WOZ, Nr. 15, 12. April 2001

Polithasen und Osterlämmer


Marie-Josée Kuhn


Am Ostermontag trifft sich die Walliser Bruderschaft «Osterlamm» zu einem lukullischen Gelage im Schloss Brig. Der Gaumenfreuden sind viele, unter anderem auch ein Lamm. Das ist schon 250 Jahre Brauch: Damals, zur Osterzeit, sollen sich zwei zerstrittene Brüder wieder versöhnt haben. Ihrer gedenken die einflussreichen Politiker, Beamten und Geschäftsherren und der geladene Stadtpräsident seither Jahr für Jahr. Unter Ausschluss der Schwestern. In der Bruderschaft «Osterlamm» sind Frauen nur als Servierfräulein erwünscht. Deshalb hat die Bruderschaft diese Woche der Briger CVP-Stadtpräsidentin, Viola Amherd, mitgeteilt, ihr Erscheinen am Lämmerteilet sei unerwünscht. Der Bruderschafts-Akt im Rittersaal kann nun ordnungsgemäss vollzogen werden. Doch nicht nur hier herrscht wieder Ordnung.

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Seit vier Jahren ist es kein Geheimnis mehr: Der Gatte von CVP-Familienpolitikerin Lucrezia Meier-Schatz verkehrt im Zürcher Rotlichtmilieu. Bereits 1997 musste die Bruderschaft vom «Blick», anscheinend ebenfalls im Milieu zu Hause, deshalb mit fetten Lettern Herrn Meier-Schatz’ «Sex-Sünde» publik machen. Lucrezia Meier-Schatz war damals als mögliche CVP-Generalsekretärin im Gespräch. Doch offenbar musste sie verhindert werden. Und heute muss die vife St. Galler Parteipräsidentin als Nachfolgerin von CVP-Präsident Adalbert Durrer verhindert werden. Scheinheilig griff diesmal der «SonntagsBlick» zu Grossbuchstaben: Darf die Ehefrau des unverbesserlichen Meier-Schatz CVP-Parteipräsidentin werden? 41 Prozent der Leserinnen und Leser sagen Nein. Eine Frau, die ihren Mann ob der Karriere vernachlässige, sei selber schuld, wenn ihn seine Triebe zu den Huren trieben. Lucrezia Meier-Schatz zieht die Konsequenzen, für die Durrer-Nachfolge steht sie nicht mehr zur Verfügung. Und weil die andere ambitionierte Christdemokratin, die Aargauer Nationalrätin Doris Leuthard, ebenfalls ausgestiegen ist, wird auch dieses Rennen nur von Polithasen bestritten.
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Knapp zwei Jahre ist es her, seit die CVP den Frauenfrühling spürte. Einer der beiden vakanten Bundesratssitze Koller/Cotti sollte mit einer Frau besetzt werden. Die Partei schubste ihre neu entdeckten Politikerinnen ins Rampenlicht. Eine von ihnen müsse das Rennen machen, forderten selbstbewusst die CVP-Frauen. Und so geschah es: Mit Ruth Metzler hatten die CVP-Männer nicht einfach eine Bundesrätin gefunden, sondern einen Effekt, den Metzler-Effekt, Markenzeichen für die Aufbruchsstimmung und den Reformwillen einer ganzen Partei. CVP, das waren nun nicht mehr die Schwarzen, die Pfaffen und frustrierten Sonderbündler, für die sowohl der Schwangerschaftsabbruch als auch die EU des Teufels Versuchungen darstellen. CVP, das war jetzt ein Synonym für Frauenpower, für eine «junge, moderne» Bundesrätin und für viele «weltoffene» Europa-Freunde.
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1997 gelang den CVP-Frauen der erste Tabubruch: Sie entschieden sich gegen den CVP-Klassiker Abtreibungsverbot und für eine Fristenregelung mit Zwangsberatung. Diesen historischen Kurswechsel setzten sie auch bei ihren Männern durch, obschon die alte, konservative Parteigarde maulte. Ein Jahr später dann der zweite Tabubruch: Am Parteitag in Basel beschloss die CVP, künftig auf die Europa-Karte zu setzen – und wieder wurde der rechte Parteiflügel desavouiert. Auch an dieser Kurskorrektur waren die Frauen nicht ganz unschuldig. Die alte CVP, die seit ihrem Höhepunkt 1963 nur noch schrumpfte, brauchte dringend ein politisches Lifting.
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Früher hatte die katholische Kultur die unterschiedlichsten Parteigängerinnen und -gänger zusammengekittet. Doch mit dem Zerfall des Milieukatholizismus und der schwindenden gesellschaftlichen Bedeutung der Religion überhaupt hatte diese Parteiklammer ausgedient. Die CVP, die nie eine Themenpartei, nie eine Interessenpartei, nie eine Reformpartei gewesen war, sondern eigentlich immer eine Honoratioren-partei im Stil des 19. Jahrhunderts, musste plötzlich ein neues «Wir-Gefühl» erfinden.
Doch umsonst: Bei den nationalen Wahlen 1999 sackte sie dank der Stimmkraft der Frauen zwar nicht ins Bodenlose ab. Mit einer Wählerstärke von nur 15,9 Prozent erreichte sie jedoch ihr historisches Tief. Und weit dramatischer: Die CVP wurde erstmals von der SVP überrundet.
Den Christdemokraten war der rechte Rand abhanden gekommen: Die konservative, ländliche, isolationistische und männlich-ältliche Klientel zog es plötzlich vor, dem protestantischen Pfarrerssohn aus Ems zuzujubeln statt dem Papst. Der CVP-Modernisierungsschub der neunziger Jahre hatte sie vor den Kopf gestossen und eine vorher undenkbare Liaison möglich gemacht: die Mischehe zwischen Nationalkonservativen und Christkonservativen. Diese neue politische Konstellation und die anhaltenden Wahlerfolge der SVP auch in den katholischen Hochburgen weckten die konservativen Kräfte innerhalb der CVP auf. Eine Fraktionsgruppe «Werte und Gesellschaft» verordnet der Partei neuerdings rückwärtsgewandte Besinnlichkeit. Symptomatisch für diese «Kulturrevolution gegen die Modernisierung» (Politologe Claude Longchamp) das von den CVP-Männern lautstark ergriffene Referendum gegen die Fristenlösung. Es vereint die Partei nun mit jenen fundamentalistisch-reaktionären Grüppchen, die ebenfalls gegen die Liberalisierung der Abtreibung kämpfen wollen, aber wenig Zugkraft haben (vgl. Seite 7). Bei diesem Männerspiel immerhin wollen die CVP-Frauen nicht mitmachen.
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«Wir sind nur immer dann weitergekommen, wenn wir Rücksicht auf die Basis genommen haben. Und auf unsere Männer.» So kommentiert CVP-Vizepräsidentin Rosmarie Zapfl die Renaissance der Konservativen in ihrer Partei. Als dezidierte Europa-Befürworterin stand Zapfl in letzter Zeit öfters mitten im konservativen Kreuzfeuer der Kritik. Heute ist sie bereit, ihr Parteiamt zu räumen. Immer wieder Rücksicht auf die Männer nehmen: Auch Lucrezia Meier-Schatz lässt sich offenbar von dieser alten «Frauenweisheit» leiten. Osterzeit, Opferzeit – und wieder verschlingt irgendwo eine Bruderschaft ein Lamm.


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