Tages-Anzeiger vom Dienstag, 20.2.2001

 


Die Rückkehr der CVP-Konservativen


Die CVP steht am Scheideweg: Konservative versuchen, den Kurs stärker zu bestimmen. Das ist ganz im Sinne des Präsidenten.

Von Walter Niederberger, Bern

Glaubt man Philipp Staehelin, ist die Sache harmlos: "Uns geht es um eine bessere Organisation der Fraktion. Von einer Neupositionierung der Partei ist keine Rede." Was der Thurgauer Ständerat und mit ihm ein halbes Dutzend Ost- und Innerschweizer CVP-Parlamentarier korrigieren möchten, scheint auf Anhieb wenig spektakulär: Ende dieser Woche wird sich der konservative Teil der Fraktion zu einer neuen Untergruppe verbinden.

Auffällig ist zunächst, dass fast die Hälfte der 50-köpfigen Fraktion mit der Situation offenbar so unzufrieden ist, dass sie einen Beitritt zur Gruppe - Arbeitstitel: "Werte und Gesellschaft" - ins Auge fasst. Noch auffälliger ist jedoch, dass sich die konservativen Kräfte gerade jetzt sammeln, obwohl Flügelkämpfe in der CVP nicht neu sind und in den letzten zehn Jahren Präsidenten verschlissen haben wie in keiner anderen Partei.

Wachsende Spannungen

Das neue Bündnis wurde ausgelöst durch den Führungsstil des Fraktionschefs. Manche Deutschschweizer sind wenig angetan von der unverbindlichen Art des Genfers Jean-Philippe Maitre. Hauptsächlich die Ständeräte aus den CVP-Stammlanden haben sich aus der Fraktion abgemeldet, heikle Fragen werden umgangen. Herausgekommen sind "hinkende Resultate", wie Staehelin sagt. Gemeint sind Entscheide, die dazu führen, dass die Fraktion der Parteibasis "dauernd davonspringt".

Die Wurzeln des Unbehagens liegen jedoch tiefer. An sich diagnostiziert die Gruppe in der Fraktion nur jene Symptome, die in der Partei seit langem für Schüttelfröste sorgen. "Zwischen links und rechts machen wir immer mehr unbefriedigende Kompromisse", klagt der St. Galler Nationalrat Hans Werner Widrig. Aktuelles Beispiel ist die EU-Initiative: Der Parteitag stimmt mutig für die Ja-Parole, doch bereits haben sich 14 Kantonalparteien zum Nein entschieden. Auch beim Schwangerschaftsabbruch, bei der Sanierung der Sozialwerke oder beim Umbau des Steuersystems sind Brüche sichtbar. Ständerat Carlo Schmid befürchtet, dass "die riesigen Spannungen" nur der Konkurrenz helfen. "Die SVP legt überall zu, wo wir die Basis verlieren."

Im Sinne von Adalbert Durrer

In der Tat musste sich die CVP in den letzten eidgenössischen Wahlen erstmals von der SVP überholen lassen; und dass es nicht schlimmer gekommen ist, hat sie dem Proporzglück zu verdanken. "Noch einmal hatten wir ein Affenschwein", räumt Widrig ein. Das nächste Mal könne es aber bös ausgehen. Das Zusammengehen von Landwirtschafts- und Gewerbepolitikern erfolge deshalb auch im Hinblick auf die nächsten Wahlen. Generalsekretär Hilmar Gernet bestätigt dies: "Die konservative Fraktionsgruppe ist ein Zeichen der Neupositionierung." Historisch gesehen sei der Platz der CVP "sicherlich rechts von der Mitte".

Aus dieser Optik müsse sich die CVP neu orientieren, findet Parteipräsident Adalbert Durrer. Man sei zu lange den Sozialdemokraten nachgelaufen, gerade in der Europafrage. Hier müsse eine Klärung stattfinden, sagt Durrer und gibt zugleich zu erkennen, dass er die neue Gruppe zu diesem Zweck für eine gute Sache hält. Er selber werde beim Gründungsakt zugegen sein und überlege sich trotz Drohungen aus der Westschweiz ein aktives Mitmachen. "Viele in der CVP sind sackwütend, weil wir Politiker es zu locker nehmen mit den Versprechen." Der EU-Beitritt dürfe deshalb erst nach Jahren der Erfahrung und nach innenpolitischen Reformen angegangen werden.

Die gleiche Devise gilt für die Fristenlösung: Kommt die CVP mit ihrem Beratungsmodell nicht durch, muss sie das Referendum ergreifen. "Sonst werden unsere Werte unglaubwürdig." Solches Tun sei konservativ im guten Sinne, sagt Durrer. Er hat zusammen mit dem Parteisekretär vor kurzem mit dem Buch "Von Mythen zu Taten" die Wende zum Konservativen vorgezeichnet: "Das Label CVP steht für Realitätssinn." Und: "Ein gewisses Mass an Langsamkeit ist notwendig, um möglichst allen Menschen eine echte Chance zu geben." Das Autorenduo ist überzeugt, dass die CVP als Konkordanzpartei "zur Verliererin bestimmt ist". "Will sie aus der Negativspirale ausbrechen, muss sie ihr Schiedsrichter- und Mehrheitsbeschafferimage ablegen." Der Weg zur konservativen "Wertepartei" sei heikel, räumt Durrer ein. Zu Unrecht aber werde konservativ mit reaktionär und nationalistisch gleichgesetzt. Im Unterschied zur SVP trete die CVP für die Öffnung der Schweiz oder die Modernisierung der Sozialwerke ein. So sieht die neue Fraktionsgruppe vor, den Uno-Beitritt in ihrem Programm festzuschreiben.

"Viel falsch gemacht"

Von der "Renaissance des Konservativen" träumt nicht nur die CVP. Die 38 europäischen C-Parteien haben sich Anfang Jahr in Berlin ein neues Programm verpasst, das unter dem Titel "Union der Werte" auf ein föderalistisches Europa setzt und jeder Art von Visionen abschwört. Die Rückkehr zur visionsfreien Alltagspolitik prägt auch die Sicht der Schweizer Parteispitze. Sie zieht den Nutzen der Fusion von Christlichsozialen und Katholischer Volkspartei vor 30 Jahren in Zweifel und wertet die damals eingeleitete Expansion in städtische Agglomerationen als Misserfolg. "Wir haben lange Zeit viel falsch gemacht und treue Wähler verloren", bilanziert der Parteipräsident. Mit einem "pragmatischen Konservatismus" könne das korrigiert werden. "Zu spät ist es noch nicht."

Ob zu spät oder nicht will Vizepräsidentin Rosmarie Zapfl nicht beurteilen. Sie fragt sich aber, ob eine Neuwertung alter Werte die verlorenen Wähler zurückbringen kann. Einen Vorteil habe die neue Fraktionsgruppe aber sicher: "Sie macht uns bewusst, dass die CVP ihre Wurzeln in den Kantonen hat. Wir sind nur immer dann weitergekommen, wenn wir Rücksicht auf die Basis genommen haben. Und auf unsere Männer."

 


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