Politische Institutionen auf subnationaler Ebene:

Ursachen und Folgen des Wandels

Koordination des Verbundes: Dr. Andreas Ladner

Summary

The research network "Changing Political Institutions on Subnational Level: Causes and Consequences" consists of four projects complementing each other. The Ladner/Steiner project looks at the causes of reform projects on communal level, their diffusion over time and space and specific factors making them successful or not. The Kübler/Bassand/Joye-project is also focused on the communal level. It investigates the issue of legitimacy and accountability when it comes to coordination and cooperation in metropolitan areas. The project Widmer/Rieder examines prerequisites, patterns, and consequences of parliamentary, governmental and administrative reforms, Vatter/Freitag finally analyse the institutional causes of policy-variations in the cantons.

All four projects draw on a common pool of data, which consists to a large extent of already existing data having on one hand communities and cantons as records and on the other hand concrete reform projects on communal and cantonal levels, classified on the grounds of a specific analytical framework. As the data stem from different sources they will be integrated into a “Swiss Data Ware House for Institutional Change”.

The four research projects consider institutional change either as a dependent or as an independent variable. In other words, the projects focus on both the causes and the consequences of institutional change. All four projects follow a comparative approach, two of them concentrate on the communal level, two of them on the cantonal level. Another distinction has to be made between research projects which analyse actual reform projects and such, which concentrate on an aggregate level. This offers the possibility to look as well at incremental changes of political institutions as well as at reform projects intentionally aiming at changing political institutions.

 
Forschungsplan

1                Einleitung

Das gemeinsame Interesse aller Projekte des Forschungsverbundes gilt den politischen Institutionen der Schweiz. Vier charakteristische Eigenheiten des Verbundes sind dabei einleitend besonders hervorzuheben: (1) Der analytische Schwerpunkt aller vier Teilprojekte liegt auf der subnationalen Ebene der Kantone und Kommunen, womit einerseits eine vergleichende Vorgehensweise ermöglicht wird. Andererseits füllt der Verbund eine Forschungslücke der Politikwissenschaft, da die vergleichende Institutionenanalyse subnationaler Einheiten im Gegensatz zu Untersuchungen auf Ebene der Nationalstaaten bisher weniger systematisch verfolgt wurde (Cusak 1999: 2). (2) Die empirische Basis des Forschungsverbundes gründet sich auf einen gemeinsamen Datenkörper zu kantonalen und kommunalen Profilen (Swiss Data Ware House for Institutional Change), was die Zusammenarbeit und die Integration der Ergebnisse erleichtern soll. (3) Der Verbund zeichnet sich ferner durch eine grosse Nähe zum Ausschreibungstext aus, da die einzelnen Teilprojekte -- freilich unterschiedlich akzentuiert -- das Inventar der Reformprozesse, Überlegungen zu Reformmodellen, Ursachen des Reformbedarfs und einen internationalen Vergleich bearbeiteten. (4) Schliesslich besticht der Forschungsverbund dadurch, dass die einzelnen Teilprojekte verschiedene analytische Dimensionen beleuchten, d. h. die politischen Institutionen werden sowohl als abhängige wie auch als unabhängige Variablen konzeptualisiert.

2            Situierung des Forschungsvorhabens

Der Forschungsverbund situiert sich innerhalb des Moduls “Wandel der politischen Institutionen”. Insbesondere werden folgende in der Ausschreibung aufgeführte Fragestellungen und Interessengebiete behandelt:

·        Im Zentrum der vier Teilprojekte stehen sich wandelnde politische Institutionen. Sie beinhalten das Erstellen eines Inventars der Reformprojekte auf kommunaler und kantonaler Ebene, die Analyse von Ursachen, Diffusion und Verlauf der Reformprojekte und die Bestimmung von Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren (Projekt Ladner/Steiner, Widmer/Rieder) sowie die Untersuchung der Auswirkungen auf die Staatstätigkeit und die Gesellschaft (Vatter/Freitag, Kübler/Bassand/Joye, Widmer/Rieder).

·        Es wird weiter gefragt nach den implizierten politischen und gesellschaftlichen Modellen, welche den Reformprojekten zugrunde liegen. Dabei wird insbesondere das Spannungsfeld zwischen Effizienzsteigerung und Legitimation (Kübler/Bassand/Joye, Widmer/Rieder) untersucht.

·        Aufschlüsse sind zudem über die Ursachen des gesteigerten Reformbedarfs zu erwarten, wobei auch die Aspekte der Globalisierung und des europäischen Integrationsprozesses zur Sprache kommen werden. Der international vergleichende Aspekt und damit auch die Überprüfung konvergenztheoretischer Ansätze kommt vor allem über den Einbezug der entsprechenden Literatur und die vorgesehenen Kontakte mit ausländischen Forscherinnen und Forschern zum Zuge.

 

3            Partielle Weiterführung eines bestehenden Verbundes

Der Verbund setzt sich zusammen aus zwei Projekten, welche bereits in der ersten Beitragsphase tätig waren (Ladner/Steiner, Kübler/Bassand/Joye), und zwei neuen Projekten (Vatter/Freitag und Widmer/Rieder), wobei auch Adrian Vatter innerhalb eines anderen Moduls an der ersten Phase von "Demain la Suisse" beteiligt war. Für eine Übersicht über die bisher erbrachten Leistungen in diesem Forschungsgebiet sei auf die Projektskizzen verwiesen. Aus der ersten Hälfte von "Demain la Suisse" fliessen aus dem Kübler/Bassand/Joye-Projekt theoretische Grundlagen sowie international vergleichende Kenntnisse bezogen auf den Wandel von Governance-Mechanismen in den neuen Forschungsverbund ein. Als Vorleistungen aus dem Ladner/Steiner-Projekt ist die Lokalisierung zahlreicher Reformprojekte auf kommunaler und kantonaler Ebene sowie die Aufbereitung gemeindespezifischer Variablen zu erwähnen. Im Hinblick auf die Reformprojekt-Datenbank (vgl. unten) konnten beipielsweise rund 200 Gemeinden identifiziert werden, die konkrete Fusionsabsichten hegen, oder rund 100 Gemeinden, die NPM-Projekte im engeren Sinne durchführen. Analytisch von Interessen sind weiter die rund 240 Gemeinden, in denen versucht wurde, die Exekutive zu verkleinern, wovon in einem Viertel das Vorhaben erfolglos blieb.

 

4          Kurze Beschreibung des Forschungsvorhabens

4.1            Ausgangslage

Die Schweiz scheint sich von der vielzitierten "malaise helvetique", mit welcher der Staatsrechtler Max Imboden bereits 1964 eine gewisse Erstarrung und Reformfeindlichkeit beschrieben hatte, erholt zu haben. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erlebt das Land eine Phase der intensivierten politischen Umgestaltung. Die zahlreichen Reformaktivitäten verschonen kaum einen Bereich des politischen Lebens. Zur Diskussion stehen nicht nur die Reform der direkten Demokratie, der Parlamente, der Regierungen und Verwaltungen, sondern ebenso die Reform des Föderalismus mit seiner verflochtenen Zuständigkeitsordnung und den entsprechenden Finanz- und Lastenausgleichsmechanismen. Und schliesslich wird auch die territoriale Feingliederung in Kantone und Gemeinden und die Zuständigkeit des Staates in bestimmten Aufgabenbereichen hinterfragt.

Das Schwergewicht des Forschungsverbundes liegt auf der Analyse des institutionellen Wandels und der Reformtätigkeit auf subnationaler Ebene. Den Kantonen und Gemeinden kommt, was die Reformtätigkeit anbelangt, eine Vorreiterrolle zu (vgl. dazu z. B. Dente/Kjellberg 1988: 1), da hier die Leistungsgrenzen in der Regel direkter wahrgenommen werden und es aufgrund der kürzeren Entscheidungswege einfacher ist, Reformprojekte zu lancieren. Man kann die subnationalen Einheiten auch als Laboratorien verstehen, in welchen zuerst Neuerungen ausprobiert werden, welche dann von der nationalen Ebene übernommen werden.

Grundidee des Forschungsverbundes ist es, aus unterschiedlichen Perspektiven mit klar definierten und sich ergänzenden Fragestellungen mit einem gemeinsamen Datenkörper zu arbeiten. Eine solche arbeitsteilige Struktur erlaubt eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Hauptfragestellungen und ermöglicht letztlich eine bessere Integration der Ergebnisse.

Der Forschungsverbund besteht aus folgenden vier Teilprojekten:

·        Auslöser, Verbreitung und Erfolg von Reformprojekten in den Schweizer Gemeinden (Ladner/Steiner). In den Schweizer Gemeinden wurden in den letzten Jahren zahlreiche Reformprojekte lanciert und durchgeführt. Ausgehend von einer Typologie der verschiedenen Reformprojekte (Territorialreformen, Funktionalreformen, Verwaltungsreformen usw.) wird auf der Basis konkreter Projekte nach Auslösern, Diffusionsmustern, Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren gefragt. Datengrundlage bilden in einem vorangehenden Forschungsprojekt erfasste Reformprojekte, die aufgrund eines anhand von Fallstudien zu erarbeitenden Analyserasters codiert und quantitativ analysiert werden. Dieses Vorgehen erlaubt eine empirische Überprüfung der in der Literatur diskutierten Theorien über die Wandlungsfähigkeit politischer Institutionen und liefert praxisrelevante Hinweise, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise Reformen erfolgreich sein können.

·        Politische Institutionen und kantonale Staatstätigkeit. Ein Vergleich der Schweizer Gliedstaaten (Vatter/Freitag). Die im Mittelpunkt dieses Forschungsprojektes stehende Fragestellung lautet folgendermassen: In welchem Masse erklären -- neben sozialen, technologischen und ökonomischen Variablen -- vor allem politische Institutionen (insbesondere institutionelle Besonderheiten wie das Ausmass an direkter Demokratie, Föderalismus und Konkordanz) die Unterschiede und Gemeinsamkeiten kantonaler Leistungsprofile? Über die komparative Analyse der Policy-Outcomes in Gestalt makroökonomischer und sozialpolitischer Indikatoren der Kantone hinaus, soll die Untersuchung weitere Policy-Felder erfassen. Dafür bieten sich angesichts ihrer politischen Relevanz und den vorhandenen Handlungsspielräumen der Kantone das Bildungs- und Gesundheitswesen, das Justiz- und Polizeiwesen, sowie der Schutz von Minderheiten an. Die Studie wird argumentieren, dass die unterschiedlichen Entwicklungsmuster in den kantonalen Staatstätigkeiten und ihren politisch-administrativen, sozioökonomischen und bürgerrechtlichen Ergebnissen ihre Ursache in ihren politischen und gesellschaftlichen Institutionen haben.

·        Gouvernance métropolitaine et légitimité: les nouveaux territoires de la démocratie dans les agglomérations urbaines (Kübler/Bassand/Joye). Im Vorläuferprojekt konnte aufgezeigt werden, dass immer mehr öffentliche Aufgaben in städtischen Agglomerationen über interkommunale und intersektorielle Koordinations- und Kooperationsmechanismen implementiert werden. Trotz weitgehend fehlender Territorialreformen in den städtischen Gebieten wird in der Schweiz neben der Gemeinde oder dem Kanton zunehmend auch die Agglomeration zur räumlichen Bezugsgrösse des policy making. In diesem Projekt wird der Frage der demokratischen Legitimation solcher Metropolitanraum-Politiken nachgegangen. Es soll untersucht werden, ob und inwiefern sich der Metropolitanraum nicht nur als Bezugsgrösse für policies, sondern auch für politics konstituiert. Besonderes Interesse gilt dabei den Auswirkungen von interkommunaler und intersektorieller Kooperation und Koordination auf Schlüsselelemente des demokratischen Prozesses: das Verhältnis zwischen Bürger und Behörden, sowie die parlamentarische Kontrolle der staatlichen Tätigkeit.

·        Kantone im Wandel: Voraussetzungen, Verlauf und Konsequenzen kantonaler Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungsreformen (Widmer/Rieder/Ruegg). Das Projekt untersucht die Voraussetzungen, den Verlauf und die demokratietheoretischen Konsequenzen kantonaler Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungsreformen. Auf der Basis eines systematischen Überblicks über die kantonalen Reformprojekte werden im ersten Schritt die Ursachen der unterschiedlichen Reformpfade der Kantone ermittelt. Auslösende Faktoren (Zielsetzung, Träger der Reform, Finanzkrisen, Innovationsfreude, Vorbilder etc.) und Rahmenbedingungen (Grösse, Sprache, institutionelle Voraus-setzungen etc.) werden dabei als Erklärungen für die Unterschiede berücksichtigt. Anhand von vier Fallbeispielen (kantonale Reformen) werden im zweiten Schritt die Auswirkungen der Reformen auf die demokratischen Kontrollrechte der Parlamente und des Volkes detailliert untersucht. Schliesslich werden die Ergebnisse der Untersuchung im Kontext der internationalen Diskussion zum verhandelnden bzw. kooperativen Staat reflektiert und theoretisch diskutiert.

4.2                Theoretische Grundlagen, analytische Dimensionen und empirische Datenbasis des Forschungsverbundes

Institutionen als unabhängige oder als abhängige Grösse

Der Begriff "politische Institutionen" beinhaltet sowohl strukturelle wie auch prozedurale Elemente und es werden darunter in der Regel mehr oder weniger formale Organisationen verstanden, die den Prozess der politischen Handlungskoordination - der Meinungsbildung, Konfliktaustragung, Konsensbildung, Entscheidungsfindung und des Entscheidungsvollzuges - strukturieren (Seibel 1997). Die Wiederbelebung der Institutionenforschung ging von der makrotheoretisch vergleichenden Politikwissenschaft aus. Sie etablierte die Institutionen je nach Fokus als unabhängige oder abhängige Variable in der vergleichenden Systemforschung (vgl. Beyme 1992:75-76).

Dass politische Institutionen Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und somit "zu erklärende Variablen" sind, ist eine weit verbreitete Ansicht in den Politikwissenschaften. So zeigen beispielsweise die klassischen Arbeiten von Lijphart (1977) und Lipset/Rokkan (1967), dass vor allem kleine und heterogene Länder konsensual-demokratische Regierungssysteme bevorzugen respektive dass Parteiensysteme auf gesellschaftliche Cleavages zurückzuführen sind.

Grundsätzlich gilt es zwei Formen des institutionellen Wandels zu unterscheiden: Institutionen ändern sich entweder inkrementalistisch, d. h. langsam und schrittweise, oder es finden grosse Veränderungen statt, die in Anlehnung an Thomas Kuhn als "Paradigma-Wechsel" bezeichnet werden können. Die Übergänge zwischen diesen beiden idealtypischen Formen des institutionellen Wandels sind jedoch fliessend. Methodisch bedingen sie allerdings unterschiedliche Vorgehensweisen. Während inkrementalistische Veränderungen nicht direkt beobachtet, sondern nur über das Messen an zwei möglichst weit auseinander liegenden Zeitpunkten erfasst werden können, lassen sich Reformen viel direkter als "Prozesse intendierten institutionellen Wandels" analysieren. Vor allem in vergleichender Perspektive müssen für die Analyse des institutionellen Wandels historische, gesellschaftliche und politische Erklärungsfaktoren berücksichtigt werden:

·        So ist beispielweise davon auszugehen, dass die Gebiets- und Territorialreformen in den 1960er und 1970er Jahren in zahlreichen nordeuropäischen Ländern unter anderen Voraussetzungen und teilweise auch mit anderen Zielen stattgefunden haben, als die zur Zeit in der Schweiz laufenden Versuche, die Gemeinden zusammenzulegen. Oder: In der Auf- und Ausbauphase des "Welfare State" haben die Reformen unter einem anderen Vorzeichen stattgefunden als in den durch neo-konservative Ideen geprägten 1980er Jahre.

·        Ebenso müssen charakteristische Eigenheiten der politischen Systeme berücksichtigt werden. Je nach Zentralisierungsgrad oder politischen Partizipationsmöglichkeiten mögen die Reformen in eine andere Richtung tendieren. Während das zentralistische Frankreich in den 1980er Jahren einen Dezentralisierungsprozess einleitete oder in gewissen Ländern Deutschlands auf lokaler Ebene versucht wird, direktdemokratische Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, stellt sich in der Schweiz das Problem, wie die direkte Demokratie “verwesentlicht” und wie der Föderalismus besser koordiniert werden kann (Borner/Rentsch 1997). In diesem Zusammenhang stellt sich dann auch die Frage der Konvergenz unterschiedlicher politischer Systeme.

·        Zudem kann davon ausgegangen werden, dass charakteristische Eigenheiten des politischen Systems Reformen in unterschiedlichem Masse begünstigen. Politikverflechtung, Korporatismus und Multi-party-Governments werden beispielsweise häufig als Reformverhinderer bezeichnet (Wagschal 1999). Interessante Anknüpfungspunkte zur Frage nach den Erfolgsaussichten "Politischer Steuerung" bietet hier der gemeinsame Ausgangspunkt des Forschungsverbundes durch die Analyse der politischen Institutionen in einer diachronen Perspektive, d. h. unter dem Aspekt des Wandels. Häufig werden politische Institutionen als starr und gegeben hingenommen, da den Untersuchungen die notwendige Zeitdimension fehlt, um Veränderungen wahrzunehmen respektive allfällige Folgen und Auswirkungen dieser Veränderungen zu erfassen.

Ohne dass direkt auf den Begriff "Reform" Bezug genommen wird, finden sich in der Literatur eine Vielzahl von Theorien, welche institutionellen Wandel respektive die Wandlungsfähigkeit sozialer und politischer Systeme zu erklären versuchen. Dabei kann unterschieden werden zwischen Systemtheorien und Akteurtheorien sowie zwischen Theorien, welche den politischen Systemen eine gewisse Reformfähigkeit attestieren, und solchen, die eher Reformblockaden thematisieren (vgl. dazu Wagschal 1999: 225: ff.):

·        Zu den Systemtheorien, welche hinsichtlich der Wandlungsfähigkeit politischer Institutionen optimistisch eingestellt sind, gehören die kybernetische Systemtheorie (Easton), die Systemkonkurrenztheorie, bei welchen der Wettbewerb zwischen zwei politischen Systemen zu kontinuierlichen Verbesserungen führt, sowie Systemzusammenbruchstheorien, welche von einer Wandlungsfähigkeit in Zeiten starker sozialer Spannungen ausgehen. Weniger reformoptimistisch sind die Autopoiesis-Theorie von Luhmann (1987), Chaostheorien (Landfried 1996), die These der Policy Inheritance (Rose/Davies 1994) oder Globalisierungsthesen, die vor allem den Verlust staatlicher Steuerungskapazitäten betonen (andere sehen demgegenüber in der Globalisierung allerdings auch eine Chance zur Reform politischer Institutionen).

·        Zu den Akteurtheorien, welche von den Möglichkeiten einer Reform der politischen Institutionen ausgehen, gehören beispielsweise Elite-Theorien ("Männer machen Geschichte"), Parteidifferenztheorien (Schmidt 1996) und Rational Choice-Theorien. Eher reformskeptische Akteurtheorien finden sich beim Korporatismus und der Konkordanz, bei der Politikverflechtung von Scharpf u.a. (1976), bei der Theorie der Nichtentscheidung bei Bachrach/Baratz (1963), beim Politikstillstand durch ein "divided government" bei Alesina/Rosenthal (1995) oder bei der Theorie der Veto-Spieler (Tsebelis 1995).

Die zweite analytische Dimension behandelt Institutionen als "erklärende Grösse" von policies und politics. In seinen Studien hat bereits Max Weber betont, wie Institutionen – beispielsweise das Wahlrecht, die Stellung des Parlaments oder die Struktur der Verwaltung – den politischen Prozess, die Staatstätigkeiten und Interessendefinitionen von Akteuren prägen. Im Gegensatz zum klassischen Institutionalismus will der neue Institutionalismus nicht alles mit Institutionen erklären (Beyme 1992: 76). Darüber hinaus erschöpft dieser neue Institutionalismus sich nicht in einer blossen Beschreibung politischer Institutionen. Vielmehr determinieren Institutionen Konflikt- und Konsensbildungsprozesse (politics) und beeinflussen über diese Strukturierung politischer Interaktionen den Output der Staatstätigkeit (Immergut 1998; March/Olson 1984, 1989, 1996; Rothstein 1996; Steinmo/Thelen/Longstreth 1992; Weaver/Rockman 1993). Allerdings können sie den politischen Prozess selten vollständig determinieren (Immergut 1992: 9). Ähnlich argumentieren Mayntz/Scharpf (1995) in ihrer Sichtweise des akteurszentrierten Institutionalismus. Sie gehen davon aus, dass institutionelle Faktoren einen Handlungskontext konstituieren, der je nach dem stimulierend oder restringierend wirkt. So werden durch institutionelle Bedingungen Regeln und Verfahrenstechniken festgelegt, Akteure und Akteurskonstellationen konstituiert, sowie Handlungsressourcen, Handlungsorientierungen und -strategien strukturiert (Mayntz/Scharpf 1995: 49; Scharpf 1997). Politische Akteure agieren also nicht in einem luftleeren Raum, sondern finden durch institutionelle Gegebenheiten vorstrukturierte Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten vor. In diesem Zusammenhang erfährt die Theorie der Veto-Spieler (Tsebelis 1995) als neuer Zweig des politisch-institutionellen Ansatzes eine besondere Aufmerksamkeit. Hierbei wird argumentiert, dass gegenmajoritäre Institutionen (Veto-Spieler oder auch Nebenregierungen) wie beispielsweise der Föderalismus oder die Direkte Demokratie den Handlungsspielraum von politischen Akteuren (Regierungen, Parlament etc.) erheblich einschränken können.

Eine besondere Stärke des institutionellen Ansatzes liegt in der Verbindung verschiedener anderer Policy-Theorien zur tragfähigen Erklärung der Staatstätigkeit. Als erweiteter politisch-institutioneller Ansatz konzentriert er sich vor allem auf “Wechselbeziehungen zwischen politischen Entscheidungen einerseits und politischen Institutionen, Machtverteilungen zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen und politischen Parteien, politisch-kulturellen Variablen sowie sozioökonomischen Rahmenbedingungen politischen Handelns andererseits” (Schmidt 1998: 18-19). Eine weitere Stärke erfährt der politisch-institutionelle Ansatz durch seine interdisziplinäre Ausrichtung und prinzipielle Adaptionsfähigkeit an wirtschaftswissenschaftliche Ansätze und Erkenntnisse (Schmidt 1993: 380). In enger Verwandtschaft steht hier die Neue Institutionenökonomik der Wirtschaftswissenschaften, welche in den Institutionen die Schlüsselgrösse in Bezug auf die Strukturierung der Anreizsysteme einer Gesellschaft sehen. Institutionen reduzieren in dieser Sichtweise sowohl die Transaktionskosten als auch die Unsicherheit und stellen massgebliche Determinanten der wirtschaftlichen Entwicklung dar (North 1992, 1994).

Der Wandel politischer Institutionen respektive die Reformen von politischen Institutionen können also entweder als Produkte oder als Ursachen des politischen und sozioökonomischen Wandels dargestellt werden (Steinmo/Thelen/Longstreth 1992). Entsprechend sind Wandlungsprozesse einmal abhängige und einmal unabhängige Variablen: Im Rahmen der neo-institutionalistischen Ansätze sind die Institutionen und ihre Veränderung primär gegeben und es wird nach ihren Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gefragt. Untersucht man hingegen die Gründe für den Wandel von Institutionen und fragt nach den Auslösern und Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren, so werden die entsprechenden Veränderungen des politischen Systems zu abhängigen Variablen. Eine Stärke diese Forschungsverbundes besteht nun darin, dass politische Institutionen sowohl als abhängige wie auch als unabhängige Variablen konzeptualisiert werden. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt, welche analytische Dimension Institutionen/Reformen in den einzelnen Projekten haben.

Tabelle 1: Reformen/Institutionen als abhängige respektive unabhängige Variablen

Reformen/Wandel der Institutionen als abhängige Variablen

Reformen/Wandel der Institutionen als unabhängige Variablen

Ladner/Steiner

Vatter/Freitag

Widmer/Rieder

Kübler/Bassand/Joye

 

Widmer/Rieder

 

Subnationale Analyseebenen: Untersuchung von Kantonen und Gemeinden

Defizite bei der Modellierung politischer Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungs­prozesse bestehen vor allem bei der fehlenden Empirie und dem zu hohen Abstraktionsgrad (Waschkuhn 1995: 194). Gefordert werden Theorien mittlerer Reichweite, die auch raum- und zeitbedingte Evaluationen zulassen. Kontrovers ist die Frage, wie weit mit Ländervergleichen politische Institutionen befriedigend analysiert werden können, da teilweise fundamentale Unterschiede bestehen und sich die politischen Institutionen verhältnismässig selten und langsam wandeln (Dente/Kjellberg 1988: 3).

Ein zentraler Vorteil des gewählten Forschungsverbunds liegt darin, dass mit dem Vergleich der unterschiedlichen Staatstätigkeiten auf subnationaler Ebene (Schweizer Kantone und Gemeinden) ein zentrales Problem der komparativen Forschung gemildert werden kann (Luthardt 1994: 18). Während bei einem Nationalstaatenvergleich die jeweils spezifischen und einzigartigen Formen, Regeln und Politikmuster und die historisch gewachsenen kulturellen und institutionellen Kontexte vertieft berücksichtigt werden müssen, bietet ein systematischer Vergleich von zwei Dutzend kantonalen Politiksystemen oder rund 3000 Gemeinden ein breites empirisches Feld unterschiedlicher Politiksysteme, welches aber trotz starker Heterogenität der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Prozesse der Untersuchungseinheiten innerhalb eines übergeordneten gemeinsamen Rahmens von identischen Grunddimensionen liegt.

Tabelle 2: Subnationale Untersuchungsebene

Kantonale Ebene

Region/Agglomeration/Gemeinde

Vatter/Freitag

Ladner/Steiner

Widmer/Rieder

Kübler/Bassand/Joye

Ansatzhöhe: Kontext- und projektbezogene Sichtweisen

Eine weitere grundlegende Unterscheidung in der Vorgehensweise betrifft den Gegenstand der Analyse. Institutioneller Wandel kann auf der Ebene des politischen Systems zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten gemessen oder auf dem Niveau der konkreten Veränderungsprozesse analysiert werden. Zu unterscheiden gilt es also sowohl eine reformprojektbezogene wie auch eine institutions- respektive kontextbezogene Betrachtungsweise. Im ersten Fall geht es darum, konkrete Reformprojekte zu analysieren, im zweiten Fall können mit periodisch wiederholten Erhebungen Veränderungen erfasst werden.

Eine Verknüpfung beider Betrachtungsweisen drängt sich insofern auf, als sich politische Institutionen auch ohne konkrete Reformprojekte wandeln können respektive Reformen nicht in jedem Fall auch zu Veränderungen führen müssen. Eine reformprojektspezifische Betrachtungsweise ermöglicht vor allem eine direktere Verknüpfung von Ursachen und Wirkung. Sie dürfte sich zudem vor allem dort als besonders ertragreich erweisen, wo die Föderativebenen gemeinsam betroffen und die Aufgaben nicht mehr in den klassischen Perimetern der staatlichen Feingliederung erbracht werden, so dass eine auf die Verwaltungseinheiten und die entsprechenden politischen Systeme ausgerichtete Perspektive zu kurz greift.

Tabelle 3: Kontext- oder projektbezogene Analyse

Kontext

Projekt

Vatter/Freitag

Widmer/Rieder

 

Kübler/Bassand/Joye

 

Ladner/Steiner

 

Überblick über das dem Verbund zugrunde liegende Forschugskonzept

Tabelle 4 fasst die den vier Teilprojekten zugrundeliegende Betrachtungsweisen nochmals zusammen. Die Tabelle zeigt, wie sich die einzelnen Teilprojekte ergänzen und eine umfassende Analyse des institutionellen Wandels möglich machen.

Tabelle 4: Zusammenfassung: Analytische Orientierung der verschiedenen Teilprojekte

 

Reformen/Wandel der Institutionen als unabhängige Variablen

Reformen/Wandel der Institutionen als abhängige Variablen

Kanton

Vatter/Freitag

Widmer/Rieder

Widmer/Rieder

Region/Agglomeration/Gemeinde

Kübler/Bassand/Joye

Ladner/Steiner

Kursiv: projektbezogene Betrachtungsweise; normal: kontextbezogene Betrachtungsweise

 

Empirische Grundlage: Eine gemeinsame Datenquelle kantonaler und kommunaler Profile

Ein Grundgedanke des Forschungsverbundes besteht zudem darin, den Teilprojekten einen gemeinsamen Datenkörper zugrunde zu legen, wobei vor allem auf bestehende Grundlagen, Studien und Datenbanken zurückgegriffen wird und nur subsidiär neue Daten erhoben werden. Die Erfahrungen der Gesuchsteller im Rahmen der ersten SPP-Projektphase haben gezeigt, dass die Datenbasis für die Schweiz besser ist, als man annehmen könnte. Die Mängel betreffen vielmehr die fehlende Zugänglichkeit, Systematisierung und Nutzbarmachung des vorhandenen Datenmaterials. Die Aufarbeitung und Zusammenführung statistischer Daten steht deshalb hier im Mittelpunkt. Konkret werden dem Projekt zwei grundsätzlich unterschiedliche aber miteinander verknüpfbare Datenbanken zugrunde gelegt. Die eine Datenbank erfasst Reformprozesse, die andere die politischen Institutionen und ihr Umfeld.

a) Reformprojekt-Datenbank

Diese Datenbank umfasst möglichst viele konkrete Reformprojekte, welche die politischen Institutionen auf subnationaler Stufe tangieren. Sie konzentriert sich damit hauptsächlich auf die kommunale und kantonale Ebene. Zusätzlich werden ausgewählte Reformprozesse auf Bundesebene berücksichtigt, wenn sie als Referenzbeispiele dienen, die nicht nur die gesamte Breite des institutionellen Wandels aufdecken, sondern auch Einblick in die daraus resultierenden Implikationen und Konsequenzen geben.

Die Ausgangslage für das Erstellen einer Reformprojekt-Datenbank ist äusserst günstig. Neben den verfügbaren SIDOS-Daten können auf folgende Datenbanken Rückgriff genommen werden :

·        Im Rahmen des "Zukunft Schweiz”-Gemeindereformprojektes wurde nicht nur erfasst, welche Gemeinden in den letzten zehn Jahren institutionelle Veränderungen vorgenommen haben, sondern es wurde auch damit begonnen, in einer Datenbank Reformprojekte zusammenzutragen, so dass weiterführende Angaben zu den Veränderungsprozessen zugänglich sind.

·        Das “Année politique suisse” dokumentiert seit Ende der 1970er Jahre in systematischer Weise fast sämtliche Reformprozesse auf nationaler und kantonaler Ebene. Hans Hirter, Leiter des “Année politique suisse”, ist an einer Zusammenarbeit interessiert und bietet seine Mitarbeit an.

·        “Traktandum persönlich” publiziert ebenfalls seit vielen Jahren wichtige Reformprojekte in den Kantonen und Gemeinden. Hinzu kommt, dass neuerdings Projekte zu kantonalen und kommunalen Parlamentsreformen im “Bulletin für Parlamentsfragen” der Schweizerischen Gesellschaft für Parlamentsfragen systematisch erfasst werden. Schliesslich können auch die ausführlichen Werkstattberichte zu kommunalen oder kantonalen Reformprozessen in der Zeitschrift “Gesetzgebung heute” für diese Datenbank nutzbar gemacht werden.

 

b) Datenbank "Kontext und Institutionen"

Auch was die Daten über die Kantone und Gemeinden anbelangt, so kann auf einen reichen Fundus zurückgegriffen werden.

·        Verwaltungsdatenbank BADAC vom IDHEAP: Kernstück dieser Datenbank bildet die von Prof. R. Germann am IDHEAP erstellte Datenbank BADAC, die den institutionellen Wandel der Verwaltungs- und Regierungsorganisation auf Kantonsebene dokumentiert und schon bald auf die Städte ausgeweitet werden soll.

·        Kantonsdaten vom Bundesamt für Statistik und der Eidgenössischen Finanzverwaltung: Ausführliche Datensätze zu zahlreichen soziostrukturellen, -kulturellen sowie politischen und ökonomischen Indikatoren in den Schweizer Kantonen sind beim Bundesamt für Statistik und bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung in schriftlicher oder elektronischer Form verfügbar.

·        Kantonsdaten zu den parteipolitischen Zusammensetzungen von Regierungen und Parlamenten beim Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern: In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik hat das Team ‚Année politique suisse‘ eine bis in die 1920er Jahre zurückliegende und fortlaufend aktualisierte Datenbank zu den Regierungs- und Parlamentswahlen in den Kantonen erstellt.

·        Datenbank zur direkten Demokratie in den Kantonen am Centre de recherche et de documentation sur la démocratie directe (C2D) an der Universität Genf: Eine ausführliche und breit dokumentierte Datenbank zu den Institutionen und zur Praxis der direkten Demokratie in den Kantonen liegt beim ‚C2D‘ der Universität Genf vor. Eine weitere Datenbank zu den kantonalen Volksrechten, die den Schwerpunkt vor allem auf die lancierten und eingereichten (jedoch in vielen Fällen nicht zur Abstimmung gelangten) Vorlagen legt, steht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern zur Verfügung.

·        Gemeindedatenbank der Universität Zürich: Weitere Daten können aus den drei gesamtschweizerischen Erhebungen bei den Gemeinden beigezogen werden, welche am Soziologischen Institut der Universität Zürich und im Rahmen des Demain la Suisse-Forschungsprojektes "Gemeindereformen zwischen Handlungsfähigkeit und Legitimation" erhoben wurden.

 

Organisation der Daten

Ein Hauptziel des Verbundes besteht darin, ein “Swiss Data Ware House for Institutional Change” zu erstellen. Mit anderen Worten: die bestehenden Datenbanken werden nicht grundsätzlich verändert, sondern es wird eine Plattform geschaffen, welche die einzelnen Datenbanken integriert und eine Verknüpfung der Daten aus den verschiedenen Quellen ermöglicht.

Die über den gemeinsamen Datenkörper geleistete Verknüpfung von Kontext-/Systemdaten und Reformprojektdaten ermöglicht es, den zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten gemessenen Wandel auf Reformprojekte zurückzuführen sowie Reformprojekte mit konkreten Angaben zum politischen System oder beispielsweise der finanziellen Lage aufzudatieren.

 

Dauerbeobachtung

Der Wandel politischer Institutionen kann nur in einer längerfristigen Perspektive verfolgt werden. Reformprojekte ziehen sich in der Regel über mehrere Jahre hinweg und ihre Auswirkungen werden oft erst einige Jahre später spürbar.

Eine Dauerbeobachtung des institutionellen Wandels hat einerseits die Entstehung und den Verlauf einzelner Reformprozesse zu verfolgen und andererseits eine periodische Messung der wichtigsten kontextuellen und institutionellen Variablen sicherzustellen. Mit der BADAC, den Datenbanken zu kantonalen Institutionen am Berner Institut für Politikwissenschaft und den Gemeindebefragungen wurden wichtige Grundlagen für eine Dauerbeobachtung auf Kantons- und Gemeindeebene geschaffen. Reformprojekte wurden sowohl im Rahmen der BADAC-Erhebung wie auch im vorangehenden "Demain la Suisse"-Projekt von Ladner/Steiner/Friederich erhoben.

In einem nächsten Schritt muss die Datenerfassung auf eine kontinuierliche Basis gestellt werden, wozu auch die Möglichkeit einer externen Finanzierung abgeklärt werden muss. Was die konkreten Wandlungsprozesse und die Reformprojekte anbelangt, so muss das Erfassen und Beschreiben auf der Basis der erarbeiteten Datensätze noch weiter vorangetrieben werden. Ein besonderes Augenmerk gilt es dabei  auf die Strukturierung, Systematisierung und Vergleichbarkeit der einzelnen Datenbanken zu werfen. Mit dem hier präsentierten Forschungsvorhaben soll die Basis für ein Monitoring des institutionellen Wandels geschaffen werden. Das Thema dürfte sich geradezu dafür anbieten, zu einem Forschungsschwerpunkt aufgebaut zu werden.

 

Bedeutung des Projektes für die nationale und internationale Forschung

In der Schweiz bieten sich aufgrund der grossen Bedeutung subnationaler Einheiten und ihren markanten Differenzen hervorragende Voraussetzungen für vergleichende Untersuchungen. Mit der diesem Verbund zugrundeliegenden Aufbereitung der Daten soll die Möglichkeit geschaffen werden, theoretische Konzepte empirisch zu überprüfen. Es ist davon auszugehen, dass das wissenschaftliche Interesse an den Forschungsergebnissen gross sein wird, da die Schweiz mit Föderalismus, Konkordanz und direkter Demokratie nicht nur über eine besondere Ausgangslage, sondern auch über politische Institutionen verfügt, die heute in der internationalen Forschung auf grosses Interesse stossen.

Was die internationale Vernetzung anbelangt, so bestehen engere Kontakte zu dem von Larry Rose et al. im Rahmen des ECPR initiierten Forschungsprojekts “Size and local democracy in Europe”. Ein erstes Treffen mit dem Projektteam hat vom 9.-11.7.99 in Oslo stattgefunden. Mitarbeiter aus dem Verbund werden den Fall Schweiz bearbeiten. Einige der Antragsteller gehören zudem einer internationalen Forschungsgruppe junger Wissenschaftler an, die sich mit den politischen und institutionellen Bedingungen staatlichen Handelns befasst. Diese Gruppe trifft sich im Durchschnitt einmal pro Jahr und wird von Mitarbeitern des Zentrums für Sozialpolitik von der Universität Bremen koordiniert (Kontaktperson: Uwe Wagschal). Weitere Kontakte bestehen mit Geert Vissers, von der Erasmus University Rotterdam, der sich mit einem Projekt über die Zusammenarbeit in Agglomerationen befasst.

 

5            Organisation und Führung des Forschungsverbundes

Während die Politikwissenschaften und die Ökonomie im engeren Sinne Bedeutung, Funktionieren und Auswirkungen der politischen Institutionen erklären, gehört die Frage nach der Verbreitung der politischer Innovation eher in den Bereich der politischen Soziologie (diffusion of social innovation). Was die Rahmenbedingungen und die Ausgestaltung der Institutionen anbelangt, sind juristische und staatsrechtliche Kenntnisse von grosser Bedeutung. Betriebs­wirtschaftliche Kenntnisse geben Einblick in interne Abläufe und Optimierungsprobleme. Und letztlich sind bei einer ganzheitlichen Betrachtung des politisch-administrativen Systems auch die Verwaltungswissenschaften angesprochen.

Der Verbund trägt diesen interdisziplinären Anforderungen insofern Rechnung, als neben politikwissenschaftlichem, auch betriebs- und volkswirtschaftliches, juristisches und soziologisches Wissen in das Forschungsteam einfliesst. Was die Politikwissenschaften anbelangt, so finden sich verschiedene forschungsrelevante Teilbereiche (Policy-Analyse, Evaluation, Institutionenlehre, politische Soziologie, Verwaltungswissenschaften) vereint. Als vorteilhaft dürfte sich die inhaltliche Nähe zwischen den verschiedenen Teilprojekten erweisen, welche sowohl die Zusammenarbeit wie auch den Austausch von Erkenntnissen erleichtern dürfte. So bestehen beispielsweise Schnittstellen zu den Projekten Vatter/Freitag und Widmer/Rieder im Bereich der Analyse der Auswirkungen von Reformen in den Kantonen.

Die Projektanlage bedingt eine gemeinsame Planung und Koordination der Datensicherung und –beschaffung und ein aufeinander Abstimmen des Analyserasters und der Operationalisierung. Besonders wichtig ist dabei, dass in einer ersten Phase die Teilprojekte eng zusammenarbeiten und sich der Verbund konsolidiert. Im ersten Jahr ist deshalb vorgesehen, dass sich die Teilprojekte alle zwei bis drei Monate treffen. Folgender Zeitplan ist vorgesehen:

·        bis Oktober 2000: Planung und Organisation des "Data Ware House", Erarbeitung des gemeinsamen Analyse-Rasters für die Reform-Projekte, Bestimmung der relevanten Gemeinde- und Kantonsdaten.

·        November 2000 bis September 2001: Haupterhebungsphase. Die einzelnen Projekte arbeiten weitgehend selbständig. Aufdatierung des Data Ware House.

·        November 2001 bis Juni 2002: Berichterstattung, Validierung und Synthese der Ergebnisse, Sicherung des Fortbestandes des Data Ware House im Sinne einer Dauerbeobachtung institutionellen Wandels in der Schweiz.

In Bezug auf die Aufbereitung der Daten kommt dem IDHEAP eine wichtige Rolle zu. Ursprünglich war geplant, dass sich Prof. Germann ebenfalls mit einem Teilprojekt an diesem Verbund beteiligt hätte. Da dies nun leider nicht mehr möglich ist, hat sich Prof. Knoepfel bereit erklärt, eine enge Zusammenarbeit mit dem IDHEAP sicherzustellen. Es ist geplant, die Koordination mit dem IDHEAP auf der Ebene des Verbundes zu regeln. Für den zusätzlichen Aufwand zur technischen Bereitstellung der Daten erhält das IDHEAP eine pauschale Abgeltung. Das IDHEAP hat auch sein Interesse an einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit bekundet.

6            Zusammenarbeit mit Praxis, Wissenstransfer, Drittfinanzierung

Erkenntnisse über den Einfluss von Institutionen auf Policy-outcomes usw. respektive den Auswirkungen von Reformen sind in der Praxis von grosser Relevanz. Auch die Erfolgsaussichten und das konkrete Vorgehen bei Reformprozessen dürfte von grossem Interesse sein. Entsprechend wird dafür gesorgt werden, dass die Gebietskörperschaften und Institutionen über die Ergebnisse in Kenntnis gesetzt werden. Aufgrund der Zusammensetzung des Verbundes und den daran beteiligten Personen ist davon auszugehen, dass es zu einer intensiven Zusammenarbeit mit kantonalen und kommunalen Instanzen kommen wird (vgl. hierzu ausführlich die einzelnen Projektgesuche). Die wichtigste Zielgruppe bilden leitende Beamte sowie Exekutiv- und Legislativpolitiker in den Kantonen, Gemeinden und beim Bund. Im weiteren gilt es regionale Institutionen, Parteien und Medienvertreter anzusprechen

Eine konkrete Drittfinanzierung ist nicht vorgesehen. Aufgrund der hohen Aktualität haben die Erfahrungen gezeigt, dass mit kleineren Mandaten zu rechnen ist, die einerseits als konkrete Feldforschung betrachtet werden können, und die es andererseits erlauben, weitere Themen in die Betrachtung einzubeziehen.

Literatur

ALESINA, Alberto and Howard ROSENTHAL (1995). Partisan Politics, Divided Government, and the Economy. Cambridge: Cambridge University Press.

BACHRACH, Peter and Morton S. BARATZ (1963). 'Decisions and Nondecisions: An Analytical Framework',  American Political Science Review, vol . 57, pp. 632-642.

BEYME, Klaus von (1992). Die Politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einführung, Opladen: westdeutscher Verlag.

BORNER, Silvio; RENTSCH, Hans (1997): Wieviel direkte Demokratie verträgt die Schweiz, Chur: Ruegger.

CUSACK, Thomas R. (1999): Social Capital, Institutional Structures, and Democratic Performance: A Comparative Study of German Local Government, in: European Journal of Political Research, 35: 1-34.

DENTE, Bruno and Francesco KJELLBERG (1988). The Dynamics of Institutional Change. Local Government Reorganization in Western Democracies. London: Sage.

IMMERGUT, Ellen M. (1992).  The Rules of the Game: The Logic of Health Policy-making in France, Switzerland and Sweden. In: STEINMO, Sven; THELEN, Kathleen; LONGSTRETH, Frank (Hrsg.): Structuring Politics. Historical Institutionalism in Comparative Analysis. Cambridge: University Press: 57-89.

IMMERGUT, Ellen M. (1998).  The Theoretical Core of the New Institutionalism, in: Politics and Socoiety, 26, 5-34:.

LANDFRIED, Christine (1996). 'Chaostheorien: Die neuen Sichtweisen von Kausalität, Komplexität und Stabilität'. In: PVS Sonderheft 26, Politische Theorien in der Ära der Transformation, Hrsg. von Klaus von Beyme und Claus Offe, S. 253-266.

LIJPHART, A. (1977). Democracy in Plural Societies.

LIPSET, S. M. and Stein ROKKAN (1967). Cleavages Structures, Party Systems and Voter Alignments: An Introduction. In: LIPSET, S. M. and Stein ROKKAN (eds.). Party Systems and Voter Alignments. New York: Free Press. 1-64.

LUHMANN, N. (1987). Soziale Systeme. Frankfurt.

LUTHARDT, Wolfgang (1994). Direkte Demokratie: ein Vergleich in Westeuropa. Baden-Baden: Nomos.

MARCH, J. G. and J. P. OLSON (1984). "The New Institutionalism: Organizational Factors in the Political Life", American Political Science Review 78(3): 734-49.

MARCH, James; OLSEN, Johan P. (1989).  Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of Politics. New York: The Free Press.

MARCH, James; OLSEN, Johan P. (1996).  Institutionel Perspectives on Political Institutions. In: Governance 9: 247-264.

MAYNTZ, Renate; SCHARPF, Fritz W. (1995).  Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus. In: MAYNTZ, Renate; SCHARPF, Fritz W. (Hrsg.): Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung. Frankfurt/New York: Campus: 39-72.

NORTH, Douglas C. (1992).  Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung. Tübingen: J.C.B Mohr.

NORTH, Douglas C. (1994). Economic Performance Through Time. American Economic Review 84/359-368.

OSTROM, Elionor (1991). 'Rational Choice Theory and Institutional Analysis: Toward Complementarity', American Political Science Review 85: 237-243.

ROSE, Richard and Phillip L. DAVIES (1994). Inheritance in Public Policy: Change without Choice in Britain. New Haven: Yale University Press.

ROTHSTEIN, Bo (1996).  Political Institutions: An Overview. In: GOODIN, Robert E.; KLINGEMANN, Hans-Dieter (Hrsg.): A New Handbook of Political Science. Oxford: Oxford University Press: 133-166.

SCHARPF, Fritz W. , Bernd REISSERund Fritz SCHNABEL (1976). Politikverflechtung. Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik.  Kronberg: Scriptor Verlag.

SCHARPF, Fritz W. (1997).  Games Real Actors Play. Actor-Centered Institutionalism in Policy Reserach. Boulder: Westview Press.

SCHMIDT, Manfred G. (1989).  Learning from Catastrophes. West Germany's Public Policy. In: CASTLES, Francis G. (Hrsg.): The Comparative History of Public Policy. Oxford: Polity Press: 56-99.

SCHMIDT, Manfred G. (1993).  Theorien in der international vergleichenden Staatstätigkeitsforschung. In: HÉRITIER, Adrienne (Hrsg.): Policy-Analyse. Kritik und Neuorientierung. Opladen: Westdeutscher Verlag: 371-393.

SCHMIDT, M. G. (1996). 'When parties matter: A review of the possibilities and limits of partisan influence on public policy?, European Journal of Political Research 30(2): 155-183.

SCHMIDT, Manfred G. (1998).  Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich. Opladen: Leske & Budrich.

SEIBEL, Wolfgang (1997). Historische Analyse und politikwissenschaftliche Institutionenforschung, in: Benz, Arthur; SEIBEL, Wolfgang: Theorieentwicklung in der Politikwissenschaft -- eine Zwischenbilanz. Baden-Baden: Nomos: 357-376.

STEINMO, Sven; THELEN, Kathleen; LONGSTRETH, Frank (Hrsg.) (1992).  Structuring Politics. Historical Institutionalism in Comparative Analysis. Cambridge: University Press.

TSEBELIS, George (1995).  Decision Making in Political Systems: Veto Players in Presidentialism, parliamentarism, Multicameralism and Multipartism, in: British Journal of Political science 25: 289-325.

WAGSCHAL, Uwe (1999). "Schranken staatlicher Steuerungspolitik: Warum Steuerreformen scheitern können", in: Busch, Andreas und Thomas Plümper (Hrsg.). Nationaler Staat und internationale Wirtschaft. Baden-Baden: Nomos. S. 223-247.

WASCHKUHN, Arno (1995). "Institutionstheoretische Ansätze", in: NOHLEN, Dieter (Hrsg.), Lexikon der Politik. Bd. 1: Politische Theorien. München: C. H. Beck.  S. 188-195.

WEAVER, R. Kent; ROCKMAN, Bert A. (1993).  Assessing the Effects of Institutions, in: WEAVER, R. Kent; ROCKMAN, Bert A. (Hrsg): Do Institutions Matter? Government Capabilities in the United States and Abroad, Washington: The Brookings Institution: 1-41.