Die CVP müsse einen Bundesrat opfern, tönt es von rechts bis links.
Wie lange wird sie ihre beiden Sitze noch halten können?
Andreas Ladner: Höchstens so lange, bis eines ihrer beiden
Regierungsmitglieder aus freien Stücken zurücktritt. Möglicherweise muss die CVP
dem grossen Druck schon früher nachgeben.
Sollte Joseph Deiss freiwillig zurücktreten, um das Land zu retten?
Ladner: Das ist sicher eine Option, die diskutiert werden muss.
Vielleicht wird das zu einem noblen Akt, der den Machthunger der SVP stoppt und
der CVP wieder zu einer Art Glanz verhilft. Es gibt aber noch andere
Möglichkeiten, bei denen andere Parteien gefragt sind: Bald wird ein Sitz der
FDP frei. Die Frage lautet, ob man das ungeschriebene Gesetz über alles setzen
muss, wonach ein Bundesrat selber bestimmt, wann er aus der Regierung
ausscheiden will, und dass es unvorstellbar ist, dass das Parlament ihn nicht
mehr wählt, obwohl sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Diese Regel
führt zu einer Starrheit in unserem System.
Droht tatsächlich der Tabubruch, dass ein amtierender Bundesrat
abgewählt wird?
Ladner: Das ist im Moment schwierig abzuschätzen. Die Parteien
versuchen jetzt, ihre Position zu finden. In den kommenden Wochen müssen sie
abwägen, ob sie auf die spezielle Situation auch speziell reagieren wollen. Oder
ob sie die ungeschriebenen Verhaltensregeln stärker gewichten wollen und
angesichts der Bedingungen der SVP erklären: So nicht! Sowohl eine Abwahl wie
auch die Forderung der SVP, dass nur Christoph Blocher gewählt werden dürfe,
verstösst gegen die Umgangsformen, auf die sich die Vereinigte Bundesversammlung
in letzter Zeit geeinigt hat.
Zu Recht?
Ladner: Solch ungeschriebene Verhaltensregeln kann man hinterfragen.
Warum müssen die Fraktionen mindestens zwei Kandidaten zur Auswahl stellen? Man
verlangte es von der SP, seitdem machen es alle. Die Diskussion darüber, ob es
Sinn macht und für wen, hat jedoch noch nicht stattgefunden. Wenn man die
Parteien stärken will, sollen sie ihre stärkste Kraft in den Bundesrat bringen
können.
Ganz wie es jetzt die SVP versucht.
Ladner: Die SVP hat aus ihrer Sicht das einzig Richtige gemacht. Aus
dem Wahlerfolg leitete sie den Auftrag ab, die Politik, für die sie gewählt
wurde, möglichst gut umzusetzen. Dazu ist nun mal niemand besser geeignet als
Blocher, der Initiator ihrer Erfolgsgeschichte.
Vom Status quo bis zu einer Mitte-links-Regierung ist zurzeit alles
möglich. Welches ist das wahrscheinlichste Szenario?
Ladner: Für verbindliche Prognosen sind die Bundesratswahlen noch zu
weit weg. Ich gehe davon aus, dass nach dem 10. Dezember die gleichen vier
Parteien im Bundesrat vertreten sein werden, weiss aber nicht, mit wie vielen
Bundesräten und mit welcher Unterstützung der Parteien. Es ist wirklich viel
möglich. Am wenigsten wahrscheinlich ist, dass es eine Mitte-links-Regierung
gibt.
Einzelne Kommentatoren möchten am liebsten die SP aus der Regierung
werfen.
Ladner: Auch das halte ich für wenig wahrscheinlich. Die SP ist heute
relativ gut ins politische System und in die Gesellschaft integriert. Sie ist
nicht mehr so oppositionell wie früher, sondern eigentlich eine staatstragende
Partei. Überdies hat die SP im Gegensatz zur FDP und CVP zugelegt. Ihren
Rauswurf aus dem Bundesrat müsste man mit einem deklarierten Systemwechsel
verknüpfen.
Wäre ein System mit Regierung und Opposition in der Schweiz überhaupt
möglich?
Ladner: Dazu müsste man unsere ganzen Institutionen umbauen zu einer
parlamentarischen Demokratie mit Misstrauensvoten und allem, was dazugehört. Das
entspricht nicht der schweizerischen Mentalität. Eher noch fällt eine Partei
vorübergehend aus der Regierung.
Was wäre denn die Folge, wenn sich mit der SVP die grösste Partei aus dem
Bundesrat verabschiedet?
Ladner: Ich bin anderer Meinung als jene, die sagen, in einer
direkten Demokratie dürfe man das auf keinen Fall zulassen, weil sonst
Obstruktion drohe. Ich glaube nicht, dass man heute konstant über längere Zeit
blockieren kann. Die Wählerinnen und Wähler sind keine treuen Parteisoldaten
mehr, die etwas nur dann annehmen, weil es die SVP gesagt hat. Zu erwarten ist
aber, dass die SVP noch etwas an Wählerstimmen zulegt und vereinzelte Erfolge
erzielt.
Demnach müsste die SVP raschmöglichst aus dem Bundesrat austreten?
Ladner: Für eine Partei ist das keine sinnvolle Variante. Um Politik
zu machen, ist es letztlich besser, an der Macht zu sein. Die Politik wird in
der Exekutive gestaltet. Wer da mitmachen will, muss in der Regierung stark
sein.
Und was würde sich für den Rest des Landes konkret ändern?
Ladner: Ein Teil der Leute wäre nicht mehr direkt vertreten, und die
anderen Parteien müssten für diese Leute die Verantwortung übernehmen. Die
Legitimation einer solchen Regierung wäre sicher geringer. Das wäre eine
fundamentale Abkehr von der schweizerischen Politik, die darauf basiert, dass
man alle grossen Kräfte integriert und versucht, mit allen einen Kompromiss zu
finden.
Müssten Initiative und Referendum mit der Zeit abgeschafft werden?
Ladner: Wohl kaum. Man müsste aber das Verfahren beschleunigen,
damit es nicht zu einer Blockierung käme. Schliesslich hat die SVP ja nicht das
ganze Volk hinter sich.
Was raten Sie der FDP und der CVP?
Ladner: Wenn sie nur danach achten, nicht noch mehr Wähler an die SVP zu
verlieren, laufen sie Gefahr, von dieser ganz verschluckt zu werden. Sie müssen
ihre eigenständigen Positionen auf einem tieferen Niveau finden und auf bessere
Zeiten hoffen. Dass aber die CVP in der Innerschweiz zu ihrer alten Blüte
zurückfindet, bezweifle ich. Für die FDP dürfte es auch ein weiter Weg sein, um
wieder stärkste Partei in der Schweiz zu werden.
Wie gut stehen angesichts der zunehmenden Polarisierung die Chancen,
dass der Stillstand überwunden werden kann?
Ladner: Wenn man lange genug von etwas spricht, glaubt man es am
Ende. Ich bin nicht so pessimistisch. Sicher ist es auch schon einfacher
gewesen, in der Schweiz zu wirtschaften und Politik zu machen. Das ist aber
nicht etwas, was nur uns beschäftigt, weil bei uns alles so schlecht organisiert
wäre. Es zeigt sich auch in anderen Ländern mit anderen politischen
Organisationen, die bei uns als Varianten für die Zukunft diskutiert werden.
Also liegt das Problem nicht bei den Parteien und nicht bei unserem politischen
System. Unsere politischen Institutionen sind zwar anpassungsbedürftig, aber
keinesfalls überholt. Sie bieten genügend Möglichkeiten, um die anstehenden
Probleme zu lösen.
Einige fürchten, dass das Land unregierbar werde und
freundeidgenössische Kompromisse der Vergangenheit angehören.
Ladner: Wir haben ein System, in dem man zwischen unterschiedlichen
Positionen den Kompromiss finden muss. Jetzt sind die Positionen weiter
voneinander weggerückt. Wenn man daran festhält, dass am Schluss ein Entscheid
gefällt werden muss und dieser irgendwo zwischen den Polen liegt, wird man ihn
auch finden und das Problem lösen können, wenn auch mit mehr Lärm, als wir es
uns gewohnt waren. Weil sich die Kräfteverhältnisse im Moment eher nach rechts
verschoben haben, wird die Lösung auch eher auf der rechten Seite zu finden
sein.
Drohen der Schweiz Zustände wie in Italien?
Ladner: Nein, davon sind wir noch recht weit entfernt. Ich bin
optimistisch, weil ich an unsere politischen Institutionen glaube. Es wäre
schade, wenn man auf unsere Form von Konfliktlösung verzichten würde. Es ist die
grosse Integrationsleistung, welche die Stärke des Modells Schweiz ausmacht.
Auch in Zukunft wird wichtig bleiben, dass die Interessen aller eingebracht und
berücksichtigt werden können.