Das Milizsystem macht nur in der Politik Sinn
Bei Militär und Feuerwehr ist das Milizprinzip für den Politologen
Andreas Ladner überholt
Bern/Zürich - Anders als bei der Armee will der Politologe Andreas
Ladner am Milizsystem in den politischen Strukturen festhalten.
Zwar ist das Milizprinzip auch in der Politik längst untergraben.
Aufgaben wie Abfallentsorgung, Spitalbetrieb oder Stromversorgung sind
an gemeindeübergreifende Zweckverbände oder Private delegiert und werden
dort von Profis erledigt, die keiner direktdemokratischen Kontrolle
unterstehen. Dazu kommt, dass die Milizämter in den Gemeinden oft nur
mühevoll besetzt werden können. Etwa zwei Drittel der Schweizer
Gemeinden haben «Probleme, genügend geeignete Kandidaten für die
Besetzung der öffentlichen Ämter zu finden», fasst Ladner, der an den
Unis Bern und Zürich tätig ist, seine Forschungen zusammen.
Bei den politischen Behörden sei das Milizprinzip mit seiner Verknüpfung
von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Funktionen
früher zwar «allzu stark zu einem absoluten Mythos hochstilisiert»
worden. Dennoch hat das Milizsystem für den Politologen heute in der
Politik noch immer eine gewisse Bedeutung. «Ich würde versuchen, dem
Milizsystem in der Politik Sorge zu tragen, soweit dies noch möglich
ist», sagt er.
Letztlich gibt es bei der Organisation der politischen Behörden auf
Gemeindeebene sowie der Parlamente der Kantone und der Eidgenossenschaft
gar keine Alternative zum Milizsystem. Ein wichtiges Argument sind die
Finanzen. «Eine Gemeinde mit 500 Einwohnern», sagt Ladner, «kann sich
kein Vollamt leisten.» Wollte man die Gemeindebehörden in der Schweiz
professionalisieren, müsste man laut dem Politologen «Gemeinden in einem
Ausmass zusammenlegen, dass es nicht mehr unseren politischen Strukturen
entspräche». In Deutschland gehe man davon aus, dass eine Gemeinde
mindestens 10 000 Einwohner haben sollte. Bei dieser Gemeindegrösse
lassen sich die lokalen Politbehörden mit Profis besetzen. Wollte man in
der Schweiz das gleiche tun, so müsste man laut Ladner «80 Prozent der
Gemeinden fusionieren».
Auch bei National- und Ständerat sieht der Politologe keine Alternative
zum Milizsystem. Zwar wäre es für Ladner sinnvoll, die Parlamentarier
besser zu entschädigen und mit einer besseren Infrastruktur
auszustatten. Eine entsprechende Vorlage hatte das Stimmvolk 1992 aber
hochkant abgelehnt. Damals hatten die Gegner der Vorlage den
Milizcharakter des schweizerischen Parlaments verklärt. Dabei tagen im
Bundeshaus übermässig viele Personen, die durch Mandate in
Verwaltungsräten, Verbänden, Gewerkschaften oder halbstaatlichen
Organisationen ihr Geld bereits als Interessenvertreter verdienen.
Verfilzungsprobleme auch bei einem Berufsparlament
Ein echtes nationales Berufsparlament hielte Ladner indes für einen
«Fremdkörper» im schweizerischen Politsystem. «Die Parteien hätten
grosse Probleme, genügend fähige Berufspolitiker zu rekrutieren», sagt
der Politologe. Dass Verfilzungsprobleme wie der Fall Hess bei einem
Profiparlament vom Tisch wären, sei eine naive Annahme. «Korruption,
Verfilzung und Skandale gibt es auch bei Profiparlamenten, wie der
Parteispendenskandal in Deutschland gezeigt hat.»
Für «nicht mehr unbedingt sinnvoll» hält Ladner dagegen das Milizprinzip
bei der Armee. «Armee bedeutet heute hochkomplexe Abläufe und
Waffensysteme, für die man gar nicht so viele Leute braucht. Die Zeit
der Infanterie in der Kriegsführung ist vorbei», argumentiert Ladner.
«Heute ist auch die Angst nicht mehr so gross, dass die Armee nur mit
dem Milizsystem demokratisch kontrolliert werden kann.» Dies zeige sich
unter anderem an der Vernehmlassungsantwort der SP zur Armeereform: Die
Partei sprach sich für die Abschaffung der Wehrpflicht und für eine
Armee mit 15 000 Profisoldaten aus.
Überholt ist das Milizprinzip für Ladner auch bei den Feuerwehren. Die
unterschiedliche Bewertung des Milizsystems bei Armee und Feuerwehr
einerseits und Politik andererseits begründet Ladner mit den
unterschiedlichen Funktionen: «In der Politik geht es darum, Lösungen zu
finden und das Staatswesen für die Zukunft zu gestalten.» Dagegen gehe
es in der Armee um blosse Vollzugsaufgaben: Die Armee brauche
«Menschenmaterial für Übungen und Kriegsführung», die Feuerwehr Leute,
die «Brände verhindern oder löschen».
Andreas Windlinger