Nr. 49         7. Dezember 2000

FORUM

Zerrbild Neoliberalismus

Eine verkannte Quelle sittlicher Ordnung

Obwohl der real existierende Sozialismus, praktiziert im einstigen Sowjetblock, seit einem Jahrzehnt der Geschichte angehört, hat der Liberalismus in der zeit- genössischen Gesellschaft keinen leichten Stand. Vollends der sogenannte Neoliberalismus ist zu einem Zerr- und Feindbild geworden; er gilt als Urheber der Vermarktung jeglicher Lebensinhalte und ihrer üblen sozialen Folgen. Das oberflächliche Werturteil kommt jedoch einer gründlichen Verkennung der freiheit- lichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gleich.  

FDP. – Gewiss lässt sich die Gegenwart nicht nur in einem kalendermässigen Sinn als Zeitenwende bezeichnen. Sie zeigt Merkmale eines Wandels, der mit Stichworten wie Elektronisierung, Globalisierung, Unternehmenskonzentration, Deregulierung, Arbeitsmarkt-Flexibilisierung und neue Wohlstandsmuster charakterisiert werden kann. Viele sehen darin den Ausfluss eines radikalen Materialismus, begünstigt durch einen Liberalismus, der mit dem Attribut „Neo“ alle ethischen Grundlagen preisgegeben habe.

Der mündige Mensch

Eine solche Wertung verkennt völlig das ordnungspolitische Denken, das dem klassischen Begriff des Neoliberalismus entspricht. Dieser hat vielmehr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sittliche Massstäbe gesetzt, die sich von der Laissez-faire-Epoche des 19. Jahrhunderts klar abheben, allerdings auch jede Art von Totalitarismus ausschliessen und letztlich die Basis der sozialen Marktwirtschaft gelegt haben. Gestalt fanden sie namentlich in der damaligen Freiburger Schule, repräsentiert  durch Namen wie Walter Eucken, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke oder Alfred Müller-Armack.

Diese gesellschaftswissenschaftlichen Denker waren überzeugt von der wohlstandsstiftenden Rolle freier Märkte, jedoch gestützt auf Treu und Glauben, auf individuelle Verantwortung und gesellschaftliche Moral. Sozialpolitische Zuständigkeiten des Staates wurden keineswegs geleugnet, aber sinnvoll eingeordnet. Als ihr Ziel galt nicht pauschale materielle Gleichheit durch massive Umverteilung, sondern die Ermutigung persönlicher Eigenverantwortung und der Einsatz öffentlicher Mittel zum Ausgleich sozialer Härten dort, wo solche Verantwortung nicht getragen werden kann. Dieses „nachrangige“, subsidiaritäts- gerechte Solidaritätsverständnis fliesst aus der aufklärerischen Losung vom mündigen Menschen, und es ist weit entfernt von sozialer Gleichgültigkeit.

Auch Freiheit braucht Regeln

Unzulässig ist sodann der Vorwurf an den neuzeitlichen Liberalismus, er wolle durch integrale Vormacht der Wirtschaft die Politik ausser Kraft setzen. Auch eine freiheitliche Ordnung verlangt einen Staat, ja einen politisch starken Staat, stark durch die Erfüllung der Aufgabe, die Freiheit der Einzelnen gegen Willkür öffentlicher und privater Sonderinteressen zu schützen. Dazu dient die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft durch sinnvolle Regeln, etwa die Garantie des Privateigentums und des Zivilrechts, die Vermeidung lähmender Steuerlasten, die Abwehr bürokratischer Willkür, die Gewährleistung der Geldwertstabilität, kurz die Zuverlässigkeit von Rahmenbedingungen, welche die produktive Entfaltung freien wirtschaftlichen Handelns ermöglichen.  

Das normative Wettbewerbsprinzip

In besonderem Mass bedarf die Marktwirtschaft, soll sie allgemeinen Nutzen verbürgen, einer Wettbewerbsordnung, welche die Beherrschung  der Märkte durch Kartelle und Monopole verhindert. Es handelt sich um ein zutiefst neoliberales Prinzip, dessen politische Durchsetzung in der Tat dem Staat obliegt. Umso verfehlter ist die verbreitete linksideologische Anfechtung des Wettbewerbs, der angeblich zu sozialen und persönlichen Ungerechtigkeiten führt, wirtschaftliche wie auch gesellschaftliche Werte vernichtet und letztlich die rücksichtslos Reichen auf Kosten der Armen immer noch reicher werden lässt.

Diese Sicht greift nachhaltig. Vielmehr stiftet der marktwirtschaftliche Ordnungsrahmen des Wettbewerbs sowohl sozialen als auch politischen Nutzen. Er begünstigt nämlich vor allem die Konsumenten, also die Gesellschaft insgesamt, und er bannt die Gefahr konzentrierter Macht und ihres Missbrauchs. Solcherart ist der Wettbewerb schlechthin den normativen Vorzügen des Neoliberalismus zuzuordnen.

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