NZZ vom 22.10.2004

 


 

 

Viel fürs Schaufenster - aber wenig verkauft

vgl. Tabelle

Die Parteien «drei Jahre vor den Wahlen»

Nach den turbulenten National- und Bundesratswahlen 2003 ist parteipolitisch alles andere als Ruhe eingekehrt. Die Resultate kantonaler Wahlen wie auch das unermüdliche Schattenboxen unter der Bundeshauskuppel stehen für den ungebrochenen Trend zur Polarisierung. Die Parteien politisieren vorab für das mediale Schaufenster.

 
 

se. Ein Jahr ist vergangen, seit die SVP zur klar wählerstärksten Partei herangewachsen ist. Sie errang 11 zusätzliche Nationalratssitze, dies nicht zuletzt dank einem überraschend hohen Zuwachs in der Westschweiz. Die FDP und die CVP hingegen mussten zum wiederholten Mal Verluste einstecken und je 7 Nationalratsmandate abgeben, was für die CVP im Dezember zudem einen Sitzverlust in der Regierung bedeutete. Die erneute Rechtsverschiebung innerhalb des bürgerlichen Lagers war von einem Zuwachs auf der Linken begleitet (SP +1, GPS +4 Sitze). Die SP vermochte dank dem bürgerlichen Zerwürfnis zudem im Ständerat um 3 Sitze zuzulegen, die SVP errang hier 1 zusätzliches Mandat; alle 4 Sitze gingen vom Konto der FDP ab.

Die Polarisierung setzte sich in den fünf kantonalen Wahlgängen dieses Jahres fort. So gingen der FDP Mitte März in St. Gallen 8 Mandate verloren, der CVP 7. Zuzulegen vermochten die SVP (+3) sowie vor allem die SP (+7) und die Grünen (+6). Schlechte Nachrichten trafen für die FDP wenig später aus dem Kanton Uri ein (-6 Mandate), während die wählerstärkste CVP hier mit einem blauen Auge davonkam (-1). SP und Grüne blieben unverändert, und als Siegerin ging die SVP aus den Urner Wahlen hervor (+5). Das tat sie auch Ende März in Schwyz (+7), wo die SP ebenfalls um 4 Mandate zuzulegen vermochte. Der CVP gingen in dieser Hochburg 9 Mandate verloren, und die FDP musste 2 Sitze abtreten. Am selben Wochenende liessen die beiden Parteien auch bei den Wahlen für den Thurgauer Grossen Rat Federn (CVP -5, FDP -4), und wiederum waren es die Pole, die zuzulegen vermochten (SVP und Grüne je +5 Sitze, SP +1). Schliesslich wurde im September im Kanton Schaffhausen gewählt. Es überraschte kaum mehr, dass die SVP (+3 auf der Liste der Jungpartei) und die SP (+3) erneut gepunktet haben, während FDP und CVP je 2 Sitze abgeben mussten.

Unter dem Strich ist die Bilanz ein Jahr nach den eidgenössischen Wahlen unmissverständlich: Die Pole bleiben im Aufwind, die Mitte serbelt. Die SVP vermochte in den kantonalen Parlamenten landesweit erneut aufzuholen (vgl. Tabelle) und liegt mit 583 Sitzen nur noch knapp hinter SP (592), CVP (599) und FDP (614 Mandate).

Inhalte: Programmarbeit in der Mitte

Die FDP wie auch die CVP beschlossen Anfang Jahr die personelle und programmatische Erneuerung. Die FDP wollte unter alter Führung (Christiane Langenberger) zunächst das Programm in Angriff nehmen und erst danach allenfalls die Personalfrage klären. Doch bereits im April kam es unter recht spektakulären Umständen zum personellen Wechsel, und Rolf Schweiger wurde zum neuen Präsidenten gewählt. Gerade umgekehrt verlief es bei der CVP: Hier suchte der vorgängige Parteipräsident Philipp Stähelin nach verlorener Bundesratswahl rasch (und von sich aus) die personelle Auffrischung. Doch die beiden Kronfavoriten für die Nachfolge zierten sich zunächst (Doris Leuthard und Bruno Frick), worauf die Programmarbeit vorgezogen wurde. Die Fraktion setzte bei der Legislaturplanung eher bürgerliche Akzente, etwa in der Finanzpolitik, während auf Parteiebene der breite Ausgleich zwischen den Flügeln und den Regionen angestrebt wurde. Die CVP gibt sich heute gesellschaftspolitisch wertkonservativ, will aber mit familienpolitischen und ökologischen Inhalten auch in urbanen Quartieren mobilisieren. Mit der Wahl von Doris Leuthard zur neuen Parteipräsidentin wurde die Programmarbeit bei der CVP unlängst besiegelt.

Bei der FDP ist gemäss Rolf Schweiger auf Ende Jahr mit einem Programmentwurf zu rechnen. Die Resultate aus dem zwischenzeitlichen Basis-Ideenwettbewerb «Avenir radical» weisen auf eine wirtschaftsfreundliche (Subventionsabbau, Steuererleichterungen) und gesellschaftspolitisch offene (Gleichstellungs-, Bildungspolitik) Positionierung der FDP hin. Parteipräsident Schweiger geniesst das Vertrauen der Wirtschaft, ist aber auch beim eher sozialliberalen Westschweizer Parteiflügel gut akzeptiert. Die FDP hat sich in den vergangenen Wochen mit der Ankündigung von zwei Volksinitiativen (zum Verbandsbeschwerderecht und zur Schulbildung) in Erinnerung gerufen - und sich dabei auf recht dünnes Eis begeben. Die Lancierung dieser Volksbegehren dürfte parteiintern noch zu reden geben.

Reform: Opposition von links und rechts

Die beiden Parteien an den Polen legen zwar bei Wahlen stetig zu, sind aber alleine zu schwach, um sachpolitisch Akzente zu setzen. Und so verfolgt die SVP trotz der Zweiervertretung im Bundesrat primär eine Oppositionsstrategie (mit Schwerpunkt Aussen-, Ausländer- und Asylpolitik) zwecks Machtausbau bei Wahlen. Davon scheint indirekt auch die SP zu profitieren, die sich mittlerweile offensichtlich als reine «Blocher-Verhinderungs-Partei» versteht. Zwar preisen sich die Genossen als Reformkraft an, bewegen sich damit aber so weit nach links, dass sich ihre «Erfolge» auf die blosse Verhinderung von Reformen der bürgerlichen Parlamentsmehrheit an der Urne beschränken (AHV-Revision, Mietrecht, Steuerpaket, Verkehrspolitik). Der Rechtsrutsch im bürgerlichen Lager treibt dabei nicht nur die SP nach links, sondern in ihrem Sog auch die Grünen, bei denen bereits Richtungsdebatten in einzelnen Kantonalparteien ausgebrochen sind.

Der permanente Wahlkampf verleitet die Parteien zu einer Politik, die sich in erster Linie an der Aussenwirkung orientiert - Politik fürs Schaufenster sozusagen. Der Parlamentsbetrieb wird dadurch ineffizient, wichtige Geschäfte werden zurückgewiesen, abgelehnt oder zwischen den Räten hin- und hergeschoben; Beispiele hierfür sind das Betäubungsmittelgesetz, das KVG oder die Debatte über die Verwendung der Goldreserven. Nicht bedeutend, aber doch sinnbildlich für die momentane Verfassung des Nationalrats war sein Nichteintreten auf die Legislaturplanung 2003-2007. Dass bis anhin auch im Bundesrat (zumindest gegen aussen) anstelle vertrauensbildender Massnahmen Aufgeregtheit dominiert, macht die Sache nicht besser. - All das erklärt, warum diese parteipolitische Bilanz ein Jahr nach den Wahlen unter den unüblichen, aber wohl passenderen Untertitel «drei Jahre vor den Wahlen» gestellt wurde.


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