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Politische Parteien – Aufgaben und Funktionen

 

Demokratien ohne Parteien sind heute unvorstellbar. Geteilt sind die Meinungen jedoch, welche Funktionen die Parteien zu erfüllen haben. Aus den verschiedenen Ansichten lassen sich jedoch klare Forderungen an eine zukünftige Entwicklung der Parteien ableiten.

Politische Parteien sind ein fester Bestandteil moderner Demokratien, diese Feststellung wird heute kaum mehr bestritten. Weder Interessenverbände, soziale Bewegungen noch die direkte Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen vermögen politische Parteien vollständig zu ersetzen. Umstrittener ist hingegen die Frage, was die Parteien so wichtig und unverzichtbar macht. Welches sind die zentralen Funktionen, die die Parteien in einer Demokratie wahrnehmen? Drei unterschiedliche, demokratietheoretische Vorstellungen stehen sich hier gegenüber. Jeder dieser Ansätze führt zu einer anderen Bewertung des aktuellen Zustands der Parteien und ihres Reformbedarfs. Zusammen ergeben sie aber ein deutliches Bild, welche Herausforderungen die Schweizer Parteien zu bewältigen haben.

Parteien im Dienste der politischen Stabilität

Für die einen steht die Integrationsleistung der politischen Parteien im Vordergrund. Parteien sammeln die unterschiedlichen Ideen und Interessen, bringen sie in einer für das politische System verarbeitbaren Form ein, und helfen bei der Vermittlung gefällter Entscheidungen. Vor allem aber leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Legitimation politischer Macht und garantieren die Stabilität und das Überleben des politischen Systems. Wie gut die Parteien diese Aufgaben wahrnehmen, misst sich an ihrer Fähigkeit, gesellschaftliche Probleme zu lösen und stabile politische Verhältnisse zu schaffen. Eine Krise der Parteien besteht dann, wenn das Überleben des politischen Systems gefährdet ist, oder das Vertrauen in die Politiker sinkt. Die Kritik an der „Classe politique“ von Seiten der SVP setzt an diesem letzten Punkt an. Die Weiterexistenz des politischen Systems ist jedoch kaum gefährdet, und die Schweiz zeichnet sich, zumindest auf Ebene der Exekutiven, nach wie vor durch eine hohe Stabilität aus. Hingegen stellt sich die Frage, wie gut die Parteien heute noch in der Lage sind, sachlich richtige und weitsichtige Lösungen zu erarbeiten.

Parteien als Sprachrohr und Interessenvertreter

Für die Anhänger des Interessenvertretungsmodells vertreten Parteien in erster Linie bestimmte Segmente der Bevölkerung. Je besser deren Interessen wahrgenommen werden, desto besser funktionieren die Parteien. Geht die Verankerung in der Bevölkerung verloren, so sind die Anhänger dieser Sichtweise geneigt, von einer Krise der Parteien zu sprechen. Die Schweizer Parteien waren lange Zeit fest in bestimmten Bevölkerungssegmenten verwurzelt: die SP bei den Arbeitern, die CVP bei den Katholiken, die SVP bei den Bauern und die FDP bei den Freiberuflichen und Wirtschaftseliten. Mit dem aufkommenden Wohlstand und dem Anwachsen des Mittelstandes in den 1960er Jahren, mit dem Wandel der Beschäftigungsstruktur und der fortschreitenden Säkularisierung, entfremdete sich die Basis von ihren Interessenvertretungsorganisationen. Als Alternative bot sich das Volksparteien-Modell an, bei dem Parteien versuchen, verstärkt alle Bevölkerungsschichten anzusprechen. Mit Programmatik und moderner Parteiarbeit sollen die erodierenden, traditionellen Parteibindungen ersetzt werden. Der SVP ist es gelungen, durch eine Kurskorrektur, geschicktes Themenmanagement und gezielte Parteiaufbauarbeit neue Wählersegmente zu gewinnen. Auch die SP vermochte über weite Strecken die klassische Arbeiterschaft durch Teile des neuen Mittelstandes zu ersetzen. Die CVP scheint hingegen kein Mittel gegen die Säkularisierung zu finden und auch bei der FDP sind keine neuen, kräftig wachsenden Wurzeln sichtbar. Da die Parteibindungen nicht mehr an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe geknüpft sind, müssen sie in Zukunft kontinuierlich gesichert werden und dürften kaum mehr eine vergleichbare Stabilität erhalten.

Das Marktmodell der Parteien

Für die Anhänger des Marktmodells – die dritte Sichtweise – sind Parteien weder der Bevölkerung noch dem Funktionieren des politischen Systems verpflichtet, sondern in erster Linie Gefässe, in denen machtorientierte Eliten im Wettkampf mit anderen ihre eigenen Interessen verfolgen. Da sich nur das beste und „kundenfreundlichste“ Angebot bei den Wählerinnen und Wählern längerfristig durchzusetzen vermag, fördert der Wettbewerb letztlich auch das Gemeinwohl. Solange der politische Markt spielt und eine Konkurrenz zwischen den Parteien besteht, ist alles in Ordnung. Die seit 1959 auf Bundesebene existierende Zauberformel ist den Konkurrenzparadigmatikern ein Dorn im Auge, kommt sie doch einer kartellistischen Abschottung der Grossparteien gleich. Kleine Parteien haben keine Chance, an der Regierung teilzunehmen und die grossen Parteien verwalten in erster Linie ihre Marktanteile. Mehr Wettbewerb würde die Qualität der Parteiarbeit steigern.

Reformbedarf: drei Stossrichtungen

Je nach dem welche Funktionen den Parteien zugeschrieben werden, kommt man zu einer anderen Einschätzung des Reformbedarfs. Sollen die Parteien vor allem das Funktionieren des politischen Systems sicherstellen, so muss ihre Leistungsfähigkeit gefördert werden. Geraten die Parteien gegenüber den Interessenverbänden und gegenüber der Verwaltung derart ins Hintertreffen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, selbst Lösungen zu formulieren und zu vertreten, so wird aus dieser Perspektive die Legitimation des politischen Systems untergraben. Die Leistungsfähigkeit ist nicht zuletzt auch eine Frage der Ressourcen. Hier sind die Schweizer Parteien nicht auf Rosen gebettet und man wird sich überlegen müssen, wie die Parteien den steigenden Anforderungen genügen können, ohne in unerwünschte Abhängigkeiten zu geraten. Für die Anhänger des Interessenvertretungsmodells hingegen müssen sich die Parteien selbst heilen. Es ist ihre Aufgabe, eine neue Klientel zu erschliessen und neue Bindungen zu schaffen. Weder Populismus noch elitäre Bevormundung führen hier zum Ziel, sondern eine basisorientierte Programmentwicklung, möglicherweise gepaart mit der Fähigkeit, auf liebgewonnene Stellungen in den politischen Schützengräben verzichten zu können. Die Anhänger des Marktmodells schliesslich fordern vor allem mehr Parteienwettbewerb. Wenn Wahlen während mehr als 40 Jahren zu keiner Verschiebung der Regierungszusammensetzung führen, so schmälert dies nicht nur die Bedeutung der Wahlen, sondern verführt die Parteien auch zu elektoraler Bescheidenheit. Etwas mehr Dynamik bei der Besetzung der Regierungen wäre heute ohne Systemänderungen möglich und würde die Parteien zu mehr Leistung anspornen.

Anstrengungen in alle drei Richtungen werden notwendig sein, damit die Parteien die Herausforderungen der Zukunft bewältigen können. Sie benötigen mehr Ressourcen und eine zeitgemässere Organisation, die ursprünglichen Parteibindungen müssen durch neue ersetzt werden, und sie müssen sich darauf einstellen, sich in wechselnden Kräfteverhältnissen zu bewegen. Nur so kann das Überleben der Parteien gesicherte werden. Dass aber auch die nächsten 100 Jahre von denselben Parteien gestaltet werden, dafür gibt es keine Garantie.

 


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