SonntagsZeitung vom 19.8.2001

 


Das Milizsystem macht nur in der Politik Sinn

Bei Militär und Feuerwehr ist das Milizprinzip für den Politologen Andreas Ladner überholt

Bern/Zürich - Anders als bei der Armee will der Politologe Andreas Ladner am Milizsystem in den politischen Strukturen festhalten.
Zwar ist das Milizprinzip auch in der Politik längst untergraben. Aufgaben wie Abfallentsorgung, Spitalbetrieb oder Stromversorgung sind an gemeindeübergreifende Zweckverbände oder Private delegiert und werden dort von Profis erledigt, die keiner direktdemokratischen Kontrolle unterstehen. Dazu kommt, dass die Milizämter in den Gemeinden oft nur mühevoll besetzt werden können. Etwa zwei Drittel der Schweizer Gemeinden haben «Probleme, genügend geeignete Kandidaten für die Besetzung der öffentlichen Ämter zu finden», fasst Ladner, der an den Unis Bern und Zürich tätig ist, seine Forschungen zusammen.
Bei den politischen Behörden sei das Milizprinzip mit seiner Verknüpfung von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Funktionen früher zwar «allzu stark zu einem absoluten Mythos hochstilisiert» worden. Dennoch hat das Milizsystem für den Politologen heute in der Politik noch immer eine gewisse Bedeutung. «Ich würde versuchen, dem Milizsystem in der Politik Sorge zu tragen, soweit dies noch möglich ist», sagt er.
Letztlich gibt es bei der Organisation der politischen Behörden auf Gemeindeebene sowie der Parlamente der Kantone und der Eidgenossenschaft gar keine Alternative zum Milizsystem. Ein wichtiges Argument sind die Finanzen. «Eine Gemeinde mit 500 Einwohnern», sagt Ladner, «kann sich kein Vollamt leisten.» Wollte man die Gemeindebehörden in der Schweiz professionalisieren, müsste man laut dem Politologen «Gemeinden in einem Ausmass zusammenlegen, dass es nicht mehr unseren politischen Strukturen entspräche». In Deutschland gehe man davon aus, dass eine Gemeinde mindestens 10 000 Einwohner haben sollte. Bei dieser Gemeindegrösse lassen sich die lokalen Politbehörden mit Profis besetzen. Wollte man in der Schweiz das gleiche tun, so müsste man laut Ladner «80 Prozent der Gemeinden fusionieren».
Auch bei National- und Ständerat sieht der Politologe keine Alternative zum Milizsystem. Zwar wäre es für Ladner sinnvoll, die Parlamentarier besser zu entschädigen und mit einer besseren Infrastruktur auszustatten. Eine entsprechende Vorlage hatte das Stimmvolk 1992 aber hochkant abgelehnt. Damals hatten die Gegner der Vorlage den Milizcharakter des schweizerischen Parlaments verklärt. Dabei tagen im Bundeshaus übermässig viele Personen, die durch Mandate in Verwaltungsräten, Verbänden, Gewerkschaften oder halbstaatlichen Organisationen ihr Geld bereits als Interessenvertreter verdienen.

Verfilzungsprobleme auch bei einem Berufsparlament

Ein echtes nationales Berufsparlament hielte Ladner indes für einen «Fremdkörper» im schweizerischen Politsystem. «Die Parteien hätten grosse Probleme, genügend fähige Berufspolitiker zu rekrutieren», sagt der Politologe. Dass Verfilzungsprobleme wie der Fall Hess bei einem Profiparlament vom Tisch wären, sei eine naive Annahme. «Korruption, Verfilzung und Skandale gibt es auch bei Profiparlamenten, wie der Parteispendenskandal in Deutschland gezeigt hat.»
Für «nicht mehr unbedingt sinnvoll» hält Ladner dagegen das Milizprinzip bei der Armee. «Armee bedeutet heute hochkomplexe Abläufe und Waffensysteme, für die man gar nicht so viele Leute braucht. Die Zeit der Infanterie in der Kriegsführung ist vorbei», argumentiert Ladner. «Heute ist auch die Angst nicht mehr so gross, dass die Armee nur mit dem Milizsystem demokratisch kontrolliert werden kann.» Dies zeige sich unter anderem an der Vernehmlassungsantwort der SP zur Armeereform: Die Partei sprach sich für die Abschaffung der Wehrpflicht und für eine Armee mit 15 000 Profisoldaten aus.
Überholt ist das Milizprinzip für Ladner auch bei den Feuerwehren. Die unterschiedliche Bewertung des Milizsystems bei Armee und Feuerwehr einerseits und Politik andererseits begründet Ladner mit den unterschiedlichen Funktionen: «In der Politik geht es darum, Lösungen zu finden und das Staatswesen für die Zukunft zu gestalten.» Dagegen gehe es in der Armee um blosse Vollzugsaufgaben: Die Armee brauche «Menschenmaterial für Übungen und Kriegsführung», die Feuerwehr Leute, die «Brände verhindern oder löschen».
Andreas Windlinger

 

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