NZZ-online, 27.11.2004


27. November 2004,  09:11, Neue Zürcher Zeitung

«Links» und «rechts» im Nationalrat

Das Parlamentarier-Rating 2004

Im Parlamentarier-Rating wird jedes Nationalratsmitglied auf der Grundlage seines tatsächlichen Stimmverhaltens auf einer Links-rechts-Skala zwischen -10 («links») und +10 («rechts») eingestuft. Das Rating für das erste Jahr der laufenden Legislaturperiode basiert auf einer neuen Berechnungsweise. Es gibt das Stimmverhalten der Nationalräte auf der Grundlage aller 277 namentlichen Abstimmungen wieder.

Von Michael Hermann und Bruno Jeitziner*

Das Links-rechts-Rating zeigt den wichtigsten politischen Gegensatz der grossen Kammer und ordnet jedes Ratsmitglied im politischen Spektrum ein. Die Extrempositionen werden von Josef Zisyadis (pda.) und Peter Föhn (svp.) eingenommen. Sie haben im letzten Jahr am häufigsten gegeneinander gestimmt. Jacques-Simon Eggly (lps.) ist mit +0,6 der Medianpolitiker, also jener Nationalrat, der auf der Links-rechts-Skala gleich viele Kollegen links und rechts von sich hat.

FDP und CVP so nahe wie noch nie

Interessant ist die Positionierung der Fraktionsspitzen. Am weitesten entfernt vom Median der eigenen Fraktion (+1,8) ist FDP-Fraktionspräsident Fulvio Pelli (+1). Er zählt in der Gesamtfraktion klar zum linken Flügel, nimmt allerdings unter den lateinischen FDP-Vertretern eine mittlere Position ein. Am besten eingemittet unter den Fraktionspräsidenten ist Jean-Michel Cina, der genau den Median der CVP repräsentiert (-0,3). Unter den prominenten Neumitgliedern des Rats fallen vor allem die Positionen von Filippo Leutenegger (+4,4) und Christa Markwalder-Bär (-0,7) ins Auge, die sich an den beiden Flügeln der FDP eingerichtet haben. - Die Häufigkeitsverteilung der Ratsmitglieder auf der Links- rechts-Skala kommt im abgebildeten Säulendiagramm zum Ausdruck. Dieses zeigt eine klare Dreiteilung des politischen Spektrums. Zwischen den beiden Polen SVP und SP/Grüne liegt ein abgegrenztes, aus CVP und FDP gebildetes Mitte-Lager. Trotz einigen Misstönen seit den letztjährigen Bundesratswahlen rückten die beiden Parteien der bürgerlichen Mitte in der 47. Legislaturperiode so nahe zusammen, wie es seit Beginn des regelmässigen namentlichen Abstimmens 1995 noch in keinem Jahr beobachtet werden konnte. Spannten CVP und FDP in der 46. Legislatur noch bei 82 Prozent der Abstimmungen zusammen, so hat sich dieser Wert in der gegenwärtigen Legislatur auf 92 Prozent erhöht. Der Abstand des Mitteblocks zu den beiden Polen ist etwa gleich geblieben. Die CVP befindet sich genau zwischen den Polen und stimmte in 71 Prozent der namentlichen Abstimmungen mit der SVP und in 70 Prozent mit der SP.

Trotzdem heterogene Mitte

Die beiden Parteien der bürgerlichen Mitte sind zwar zusammengerückt, in sich sind sie jedoch keineswegs geschlossen. Zwar ist die Fraktionsdisziplin grösser als Ende der letzten Legislatur. Der Längsschnittvergleich seit 1995 zeigt jedoch, dass die Fraktionsdisziplin im Verlauf einer Legislatur gewöhnlich nachlässt. Im Vergleich zu den Eröffnungsjahren der beiden letzten Legislaturen war die Fraktionsdisziplin im letzten Jahr bei allen Fraktionen verhältnismässig gering.

Mit einer Standardabweichung von 1,9 weist die CVP die grösste Streuung auf der Links- rechts-Achse auf. Einen hohen Wert hat auch die SVP (1,8). Der Blick auf das Säulendiagramm zeigt allerdings, dass dieser hohe Wert vor allem auf «Ausreisser» zurückzuführen ist. Brigitta Gadient (+0,1) und Ulrich Siegrist (+0,1) sind 7,4 Punkte vom SVP-Fraktionsmedian entfernt. Sieht man von ihren «Dissidenten» ab, tritt die SVP fast so geschlossen auf wie die Parteien am linken Pol des Parlaments.

Die Romands politisieren - wie gehabt - links von den Deutschschweizern, die Frauen links von den Männern. Die Breite des «Röstigrabens», gemessen an der Differenz zwischen der Medianposition im deutschsprachigen (+1,5) und im welschen Feld (-1,5), beträgt 3 Punkte. Der «Röstigraben» zieht sich dabei durch alle vier Bundesratsparteien durch. Es zeigt sich, dass die SVP mit ihrem Durchmarsch in der Romandie bei den letztjährigen Wahlen vor allem ihren «linken» Flügel gestärkt hat. Der klar rechts vom SVP- Median (+7,5) positionierte Genfer Jacques Pagan (+8,5) bildet dabei die Ausnahme. - Besonders ausgeprägt ist der Graben zwischen den Geschlechtern. 44 der 50 Parlamentarierinnen politisierten links des Medians des Gesamtrats. Einsame «rechte» Ausreisserin unter den Frauen ist die neugewählte St. Galler SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter mit einem Wert von +8.

* Michael Hermann erforscht (regionale) politische Mentalitäten am Geographischen Institut der Universität Zürich. Bruno Jeitziner ist Titularprofessor an der Universität Freiburg.

 

Neue Methode - neues Team

se. Das diesjährige Parlamentarier-Rating ist gegenüber früheren Ausgaben methodisch verbessert worden. Das Team der Rating-Gründer - Bruno Jeitziner und Tobias Hohl - hat sich mit den beiden Zürcher Geographen Michael Hermann und Heiri Leuthold zusammengetan. Mit der neu angewandten Methode der sogenannten «multidimensionalen Skalierung» (MDS) kann die Verschiedenheit von Objekten (bzw. hier von Subjekten) räumlich dargestellt werden: Je unterschiedlicher sich zwei Nationalräte bei den Namensabstimmungen im Rat verhalten, desto grösser wird die Distanz zwischen ihnen in der Skalierung. Als «Verschiedenheit» wird somit die Häufigkeit abweichender Abstimmungsentscheide erhoben. Das statistische Verfahren besteht aus einer mehrfach wiederholten Prozedur, in welcher die Parlamentarier, die ähnlich abstimmen, räumlich zusammengerückt werden und umgekehrt. An den Polen finden sich zum Schluss diejenigen Nationalräte, die am häufigsten gegeneinander gestimmt haben. Diese Pole wurden ex post als «links» und «rechts» interpretiert.

Gegenüber dem bisher verwendeten Rating hat die neue Methode grundsätzliche Vorteile: Es gelten keine einschränkenden Vorbedingungen und keine inhaltlichen Bewertungen der Abstimmungsvorlagen mehr. Neu fliessen alle Abstimmungen unter Namensaufruf im Nationalrat in die Analyse ein (für die ersten vier Sessionen dieser Legislatur sind das 277 Fälle). Das neue Verfahren zeigt neu auch differenzierter die Streuung im linken Lager. Das Rating bildet das Abstimmungsverhalten der einzelnen Ratsmitglieder räumlich ab, womit es von den jeweils dominierenden Sachgeschäften der untersuchten Sessionen geprägt wird. - Unter www.parlarating.ch kann das Rating interaktiv abgefragt werden, und www.parlamentsspiegel.ch zeigt die Parlamentarier im zweidimensionalen politischen Raum; während der Sessionen können die aktuellen Abstimmungen abgefragt werden.

 

 

Die Nationalratsmitglieder auf der Links-rechts-Skala

 
  Kanton Rating    
 
SVP  
 
Gadient Brigitta M. GR 0,1  
Siegrist Ulrich AG 0,1  
Haller Ursula BE 3,2  
Hasser Hansjörg GR 4,0  
Veillon Pierre-François VD 5,4  
Joder Rudolf BE 5,4  
Parmelin Guy VD 5,7  
Walter Hansjörg TG 5,8  
Schmied Walter BE 6,0  
Bignasca Attilio (Lega) TI 6,2  
Spuhler Peter TG 6,3  
Perrin Yvan NE 6,3  
Oehrli Fritz Abraham BE 6,4  
Bugnon André VD 6,4  
Rime Jean-François FR 6,6  
Wandfluh Hansruedi BE 6,7  
Weyeneth Hermann BE 6,8  
Fattebert Jean VD 6,9  
Keller Robert ZH 6,9  
Amstutz Adrian BE 7,0  
Mathys Hans Ulrich AG 7,2  
Freysinger Oskar VS 7,2  
Laubacher Otto LU 7,2  
Reymond André GE 7,2  
Giezendanner Ulrich AG 7,3  
Dunant Jean Henri BS 7,5  
Rutschmann Hans ZH 7,5  
Stahl Jürg ZH 7,5  
Wobmann Walter SO 7,6  
Maurer Ueli ZH 7,6  
Pfister Theophil SG 7,7  
Schibli Ernst ZH 7,7  
Schenk Simon BE 7,7  
Müri Felix LU 7,7  
Kunz Josef LU 7,8  
Scherer Marcel ZG 7,9  
Brunner Toni SG 7,9  
Stamm Luzi AG 7,9  
Fehr Hans ZH 7,9  
Speck Christian AG 8,0  
Baader Caspar BL 8,0  
Hutter Jasmin SG 8,0  
Glur Walter AG 8,1  
Borer Roland SO 8,3  
Zuppiger Bruno ZH 8,4  
Bigger Elmar SG 8,4  
Mörgeli Christoph ZH 8,5  
Miesch Christian BL 8,5  
Pagan Jacques GE 8,5  
Kaufmann Hans ZH 8,6  
Bortoluzzi Toni ZH 8,8  
Schlüer Ulrich ZH 8,8  
Schwander Pirmin SZ 9,3  
Baumann J. Alexander TG 9,4  
Föhn Peter SZ 10,0  
 
 
SP      
 
Leutenegger Oberholzer S. BL -8,9  
Kiener Nellen Margret BE -8,5  
Maury Pasquier Liliane GE -8,2  
Maillard Pierre-Yves VD -8,2  
Sommaruga Carlo GE -8,1  
Garbani Valérie NE -8,1  
Gysin Remo BS -8,0  
Rennwald Jean-Claude JU -7,9  
Berberat Didier NE -7,9  
Hubmann Vreni ZH -7,7  
Thanei Anita ZH -7,7  
Vermot Ruth-Gaby BE -7,6  
Goll Christine ZH -7,6  
Gross Andreas ZH -7,6  
Marty Kälin Barbara ZH -7,5  
Rechsteiner Rudolf BS -7,5  
Dormond Marlyse VS -7,5  
Daguet André BE -7,5  
Roth-Bernasconi Maria GE -7,4  
Savary GéraldineVD -7,4  
Widmer Hans LU -7,4  
Rossini Stéphane VS -7,3  
Cavalli Franco TI -7,3  
Jutzet Erwin FR -7,3  
Müller-Hemmi Vreni ZH -7,2  
Rechsteiner Paul SG -7,2  
Hämmerle Andrea GR -7,2  
Heim Bea SO -7,2  
Schenker Silvia BS -7,1  
Strahm Rudolf BE -7,1  
Allemann Evi BE -7,1  
Stump Doris AG -7,1  
Fehr Hans-Jürg SH -7,0  
Wyss Ursula BE -7,0  
Fehr Jacqueline ZH -6,9  
Banga Boris SO -6,9  
Hofmann Urs AG -6,9  
Fässler Hildegard SG -6,8  
Levrat Christian FR -6,8  
Galladé Chantal ZH -6,8  
Haering BarbaraZH -6,7  
Rey Jean-Noël VS -6,7  
Pedrina Fabio TI -6,7  
Gross Jost TG -6,7  
Fehr Mario ZH -6,6  
Gyr-Steiner Josy SZ -6,5  
Janiak Claude BL -6,3  
Vollmer Peter BE -6,2  
Marti Werner GL -6,2  
Salvi Pierre VD -6,1  
Stöckli Hans BE -6,1  
Günter Paul BE -5,9  
Bruderer Pascale AG -5,8  
 
 
FDP            
 
Guisan Yves VD -1,5  
Markwalder Bär Christa BE -0,7  
Christen Yves VD -0,4  
Dupraz John GE -0,1  
Sadis Laura TI 0,4  
Ruey Claude (LPS) VD 0,5  
Eggly Jacques-S. (LPS) GE 0,6  
Abate Fabio TI 0,6  
Brunschwig Graf M. (LPS) GE 0,8    
Fluri Kurt SO 0,8  
Pelli Fulvio TI 1,0  
Huber Gabi UR 1,0  
Burkhalter Didier NE 1,2    
Glasson Jean-Paul FR 1,3  
Gutzwiller Felix ZH 1,3  
Kleiner Marianne AR 1,6  
Beck Serge (LPS) VD 1,6  
Germanier Jean-René VS 1,7  
Randegger Johannes BS 1,8  
Favre Charles VD 1,8  
Egerszegi-Obrist C. AG 1,9  
Vaudroz René VD 2,0  
Ineichen Otto LU 2,1  
Bührer Gerold SH 2,2  
Noser Ruedi ZH 2,2  
Theiler Georges LU 2,6  
Schneider Johann N. BE 2,7  
Engelberger Eduard NW 2,8  
Messmer Werner TG 2,8  
Steiner Rudolf SO 3,0    
Hutter Markus ZH 3,0  
Bezzola Duri GR 3,1    
Hegetschweiler Rolf ZH 3,3  
Wasserfallen Kurt BE 3,4  
Triponez Pierre BE 3,5  
Müller Philipp AG 3,5  
Müller Walter SG 3,5  
Weigelt Peter SG 3,6  
Gysin Hans-Rudolf BL 4,2  
Leutenegger Filippo ZH 4,4  
 
CVP              
 
Robbiani Meinrado TI -3,4  
Kohler Pierre JU -3,3  
Zapfl Rosmarie ZH -2,9  
Darbellay Christophe VS -2,4  
Simoneschi Chiara TI -2,1  
Meier-Schatz Lucrezia SG -2,0  
Chevrier Maurice VS -1,8  
Meyer Thérèse FR -1,5  
Riklin Kathy ZH -1,2  
de Buman Dominique FR -1,1  
Leuthard Doris AG -0,6  
Bader Elvira SO -0,5  
Cathomas Sep GR -0,4  
Häberli-Koller Brigitte TG -0,3  
Cina Jean-Michel VS -0,3  
Humbel Näf Ruth AG -0,2
Maitre Jean-Philippe GE -0,1  
Walker Felix SG 0,2
Hochreutener Norbert BE 0,7  
Wehrli Reto SZ 0,7  
Brun Franz LU 1,1  
Jermann Walter BL 1,3  
Lustenberger Ruedi LU 1,5  
Büchler Jakob SG 1,5  
Pfister Gerhard ZG 2,0  
Leu Josef LU 2,3  
Imfeld Adrian OW 3,3  
Loepfe Arthur AI 3,6  
 
 
GPS      
 
Recordon Luc VD -9,2  
Müller Geri AG -9,1  
Vischer Daniel ZH -8,8  
Menétrey-Savary Anne-C. VD -8,7  
Teuscher Franziska BE -8,7  
Leuenberger Ueli GE -8,7  
Bühlmann Cécile LU -8,7  
Hollenstein Pia SG -8,7  
Graf Maya BL -8,7  
Genner Ruth ZH -8,5  
Frösch Therese BE -8,4  
Cuche Fernand NE -8,4  
Lang Josef (SGA) ZG -8,3  
Fasel Hugo (CSP) FR -7,8  
 
 
EVP/EDU      
 
Studer Heiner (EVP) AG -4,3  
Aeschbacher Ruedi (EVP) ZH -3,9  
Donzé Walter (EVP) BE -3,3  
Wäfler Markus (EDU) ZH 4,8  
Waber Christian (EDU) BE 5,0  
 
Fraktionslos      
 
Zisyadis Josef (PdA) VD -10,0  
Vanek Pierre (Sol) GE -9,8  
Huguenin Marianne (PdA) VD -9,2  
Bäumle Martin (GL) ZH -6,2  
Hess Bernhard (SD) BE 9,8  
 
Parlamentarier-Rating auf Grundlage des Stimmverhaltens bei 277 Abstimmungen im Nationalrat unter Namensaufruf im ersten Jahr dieser Legislaturperiode. Skala zwischen -10 («links») und 10 («rechts»). Die Bezeichnung der Pole als «links» und «rechts» erfolgt ex post. Sie ist möglich, weil die von der multidimensionalen Skalierung (MDS) wiedergegebene Polarität mit der alltäglichen Bedeutung von links und rechts übereinstimmt. Daten ohne Ratspräsident Max Binder (svp., Zürich); Hans Stöckli (sp., Bern) rutschte im September in den Rat nach, sein Rating-Wert beruht auf einer geringeren Fallzahl.

 

 


 

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