Neue Luzerner Zeitung vom 19. Oktober 2002

«SVP kann nochmals zulegen»

Heute in einem Jahr wählt die Schweiz. Der Politologe Andreas Ladner wagt erste Prognosen - und glaubt, dass diese Wahlen vor allem für die SVP wichtig sind.

Wenn heute gewählt würde; wer wären die Gewinner?


Andreas Ladner: Auf Grund von kantonalen Wahlen der letzten Jahre würde ich schliessen: Die SVP legt leicht zu, die SP kann sich halten, für die FDP wird es schwierig, Wähleranteile zu gewinnen, die CVP verliert noch etwas, und die Grünen erzielen ein gutes Resultat.
 

Und in einem Jahr?
 

Ladner: Wenn man das schon heute so genau sagen könnte, dann könnten sich die Parteien den Wahlkampf sparen.
 

Also, sprechen wir über den Wahlkampf. Welche Themen werden dominieren?
 

Ladner: Man tut immer so, als wüsste man schon, was die Leute in einem Jahr beschäftigen wird. Aber gewisse Themen werden sich erst noch entwickeln. Grosse Bedeutung messe ich der Entwicklung der Wirtschaft und der Arbeitslosenzahlen zu.
 

Wenn die Wirtschaft weiterhin abflaut, dürfte dies der SP helfen.
 

Ladner: Grundsätzlich schon, weil die Sozialdemokraten für Sicherheit bei den Sozialversicherungen und für einen starken Staat stehen. Solche Werte sind in Zeiten der wirtschaftlichen Krise gefragt.
 

Würde denn umgekehrt der Wirtschaftspartei FDP die Schuld für eine allfällige Krise gegeben?
 

Ladner: Die Freisinnigen haben eine erste Breitseite erhalten, als sie für Fehlleistungen von Managern mit FDP-Parteibuch verantwortlich gemacht wurde, etwa im Fall Swissair. Die Partei hat jetzt ein Jahr Zeit, verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
 

Trotz aller Unvorhersehbarkeit: Ein paar thematische Dauerbrenner wird es wohl schon geben.
 

Ladner: Die gibt es in der Tat. Hier stehen die Fragen nach der Zukunft der Sozialversicherungen sowie nach den steigenden Kosten im Gesundheitswesen und die Asylpolitik im Vordergrund. Auch die innere Sicherheit könnte ein Thema werden.
 

Aussenpolitische Themen wie UNO- und EU-Beitritt fehlen in dieser Auflistung. Ein Handicap für die SVP, die in diesen Fragen eine pointierte Meinung hat?
 

Ladner: Nun, die SVP hat sich auch auf anderen Feldern klare Positionen erarbeitet, mit einer restriktiven Asylpolitik, bei der Kriminalitätsbekämpfung und in jüngerer Zeit mit weit gehenden Steuersenkungen. Deshalb glaube ich, dass die SVP durchaus noch einmal zulegen kann, wenn auch nicht in dem Ausmass wie vor vier Jahren.
 

Wenn dies eintrifft, wäre die SVP definitiv die grösste Partei im Land. Wackelt dann die Zauberformel?
 

Ladner: Schon vor vier Jahren haben viele gedacht, die Zauberformel sei am Ende. Es wird dabei sehr oft übersehen, dass die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats eigenen Gesetzen folgt. Ein direkter Konnex zu den Wahlergebnissen besteht nicht. Ich glaube schon, dass sich die Zauberformel auflösen wird. Es wird aber eher nach einem Rücktritt eines Bundesratsmitglieds geschehen.
 

Leidtragende Partei wäre wohl die CVP. Wie kann sie den Abwärtstrend stoppen?
 

Ladner: Kurzfristig ist das enorm schwierig. Markante Verluste erleidet die CVP ja vor allem in ihren Stammlanden, etwa in der Innerschweiz, wo sie traditionsgemäss überdurchschnittlich stark war. Vielerorts bleibt sie trotzdem die stärkste Partei, erhält aber damit das Image einer Verliererpartei. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Anpassung an das nationale Parteiensystem. Die CVP kann die ganze Breite des politischen Spektrums in ihren Stammlanden nicht mehr alleine abdecken.
 

Die CVP versucht mit einem Wahlmobil Stimmen einzufahren - ein Marketingmittel, das aus Deutschland importiert wurde: Gehen die Schweizer Parteien im Wahlkampf neue Wege?
 

Ladner: Gewisse Elemente wie das Wahlmobil wird man auch in der Schweiz antreffen. Aber der Medienwahlkampf wird hier nicht in einem solchen Ausmass wie in Deutschland stattfinden, solange wir ein Mehrparteiensystem haben. Die Parteien sind zu wenig professionell und haben die Mittel gar nicht zu einem ausgeprägten Politmarketing - und sie haben es auch nicht nötig: Denn sie begnügen sich ja alle mit einem Stimmenanteil zwischen 20 und 25 Prozent und können auf einen beachtlichen Anteil an treuen Wählern zählen.
 

Alles in allem kann man sagen: Einschneidende Veränderungen sind bei den kommenden Wahlen nicht zu erwarten.
 

Ladner: Wahrscheinlich nicht. Und trotzdem wird das Ergebnis sehr bedeutungsvoll sein. Der Zuwachs der SVP bei den letzten beiden Wahlen war eine ausserordentliche Erscheinung in der Schweizer Politik. Die kommenden Wahlen sind für die SVP ein weiterer wichtiger Schritt zur Konsolidierung ihrer Stärke. Schafft sie auch diese Hürde, so wird sie ihre Position als stärkste bürgerliche Partei wohl auf längere Zeit sichern können.
 

INTERVIEW VON ROLF ELSENER


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