder ob sie mit diesem Kurs nicht zu viele Wähler verärgert.

Die Freiheitspartei hat Totalschaden erlitten, die LdU fast. Was bedeutet der Niedergang der kleinen Parteien?

Ladner: Bei den kleinen Parteien hat eine Trendumkehr stattgefunden. Nachdem sich die Parteien eine Zeitlang immer mehr aufgesplittert hatten, ist es den grossen Parteien jetzt anscheinend gelungen, die Kleinen aufzusaugen. His-torisch gibt es Wellenbewegungen: Kleine Parteien entstehen dann, wenn die grossen Parteien einen Wandel nicht abdecken. Mit der Zeit reagieren die grossen Parteien auf den Wandel und integrieren die kleinen Parteien wieder. Die kleinen Parteien sind so eine Art Motor, der die Parteien weitertreibt. Daher ist auch zu erwarten, dass es wieder einmal Neugründungen geben wird.

Andreas Ladner (41) ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Zurzeit arbeitet er an einem Nationalfonds-Forschungsprojekt über den Wandel der politischen Parteien der Schweiz.