Neue Luzerner Zeitung, 27. Nov. 2002

 Ausgabe vom Mittwoch, 27. November 2002

Andreas Ladner
 

«Das war ein gefährliches Spiel»

Mit der Drohung, die SVP zu verlassen, habe Bundesrat Samuel Schmid hoch gepokert, sagt der Politologe und Parteienforscher Andreas Ladner.

Konnte es Bundesrat Samuel Schmid überhaupt ernst sein mit der Drohung, aus der SVP auszutreten?

Andreas Ladner: Das Problem ist, dass man von ihm das so nie sagen hörte.

Immerhin liess er solche Aussagen durch sein Umfeld aber auch nicht dementieren.

Ladner: Schmid gilt als besonnener Mensch. Das heisst, dass er solche Drohungen nicht leichtsinnig und unbesonnen äussert. Das wiederum zeigt, dass zwischen ihm und seiner Partei tatsächlich ein Problem besteht.

Jetzt wurde in der Fraktion ein Burgfrieden geschlossen. Schmid liess sich von der Fraktion zu ihrem Bundesrat wählen.


Ladner: Das ist sicher o.k. Die Frage bleibt, wie dauerhaft dieser Friede ist. Es würde mich nicht erstaunen, wenn der nächste Konflikt schon bald wieder ausbrechen würde.

Wäre ein Parteiaustritt überhaupt möglich? Einen parteilosen Bundesrat hat es bisher noch nie gegeben.

Ladner: Im konkreten Fall ja. Bundesrat Schmid ist nicht vom Volk und war bisher nicht einmal von seiner eigenen Partei gewählt. Wenn die Differenzen mit seiner Partei über reine Stilfragen hinausgehen und auch Grundsätzliches tangieren, wäre - mindestens in einer ersten Phase - ein Parteiaustritt für Schmid also durchaus möglich und sogar nichts als konsequent gewesen.

Ihrer Meinung nach hätte Bundesrat Schmid aus der SVP austreten müssen?

Ladner: Mit dem Parteiaustritt zu kokettieren, ist ein gefährliches Spiel. Bundesrat Schmid pokerte hoch. Seit rund einer Woche hat er entsprechende Austrittsgelüste nicht dementieren lassen. Hätte er nach der Aussprache nichts - wie jetzt - Konkretes in der Hand gehabt, um vor die Öffentlichkeit zu treten, wäre die Gefahr bestanden, dass er sein Gesicht verloren hätte.

Was hätte Schmids Parteiaustritt für das Schweizer Regierungssystem bedeutet? Das Konkordanzsystem und die Zauberformel wären über Nacht vom Tisch?

Ladner: Formell stimmt das. Die Zusammensetzung der Zauberformel mit einem SVP-Bundesratssitz wäre Vergangenheit gewesen.

Aber?

Ladner: Realistischerweise wird man die Zauberformel eher auslaufen lassen, als sie auf Grund einer konkreten Strategie sterben lassen. Falls Schmid tatsächlich seiner Partei den Rücken gekehrt hätte, hätte das erst bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrates im Dezember 2003 zu Problemen geführt.

Wieso?

Ladner: Dann hätte sich die Frage gestellt, ob er noch einmal gewählt wird oder nicht.

Das heisst, dass die anderen Parteien ein Problem haben, nicht die SVP?

Ladner: Genau. Die anderen Parteien hätten sich überlegen müssen, ob sie Bundesrat Schmid als Parteilosen wählen oder ob sie ihn fallen lassen. Das wäre ein Dilemma gewesen, denn sie haben ihn immerhin gegen den Willen der SVP in die Regierung gewählt. Ihn aber fallen zu lassen, wäre ein Verstoss gegen ein schweizerisches Grundprinzip gewesen, nämlich dass man einen Bundesrat nicht abwählt, ohne dass er etwas ganz Schlimmes gemacht hätte.

Angenommen, sie hätten Schmid dann fallen gelassen?

Ladner: Dann könnte die SVP sagen, hallo ihr habt die Zauberformel gesprengt, wir sind nicht mehr vertreten. Oder anders gesagt, sie hätte ihre Opferrolle und ihren Wunsch nach zwei eigenen Bundesräten noch stärker auskosten können. Die anderen Parteien wären zusätzlich vor der Frage gestanden, wen sie wählen sollen. Wieder jemanden aus der SVP, den die SVP nicht will? Oder einen dritten aus CVP, FDP oder SP. Das Erste wäre wohl nicht in Frage gekommen, die zweite Partei hat es auch nicht verdient und der SP hätten die Bürgerlichen diese Freude wohl kaum machen wollen.

Wie man es dreht, die SVP wäre als Siegerin dagestanden?

Ladner: Tatsächlich. Das war einmal mehr eine Situation, in der es vor allem für die anderen Parteien unangenehm wurde. Nur muss man auch beachten, dass die SVP einen Bundesrat will, was für sie langfristig auch besser ist. Deshalb fand sie wohl in der gestrigen mehrstündigen Fraktionssitzung auch den Rank mit ihrem Bundesrat.

Die SVP droht bereits heute mit einem schärferen Oppositions- oder Obstruktionskurs. Ist das überhaupt möglich?

Ladner: Obstruktionspolitik wird letztendlich für die SVP nicht zum Erfolg werden. Die Mobilisierungskraft, die sie bei der Asylinitiative an den Tag legen konnte, hat sie nicht bei allen Themen. Erfolgreiche Obstruktionspolitik kann man aber nur betreiben, wenn man die Mehrheit hinter sich hat. Das heisst für mich auch, dass man vor der SVP-Drohung, ihre Oppositionsrolle noch stärker auszuspielen, nicht grundsätzlich zittern muss. Auf den politischen Stil würde ein solcher Kurs Auswirkungen haben, dass die Politik des Landes durch Volksinitiativen und Referenden blockiert würde, bezweifle ich.


INTERVIEW VON
JÜRG AUF DER MAUR
 

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