Neue Luzerner Zeitung, 22. Oktober 2003

 


Ausgabe vom Mittwoch, 22. Oktober 2003
 

Politologe Andreas Ladner

«Austritt für SVP nicht sinnvoll»

Selbst wenn sich die SVP aus dem Bundesrat verabschiedet: Der Schweiz drohen keine Zustände wie im benachbarten Ausland, sagt der Politologe Andreas Ladner.*

Die CVP müsse einen Bundesrat opfern, tönt es von rechts bis links. Wie lange wird sie ihre beiden Sitze noch halten können?

Andreas Ladner: Höchstens so lange, bis eines ihrer beiden Regierungsmitglieder aus freien Stücken zurücktritt. Möglicherweise muss die CVP dem grossen Druck schon früher nachgeben.

Sollte Joseph Deiss freiwillig zurücktreten, um das Land zu retten?

Ladner: Das ist sicher eine Option, die diskutiert werden muss. Vielleicht wird das zu einem noblen Akt, der den Machthunger der SVP stoppt und der CVP wieder zu einer Art Glanz verhilft. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, bei denen andere Parteien gefragt sind: Bald wird ein Sitz der FDP frei. Die Frage lautet, ob man das ungeschriebene Gesetz über alles setzen muss, wonach ein Bundesrat selber bestimmt, wann er aus der Regierung ausscheiden will, und dass es unvorstellbar ist, dass das Parlament ihn nicht mehr wählt, obwohl sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Diese Regel führt zu einer Starrheit in unserem System.

Droht tatsächlich der Tabubruch, dass ein amtierender Bundesrat abgewählt wird?

Ladner: Das ist im Moment schwierig abzuschätzen. Die Parteien versuchen jetzt, ihre Position zu finden. In den kommenden Wochen müssen sie abwägen, ob sie auf die spezielle Situation auch speziell reagieren wollen. Oder ob sie die ungeschriebenen Verhaltensregeln stärker gewichten wollen und angesichts der Bedingungen der SVP erklären: So nicht! Sowohl eine Abwahl wie auch die Forderung der SVP, dass nur Christoph Blocher gewählt werden dürfe, verstösst gegen die Umgangsformen, auf die sich die Vereinigte Bundesversammlung in letzter Zeit geeinigt hat.

Zu Recht?

Ladner: Solch ungeschriebene Verhaltensregeln kann man hinterfragen. Warum müssen die Fraktionen mindestens zwei Kandidaten zur Auswahl stellen? Man verlangte es von der SP, seitdem machen es alle. Die Diskussion darüber, ob es Sinn macht und für wen, hat jedoch noch nicht stattgefunden. Wenn man die Parteien stärken will, sollen sie ihre stärkste Kraft in den Bundesrat bringen können.

Ganz wie es jetzt die SVP versucht.

Ladner: Die SVP hat aus ihrer Sicht das einzig Richtige gemacht. Aus dem Wahlerfolg leitete sie den Auftrag ab, die Politik, für die sie gewählt wurde, möglichst gut umzusetzen. Dazu ist nun mal niemand besser geeignet als Blocher, der Initiator ihrer Erfolgsgeschichte.

Vom Status quo bis zu einer Mitte-links-Regierung ist zurzeit alles möglich. Welches ist das wahrscheinlichste Szenario?

Ladner: Für verbindliche Prognosen sind die Bundesratswahlen noch zu weit weg. Ich gehe davon aus, dass nach dem 10. Dezember die gleichen vier Parteien im Bundesrat vertreten sein werden, weiss aber nicht, mit wie vielen Bundesräten und mit welcher Unterstützung der Parteien. Es ist wirklich viel möglich. Am wenigsten wahrscheinlich ist, dass es eine Mitte-links-Regierung gibt.

Einzelne Kommentatoren möchten am liebsten die SP aus der Regierung werfen.

Ladner: Auch das halte ich für wenig wahrscheinlich. Die SP ist heute relativ gut ins politische System und in die Gesellschaft integriert. Sie ist nicht mehr so oppositionell wie früher, sondern eigentlich eine staatstragende Partei. Überdies hat die SP im Gegensatz zur FDP und CVP zugelegt. Ihren Rauswurf aus dem Bundesrat müsste man mit einem deklarierten Systemwechsel verknüpfen.

Wäre ein System mit Regierung und Opposition in der Schweiz überhaupt möglich?

Ladner: Dazu müsste man unsere ganzen Institutionen umbauen zu einer parlamentarischen Demokratie mit Misstrauensvoten und allem, was dazugehört. Das entspricht nicht der schweizerischen Mentalität. Eher noch fällt eine Partei vorübergehend aus der Regierung.

Was wäre denn die Folge, wenn sich mit der SVP die grösste Partei aus dem Bundesrat verabschiedet?

Ladner: Ich bin anderer Meinung als jene, die sagen, in einer direkten Demokratie dürfe man das auf keinen Fall zulassen, weil sonst Obstruktion drohe. Ich glaube nicht, dass man heute konstant über längere Zeit blockieren kann. Die Wählerinnen und Wähler sind keine treuen Parteisoldaten mehr, die etwas nur dann annehmen, weil es die SVP gesagt hat. Zu erwarten ist aber, dass die SVP noch etwas an Wählerstimmen zulegt und vereinzelte Erfolge erzielt.

Demnach müsste die SVP raschmöglichst aus dem Bundesrat austreten?

Ladner: Für eine Partei ist das keine sinnvolle Variante. Um Politik zu machen, ist es letztlich besser, an der Macht zu sein. Die Politik wird in der Exekutive gestaltet. Wer da mitmachen will, muss in der Regierung stark sein.

Und was würde sich für den Rest des Landes konkret ändern?

Ladner: Ein Teil der Leute wäre nicht mehr direkt vertreten, und die anderen Parteien müssten für diese Leute die Verantwortung übernehmen. Die Legitimation einer solchen Regierung wäre sicher geringer. Das wäre eine fundamentale Abkehr von der schweizerischen Politik, die darauf basiert, dass man alle grossen Kräfte integriert und versucht, mit allen einen Kompromiss zu finden.

Müssten Initiative und Referendum mit der Zeit abgeschafft werden?

Ladner: Wohl kaum. Man müsste aber das Verfahren beschleunigen, damit es nicht zu einer Blockierung käme. Schliesslich hat die SVP ja nicht das ganze Volk hinter sich.

Was raten Sie der FDP und der CVP?

Ladner: Wenn sie nur danach achten, nicht noch mehr Wähler an die SVP zu verlieren, laufen sie Gefahr, von dieser ganz verschluckt zu werden. Sie müssen ihre eigenständigen Positionen auf einem tieferen Niveau finden und auf bessere Zeiten hoffen. Dass aber die CVP in der Innerschweiz zu ihrer alten Blüte zurückfindet, bezweifle ich. Für die FDP dürfte es auch ein weiter Weg sein, um wieder stärkste Partei in der Schweiz zu werden.

Wie gut stehen angesichts der zunehmenden Polarisierung die Chancen, dass der Stillstand überwunden werden kann?

Ladner: Wenn man lange genug von etwas spricht, glaubt man es am Ende. Ich bin nicht so pessimistisch. Sicher ist es auch schon einfacher gewesen, in der Schweiz zu wirtschaften und Politik zu machen. Das ist aber nicht etwas, was nur uns beschäftigt, weil bei uns alles so schlecht organisiert wäre. Es zeigt sich auch in anderen Ländern mit anderen politischen Organisationen, die bei uns als Varianten für die Zukunft diskutiert werden. Also liegt das Problem nicht bei den Parteien und nicht bei unserem politischen System. Unsere politischen Institutionen sind zwar anpassungsbedürftig, aber keinesfalls überholt. Sie bieten genügend Möglichkeiten, um die anstehenden Probleme zu lösen.

Einige fürchten, dass das Land unregierbar werde und freundeidgenössische Kompromisse der Vergangenheit angehören.

Ladner: Wir haben ein System, in dem man zwischen unterschiedlichen Positionen den Kompromiss finden muss. Jetzt sind die Positionen weiter voneinander weggerückt. Wenn man daran festhält, dass am Schluss ein Entscheid gefällt werden muss und dieser irgendwo zwischen den Polen liegt, wird man ihn auch finden und das Problem lösen können, wenn auch mit mehr Lärm, als wir es uns gewohnt waren. Weil sich die Kräfteverhältnisse im Moment eher nach rechts verschoben haben, wird die Lösung auch eher auf der rechten Seite zu finden sein.

Drohen der Schweiz Zustände wie in Italien?

Ladner: Nein, davon sind wir noch recht weit entfernt. Ich bin optimistisch, weil ich an unsere politischen Institutionen glaube. Es wäre schade, wenn man auf unsere Form von Konfliktlösung verzichten würde. Es ist die grosse Integrationsleistung, welche die Stärke des Modells Schweiz ausmacht. Auch in Zukunft wird wichtig bleiben, dass die Interessen aller eingebracht und berücksichtigt werden können.


INTERVIEW VON EVA NOVAK, BERN

*Andreas Ladner ist Assistenzprofessor am Kompetenzzentrum für Public Management und Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.


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